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Neubrandenburg

How to Bürgermeister mit Silvio Witt

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Lesedauer: ca. 15 Minuten

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BERICHTIGUNG: Wir haben gestern eine falsche Version des Interviews mit Silvio Witt veröffentlicht. Hier kommt die korrekte Fassung:

Wer möchte Neubrandenburgs neues Stadtoberhaupt werden? Aktuell hat der amtierende Oberbürgermeister Silvio Witt (43, parteilos) noch keinen Gegenkandidaten für die anstehende Wahl im Januar 2022. Im März 2015 konnte der ehemalige Kabarettist und Inhaber einer Kommunikationsagentur bei der Stichwahl das Amt des Oberbürgermeisters für sich gewinnen. Mit insgesamt 15.935 Stimmen (69,69 Prozent) setzte er sich gegen den LINKE-Politiker Torsten Koplin durch, der sich mit 6.930 Stimmen (30,31 Prozent) geschlagen geben musste. Als Witt im Dezember 2014 ins Rennen um das Amt ging, musste er sich gegen fünf weitere Konkurrenten behaupten.

Am 16. Januar 2022 ist es wieder so weit: Dann wird abgestimmt, ob Silvio Witt eine weitere Amtszeit als Oberbürgermeister ausüben darf oder nicht. Aktuell hat er noch keine Gegenkandidat:innen. In Grimmen hatten sich immerhin gleich zehn Kandidat:innen um das freigewordene Amt des Bürgermeisters beworben, nachdem der Amtsinhaber Benno Rüster (CDU) Anfang des Jahres gestorben war. Auch in Pasewalk (Vorpommern-Greifswald) wird das Amt des Stadtoberhaupts neu ausgerufen – doch auch dort hat die amtierende Bürgermeisterin Sandra Nachtweih (CDU) bisher keine Konkurrenz zu fürchten. Bis Dienstag, den 13. Juli 2021, können für die Bürgermeister:innenwahl in Pasewalk noch Gegenvorschläge eingereicht werden.

Warum eigentlich nicht? Weil das Amt an sich keinen Spaß macht? Oder weil Wahlkampf so aufwendig und teuer ist?

Wir haben uns gefragt: Wie geht Bürgermeister?

Ein paar grundlegende Kriterien sind schnell erfüllt: Wer sich berufen sieht und bewerben möchte, sollte spätestens am Tag der Wahl das 18. Lebensjahr vollendet haben und nicht älter als 60 Jahre sein, außerdem mindestens drei Monate in der Gemeinde, für die man sich als Bürgermeister bewirbt, gemeldet sein und kein Disziplinarverfahren gegen sich am Laufen haben. Bewerber sollten sich mit ihrem „gesamten Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für ihre Erhaltung eintreten“ und kein Mitglied einer Partei oder einer sonstigen Gruppierung sein, die mit einer der Verfassungsordnung widersprechenden Zielsetzung agiert. Und auch ansonsten sollten Bewerber in keiner Weise verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützt haben.

In diesem Zusammenhang sorgte die Wahlbehörde in Demmin bei der jüngsten Bürgermeisterwahl im Frühjahr für Aufsehen. Trotz seiner, von ihm geleugneten, Zugehörigkeit zu der verfassungsfeindlichen Gruppierung „Freistaat Preußen“ entschied der Wahlausschuss, Stefan Woller (43, parteilos) als Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters zuzulassen. Die Wahl konnte schließlich Thomas Witkowski (CDU) für sich entscheiden.

Der Vorfall zeigt jedoch, dass nicht nur die Kandidaten eine weiße Weste haben sollten, sondern auch die Wahlbehörde selbst. Auf die Frage, wie er sich den Fauxpas in Demmin erklären könne, antwortet der Neubrandenburger Wahlleiter, Lutz Burmeister: „Was die in Demmin machen, kann ich nicht beurteilen. Wir hier in Neubrandenburg arbeiten nach den vorgeschriebenen Kriterien.“

Diese sehen außerdem vor, dass Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters beziehungsweise Oberbürgermeisters „geordnete wirtschaftliche Verhältnisse“ vorweisen können. Wer sich bewirbt, sollte also schuldenfrei sein. Lutz Burmeister hat dafür eine triftige Begründung: „Damit soll vermieden werden, dass der Amtsinhaber korrupt sein könnte und seine Entscheidungen aufgrund persönlicher Befindlichkeiten trifft. Wenn er oder sie bei jemandem Schulden hat, könnte es sein, dass dieser Umstand negativ ins Amt hineinwirkt. Nur wer finanziell unabhängig dasteht, kann neutral agieren.“

Auch Bürger der EU können sich für die Wahl zum Bürgermeister bewerben, wie es etwa der Däne Claus Ruhe Madsen erfolgreich für das Amt in Rostock getan hat. Bedingung ist, dass sie im Heimatland nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Bis 75 Tage vor der Wahl, also spätestens am 2. November um 16 Uhr, können Bewerbungen eingereicht werden. Bis zum 73. Tag bleibt Zeit, Unzulänglichkeiten in der Bewerbung zu beheben.

Im Interview erzählt Silvio Witt derweil, wie er sich als politischer Nobody seinen Weg ins Rathaus gebahnt hat und warum er so gern Oberhaupt einer – aus seiner Sicht – unterschätzten Stadt ist.

Frage: Herr Witt, wie gut wären meine Chancen gegen Sie?

Aktuell einziger Kandidat für das Neubrandenburger Bürgermeisteramt: Der derzeitige Bürgermeister Silvio Witt (parteilos).

Derzeit 50:50, aber das ist alles spekulativ. Die Situation ist eine andere als bei der Wahl 2014/2015, als ich mich für das Amt des Oberbürgermeisters bewarb. Damals hat sich der Amtsinhaber Paul Krüger aus Altersgründen nicht zur Wiederwahl aufgestellt. Das heißt, die Karten wurden also komplett neu gemischt, und ich bin als absoluter politisch Unverdächtiger angetreten gegen eingespielte Größen wie Torsten Koplin und Michael Stieber, damals Kreistagspräsident. Es waren sechs Menschen im Rennen, die so ein Amt noch nie ausgeführt haben. Wenn Sie jetzt gegen mich antreten wollen, müssen Sie auf die letzten sechs Jahre schauen und herausfinden, was habe ich gemacht, was Sie anders oder besser machen würden und welche Themen Sie auf den Tisch holen würden, die ich nicht bearbeitet habe. Die gibt es ganz sicher.

Wie gelingt der Übergang vom Kreativen zum Politiker, schließt sich das nicht aus?

Nein, gar nicht. Ich habe zum Beispiel einen kleinen Gedichtband herausgebracht und mit Friederike Witthuhn eine Benefiz-Lesetour dazu gestartet, die Reihe heißt: Zwei Herzen an der Leine – und diese Zeile trifft es: Ich hatte schon immer einen sehr strukturierten Anteil in mir, deswegen habe ich auch erst Bankkaufmann gelernt und Betriebswirtschaft studiert, weil ich es auch mag, wenn Dinge gut sortiert sind und einer inneren Logik folgen können. Und auf der anderen Seite habe ich einen sehr emotionalen Anteil in mir, den ich auch rauslassen muss. Aber ich habe rückblickend gemerkt, wie herausfordernd das Amt für einen Kreativschaffenden sein kann. Als Politiker vertrete ich eine geordnete Funktion und kann trotzdem meine Persönlichkeit durchscheinen lassen.

Wie ist es, Oberbürgermeister der Vier-Tore-Stadt zu sein?

Mir macht’s sehr viel Spaß, auch wenn es belastende Momente hat. Historisch gesehen hat diese Stadt ein schwieriges Erbe und das wirkt immer noch nach. Neubrandenburg ist zu DDR-Zeiten künstlich gewachsen – es wurden Stadtteile gebaut mit 10.000 Wohnungen und dann kamen die Zuzügler aus der ganzen DDR, meistens aus beruflichen Gründen, wohlgemerkt. Daher ist nachvollziehbar, dass sich Einwohner selbst heute noch mit dem Begriff „Heimatstadt“ schwer tun und dieses „Ich bin ein Neubrandenburger“-Gefühl nicht einhundertprozentig ausgeprägt ist.

Außerdem war zu DDR-Zeiten hier der Staatsapparat ansässig – und damit auch die Staatssicherheit. Diese „kalte Nachwendezeit“ Anfang der Neunziger, in der sich Täter und Opfer hier von Angesicht zu Angesicht begegnet sind, hat die Menschen zutiefst geprägt und ich habe den Eindruck, dass das noch immer in gewisser Weise das Lebensgefühl hier bestimmt.

Denn natürlich ist ein gewisser Zusammenhalt in den letzten 30 Jahren sowohl in den neuen als auch in den alten Bundesländern verloren gegangen. Das merkt man ja auch an den Wahlergebnissen der AfD. Man fühlt sich politisch und gesellschaftlich nicht mitgenommen und dann wählt man vielleicht so. Das ist die größte Herausforderung als Oberbürgermeister und Politiker in diesem Landstrich: Wie machen wir aus einer Gesellschaft, die immer weiter auseinanderdriftet auf kommunaler Ebene wieder eine starke oder gestärkte Stadtgesellschaft? Die Stadt hat sich ja wirtschaftlich ganz gut positioniert und damit auch weiterentwickelt.

Menschen, die in Broda leben, einem gutsituierten Stadtteil, lebten früher vielleicht im Reitbahnviertel, wo heutzutage eher Menschen mit kleineren Einkommen wohnen. Wie schaffen wir es, dass die, die jetzt in Broda wohnen, nicht denken, dass der Reitbahnweg nicht mehr lebenswert ist. Und dass die, die im Reitbahnviertel wohnen, sich davon nicht beeindrucken lassen und denken: Sowas wie Broda kann ich mir nie leisten, aber deswegen bin ich kein anderer Mensch. Eines meiner großen Ziele ist ja Stadtidentifikation. Diese Stadt braucht viel mehr Fans, und die müssen hier leben, egal in welchem Viertel. Und dafür wünsche ich mir, dass wir mehr miteinander reden und eine vielfältigere Stadt werden.

Welche Sorgen haben Neubrandenburgs Bürger?

In den Bürgersprechstunden fragen mich die Menschen: Wieso ist da und da 30 km/h? Wieso ist der Weg dort gepflastert? Wird dieses oder jenes Stadtgebiet noch weiter bebaut? Bis hin zu: Meine Garagenauffahrt ist unmöglich! Als Oberbürgermeister steht es mir nicht zu, zu sagen: „Interessiert mich nicht, wenden Sie sich bitte an den und den.“ Ich habe eine Allzuständigkeit. Ich nehme jedes Anliegen ernst und lasse es durch uns als Verwaltung beantworten. Mein Vorhaben ist und bleibt, die Kommunikation in dieser Stadt zu verbessern und über große und kleine Themen zu diskutieren. Natürlich ist das ärgerlich, wenn der Gehweg zwei Wochen länger aufgerissen ist, weil die Leitungen noch nicht verlegt werden konnten. Aber ich versuche auch immer, das für mein Gegenüber in Relation zu setzen und ihnen klarzumachen: Jeder entscheidet auch ein bisschen selbst, was er für sich zum Thema macht. Denn vielleicht hat man im Gesamtpaket trotzdem einen schönen Tag mit der Familie gehabt oder man freut sich auf seinen Urlaub und über all die kleinen schönen Dinge des Lebens.

Wird man als OB oft beschimpft?

Direkt selten, aber in den sozialen Medien schon, die ersten zwei Jahre habe ich mir das immer durchgelesen und sehr zu Herzen genommen. Das mache ich nicht mehr – aber es fällt schwer. Es hilft, sich zu sagen: Der will gar nicht diskutieren, der will einfach nur Frust ablassen. Manchmal haben einige mich tief beleidigt oder sich zumindest unsachlich geäußert, dann habe ich versucht, das sachliche Thema zu erklären, warum wir das so gemacht haben und welche Alternativen es gab.

Homosexuelle Anspielungen wie „Jetzt muss er erst mal mit seinen Regenbogenfahnen-Jüngern tagen“ ignoriere ich. Ich finde es so zusammenhangslos. Dann könnten sie genauso gut schreiben: „Dann muss er mit seinen Trabi-Jüngern reden“ – ich fahre nämlich auch Trabant.

Zwei Mal habe ich Strafanzeige gestellt auf einen Drohbrief hin.

Was sind Ihre Top fünf OB-Phrasen?

Als ich gewählt wurde, befürchtete mancher, dass ich dem Amt gar nicht gerecht werden kann als Kabarettist. Und natürlich, vielleicht habe ich es zum Schutzmechanismus gemacht, dass ich eben ein bisschen weniger lustig bin, um zu zeigen: Ich nehme es sehr ernst. Nicht jeder versteht übrigens die Souveränität von Humor! Und natürlich verändert das auch meine Art, mich zu artikulieren, also, hier ein Auszug meiner häufigsten Sätze:

  • Erst mal kann ich Ihre Emotionalität verstehen, ich würde mich auch ärgern!
  • Da ist noch kein neuer Sachstand erarbeitet.
  • Das nehme ich gern mal mit.
  • Diesbezüglich würde ich nochmal nachfragen. (verwende ich inflationär)
  • Diese Stadt ist 773 Jahre alt, da kommt es auf zwei Monate nicht an.

Was braucht man alles für die Bewerbung als OB?

Die Bewerbung erfolgt beim örtlichen Wahlleiter, zusammen mit einem Führungszeugnis und einem Gesundheitszeugnis vom Amtsarzt, als Nachweis, dass man körperlich in der Verfassung ist, dieses Amt auszuüben. Die Herzfrequenz muss schon stimmen.

Was kostet ein Wahlkampf?

Mein erster Wahlkampf hat rund 28.000 Euro gekostet und rund 6.000 Euro habe ich davon selbst investiert. Davon habe ich hauptsächlich Anzeigen in der Tageszeitung bezahlt, Flyer gedruckt, Videos gemacht. Ich habe ja keinen Haustür-Wahlkampf durchgeführt, da mir die Privatsphäre anderer Menschen heilig ist. Bei der Stichwahl habe ich dann nochmal eine größere Unterstützung bekommen, denn man gewinnt ja mitunter auch Unterstützung von Kandidaten, die unterlegen waren.

Welche festen Termine hat ein OB?

50 Prozent, geschätzt, sind generell fix: Hauptausschuss, Stadtvertretung, Verwaltungsrat, Sitzungen des Städtetages, Aufsichtsratssitzungen, Bürgersprechstunde, Termine zu Jubiläen, Fachausschüssen oder andere Abstimmungen. Das macht per se drei bis vier fixe Termine in der Woche, dann kommen verwaltungsinterne Termine dazu: Dienstberatung, Fachbereichsberatung, Projekt-Beratung. Das kann man so alles schon am Jahresanfang in den Kalender eintragen. Dann kommen Unternehmens- und Vereinsbesuche dazu, öffentliche Auftritte, Ministerientermine, Behördentermine und so weiter.

Arbeiten Sie mehr als vorher, als Sie selbständig waren?

Ja, auf jeden Fall. Das ist ein 24-Stunden-Job und selbst am Wochenende, wenn ich entspanne fällt mir irgendetwas ein. Und manchmal verbindet dein Kopf dann erst in dieser Entspannungsphase die beiden Drähte, die da so herumschwirren. Und dann denkst Du: Warum bin ich da nicht gleich drauf gekommen? Das ist schon anders anstrengend, weil das eben diese irgendwie permanente Anspannung ausmacht.

Was ist das Gute am Bürgermeisteramt?

Dass es eine Kontinuität hat. Das Amt gibt es immer, auch wenn es immer andere Menschen bekleiden. Deswegen darf man nicht so verbissen sein mit den Ansprüchen an sich selbst, nach dem Motto: Das muss unbedingt ich sein und nur ich kann das. Irgendwann bist du es nicht mehr. Wenn Du es gut gemacht hast, sagen Viele hoffentlich dass es gut war, aber den nächsten Tag macht es dann ein anderer. Und das ist auch gut so.

Was ist das Schwere am Bürgermeistersein?

Die Konstanz zu bewahren, für jeden gleichermaßen präsent zu sein und jeden Menschen mit seinem Anliegen und jeden Anlass ernst zu nehmen.

Do's and Don'ts als Bürgermeister?

Do's: Selbstfürsorge ist ganz wichtig. Sport zu treiben und sich bewusste Auszeiten zu nehmen, sonst schafft man das Pensum auf Dauer nicht. Den Terminkalender so zu strukturieren, dass auch zwischendurch Puffer bleiben.

Don't: Sich nicht gleich mit jedem verbrüdern. Und nie jemanden verletzen.

Wie hat das Politikersein Sie verändert?

Ich bin nicht mehr so vorschnell in meinem Urteil, wie ich es als Kabarettist war. Da kannst du, musstest du, das Plakative schnell finden, sonst hätte es keiner verstanden. Wenn ich als Selbstständiger flapsig war, habe ich vielleicht mal einen Kunden verloren oder einen Auftritt versemmelt. Aber als Oberbürgermeister den falschen Zungenschlag an den Tag zu legen, kann wichtige Prozesse ins Stocken bringen, die gerade richtig gut liefen und das wirkt sich dann auf sehr viele Menschen aus. Von daher bin ich zurückhaltender geworden – und auch geduldiger, weil ich nicht mehr so viel Energie in einen spontanen Aufreger investiere, sondern eher denke: Mmh, wie hat der oder die das vielleicht gemeint?

Mein Blick auf das Jetzt und die Welt ist ein anderer geworden, ich weiß, das klingt pathetisch. Aber ich weiß nun besser, warum Prozesse so lange dauern, warum Entscheidungen so getroffen werden und dass das, was im Gesetz steht, eben immer noch abhängig ist von denen, die es umsetzen. Es sind immer Menschen, die den Ermessensspielraum so deuten oder anders. Und es gibt politische Akteure, die sind den Menschen zugewandt, andere eher sich selbst oder ihrer Partei. Das sind Erkenntnisse, die mich manchmal ein bisschen nüchterner werden lassen. Man weiß eben manchmal auch: Da brauchst du dich jetzt gar nicht so zu verkämpfen, das System ist eben so.

Inwiefern kann man von der Politserie House of Cards lernen?

Das Erschreckende ist: House of Cards spiegelt sehr vieles wider, selbst bis auf die kommunale Ebene herunter.

Haben Sie einen loyalen Unterstützer á la Doug Stamper?

Oh, das Wort Loyalität ist ein schwieriges. Rudi Carrell hat mal gesagt: „Ich wurde nie von Freunden enttäuscht, das lag daran, dass ich nie welche hatte.“ Das ist ein trauriges Zitat. Politik ist ja sehr von Lobbyismus geprägt. Im positiven Sinne ist das Interessenvertretung, die dann wirklich ja auch gesellschaftliche Interessen in politische Prozesse einbringt. Im negativen Sinne ist es leider so, dass es dann nicht mehr um die Sache geht, sondern es geht nur darum, dass das System sich erhält – dann ist es nicht mehr so sinnvoll. Von daher habe ich bei einem Thema gern viele Menschen um mich herum und fühle ich mich dann in der Entscheidung sicherer. Das kann mal meine Mutter sein, mal meine Sekretärin, mal ein Fachexperte.

Welchen Aha-Effekt hat das Politikersein auf Sie?

Was für ein gutes System wir hier in Deutschland haben und ich fände es wunderbar, wenn die Menschen das öfter verinnerlichen könnten. Also über den Föderalismus kann man gerne nochmal sprechen, das ist, glaube ich, ein sehr lohnenswertes Thema – welche Aufgaben sollte das Land für sich entscheiden und was sollte der Bund machen. Aber davon abgesehen, wäre es wichtig zu erkennen, was für ein stabiles System uns die Demokratie bieten kann und wie sehr es aber auch anfällig ist. Wahlen können etwas zum Guten verändern. Aber Wahlen werden häufig mit Revolutionen verwechselt. Revolution ist etwas anderes. Dann stürzt man ein System und implementiert ein neues. Bei einer Wahl hingegen gewinnt jemand und er gibt dann die Richtung für die Wahlperiode vor, aber er kann niemals die Grundfesten verändern. Das ist auch gut so, das will die Verfassung auch nicht. Und das finde ich immer schade, dass manche Menschen diese „da muss jemand auf den Tisch hauen Mentalität“ bevorzugen. Ich glaube einfach, die Stärke liegt in der Demokratie und in den Ebenen, die wir geschaffen haben.

Wie wichtig ist Ihnen diese zweite Amtszeit?

Der Potsdamer Oberbürgermeister Jann Jakobs hat mal zu mir gesagt: Nach zwei Amtszeiten ist alles gesagt. Und ich denke, er hat Recht. 14 Jahre sind ein guter Zeitraum, um das Amt zu prägen und eine Stadt zu gestalten. Also die zweite Amtszeit würde ich schon sehr gern machen. Wenn wir zum Beispiel Neubrandenburg ein neues Schwimmbad bescheren können, spannende Wohnprojekte realisieren und weitere tolle Unternehmen ansiedeln, wäre dies gut und motivierend für die nächsten sieben Amtsjahre.

Was würden Sie Ihrem Nachfolger raten?

Also mir? (lacht) Man muss diese Stadt und dieses Amt lieben, sonst wird jede Minute zur Qual. Es muss einem eine Freude sein, langfristig mitgestalten zu dürfen. Und sich selbst zurücknehmen zu können, damit die Menschen sich öffnen können.

Hand aufs Herz: Wer hat wirklich das Sagen im Rathaus?

Na ALLE! Aber einer entscheidet.

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