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Pflegeeltern im Interview

„Da wird auch nichts beschönigt“

Wir haben mit einem Ehepaar aus Rostock gesprochen, das eine Pflegetochter aufgenommen hat. Die beiden Männer erzählen von vielen Hürden und falschen Vorstellungen, aber auch, wie es funktionieren kann und warum es sich lohnt. Auf Wunsch haben wir die Namen geändert und nähere Infos zu den Personen weggelassen.

KATAPULT MV: Seit wann seid ihr Pflegeeltern?

Chris: Seit etwa neun Jahren. Unsere Pflegetochter lebt seit ihrer Geburt bei uns.

Wie kam es dazu, dass ihr euch für eine Pflegeelternschaft entschieden habt?

Chris: Wir sind seit fast 25 Jahren zusammen, haben immer mal über Kinder gesprochen, waren uns aber nicht einig. Auf die Pflegeelternschaft sind wir durch eine Nachbarin aufmerksam geworden.

Niklas: Sie hatte mit ihrem Mann einen Vorbereitungskurs beim Pflegefamilienzentrum gemacht und uns dort einfach mit angemeldet. Das sind zehn Abende mit etwa zwei Stunden, wo wirklich alle möglichen Themen rund um die Pflegeelternschaft besprochen werden. Am Ende gibt es noch ein Blockwochenende, wo noch mal spezielle Themen aufgearbeitet werden.

Was wird da so besprochen?Niklas: Was können die Kinder für Probleme mitbringen, was hat man selbst für Baustellen im Leben, die man vorher bearbeiten sollte? Wir sind eigentlich mit dem Gedanken hingegangen, erst mal zuzuhören und dann zu gucken, ob wir das überhaupt wollen. Der Kurs kostet nichts. Und er ist so aufgebaut, dass man die ganze Zeit das Gefühl hat, am Ende guten Gewissens auch sagen zu können, das ist nichts für mich. Da wird auch nichts beschönigt. Nicht wenige haben daraufhin ihr Interesse wieder zurückgezogen.

Aber wir sind dann schon während des Kurses gefragt worden, ob wir uns vorstellen könnten, Pflegeeltern zu werden. Es gab eine junge Frau, die zu diesem Zeitpunkt erst 17 Jahre alt war und hochschwanger – wo bereits klar war, dass das Kind nicht bei ihr bleiben wird. Wir haben uns dann zu einem Kennenlernen getroffen.

Wie lief das ab?

Chris: Wir waren relativ viele Leute: die Mutter, ihre Familie und beteiligte Familien- und Sozialhilfen. Sie haben sich regelmäßig alle paar Wochen getroffen.

Niklas: Es kam auch noch ein anderes Pflegeelternpaar, Mann und Frau. Die Devise bei einem solchen Treffen ist „Zuhören, nichts sagen“. Aber schon während des Gesprächs stellte sich heraus, dass sich die Familie für uns interessiert. Der Vater der werdenden Mutter kam nach dem Gespräch gleich auf uns zu und sagte: „Ihr macht das.“

Habt ihr euch in dem Moment gefreut?

Chris: Ganz im Gegenteil. Für uns war ja zu dem Zeitpunkt noch gar nicht klar, ob wir das wirklich wollen.

Niklas: So etwas öffnet einem auch den Blick in soziale Milieus, die nicht einfach sind. Es gibt Familien, wo nicht klar ist, was normale Umgangsformen sind, Vertrauen und überhaupt Alltag. Diese Tragweite war uns zuvor nicht klar.

Wie ging es dann weiter?

Chris: Nach diesem Treffen haben wir zwei Wochen gar nichts gehört. Dann schrieb das Pflegezentrum, die Familie habe sich für uns entschieden. Drei Wochen später kam das Kind zur Welt. Es war ein bisschen stressig, eine Hebamme zu finden und die Babyausstattung zu kaufen. Aber es hat geklappt. Und einen Tag nach der Geburt haben wir unsere Pflegetochter zum ersten Mal gesehen. Vier Tage später ist sie bei uns eingezogen.

Wie habt ihr das mit der Arbeit geregelt?

Niklas: Die Arbeitgeber waren unsere größte Sorge. Da hatten wir aber im Vorfeld ein komplettes Lösungskonzept erarbeitet, wie wir es machen können, und das wurde auch genauso akzeptiert.

Wie sah das Konzept aus?

Niklas: Wir haben unseren Jahresurlaub abwechselnd genommen, um die ersten Monate abzudecken.

Chris: Danach hatte ich einen Monat Elternzeit. Das Problem ist, dass man als Pflegeeltern zwar Elternzeit nehmen kann, aber kein Elterngeld bekommt. Das Geld, das man kriegt, kompensiert nicht ein ganzes Gehalt. Das konnten wir nicht machen. Wir haben danach erst mal mit verkürzten Stunden und versetzt gearbeitet und hatten eine tolle Tagesmutter, die unsere Pflegetochter ab dem vierten Monat stundenweise betreut hat.

Wie war die erste Zeit für euch?

Niklas: Das ist, glaube ich, wie bei jedem Paar, das ein Kind bekommt: Es ändert sich alles. Man hat auf einmal Verantwortung für ein kleines Wesen. Wie bei anderen neuen Eltern auch. Nur dass wir weniger Zeit zur Vorbereitung hatten.

Gab oder gibt es kritische Stimmen zu euch als Pflegeeltern?

Niklas: Nein, überhaupt nicht. Als homosexuelles Paar haben wir keine negativen Erfahrungen gemacht – bislang keine Übergriffe oder Schmähungen auf der Straße. Zum Glück.

Chris: Auch für unsere Pflegetochter gibt es da nichts. Was die Pflegeelternschaft angeht, wird häufig viel gefragt. Das finde ich aber gut. Darüber sprechen wir sehr offen. Man neigt zwar immer dazu, in solchen Gesprächen eher negative Sachen zu erzählen. Aber die meiste Zeit ist es wie bei anderen ein Alltag mit Kind.

Wie stehen die Chancen, dass eure Pflegetochter zurück zur leiblichen Mutter kommt?

Niklas: Von Amtsseite ist sehr klar ist, dass es keine Perspektive für eine Rückführung gibt. Ja, sie ist unstrittig die leibliche Mutter, hieß es in einem der letzten Gespräche, aber wir sind für unsere Pflegetochter die Eltern. Und aus diesem sicheren Umfeld wird sie nicht rausgenommen. Die auf Dauer angelegten Pflegschaften haben schon auch Bedeutung.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit der Mutter?

Niklas: Mittlerweile ist es so, dass wir ein Intervall von fünf Wochen haben. Bei Feiertagen kann es sich mal verschieben. Die Treffen verlaufen in der Regel gut. Am Anfang waren sie ziemlich schlimm, weil sich die Mutter immer noch beweisen wollte. Das waren auch sehr große Runden mit vielen Angehörigen.

Chris: Für die Kleine war es ganz furchtbar, sie hat immer geweint – und für die Mutter dann auch schlimm. Wir saßen daneben und durften während des Umgangs nichts machen. Vorgabe. Das hat einem das Herz zerrissen. Daraufhin haben wir andere Bedingungen gestellt: Kleinere Runden, anderer Ort, wir sind zuerst da, damit sich das Kind erst mal einfinden kann, und dann kommt erst die Mutter dazu. Das haben wir mithilfe des PFZ durchgesetzt und es hat sich bewährt. Seit mittlerweile acht Jahren.

Wie geht es eurer Tochter heute bei den Treffen?

Chris: Wir haben in letzter Zeit öfter erlebt, dass sie sich auch mal nicht mit ihrer Mutter treffen will. Sie sieht mittlerweile selbst, dass sie diese Funktion als Mama im klassischen Sinn nicht ausfüllen kann. Also nicht so, wie sie es von den Mamas in ihrem Umfeld beobachtet.

Niklas: Das ist auch ziemlich schwer zu erklären. Aber wir versuchen dann bewusstzumachen: Wir halten zusammen. Wir sind die drei, die Familie sind.

Wie ist für euch die Zusammenarbeit mit den Ämtern?

Chris: Praktisch erleben wir nur die Arbeit der Mitarbeitenden des PFZ. Und die machen das mit viel Enthusiasmus. Zum Beispiel laden sie regelmäßig zu Weiterbildungen ein. Für Pflegeeltern, aber auch für Mitarbeitende des Jugendamts. Damit ein besseres Miteinander und Verständnis erreicht werden kann. Aber man sieht kaum Menschen von Jugendämtern dort teilnehmen. Das ist schade.

Chris: Vor allem gibt es da ein strukturelles Problem: Bei den Fällen, die wir kennen, spielen die leiblichen Eltern im Alltag eine sehr kleine Rolle. Weil sie es aus verschiedenen Gründen eben nicht leisten können. Aber häufig bleibt das Sorgerecht komplett bei ihnen. So ist es in unserem Fall auch. Das heißt also, alle Anträge, die gestellt werden müssen, können nicht wir machen, sondern nur ihre Mutter. Für das Jugendamt ist sie die Ansprechpartnerin. Aber wir tragen die Konsequenzen dieser Entscheidungen – und vor allem das Kind. Das geht oft unter.

Es hat sicherlich auch mit den vielen Aufgaben und Überforderungen zu tun. Aber es gibt das Gefühl, dass unsere Arbeit nicht ganz ernst genommen wird. Oft behandeln uns Ämter so, als wären wir eine semiprofessionelle Art der Unterbringung neben der Wohngruppe. Es ist aber unser tägliches Leben. Und gleichzeitig wird einem unterstellt, wir wüssten gar nicht genau, wie es läuft.

Wo liegen für euch die größten Hürden?

Chris: Am meisten sind es bürokratische Herausforderungen. Und die sind nicht auf die besondere Konstellation der Pflegeelternschaft gemünzt, sondern auf festgelegte Strukturen. Die Kleine musste zum Beispiel die Schule wechseln, sollte aber im Hort bleiben, damit sich nicht alles verändert. Mit der Schülerbeförderung gibt es aber das Problem, dass sie nur zwischen Schule und Zuhause verkehrt, nicht zwischen Schule und Hort. Und so wird unsere Tochter jetzt täglich mittags nach Hause gebracht und von uns dann in den Hort. Die Begründung war unter anderem: Wenn wir das machen, will das ja jeder. Da denke ich, dann ist der Bedarf aber doch offensichtlich da. Also muss man das mal mit einplanen.

Niklas: Und dann wird auch gesagt, „Ihrem Kind geht es doch schon viel besser als anderen“. Als wäre das der Maßstab. Im Sozialgesetzbuch acht steht als erster Paragraph, ein Kind nach allen Möglichkeiten, die es gibt, zu fördern. Und dann erleben wir, wie viel Energie in das Verhindern von Hilfen gesteckt wird. Deswegen muss man solche Themen aufgreifen und darüber reden. Damit Menschen sie hören, die sie mitnehmen können in die entscheidenden Runden.

Ist das auch ein Grund, warum es nicht so viele Pflegeeltern gibt?

Chris: Ich glaube, diejenigen, die es wollen, machen es trotzdem. Aber insgesamt ist die Anerkennung ein großes Problem und damit auch ein großer Hemmschuh, sich dafür zu entscheiden.

Das Interview erschien in der Februarausgabe von KATAPULT MV.

Autor:in

  • Bild von KATAPULT MV Redaktionsleiterin Martje Rust

    Redaktionsleitung

    Ist in Greifswald geboren, hat in Augsburg studiert und zog für den Lokaljournalismus wieder zurück nach MV.

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