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Umweltschutz

Die Sache mit dem Moor

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Lesedauer: ca. 17 Minuten

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Schon auf dem Weg von Greifswald nach Jamitzow, einem Ortsteil der Gemeinde Buggenhagen, werden Reisende mit dem Thema konfrontiert: Rund ein Dutzend großflächige Plakate von Amthor säumen den Straßenrand. Seine Plakatkampagne in der Region: „Vorpommern darf nicht absaufen“. Zu sehen ist er mit der Vizepräsidentin des Landtages Beate Schlupp und Wolgasts Bürgermeister Stefan Weigler (beide CDU) in Gummistiefeln und Wathosen am überfluteten Polder Pinnow bei Johannishof. Dazu hatten sie auch zu einer Bürgerversammlung im Feuerwehrhaus von Jamitzow eingeladen. Thema: die Renaturierungsmaßnahmen rund um Anklam.

Bürgerversammlung in Jamitzow

Gut 60 Leute haben sich Mitte August im Hof des Feuerwehrhauses versammelt. Neben Amthor sind Schlupp und Weigler sowie Marco Gemballa (CDU) vom Bauernverband Ostvorpommern gekommen.

Schlupp und Amthor betonen gleich zu Beginn, dass es bei dieser Veranstaltung nicht um „Panikmache“ oder „Angst schüren“ gehen soll, auch wollen sie „keine Naturschutzprozesse verhindern“. Vielmehr möchten sie den Bürger:innen Mut machen, sich zu wehren, wenn auf ihren Flächen ein Naturschutzgebiet entstehen soll. „Dass es viele Probleme mit solchen Maßnahmen im Landkreis Vorpommern-Greifswald gibt, haben Negativbeispiele in der Vergangenheit oft genug gezeigt“, sagt Schlupp.

So nennt sie die Ausgleichsmaßnahme für den Bau der A 20 auf den Koblentzer Wiesen und die Wiedervernässung der Polder rund um Anklam, bei denen die Anwohner:innen um ihre Flächen gebracht worden seien und ihre Landwirtschaft teilweise hätten aufgeben müssen. Auch den Martenschen Bruch bei Hintersee führt sie an. 2008 wurden dort 7.500 Hektar Fläche dem Naturschutz umgewidmet und wiedervernässt. Eine Bürgerinitiative hatte sich gegen die Maßnahmen ausgesprochen, Anwohner:innen seien schließlich dennoch dazu gedrängt worden, ihre Flächen zu verkaufen, berichtet Schlupp. Entschädigungen habe es für überflutete Äcker und vollgelaufene Keller nicht gegeben. „Es konnte nicht nachgewiesen werden, dass das vor der Wiedervernässung nicht eh schon passierte.“

Am Ende ihrer Aufzählung betonen Schlupp und Amthor, dass sie Moorschutz zwar als eine „wissenschaftlich gute Maßnahme“ für den Klimaschutz anerkennen. Sie wollten das auch nicht in Frage stellen, es gebe aber Grenzen.

Bürgerversammlung im Hof des Feuerwehrhauses Jamitzow (Foto: M. Rust)

Damit stoßen sie offensichtlich auf Zustimmung aus dem Publikum. Der Bürgermeister von Buggenhagen, Manfred Studier (Wählergruppe Gemeinde Buggenhagen, WgGB), betont, dass es nach der Wiedervernässung des Polders Klotzow „verheerend“ aussehe. Zwar sei man „offen für Naturschutz“, habe „einer Probefläche vor zehn Jahren für Naturschutzmaßnahmen auch zugestimmt“, aber was man seitdem dort mache, sei „gegen die Natur“. Alles sei abgestorben, sogar der Wald. Besonders ärgern sich die anwesenden Anwohner:innen, dass Verantwortliche „von oben herab einfach etwas durchdrücken. Da machen wir nicht mit.“ Studiers Frau fügt hinzu: „Und wir kämpfen auch weiter, das kann ich Ihnen sagen.“ Es sei zu viel einfach am Schreibtisch festgelegt worden. „Wir leben in einer Demokratie. So wie es jetzt ist, erinnert es mich eher an die DDR.“

Dass das aber nicht so einfach ist und hier Fakten vermischt werden, darauf wollen das „Greifswald Moor Centrum“ und die Succow-Stiftung aufmerksam machen, deren Vertreter:innen ebenfalls zur Bürgerversammlung gekommen sind.

Renaturierung und Wiedervernässung für den Klimaschutz

Seit den 1990er-Jahren bemühen sich Wissenschaftler:innen und Naturschützer:innen in Meck-Vorp intensiv, Moore wiederzuvernässen. Trockengelegt wurden Moorflächen schon im 18. und 19. Jahrhundert, insbesondere aber in den 1960er- und 1970er-Jahren, um die Flächen für Acker- und Grünlandbewirtschaftung nutzen zu können. Das Problem: entwässerte Moorflächen setzen Treibhausgase frei, vor allem CO2, und sind damit klimaschädlich. Intakte, nasse Moore sind dagegen klimaneutral, speichern sogar CO2.

Dass die Wiedervernässung für das Erreichen der Klimaziele eine wichtige Rolle spielt, hat auch Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) schon mehrfach betont. Trockengelegte Moore seien in Mecklenburg-Vorpommern sogar die größte Quelle von Treibhausgasen, „hier müssen deutliche Emissionsminderungen vorgenommen werden“, so Backhaus.

In Meck-Vorp sind etwa 12 Prozent der Landesfläche Moore, also rund 288.000 Hektar. Damit ist Meck-Vorp eines der moorreichsten Bundesländer. Davon waren aber Anfang der Neunzigerjahre nur noch drei Prozent nass. Vor 21 Jahren wurde dann das erste Moorschutzkonzept auf den Weg gebracht. Damit konnten einige Flächen umgewidmet, der Wasserstand wieder angehoben werden. Die Moorflächen wurden wiedervernässt. Mittlerweile sind das im Land 26.000 Hektar.

Die Ausweisung eines Naturschutzgebiets heißt aber nicht, dass eine Fläche automatisch wiedervernässt, also geflutet wird, wie es Amthor und Schlupp behaupten. Naturschutzgebiete umfassen neben Mooren auch andere Flächen. Und nicht jedes Moor wiederum wird ein Naturschutzgebiet. Generell werden jedoch erst nach einer Ausweisung konkrete Maßnahmen formuliert, was auf der Fläche entwickelt und geplant wird. Eine solche Maßnahme könnte eine Wiedervernässung sein, um Moorflächen zu renaturieren. So ist es auch im Peenetal- und Peenehaffmoor. Das Gebiet ist als Naturschutzgroßprojekt geplant worden, dessen Ziele mit der formalen Schutzgebietsausweisung gesichert werden. Daran schließen sich Stück für Stück konkrete Maßnahmen an.

Im Anklamer Stadtbruch zum Beispiel wurde die Moorfläche seit 1995 schrittweise wiedervernässt. Vorangetrieben wurde das Vorhaben, als nach einem Hochwasser zwei Deiche gebrochen waren. Infolgedessen stand der Wald unter Wasser und starb stellenweise langsam ab. Auch hatten sich Flachwasserseen gebildet. Ausgehend von dieser Situation wurden die umliegenden Polder nach und nach wiedervernässt.

Festgelegt wurde die Ausweisung des gesamten Gebiets als Naturschutzprojekt aber schon 1992. Insgesamt sind es rund 20.000 Hektar vom Kummerower See entlang der Peene bis zur Mündung östlich von Anklam. Welche Polder und Moorflächen renaturiert werden, wo die einstigen Entwässerungssysteme zurückgebaut und Flächen der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen werden können, steht also schon seit 29 Jahren fest und wurde bereits fast vollständig umgesetzt. Nun stehen noch etwa 7.000 Hektar der formalen Ausweisung als Schutzgebiete aus. Und es geht dabei auch um Flächen rund um Buggenhagen. Till Richter, der Besitzer des dortigen Herrenhauses am Schlosssee, in dem zeitgenössische Kunst ausgestellt wird, hat nun Angst davor, dass mit weiteren Wiedervernässungsmaßnahmen seine Flächen überschwemmt werden. Herrenhaus und Gartenanlage sind denkmalgeschützt. Wie das entschädigt werden soll, wisse niemand. Er habe das Gefühl, hier stehe Natur- über Denkmalschutz.

Nach Angaben des Greifswald Moor Centrums ist die Anlage nicht in Gefahr. Um 1840 gebaut, stand sie bereits in der Zeit vor einer großflächigen Entwässerung. Daher ist sie erhöht gebaut worden und dürfte somit bei Renaturierungsmaßnahmen nicht betroffen sein. Auch vom Landwirtschaftsministerium sei bereits schriftlich bestätigt worden, dass es die Höhenlage des Hauses fast unmöglich mache, dass das Gebäude von Vernässung betroffen wäre.

Anwohner:innen aus Buggenhagen beschweren sich auf der Bürgerversammlung auch, dass sie nicht rechtzeitig über die Schutzgebietsausweisungen informiert worden seien. Einige hätten bei vorherigen Maßnahmen „binnen weniger Tage ihre Flächen räumen“ müssen. Und sie wollen so etwas nicht noch einmal erleben, so der Tenor. Das greift Landtagsabgeordnete Schlupp auf: Sie wolle werben, sich in Renaturierungsverhandlungen mit der Landesregierung „nicht abspeisen“ zu lassen. „Wenn ein Gebiet erst einmal als Naturschutzgebiet ausgewiesen wurde, hat man als Landeigentümer:in kaum noch Mitspracherecht.“ Amthor fügt hinzu: „Dann ist die Grenze der Privatnützigkeit erreicht. Dann wird nicht mehr darüber gesprochen, ‚ich behalte die Fläche‘ oder ‚ich behalte die Fläche nicht‘, sondern es wird nur noch über Entschädigung verhandelt.“

Das ist jedoch im Zuge der Schutzgebietsausweisungen nicht passiert. Überhaupt sei das auch generell gar nicht so leicht, betonen Naturschützer:innen.

Die Angst vor der Enteignung ist unbegründet

Nina Seifert von der Greifswalder Succow-Stiftung, die ebenfalls zur Bürgerversammlung nach Jamitzow gekommen ist, erklärt: Eine Schutzgebietsausweisung müsse sehr transparent gestaltet werden und passiere auch nicht einfach ohne das Wissen der Anwohner:innen, so Seifert. Besonders die Eigentümer:innen der betroffenen Flächen würden dabei rechtzeitig informiert. Eine solche Ausweisung sei auch keine Sache von zwei oder drei Wochen, sondern dauere Jahre, je nach Interessenkonflikt einzelner Akteur:innen. Und jeder Schritt werde besprochen. Die formale Ausweisung als Naturschutzgebiet, die nun vor Ort noch ausstehe, werde sich noch Jahre hinziehen, müsse unter anderem auch vom Landtag beschlossen werden. Erst dann seien mögliche Anpassungen in der Flächenbewirtschaftung zu besprechen. Vorher passiere „rein gar nix“, so Seifert. Die Untere Naturschutzbehörde könnte zukünftig auf der Grundlage der Schutzgebietsverordnung theoretisch Maßnahmen veranlassen. Das könne sie aber ebenfalls nicht über die Köpfe der Eigentümer hinweg umsetzen, besonders, wenn es dadurch zu einem Wertverlust der Flächen käme.

Wenn es tatsächlich dazu kommt, dass Landwirt:innen sich auf ihren Flächen einschränken müssen, werden sie dafür entschädigt. Entweder gibt es einen Ausgleich, wie etwa Tauschflächen, oder einen Kauf. Denn werden einst trockengelegte Moorflächen wiedervernässt, ist eine zuvor dort betriebene Landwirtschaft nicht mehr möglich.

Marco Gemballa vom Bauernverband pocht hier grundsätzlich auf ein bleibendes Mitspracherecht. Landwirt:innen müssten über die von ihnen bereitgestellten Flächen mitentscheiden können. Auch müsse weiterhin für sie die Möglichkeit bestehen bleiben, Lebensmittel für die Bevölkerung zu produzieren, „dafür sind die Flächen einst ausgewiesen worden“. Und wenn eine Naturschutzmaßnahme oder eine Wiedervernässung unumgänglich sei, dann solle die Landesregierung auch die Folgekosten tragen. So müssten größere Kranich-, Wildschwein- und Bibervorkommen und daraus folgende Schäden von der Regierung reguliert und übernommen werden, fordert Gemballa.

Amthor als Bundestagsabgeordneter grenzt sich während der Bürgerversammlung mehrfach maßgeblich von Behörden und Regierung ab, nimmt keine Stellung zu entsprechenden Anfragen. Er sei „nur hier, um Bedenken und Sorgen aus der Bevölkerung aufzunehmen“. Die Sorgen versuchten die Mitarbeiterinnen der Succow-Stiftung zu nehmen: das Naturschutzgroßprojekt, aus dem die meisten Wiedervernässungen im Peenetal finanziert wurden, sei abgeschlossen. Die allermeisten Moorflächen in der Umgebung sind schon wiedervernässt.

Mit beiden Beinen im Moor versackt

Die gemeinsame Plakatkampagne erzählt eine andere Geschichte: Mit der Aussage „Vorpommern darf nicht absaufen!“ verweisen Schlupp, Amthor und Weigler darauf, dass neue Naturschutzgebiete, wie die geplante Ausweisung „Peenetal von Anklam bis Peenestrom und Haff“, automatisch „eine Grundlage für umfangreiche Vernässungsmaßnahmen“ schafften – „Gemeinden, Einwohner, Land- und Forstwirte“ seien in Sorge.

Eine solche Kampagne habe es 2014 schon einmal gegeben, sagt Franziska Tanneberger, Leiterin des Greifswald Moor Centrums. Man wiederhole sich mit falschen Informationen: Zum einen würden hier – wie bereits erläutert – Naturschutzgebietsausweisungen und Moorwiedervernässung zusammengetan, zum anderen führe eine Wiedervernässung von Mooren nicht dazu, dass Vorpommern absaufe. Viel mehr passiere genau das, wenn man die Moore trockengelegt lassen würde. Intakte und wiedervernässte Moore dagegen können enorme Mengen Wasser aufnehmen. Moorschutz sei also neben Klimaschutz zugleich Küsten- und Hochwasserschutz bei steigendem Meeresspiegel, erläutert die Forscherin.

Plakatkampagne der CDU in Vorpommern (Foto: M. Rust)

Lässt man Moorflächen entwässert, sackt die Oberfläche immer weiter ab. Seit den 1970er-Jahren ist im Peenetal der Boden durch die starke Entwässerung stellenweise um einen bis anderthalb Meter abgesunken. Lässt man diesen Vorgang weiterhin zu, dann geraten die Flächen immer weiter unter den Meeresspiegel, was die Überflutungsgefahr immer weiter erhöht. Bei Hochwasser gäbe es ohne wiedervernässte Flächen keine Ablaufmöglichkeiten. „Dann hätte Mecklenburg-Vorpommern ein Absaufproblem“, warnt Tanneberger.

Problematisch sei auch das Foto auf dem Wahlplakat selbst. Laut Carl Barnick, der für das Planungsbüro „UmweltPlan“ in dem gefluteten Polder Pinnow regelmäßig Kartierungen durchführt und sich seit Jahren mit der Fläche beschäftigt, sei der Wald dort nicht durch die Wiedervernässung abgestorben. Vielmehr sei dieser bereits Mitte der 2000er-Jahre durch einen Deichbruch überflutet worden und infolgedessen eingegangen. Bis dato habe es keine einzige Naturschutzmaßnahme in dem Gebiet gegeben.

Infolge des Deichbruchs sei der vorher intensiv genutzte Polder großflächig brach gefallen und dann erst im Jahr 2016 als Kompensationsmaßnahme für die Erdgaspipeline Nord Stream 1 vollständig geflutet worden, indem die Deiche geschlitzt wurden und der Pumpbetrieb eingestellt worden sei. „Da war der Wald bereits tot“, so Barnick. Um ein künftiges Absaufen von Flächen zu verhindern, plädiert er in Jamitzow mit Nachdruck für eine nachhaltige, also eine nasse, Bewirtschaftung von Moorflächen.

Und die ist möglich: Das Greifswald Moor Centrum forscht seit Jahren an Möglichkeiten für Landwirtschaft auf nassen Flächen, der sogenannten Paludikultur.

Das Potenzial der nassen Landwirtschaft

Einige Ansätze der Paludikulturforschung des Greifswald Moor Centrum haben internationalen Vorbildcharakter. Kleinflächig werden sie mit Partnerbetrieben bereits umgesetzt.

Ein Beispiel ist das Heizwerk Malchin. Dort werden Moorpflanzen, wie Seggen und Rohrglanzgras, verheizt. Mit der gewonnenen Wärme werden 540 Haushalte, zwei Schulen und mehrere Bürogebäude versorgt. Die Biomasse liefert ein Landwirtschaftsbetrieb, dessen Flächen in Neukalen und Salem im Naturschutzgebiet liegen und renaturiert worden sind. Das Projekt hat sich bewährt. Nach Angaben von Jan Peters, Geschäftsführer der Michael-Succow-Stiftung, laufen Gespräche mit anderen Städten, nicht nur in Meck-Vorp. Interessenten kommen aus Brandenburg, Schleswig-Holstein und den Niederlanden.

Auch Weidetierhaltung ist möglich. Auf wiedervernässten Flächen können zum Beispiel Wasserbüffel grasen. Auf Rügen hält Biolandwirt Marco Matuschak eine Herde Wasserbüffel im Biosphärenreservat Südostrügen. Das Fleisch vermarktet er regional.

Neueste Forschungen zur Paludikultur gehen in Richtung Baubranche: Das Unternehmen „Moor and more“ hat im vergangenen Jahr ein rollendes Tiny House, also eine Art Wohnwagen, aus der Biomasse von Mooren gebaut. Beispielsweise wurden Platten aus gepressten Rohrkolben und Schilf genutzt, Erlenholz diente als Bau- und Dämmstoff.

Würde man die Nutzung von Rohrkolben und Schilf in der Bauwirtschaft etablieren, könnten langfristig auch mehr Flächen für deren Anbau ausgewiesen werden. Das wäre auch eine Sicherheit für das traditionelle Handwerk der Rohrwerber. Die fordern schon seit Jahren mehr Flächen. 80 Prozent ihres Materials für Reetdächer müssen sie derzeit aus China, Rumänien und der Türkei importieren. Mit dem Tiny House aus Paludikultur wollen die Wissenschaftler:innen des Moorzentrums auf Messen für mehr Paludikultur werben. So startet heute eine zweiwöchige Tour durch Norddeutschland. Ansonsten steht es an den Karrendorfer Wiesen bei Greifswald und wird als Unterkunft für Forscher:innen und Künstler:innen genutzt.

Obwohl die Potenziale und die Notwendigkeit einer Umsetzung seit Jahren bekannt sind, gibt es nach Angaben des Greifswald Moor Centrum in Meck-Vorp Paludikultur derzeit nur auf unter einem Prozent der landwirtschaftlich genutzten Moorfläche, also auf weniger als 1.600 Hektar.

Paludi-Tiny House (Foto: T. Galke)

Explosion der Arten

Auf der Bürgerversammlung in Jamitzow kritisiert der Bürgermeister von Buggenhagen auch, dass durch die Renaturierungsmaßnahmen viel weniger Tiere vorkämen. Besonders Kleintiere fänden keinen Lebensraum mehr. Auch ein Vertreter des Wasser- und Bodenverbands Untere Peene führt an, dass die Schilffläche nicht so viel Lebensraum für Tiere wie die bisherige Landwirtschaftsfläche hergebe.

Forscher:innen sehen das anders: Seit den Renaturierungsmaßnahmen bei Buggenhagen siedeln sich beispielsweise wieder Limikolen an. Das sind Vogelarten, die auf Nasswiesen brüten und rasten. In den letzten dreißig Jahren ist die Population dieser Arten in ganz Europa stark zurückgegangen, weil ihr Lebensraum durch die intensive Landwirtschaft weitestgehend zerstört wurde. Mitarbeiter:innen des Projekts „LIFE Limicodra“ beobachten vor Ort die Entwicklung von Kiebitzen und Rotschenkeln. Von ihnen gab es in den vergangenen Jahren weniger als fünf Brutpaare in der Projektregion Peenestrom und Stettiner Haff. Im vergangenen Jahr haben die Mitarbeiter:innen 25 Kiebitzbrutpaare gezählt, heißt es vom Limicodra-Projekt.

Landwirt Gemballa, der mit mehreren Projekten auf seinem Hof versucht, ein Gleichgewicht zwischen Landwirtschaft und Naturschutz zu finden, sieht die Grenzen besonders bei der betriebswirtschaftlichen Perspektive. Förderungen fallen weg und man könne ja auch nicht „überall Wasserbüffel halten“. Dennoch interessiert er sich für Paludikultur, hat sich nach der Bürgerversammlung beim Greifswald Moor Centrum über die Möglichkeiten auf einem Teil seiner Flächen informiert.

Jan Peters von der Michael-Succow-Stiftung versucht am Ende der Bürgerversammlung Verständnis dafür zu gewinnen, über Einzelinteressen hinauszublicken. Für ein weltweites Problem müssten alle Kompromisse eingehen, sich zumindest auf ein Umdenken einlassen.

Schließlich äußern sich auf der Versammlung in Jamitzow aber nicht nur kritische Stimmen. Landwirt Georg Voss aus Buggenhagen findet die Renaturierungsmaßnahme „prima“. Es sei alles viel schöner als vorher. Und der Imker Uwe Schultz aus Anklam merkt an, dass er nach der Wiedervernässung der grünen Wiese bei Anklam von weniger nassen Kellern gehört habe als zuvor. Seine Bienen hätten sich gut eingelebt. Es gebe auch nicht mehr Mücken, wie zuvor befürchtet worden ist. Für ihn seien „Ängste hier fehl am Platz, man sollte lieber nach vernünftigen Lösungen suchen“.

Keine Beihilfen für Paludikultur

Landwirtschaft auf trockengelegten Mooren wird nach aktueller Agrarförderungsrichtlinie aus EU-Mitteln subventioniert. Für Paludikultur auf wiedervernässten Moorflächen gibt es derzeit keine rechtssicheren Beihilfen, weil Paludikultur nicht als Landwirtschaft gilt. Dabei hat im Juli 2015 der Landtag MV einstimmig dem Antrag „Nutzung von Paludikulturen befördern“ zugestimmt, hat sogar mit einer „Fachstrategie Paludikultur“ als erstes Bundesland Handlungsempfehlungen erarbeitet.

Es fehlen also nicht zuletzt finanzielle Anreize, dass sich Landwirt:innen überhaupt auf diese Möglichkeiten einlassen. Mit der nächsten Europäischen Förderperiode der gemeinsamen Agrarpolitik wird sich das aber absehbar ändern. Das Landwirtschaftsministerium MV und das Greifswald Moor Centrum haben sich dafür eingesetzt, dass Paludikultur explizit als beihilfefähig genannt wird. Zwar bisher nicht in jeder Form und auf jeder Fläche, aber das europäische Recht eröffnet mehr Spielräume für die Mitgliedstaaten.

Ein erster Schritt hin zu einer einheitlichen Richtlinie für Deutschland ist die neue Moorschutzstrategie des Bundes, die am Mittwoch veröffentlicht wurde. Allerdings fehlen auch darin konkrete finanzielle Maßnahmen.

Moore in Deutschland

Und wieder ist die Politik gefragt

Auf Nachfrage, wie erfolgreich nun die Bürgerversammlung von Herrn Amthor & Kollegen war, zeigt sich Buggenhagens Bürgermeister zufrieden: „Wir wollten mit der Veranstaltung aufwirbeln, wollen Aufmerksamkeit. Viele Anwohner sind unzufrieden, besonders hinsichtlich der Kommunikation mit Forschung und Politik.“ Zudem führt Manfred Studier an, dass alle Parteien hätten kommen können. „Nur die CDU war vor Ort, auch wenn sie die Veranstaltung organisiert hat. Um Lösungen zu finden, sollte man sich aber eher an einen Tisch setzen und nicht das Mikro hin- und herschieben.“

Moorforscherin Nina Seifert findet, dass die Veranstaltung „noch einmal deutlich gemacht hat, dass immer noch zu wenig bekannt ist, welche Folgen die Moorentwässerung hat, und dass man die Zusammenhänge viel breiter kommunizieren muss. Gerade in unserer Region muss mit viel Fingerspitzengefühl gearbeitet werden, da die Bevormundung als Erfahrung aus DDR-Zeiten noch sehr tief sitzt.“ Unter anderem hat sie sich mit einer Anwohnerin verabredet, um sich vor Ort konkret zeigen zu lassen, was an den renaturierten Poldern so verheerend und unästhetisch aussehe. Gespräche miteinander müssen also weiterhin angestrebt werden, indem auch Naturschutz immer wieder erklärt werden muss.

Am Ende wären auch die Stimmen aller Beteiligten für so eine Veranstaltung hilfreich gewesen. Für einen sachlichen Diskurs hätten auch Vertreter:innen des Landwirtschaftsministerium anwesend sein sollen. Ein Vorteil für Amthor und seine CDU-Kollegen. Die Wissenschaftler:innen hoffen jedoch, aufgezeigt zu haben, dass das komplexe Thema „Moor“ zu Wahlkampfzwecken sehr verkürzt und unklar dargestellt worden ist, um Stimmen für die CDU zu gewinnen.

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Autor:innen

Redaktionsleitung bei KATAPULT MV.

Ist in Greifswald geboren, hat in Augsburg studiert und zog für den Lokaljournalismus wieder zurück nach Meck-Vorp.

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