Zum Inhalt springen

Schiffsantriebe

Bessere Ökobilanz durch eine 100 Jahre alte Erfindung

Von und

Lesedauer: ca. 7 Minuten

Artikel teilen

Ende letzten Jahres in Stralsund: Der Küstenfrachter „Annika Braren“ macht im Frankenhafen fest. Eigentlich nur, um Stahlarbeiten an der Ladeluke vornehmen zu lassen. So weit, so unspektakulär. Auffallend dagegen der 18 Meter hohe Aufbau auf dem Vorschiff des ansonsten flachen Frachters: Was aussieht wie ein überdimensionierter Schornstein, ist ein Rotorsegel, ein sogenannter Flettner-Rotor. Damit ist der Küstenfrachter gleich im doppelten Sinne grün: nicht nur von außen angestrichen, sondern sein Vorwärtskommen auch umweltfreundlich.

Das Flettner-Prinzip aus den 1920ern

Die Technik ist alles andere als neu: Schon vor rund einhundert Jahren wurde sie vom Ingenieur Anton Flettner entwickelt. Er konstruierte rotierende Zylinder, die bei Wind zusätzliche Schubkraft erzeugen können. Grundlage seiner Entwicklungen ist der sogenannte Magnus-Effekt: Trifft Seitenwind auf den von einem Elektromotor gedrehten Zylinder, nimmt dieser die Strömung auf und erzeugt damit zusätzlichen Schub nach vorne. Quasi ein Segelschiff ohne Segel. Mithilfe dieser Technik kann die Leistung der Schiffsmotoren gedrosselt, die Geschwindigkeit jedoch beibehalten werden.

Zeitgenosse Albert Einstein pries das im Grunde simple Prinzip von Flettners Erfindung: Diese Form der Windenergienutzung habe „den besonderen Reiz für sich, dass die Wirkungsweise (...) dem Laien meist ein Mysterium bleibt, trotzdem dabei nur rein mechanische Wirkungen zur Verwendung kommen, die jeder gefühlsmäßig zu beherrschen glaubt“.

Die ersten beiden Schiffe mit dieser Technik waren die Motorschiffe „Barbara“ und „Buckau“. Letztere wurde 1925 auch in Binz vorgestellt. Das Rotorsegel konnte sich aus wirtschaftlichen Gründen jedoch nicht gegen Dampfantriebe durchsetzen. Auch ist zu betonen, dass sich Schiffe nicht allein mit Flettner-Rotoren antreiben lassen, weil sie bei fehlendem Wind manövrierunfähig wären.

Die Rückkehr des Rotors

War der Flettner-Antrieb nach seinen ersten Einsätzen und Testläufen auf der „Berlin“ und der „Buckau“ in den folgenden Jahrzehnten kaum präsent, gibt es in den letzten Jahren eine Rückbesinnung auf den Rotor als ökologische zusätzliche Antriebsmöglichkeit. So fahre die „Annika Braren“ seit April 2021 mit einem Flettner-Rotor, erzählt Reeder Rörd Braren aus Kollmar an der Unterelbe. Einige Neubauten anderer Reedereien sogar schon seit 2008.

Braren versucht mit seiner Reederei seit einigen Jahren, mehr innovative und zugleich umweltfreundliche Techniken zu etablieren. Als einer der ersten sorgte er 2010 für Katalysatoren in den Dieseln seiner Forstprodukte-Frachter und bekam dafür den „Clean Marine“-Preis sowie einen blauen Umweltengel verliehen. Auch das Rotorsegel hält er für eine alternative, emissionsfreie Antriebsmöglichkeit.

Containerschiff fährt in einem Kanal mit einem Flettner-Rotor im vorderen Schiffsbereich.
Für einen zusätzlichen Antrieb fährt das Frachtschiff „Annika Braren“ seit April 2021 mit einem Flettner-Rotor. (Foto: Uwe Heimhold)

Flettner als Forschungsfeld

Die Kollmarer Reederei ist Teil des von der EU geförderten „WASP“-Projektes (Wind Assisted Ship Propulsion, windgestützter Schiffsantrieb). Über einen Zeitraum von zwölf Monaten werden an Bord Leistungsdaten über den Windantrieb, Wetter- und Windbedingungen, Schiffsgeschwindigkeit und Treibstoffverbrauch aufgezeichnet. Ausgewertet werden sie an der schwedischen Universität Göteborg. So lässt sich der tatsächliche Kosten-Nutzen-Wert ermitteln, den der Reeder für weitere Investitionen braucht. Kapitän Julian Plaisant muss das neue Antriebssystem jetzt auf Herz und Nieren prüfen: „Wir als Crew sind sehr gespannt, wie sich das Schiff mit dem installierten Rotor verhält.“

Auch in Deutschland wird zum Flettner-Rotor geforscht. An der Hochschule Emden/Leer beispielsweise gibt es ein niederländischdeutsches Projekt namens „Mari- Green“. Dabei haben Studierende und Projektleitende ebenfalls in Zusammenarbeit mit einer Reederei einen rotierenden Zylinder konstruiert und auf einem Frachter installiert. Eine genaue Datenanalyse während des Schiffsbetriebs soll Aufschluss über die betriebliche Sicherheit, Zuverlässigkeit und Nutzungsdauer des speziellen Windantriebs geben. Ziel ist es, die Technik langfristig attraktiv zu machen.

Potenzial auch für andere Schiffstypen

Was in der Frachtschifffahrt möglich ist, kann auch für Passagierschiffe genutzt werden. Zu sehen ist das bereits in Warnemünde, wo täglich die Hybridfähre „Copenhagen“ der Scandlines-Reederei zwischen dem Rostocker Hafen und Gedser in Dänemark pendelt. Nachdem die Fähre 2013 auf einen hybriden Antrieb mit Diesel und Batteriespeicher umgestellt wurde, erhielt sie 2020 zusätzlich einen Flettner-Rotor. Das Segel stammt von der finnischen Firma Norsepower. Nach Angaben von Scandlines ist dies „die erste maritime Windtechnologie, die sich unter kommerziellen Bedingungen als wettbewerbsfähig erwiesen hat“. Mithilfe des Rotors soll der CO₂-Ausstoß der Fähre um weitere vier bis fünf Prozent verringert werden. „Dank ihrer perfekten Lage erfüllt die Route zwischen Gedser im Norden und Rostock im Süden die Bedingung für eine bestmögliche Wirkung des Segels auf den Antrieb, nämlich dass der Wind rechtwinklig auf das Segel trifft“, erklärt Unternehmenssprecherin Anette Ustrup Svendsen.

Da sich die Technologie bewährt habe, wurde Mitte Mai eine weitere Fähre der Flotte, die „Berlin“, mit einem solchen Rotor ausgestattet. Zu den Umbaukosten wollte Scandlines nichts sagen, lediglich, „dass die Investition wesentlich geringer ist als die 13 Millionen Euro, die wir in neue Antriebsgondeln für die vier Regelfähren auf der Route Puttgarden-Rødby investiert haben“. Außerdem würde Scandlines als kommerzielles Unternehmen so ein Projekt nicht erweitern, wenn es sich nicht lohnen würde.

Dass ein solcher Segelrotor ein innovatives Zusatzprodukt ist, bestätigt auch Schiffahrtsexperte Sönke Diesener vom Naturschutzbund Deutschland. Seiner Meinung nach habe die Technik vor allem vor dem Hintergrund steigender Dieselpreise Zukunft. Zwar wird der Windantrieb voraussichtlich weiterhin nur als Unterstützung dienen können, „aber eine Treibstoff- und Emissionsersparnis von fünf bis sogar zehn Prozent würde sich doch lohnen“. Das habe als eines der ersten Unternehmen in Deutschland auch Scandlines erkannt und vergleichsweise frühzeitig in diese Technik investiert – übrigens nach Beratung vom Nabu.

Die Anschaffungskosten für einen Flettner-Rotor seien in wenigen Jahren erwirtschaftet, heißt es sowohl von Scandlines als auch vom Naturschutzbund. Es gibt auch Schiffe, die mit bis zu vier solchen Türmen fahren. Je mehr Rotoren, desto besser die Ökobilanz.

Neben dem finnischen Unternehmen Norsepower produzieren bislang eine polnische und eine deutsche Firma die speziellen Rotorsegel. Das Zusammenschweißen der Türme sei dabei nicht das Problem, sagt Diesener, sondern die richtige Installation auf dem Schiffsdeck.

Sogar für Jachten?!

Dass es nicht nur vertikal, sondern auch horizontal geht, zeigt ein Beispiel aus dem Jachtsektor: Der 20 Meter lange Katamaran „Mission Impossible“ fährt mit zusätzlichem Segelrotor. Allerdings ist der in das Schiff eingebaut worden, nicht darauf. Auf kleineren Segeljachten gibt es dagegen schnell ein Platzproblem. Daher werden bei ihnen Flettner-Rotoren senkrecht installiert.

Am besten immer gleiche Wege

So beworben und gelobt die Rotorsegel in den letzten Jahren auch werden, einen Hype haben sie noch nicht ausgelöst. Immerhin sind mit einer 20 bis 30 Meter hohen Säule an Deck auch andere physikalische Effekte verbunden: Fliehkräfte beispielsweise, zudem schränken Unwuchten und Vibrationen die Wendigkeit des Schiffs ein und können es im Anlaufen verlangsamen.

Deshalb seien vor allem Frachter und Fähren besonders geeignete Schiffstypen für diesen Antrieb, sagt Nabu-Schiffahrtsexperte Diesener. Außerdem lasse sich der Magnus-Effekt auf dauerhaft befahrenen Schifffahrtswegen am wirksamsten nutzen, denn dort könne man die Bedingungen am besten einschätzen. Bei einem Frachter, der immer neue Strecken fährt, reichten die Vorteile der Flettner-Rotoren unter Umständen nicht aus.

Dennoch gibt es genügend Aus- und vor allem Umbaupotenzial: Die finnische Herstellerfirma Norsepower ist überzeugt, dass die Technik auf rund 30.000 Schiffen weltweit nutzbar gemacht werden kann. Und nicht nur dort: Außer als maritime Antriebstechnik wurde Flettners Erfindung bereits als Rotorlüfter auf Dächern von Bussen und Eisenbahnwaggons installiert – als Ersatz für herkömmliche Klimaanlagen.

Aber auch wenn der Naturschutzbund überzeugt vom Flettner-Rotor ist, braucht es nach wie vor Dieselmotoren für den Grundantrieb, Hybridfähren nicht ausgenommen. So ist in der Schifffahrt also noch mindestens genauso viel Luft nach oben, wie ein Flettner-Rotor hoch ist.

MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo!

Autor:innen

Redaktionsleitung bei KATAPULT MV.

Ist in Greifswald geboren, hat in Augsburg studiert und zog für den Lokaljournalismus wieder zurück nach Meck-Vorp.

Schifffahrtsjournalist.

Neueste Artikel

18.04.2024

Mission Dokumentation

Der Fotograf Martin Maleschka zieht seit zwanzig Jahren durch die ostdeutschen Bundesländer auf der Suche nach Baukunstwerken aus der DDR-Zeit. Er dokumentiert mit seiner Kamera, was noch erhalten wird, macht Fotos, wo einst Kunst war und heute nichts mehr geblieben ist. Auf einer gemeinsamen Spurensuche in Grimmen wird deutlich, was Maleschka antreibt – das kontinuierliche Verschwinden eines Teils seiner Heimat.

17.04.2024

Demokratie beschützen heißt Kultur beschützen

MVs Kulturlandschaft steht einer unmittelbaren Bedrohung gegenüber, wenn antidemokratische Positionen in der Kommunalwahl an Einfluss gewinnen. In Greifswald wurde erst kürzlich gegen mehrere Kultureinrichtungen von antidemokratischen Gruppierungen gehetzt. Diese seien „versiffte Buden“, „Brutstätten linker Subkulturen“ oder „kommunistische Kaderschmieden“. Warum schweigen so viele Kunst- und Kulturschaffende im Land?

17.04.2024

„Einen Blindflug können wir uns nicht leisten“

Elisabeth Mann Borgese und Maria S. Merian sind von Rostock aus auf den Weltmeeren unterwegs. Dabei sind nicht die Wissenschaftlerinnen persönlich auf hoher See, sondern zwei Forschungsschiffe, die nach ihnen benannt sind. Außerdem schippert die „Deneb“ von der Hansestadt aus über die Ostsee. Mecklenburg-Vorpommern ist mit Forschungsschiffen vielfältig aufgestellt. Forschende aus ganz Deutschland unternehmen auf ihnen Fahrten in die entlegensten Winkel der Ozeane. Die Planung der Missionen dauert oft mehrere Jahre.