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Polnisch-deutsche Wirtschaftsbeziehungen

Grenzregion zu Polen: Gestärkt durch die Pandemie?

Die Corona-Pandemie hat sich auf die Zusammenarbeit von Unternehmen in der Grenzregion Vorpommern/Polen nicht nur negativ ausgewirkt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universität Greifswald. Trotzdem steht das Vertrauen im gemeinsamen Wirtschaftsraum auf der Kippe.

Vor zwei Jahren, im März 2020, machte Polen die Grenzen dicht, wegen der Pandemie. In Mecklenburg-Vorpommern war davon zunächst der Grenzübergang Pomellen/Stettin betroffen. Fahrzeuge ab Penkun blockierten in Richtung der polnischen Grenze die gesamte rechte Spur. Die Grenzschließung verursachte in MV aber nicht nur Verkehrschaos, sondern fordert bis heute die wirtschaftlichen Beziehungen in der Grenzregion heraus. Die Leidtragenden waren zum einen Arbeitskräfte, die nicht mehr von Polen nach Vorpommern-Greifswald oder von dort nach Polen pendeln konnten. Zum anderen bremste die Grenzschließung die Zusammenarbeit von Unternehmen in der Grenzregion vorerst aus.

Professor Steffen Fleßa und Julia Kuntosch von der Uni Greifswald haben sich in ihrer Studie Grenzregion Polen – Deutschland: gestärkt durch die COVID-19-Pandemie mit den Auswirkungen der Pandemie auf die Wirtschaft in den deutschen Grenzregionen zu Polen, also Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, beschäftigt. Für MV betrifft die Frage vor allem den Landkreis Vorpommern-Greifswald. Das Ergebnis lautet: Die untersuchte Region ist relativ gut durch die Krise gekommen. Für die Zusammenarbeit deutscher und polnischer Unternehmen besteht jedoch noch Verbesserungsbedarf. Auch die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern wird von polnischen Unternehmen kritisiert.

Die Schlussfolgerungen beruhen auf Interviews mit Experten sowie Befragungen von Unternehmen und Arbeitsämtern in der Region. Alle Gespräche und Fragebögen wurden anonym durchgeführt. Genaue Angaben über befragte Unternehmen können nicht gemacht werden, heißt es von den Forscher:innen.

Weniger Arbeitslosigkeit als vor der Pandemie

Wie gut sich die Wirtschaft in einer Krisensituation bewährt, wird an unterschiedlichen Faktoren abgelesen. Dazu zählen beantragte Insolvenzen, An- und Abmeldungen von Gewerben und die Arbeitslosigkeit vor und während der Krise. In MV haben während der Pandemie laut Studie vor allem Privatpersonen Insolvenz angemeldet. Unternehmen hielten sich hauptsächlich durch Kurzarbeit über Wasser. Nur fünf Prozent der befragten Firmen mussten insgesamt drei Beschäftigte entlassen. Auch die Zahl der An- und Abmeldungen von Gewerben hat sich im Februar 2021 im Vergleich zum Februar 2020 kaum verändert.

Aber: Im Landkreis Vorpommern-Greifswald sind aktuell weniger Menschen arbeitslos als vor der Pandemie. Fleßa erwartete in seiner Studie eher das Gegenteil. Grundlage seiner Annahme war eine Expertenbefragung, die im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung durchgeführt wurde. Dabei warnten die Expert:innen vor besonders negativen wirtschaftlichen Folgen durch die Pandemie in strukturschwachen Regionen, zu denen auch Mecklenburg-Vorpommern zählt. Das wird sichtbar im Ländervergleich des Bruttoinlandsprodukts pro Erwerbstätigem oder der Armutsgefährdungsquote.

Dennoch bleibt besonders der Landkreis VG in Sachen Arbeitslosenzahlen eher Schlusslicht. Im Vergleich zu den brandenburgischen Landkreisen entlang der polnischen Grenze liegt die Quote seit 2019 stets über zehn Prozent, in Brandenburg darunter.

Größtes Problem war nicht das fehlende Geld

Dass die Arbeitslosenzahlen in Vorpommern-Greifswald während der Pandemie nicht noch weiter angestiegen sind, liegt vor allem an der Möglichkeit der Kurzarbeit. Somit musste kaum ein Unternehmen Angestellte entlassen. Im April 2020 waren im Landkreis Vorpommern-Greifswald 12.573 Personen in Kurzarbeit. Zum Vergleich: Im April 2019 lag die Zahl bei 182. Neben dem Kurzarbeitergeld gab es noch andere Maßnahmen wie die Überbrückungshilfen I, II, III und III Plus. Die befragten Unternehmen gaben an, diese Möglichkeiten eher weniger genutzt zu haben.

Das Problem dabei: Bevor ein Betrieb Zugriff auf die Maßnahmen hat, muss er einen Beantragungsprozess durchlaufen. Die meisten befragten Unternehmen sind mit diesem Prozess laut Studie sehr unzufrieden. 2021 bewerteten die meisten Unternehmen den Antragsprozess als zu schwer und fühlten sich von öffentlichen Institutionen zu wenig unterstützt. Dabei merkten die Interviewten an, dass es immer auch ein Balanceakt sei. Ist der Antragsprozess also zu niedrigschwellig, könnten das nichtförderberechtigte Personen ausnutzen, erläutert Fleßa. Wird im Antragsprozess zu viel kontrolliert, schließe man Unternehmen aus, einfach nur, weil es zu kompliziert ist. Auch die Auszahlung der Gelder dauerte für fast 70 Prozent der Befragten zu lange. Auffällig sei, dass die befragten Unternehmen 2021 noch unzufriedener mit dem Antragsprozess waren als 2020.

Unterschiedliche Regelungen im gemeinsamen Wirtschaftsraum

Jeder Staat hat sein eigenes Sozialsystem, das Arbeitslose oder Unternehmen auffangen kann. Unternehmen arbeiten in einer Grenzregion jedoch häufig über das eigene Territorium hinaus. Die Wirtschaft in Vorpommern-Greifswald ist beispielsweise abhängig von Polen und umgekehrt. Im Optimalfall gibt es für solche grenzüberschreitenden Wirtschaftsräume eine einheitliche Ausnahmeregelung. Krisensituationen und die Covid-19-Pandemie zeigen, wie sinnvoll das sein kann.

Die Grenzregion zwischen Polen und Deutschland ist genau so ein gemeinsamer Wirtschaftsraum. Der Warenstrom und die Pendler:innen beweisen das: Die Bundesagentur für Arbeit zählte 2021 in Mecklenburg-Vorpommern mehr als 4.000 Arbeitskräfte mit polnischer Staatsangehörigkeit. Davon waren die meisten im Gastgewerbe beschäftigt. Trotzdem gelten für polnische Arbeitskräfte in Deutschland und für deutsche Arbeitskräfte in Polen unterschiedliche Regelungen. Dieser Unterschied wurde zu Beginn der Pandemie in der Grenzregion Vorpommern-Greifswald/Polen deutlich. Die pandemiebedingte Grenzschließung im März 2020 führte bei den Pendler:innen zu großen Problemen: Wer überhaupt noch zu seinem Arbeitsplatz fahren durfte, für den stand plötzlich die Frage im Raum, inwiefern Arbeitskräfte mit deutscher Staatsangehörigkeit bei polnischen Unternehmen abgesichert sind und umgekehrt.

Einheitliches Sozialsystem wäre sinnvoll

Wie unpraktisch es ist, in einer Grenzregion nach dem Territorialprinzip zu handeln – je Land also „sein eigenes Süppchen zu kochen“ –, zeigten die Auswirkungen der uneinheitlichen Corona-Maßnahmen durch eine Krisensituation wie die Pandemie, heißt es in der Studie. Während polnische Staatsbürger:innen, die in Deutschland beschäftigt sind, die gesamte Bandbreite an Maßnahmen in Anspruch nehmen können, haben deutsche Staatsbürger:innen, die bei polnischen Unternehmen beschäftigt sind, gerade einmal Anspruch auf die Grundsicherung (ALG II). Ähnlich verhält es sich für Unternehmen, die durch eine Krisensituation auf Förderungen angewiesen sind: Alle Unternehmen, die sich in Deutschland verorten lassen, gelten als förderberechtigt. Polnische Firmen, die hauptsächlich in Deutschland tätig sind, bekommen keine Unterstützung aus dem deutschen Sozialsystem. Nun stellt sich die Frage: Warum wurde diese Diskrepanz nicht weit im Voraus vereinheitlicht oder verbessert? Die Antwort lautet: aus Unwissenheit. 99 Prozent der befragten Unternehmen und Arbeitsagenturen der Grenzregion wussten nichts von den unterschiedlichen Auffangregelungen bei drohender Arbeitslosigkeit oder Insolvenz in Polen, geht aus der Studie hervor. Steffen Fleßa plädiert für eine Veränderung: „Das alles spricht doch für ein deutlich einheitliches Sozialsystem. Wir sind ein Verflechtungsraum, aber wenn es darauf ankommt, sind wir doch getrennt. Das ist kontraproduktiv.“

Landesregierung zeigt zu wenig Respekt

Spätestens seit Polen 2007 dem Schengen-Abkommen beigetreten ist, hat sich die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Polen und Deutschland stark intensiviert. In der Studie heißt es: „Dieser Wandel beruht auf dauerhaften und respektvollen Beziehungen – eine Vertrauensbasis, die aus Sicht von Interviewten während der COVID-19-Pandemie gelitten habe.“ Polen ist laut der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer seit Februar 2021 für Deutschland der fünftwichtigste Handelspartner. Mecklenburg-Vorpommern und dem angrenzenden Landkreis Vorpommern-Greifswald kommen aufgrund der Grenznähe zu Polen eine Schlüsselrolle zu, die nun aber in einem „kritischen Vertrauensverhältnis“ steht.

Laut der Studie haben dazu drei Faktoren beigetragen: Zum einen schätzen befragte Unternehmen mit deutschem Standort die Grenzschließung von Polen, aufgrund niedriger Inzidenzen im März 2020, als zu strikt ein. In der Folge führte das zu einer Beschädigung der regionalen Zusammenarbeit. Zum anderen kritisieren polnische Unternehmen die geringe Kooperations- und Informationsbereitschaft der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern. Man habe sich nicht ausreichend respektiert gefühlt. Was die polnischen Unternehmen konkret bemängelten, konnte bisher noch nicht festgestellt werden, dazu würden die polnischen Kollegen aber weiter forschen, erklärt Studienleiter Fleßa.

Auch die digitale Kommunikation gestaltet sich teilweise schwierig. Dabei fehle es nicht an der Infrastruktur für Gespräche über Onlineplattformen, sondern an der Kommunikation von Angesicht zu Angesicht. Dafür seien persönliche Gespräche vor Ort wichtig. In der Studie wird das so erklärt: „Mehrfach wurde betont, dass das persönliche Gespräch über die Landesgrenze hinweg noch wichtiger sei als zwischen Landsleuten, um Missverständnisse zu vermeiden.“ Vor allem, wenn es um Themen wie den Ausbau des Swinemünder Hafens gehe.

Quellen

  1. Bundesagentur für Arbeit (Hg.): Deutschland/Regionaldirektionen, auf: statistik.arbeitsagentur.de.
  2. Deutsch-Polnische Industrie- und Handelskammer (Hg.): Polen nun fünftwichtigster Handelspartner Deutschlands, auf: ahk.pl (12.2.2021).

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