Wie in vielen anderen Schulen hat auch die Grundschule Nord in Neubrandenburg sogenannte Vorklassen, in denen geflüchtete Kinder aus der Ukraine auf das deutsche Schulsystem vorbereitet werden können. Damit bietet MV eine zusätzliche Möglichkeit für eine bessere Integration in den Schulalltag. An der Grundschule Nord Am Reitbahnsee gibt es zwei. Die aber werden ganz unterschiedlich behandelt: Während die eine Gruppe – bestehend aus etwa einer Handvoll Kinder – in einem kleinen Raum an der Schule betreut wird, ist für insgesamt rund 20 Mädchen und Jungen im Alter zwischen ca. sechs und neun Jahren eine Wohnung auf dem Datzeberg zur Verfügung gestellt worden. Sie gehören der Sinti:zze- und Rom:nja-Minderheit an, erzählt eine Person aus dem unmittelbaren Umfeld der Schule. Ihren Namen möchte sie nicht sagen.
Ausgrenzung der Minderheit?
Für die rund 20 Kinder wurde aus Kapazitätsgründen vor zwei Wochen die Wohnung zur Verfügung gestellt. Mit fast 400 Schüler:innen an der Grundschule seien die Räumlichkeiten voll. Um für einen qualitativ guten Unterricht sorgen zu können, muss die Schule auf andere Räume ausweichen. Eine bessere Alternative als eine Wohnung gebe es aber allemal, heißt es aus der Lehrerschaft, etwa in Räumen anderer sozialer Träger, wie der Diakonie oder anderen Schulen, die nicht an ihre Kapazitätsgrenze stoßen. So gibt es sogar auf dem Datzeberg eine weitere Grundschule.
Bildungsministerium weist Vorwurf zurück
Entschieden wurde das Vorgehen vom Staatlichen Schulamt Neubrandenburg. Dort habe man auch entschieden, dass die ukrainischen Kinder ohne Minderheitenhintergrund an der Schule bleiben, während die anderen in der Wohnung betreut werden, heißt es von der involvierten Person.
Auf Nachfrage an das entsprechende Schulamt antwortete das Bildungsministerium und weist den Vorwurf des Antiziganismus zurück: Kein Kind werde aufgrund seiner Herkunft anders behandelt als andere Kinder. Die Schulleiterin befrage die Sorgeberechtigten „selbstverständlich nicht nach einem Sinti:zze und Rom:nja-Hintergrund. Gerade dies wäre eine Diskriminierung.“ Die meisten Kinder seien weder alphabetisiert noch hätten sie jemals eine Schule besucht, so das Ministerium. Diese Kinder „können nicht optimal gefördert werden, wenn sie gemeinsam mit anderen Schulkindern unterrichtet werden“. Es handele sich „um keine Differenzierung nach Herkunft, es geht ausschließlich um die Differenzierung nach individuellen Schulvoraussetzungen. Dies entspricht der Abstimmung zwischen dem Landkreis und dem Schulträger, der Stadt Neubrandenburg, unter Beteiligung des Staatlichen Schulamtes Neubrandenburg.“
Die Lehrer:innen vor Ort würden eine Einschätzung und eine sogenannte Beschulungsempfehlung geben. Sofern diese bestätigt wird, werden die Kinder aus der Wohnung nach Beratung der Sorgeberechtigten fortan in der Vorklasse direkt in der Schule betreut. So gebe es nach Angaben der Schule derzeit in fünf Fällen die Vorbereitung, dass Schüler:innen „mit vermuteten Sinti:zze und Rom:nja-Hintergrund“ aus der Wohnung nach den Herbstferien in die Schule wechseln können. Für drei Kinder sei dies laut Bildungsministerium bereits seit Schuljahresbeginn der Fall.
Wohnzimmer statt Unterrichtsraum
Zudem gebe es nach Aussage des Bildungsministeriums von der Stadt Neubrandenburg als Trägerin der Räumlichkeiten keine Hinweise darauf, dass die Wohnung nicht geeignet sei. Ansonsten würde man nach geeigneten Alternativen suchen.
Die Stadt hingegen verwies auf das zuständige Staatliche Schulamt, betont aber im Hinblick auf ihre Pflichten als Schulträgerin, dass die genutzten Räumlichkeiten tragbar seien. „Dazu gehören insbesondere die Reinigung und Beheizung sowie das Sicherstellen der Funktionalität der Räume“, heißt es in einer E-Mail.
Aus diesem Grund fanden in dieser Woche Vor-Ort-Begehungen mit den zuständigen Bereichen der Behörden statt, unter anderem mit dem Gesundheitsamt des Landkreises und dem Brandschutz. Demnach seien einige Maßnahmen umzusetzen, jedoch eine „Beschulung vor Ort weiterhin möglich“. Zur vermeintlichen Trennung von Kindern mit Minderheitenhintergrund seien der Stadt „weder ethnische noch rassistische Gründe für diese Entscheidung bekannt, sondern allein sachliche, wie der Herstellung der Schulfähigkeit“.
Während sich Ämter und Behörden einig sind, dass die Wohnung eine geeignete Alternative für die Vorbereitung auf den Schulalltag sei, sehen das andere involvierte Personen anders:
So gibt es in der Wohnung nur eine Toilette für Kinder und Lehrkräfte. Die Tür zum Balkon sei nicht abschließbar. Die Wohnung liege im zweiten Stock des Gebäudes. Einige der Schüler:innen leben im unmittelbaren Umfeld der Wohnung, verlassen also den Stadtteil so gut wie nie. Andere der Kinder werden täglich mit einem Bus aus der Geflüchtetenunterkunft in der Kaserne in Kreuzbruchhof zur Wohnung gefahren. Schulalltag lernen sie so nicht kennen. Auch der Kontakt zu anderen Kindern fehle gänzlich.
Das Staatliche Schulamt Neubrandenburg wurde bereits auf die Situation hingewiesen. Das Problem vieler Eltern sei, dass sie nicht über die nötigen Sprachkenntnisse verfügen, um sich ausreichend informieren und daraufhin handeln zu können. Aus der Lehrerschaft der Schule heißt es, dass eine andere Lösung für die Wohnungssituation gewünscht sei.
Nach den Ferien soll es so weitergehen
Seit zwei Wochen werden die Kinder in der Wohnung betreut. Geplant ist, die Wohnung auch nach den Herbstferien in der kommenden Woche wie bisher zu nutzen.
Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ist über den Vorwurf informiert. Nach Angaben des Landesvorsitzenden Nico Leschinski werde der Sachverhalt derzeit geprüft. Der Vorwurf des Antiziganismus wiege schwer und sei deshalb für die Gewerkschaft auch als relevant eingestuft worden. Zudem werde auch genau geprüft, ob es mit Räumen etwa an anderen Schulen in Neubrandenburg eine bessere Alternative zur Wohnung geben könnte. Allein die Vorklassenregelung finde er problematisch. Mit der Betreuung in einer von der Schule drei Kilometer entfernten Wohnung sei eine Integration der Kinder jedenfalls nicht gegeben.
Quellen
- Rassismus gegen Rom:nja und Sinti:zze, auch Gadjé-Rassismus genannt.↩
- E-Mail vom Bildungsministerium MV am 6.10.2022.↩
- Auch der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte wurde angefragt. Auch er verwies bzgl. der Zuständigkeit an das Staatliche Schulamt Neubrandenburg.↩
- E-Mail der Stadt Neubrandenburg vom 7.10.2022.↩
- Telefonat mit Nico Leschinski am 7.10.2022.↩