Am 20. Juni, dem internationalen Tag der Geflüchteten, findet das jährliche Sommerfest der Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende in Rostock statt. KATAPULT MV traf sich im Vorfeld mit dem „Team Asyl“ vom Verein „Ökohaus“ und einer Bewohnerin der Unterkunft:
Wozu ein Sommerfest? Für die Menschen, die hier leben!
Die Unterbringung von Asylsuchenden in der Satower Straße 129/130 wird seit über zwanzig Jahren vom Verein Ökohaus als gemeinnützigem Träger und Vertragspartner der Hansestadt Rostock übernommen. Die Unterkunft möchte als Positivbeispiel vorangehen und zeigen, wie wichtig es ist, mit den Bewohner:innen zusammenzuarbeiten und gemeinsam herauszufinden, wie Integration gut gelingen kann.
Ungesehen unter gegebenen Umständen
Die aktuellen gesamtgesellschaftlichen Umstände und Entwicklungen weltweit gefährden zunehmend besonders verletzbare Gruppen. Wie es um die oftmals ungesehenen Menschen hinter den vorwiegend negativen Debatten um Migration, Geflüchtete oder Flüchtlingsunterkünfte steht, wird dabei meist nicht gefragt. Wie problematisch aber die Art und Weise ist, wie auch in der Berichterstattung über betroffene Menschen gesprochen und geurteilt wird, wissen die Sozialarbeiter:innen vom Team Asyl1 des gemeinnützigen Vereins, die täglich mit den Geflüchteten zusammenarbeiten. Viel zu oft würden dort Ängste geschürt und eine Abgrenzung verstärkt: „Es wird ständig über diese Ausländer oder diese Geflüchteten gesprochen, es werden neue Gesetze entwickelt, verschärft und die ganzen Diskussionen sind dabei so absurd und menschenverachtend.“ Was viele allerdings in diesen Diskussionen vergessen: „Es leben schon Leute hier.“
An diesem Freitag stehen anlässlich des Sommerfestes die Tore zum Gelände der Gemeinschaftsunterkunft für die Außenwelt offen und ermöglichen der Stadtgesellschaft „eine Sichtbarkeit von Wohnraum, den es so sonst nirgendwo gibt in diesem Land“. Diese Sichtbarkeit umfasse einerseits einen Querschnitt der Vielfalt des Lebensraums, andererseits das Ergebnis der Arbeit aller Beteiligten der Gemeinschaftsunterkunft in ihrer Gesamtheit. Und die Gewissheit, dass sie gut vernetzt sind, im Hinblick auf die Vielzahl an Kooperationspartner:innen.
Vom Wohnen und Leben
Wer hier in der Satower Straße eine Unterkunft bekommt, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab und wird durch das Sozialamt der Stadt entschieden. Wann die Menschen mit genehmigtem Aufenthalt wieder ausziehen können, entscheidet der Rostocker Wohnungsmarkt.
Auch Frau A.2 kennt dieses Problem. Sie lebt seit drei Jahren in Rostock und sucht seit eineinhalb Jahren täglich aktiv nach einer Wohnung. Solange sie keine Wohnung findet, muss sie mit ihrem Kind in der Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende bleiben, obwohl ihr Asylantrag bereits genehmigt wurde. Sie möchte vorankommen, auch für andere: „Wir können hier nicht bleiben, wir müssen Platz machen für andere Geflüchtete!“ Für die ehemalige Asylbewerberin – trotz Optimismus und Engagement – eine zermürbende Erfahrung. Dennoch sei Rostock ein sicheres und schönes Zuhause für sie und ihr Kind geworden. Hier habe sie viele Freund:innen gefunden, die Sozialarbeiter:innen seien mittlerweile wie Familienmitglieder für sie. Bei der Wohnungssuche seien aber auch ihnen die Hände gebunden.
Die Betreuung durch Sozialarbeiter:innen in Unterkünften für Asylbewerber:innen sei keine Selbstverständlichkeit. Dabei mache es einen gewaltigen und entscheidenden Unterschied, ob es direkte Ansprechpartner:innen vor Ort gebe, die beraten und unterstützen können, oder nicht, berichtet Frau A., die in regelmäßigem Kontakt mit Freund:innen aus anderen Unterkünften steht. Asylsuchende seien nicht ohne Grund auf Zufluchtsorte angewiesen. Viele von ihnen hätten so schreckliche Dinge erlebt, die sich die meisten Menschen hier nicht einmal vorstellen können. Und trotz aller Belastungen müssen sie bürokratische wie sprachliche Hürden in einem Umfeld meistern, das ihnen kaum Privatsphäre bieten kann.
Sechs Quadratmeter für Asylsuchende, acht für Schäferhunde
Wie viel Platz Asylsuchenden zusteht, ist in der Gemeinschaftsunterkunftsverordnung (GUVO M-V) festgelegt. Aktuell sind darin sechs Quadratmeter pro Person festgeschrieben. Um das sichtbar zu machen, soll zum Sommerfest auf dem Gelände auch ein Zimmer in der Größe aufgebaut werden, erzählt Team Asyl: „In den sechs Quadratmetern ist dein Bett, dein Schrank, dein Kühlschrank, ein Tisch, ein Stuhl.“ Zum Vergleich: Gesetzlich geregelt würden beispielsweise einem Deutschen Schäferhund mindestens acht Quadratmeter zustehen3, Gefängnisinsass:innen in Deutschland mindestens neun.4
In der Unterkunft gibt es Gemeinschaftsbäder und -küchen, die sich die Bewohner:innen teilen. Die Verständigung untereinander sei manchmal auch nur mit Händen und Gesten möglich.
Wo immer über hundert Menschen auf engstem Raum zusammenleben müssen, entstehen daher auch Konflikte und Spannungen. „Niemand sucht sich hier seine Mitbewohner:innen aus. Das wird im Zweifel nach Sprache oder Staatsangehörigkeit zusammengewürfelt“, berichten die Sozialarbeiter:innen. Das Team Asyl ist rund um die Uhr darum bemüht, dass trotzdem alle möglichst respektvoll und friedlich miteinander leben können. Das bringt oftmals große Herausforderungen für alle Beteiligten mit sich.
Um diese Ausnahmesituation erträglicher zu gestalten, setzen die Sozialarbeiter:innen auf Prävention und ein Bezugsbetreuungssystem. So soll sich keine:r der Asylsuchenden alleingelassen fühlen und die individuellen Bedarfe Gehör bekommen. So wird beispielsweise versucht, mit gezielten Aktionen insbesondere Frauen und Mädchen zu stärken und zu unterstützen oder sichere Räume für queere Menschen zu gewährleisten. Die Unterkunft zeichnet sich außerdem durch Hilfsangebote aus – wie eine ehrenamtlich verwaltete Kleiderkammer, eine Fahrradwerkstatt, ehrenamtliche Hausaufgabenhilfe für die Kinder und die wöchentliche Ausgabe der Tafel. Auch Spaziergeh-Patenschaften gehören dazu. Das alles seien Versuche, asylsuchenden Menschen würdevoll zu begegnen, und sicherlich auch Merkmale, welche die Gemeinschaftsunterkunft im Verhältnis zu anderen „vorzeigbarer“ machen und diese erst für ein öffentliches Sommerfest qualifizieren. „Ohne all die ehrenamtliche Arbeit dahinter“, so fassen die Sozialarbeiter:innen vom Team Asyl zusammen, „wäre das alles gar nicht möglich“
Der vielleicht schönste Tag des Jahres
Die Begeisterung und Vorfreude auf das Sommerfest von Frau A. scheinen jedenfalls grenzenlos: „Ich kann es kaum erwarten, auch weil mein Kind sich schon so sehr darauf freut.“ Es ist dieser eine Tag im Jahr, der in der Gemeinschaftsunterkunft so groß und so öffentlich ist und im starken Kontrast zur Ausnahmesituation des Alltags einer Asylerfahrung steht. „Es ist so schön, am Tag vom Sommerfest keinen Unterschied sehen zu können, wer in der Unterkunft wohnt oder nicht. Ich freue mich darauf, auch alle meine Freund:innen einladen zu können. Und alle können kommen, weil wir an diesem Tag die Gastgeber:innen sein dürfen.“
Die Organisation des Sommerfests übernehmen die Sozialarbeiter:innen und Ehrenamtlichen des Ökohauses im Interesse der Bewohner:innen. Selbst für eine so aktive und engagierte Persönlichkeit wie Frau A. eine unglaubliche Erleichterung. „Wir können frei entscheiden, wie wir uns einbringen wollen. Wir können helfen etwas vorzubereiten, aber genauso gut mit leeren Händen einfach zum Fest kommen. Es ist unsere Entscheidung. Und das tut mir gut.“
Das Sommerfest sei aber auch ein Symbol der Dankbarkeit, resümiert Team Asyl. Dankbarkeit dafür, dass sie ihre Arbeit im Auftrag der Stadt hier schon so lange machen dürfen. An diesem Tag werden alle anderen Unterkünfte eingeladen, sämtliche Kooperationspartner:innen, die ganze Nachbarschaft und alle, die sich engagieren sowie die Stadtverwaltung der Hanse- und Universitätsstadt. Auch viele, die hier einst in der Unterkunft für Asylsuchende gewohnt haben, kommen jedes Jahr zum Sommerfest in der Unterkunft zu Besuch. Die Organisator:innen rechnen am 20. Juni mit zusätzlichen 1.000 Menschen auf dem Hof der Gemeinschaftsunterkunft.
Das Team Asyl weiß um die Bedeutung des Sommerfestes. Die Komplexität und die Probleme der Politik und Gesetzeslage rundum Geflüchtete seien viel zu viele, um sie überhaupt fassen zu können. An so einem Tag wie dem Sommerfest könne man aber zumindest für eine Weile etwas Abstand gewinnen, sich über das Hier und Jetzt freuen und gemeinsam etwas Schönes erleben.
- Die Aussagen der für diesen Artikel interviewten Sozialarbeiter:innen wurden im Interesse der Gesprächspartner:innen geschlossen als Team Asyl zitiert. ↩︎
- Zur Wahrung der Anonymität wird auf Wunsch der Bewohnerin ihr vollständiger Name nicht genannt. ↩︎
- Tierschutz-Hundeverordnung § 6 Anforderungen an die Zwingerhaltung, Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz: https://www.gesetze-im-internet.de/tierschhuv/__6.html [Stand: Juni 2025] ↩︎
- BVerfG ZfStrVO 1994, 377, zitiert in: http://www.ra-wurster.de/strafrecht/strafvollzug/haftraum-groesse-und-unterbringung [Stand: Juni 2025] ↩︎