Asylpolitik
Landkreis will Hanse-Yachts-Arbeiter abschieben, obwohl Innenministerium dagegen ist
Von Benjamin Fredrich und Martje Rust
Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Der Versuch fand gestern Morgen statt: Der Landkreis Vorpommern-Greifswald – speziell die zuständige Ausländerbehörde in Greifswald – hatte veranlasst, den Iraner Sajad Faalzadeh von Hamburg aus in sein Heimatland abzuschieben. Nach sieben Jahren Aufenthalt in Mecklenburg-Vorpommern.
Er sei bereits zum Flughafen gebracht worden, berichtet seine Anwältin Ronja Ullrich. Die Bundespolizei habe ihn jedoch letztlich nicht mitgenommen, weil er sich weigerte, ins Flugzeug zu steigen. Körperlichen Widerstand habe er dabei nicht geleistet. Außerdem gab Faalzadeh gesundheitliche Probleme an. Die Bundespolizei habe ihn daraufhin mit dem Hinweis entlassen, dass er beim nächsten Erlass der Ausländerbehörde in Abschiebehaft komme.
So droht offenbar weiterhin die Abschiebung. Auf eine Anfrage der Anwältin teilte der Landkreis mit, es gebe keine Garantie, dass es nicht noch einmal zu einem Abschiebungsversuch komme.
Sieben Jahre, Vollzeitjob, keine Auffälligkeiten
Sajad Faalzadeh ist 38 Jahre alt und kommt aus dem Iran. Vor sieben Jahren floh er nach Deutschland. Als gelernter Elektriker hat er eine Anstellung beim Greifswalder Schiffbauunternehmen Hanse-Yachts gefunden, in Vollzeit. Er spricht gut Deutsch und ist nie straffällig geworden.
Im vergangenen Jahr erhielt er eine Beschäftigungserlaubnis. Diese sei bisher nicht widerrufen worden, so Ullrich. Die Ausländerbehörde hatte Faalzadehs Duldung deshalb immer wieder verlängert.
Torsten Kiefer, Pastor der Greifswalder evangelischen Johannesgemeinde, in der Faalzadeh Mitglied ist, zeigt sich bestürzt: Er habe sich gut integriert, sei in der Gemeindearbeit „aufgeblüht“. Nach schwerer Krankheit vor zwei Jahren habe er sich in Greifswald wieder eingelebt, vor allem jetzt, mit dem Vollzeitjob bei Hanse-Yachts.
Der Pastor zeigt sich vom deutschen Rechtssystem enttäuscht: „Es funktioniert nicht, wenn es einzelnen Entscheidungsträgern zugesteht, Entscheidungen zu treffen, von denen sie offensichtlich kein tieferes Verständnis haben.“ Kiefer spielt damit auf die Greifswalder Ausländerbehörde an.
Chancenaufenthaltsrecht bietet keine Sicherheit
Anfang Juli wurde mit dem sogenannten Chancenaufenthaltsrecht ein weiterer Schritt zu einem erleichterten Bleiberecht in Deutschland vollzogen: Ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde am 6. Juli vom Bundeskabinett beschlossen. Es soll in den kommenden Monaten in Kraft treten.
Mecklenburg-Vorpommern hatte sich mit einer Vorabregelung für eine frühere Möglichkeit eingesetzt, Menschen schon nach fünf Jahren in Deutschland unter bestimmten Umständen einen Aufenthaltstitel zu gewähren. Diese Regelung gilt bereits seit Anfang des Jahres. Das Landesinnenministerium wies die Ausländerbehörden an, aufenthaltsrelevante, aber langfristige Fälle nicht vorrangig zu behandeln, auch wenn die entsprechende Person zurzeit ausreisepflichtig ist. Dass dies umgangen werden kann, zeigte ein anderes Beispiel, das medial für Aufsehen sorgte: Anfang Juni sollte der Senegalese Mbaye Faye nach ebenfalls sieben Jahren und unbefristeter Anstellung in Greifswald abgeschoben werden.
Das Problem: Die Vorgriffsregelung von MVs Landesregierung hat nach Angaben des Landesflüchtlingsrates keine bindende Wirkung auf die Entscheidungen der zuständigen Ausländerbehörden. Die Behörden dürfen die Gesetze selbständig auslegen. Sicher sein könne man sich daher nie, bevor man einen vollständigen Aufenthaltstitel bekomme, sagt Ulrike Seemann-Katz, die Vorsitzende des Rates. Auch ein Arbeitsplatz sei nach aktueller Gesetzeslage nicht ausreichend. Im Fall von Faye teilte der zuständige Landkreis Vorpommern-Greifswald auf Nachfrage mit, aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Angaben machen zu können. Faye wurde kurz danach in den Senegal abgeschoben.
Angesichts der bestehenden Vorgriffsregelung und einem schon beschlossenen Chancenaufenthaltsrecht sei der Flüchtlingsrat wegen des aktuellen Abschiebeversuchs „verärgert“, wie er auf Nachfrage schreibt.
Warten und hoffen
Für Sajad Faalzadeh bedeutet das: warten. Seine Anwältin versucht weiterhin, nach der bereits geltenden Rechtslage eine Abschiebung zu verhindern. Wenn in wenigen Monaten das Chancenaufenthaltsrecht in Kraft tritt, könnte ihr Mandant aus zwei Regelungen ein Bleiberecht ableiten:
Nach dem Aufenthaltsgesetz werden besondere Integrationsleistungen von Geduldeten gewürdigt, indem ihnen künftig nach sechs Jahren (oder schon nach vier Jahren beim Zusammenleben mit minderjährigen Kindern) ein Bleiberecht eröffnet wird. Die Voraussetzungen dafür sind eine nachgewiesene Identität, Deutschkenntnisse und Arbeit zur Sicherung des Lebensunterhaltes.
Außerdem können gut integrierte Menschen ein einjähriges Aufenthaltsrecht bekommen, sofern sie am 1. Januar 2022 bereits seit fünf Jahren geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland leben, nicht straffällig geworden sind und sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen. All das gelte für Faalzadeh.
Zumindest gäbe es dann mehr Zeit, die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland nachzuweisen oder – wenn nötig – erfüllen zu können.
Pastor Kiefer kündigte derweil an, dass der Kirchengemeinderat in jedem Fall bereit sei, Faalzadeh Kirchenasyl zu gewähren.
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Autor:innen
Ist einsprachig in Wusterhusen bei Lubmin in der Nähe von Spandowerhagen aufgewachsen, studierte Politikwissenschaft und gründete 2021 KATAPULT MV.
Veröffentlichungen:
Die Redaktion (Roman)
Fredrich rastet aus
Redaktionsleitung bei KATAPULT MV.
Ist in Greifswald geboren, hat in Augsburg studiert und zog für den Lokaljournalismus wieder zurück nach Meck-Vorp.