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Ostsee-Pipeline Nord Stream

Mitten durchs Schutzgebiet

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Lesedauer: ca. 6 Minuten

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Endspurt für die international umstrittene Erdgasleitung Nord Stream 2: Die letzten Bauabschnitte in deutschen Gewässern stehen an.

Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg erteilte Mitte Mai die sofortige Genehmigung für den Weiterbau der Pipeline – und die russischen Verlegeschiffe waren kurz darauf zurück im Schutzgebiet in der Pommerschen Bucht. Vor dem Hintergrund angedrohter US-Sanktionen wollte die Nord Stream AG, deren Hauptinvestor der russische Energiekonzern Gazprom ist, keine Zeit verlieren.

Mit einer Klage gegen den Weiterbau der Pipeline waren der Naturschutzbund (Nabu) und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) erst im Januar vor Gericht gescheitert. Die Bauarbeiten stellten kein außergewöhnliches Risiko für die Umwelt dar, heißt es aus dem Hamburger BSH. Die Bedenken von Umweltschützern, die Arbeiten an der Erdgasleitung würden rastende Vögel im Schutzgebiet gefährden, wurden damit jedoch nicht vollständig ausgeräumt. 

Immer wieder machten der Nabu und die Deutsche Umwelthilfe auf mögliche Umweltbeeinträchtigungen durch das milliardenschwere Großprojekt aufmerksam. Denn dort, wo Nord-Stream-Schiffe arbeiten, befinden sich anerkannte Meeres- und Vogelschutzgebiete. Die Naturschutzgebiete vor der Küste Mecklenburg-Vorpommerns und Polens haben die Nebenwirkungen der Pipelinearbeiten über und unter Wasser, bereits vor einigen Jahren als “fettiges Strandgut” zu spüren bekommen.

Giftige Überraschung am Greifswalder Bodden

An diesen Küstenabschnitten wurden im Sommer 2018 Schmierfettrückstände des russischen Hydraulikbaggers "Peter the Great" entdeckt.

Im Mai 2018 tauchten unzählige Schmierfettklumpen an der Küste des Greifswalder Boddens auf. Vor lila, braunen und gelben Fettklumpen an den Stränden warnten damals die Behörden, allen voran: Umweltminister Till Backhaus (SPD).

Für die Entsorgung der toxischen Substanz richtete Backhaus der spazierenden Bevölkerung eigens eine “Fett-Hotline” ein. Nord Stream stellte dafür eigene Räumtrupps, die über Dutzende Kilometer Strand absuchten, noch bevor die Fett-Schuldfrage überhaupt geklärt war. Man wollte Verantwortung zeigen. Der Pipelinebau wurde für mehrere Wochen unterbrochen, die Ursache geklärt. Durch ein Leck am russischen Schwimmbagger “Peter the Great” traten die Schmierstoffe zunächst unentdeckt aus. Von der Halbinsel Zudar und aus der Umgebung von Stahlbrode und Palmer Ort wurden allein am Pfingstwochenende 2018 über 30 Kilo Schmierfettklumpen und zwei Kubikmeter verunreinigter Seetang vom Strand entsorgt.

Etwa 145 Kilogramm der fettigen Substanz gingen bei den Baggerarbeiten verschütt. Um die 100 Kilogramm konnten laut Umweltminister Backhaus eingesammelt und entsorgt werden. Der Rest hat sich zwischen Strömung, Seetang, Sand und Sonnenlicht in immer kleinere Partikel zersetzt. Alles dort, wo Vögel und Meeresbewohner eigentlich gesetzlich geschützt sind.

Die Rechnung ging leider nicht auf: Nicht alle Schmierfettklumpen konnten gefunden und entsorgt werden.

Deutsche Umwelthilfe klagt in Schwerin gegen Klimaschutzstiftung MV

Natürlich haben wir die Stiftung auch gegründet, um Nord Stream 2 zu Ende zu bauen.
Erwin Sellering, Vorsitzender der “Stiftung Klima- und Umweltschutz MV”

Die Deutsche Umwelthilfe klagt nun gegen die Anfang 2021 durch den Landtag Mecklenburg-Vorpommern eingesetzte “Stiftung Klima- und Umweltschutz MV”. Zahlreiche Kritiker werfen der landeseigenen Stiftung vor, hauptsächlich für die Sicherung der Fertigstellung von Nord Stream 2 gegründet worden zu sein – und nicht für Umwelt- und Klimaschutz in MV. Der Nabu bezeichnet die Stiftung unter dem Vorstandsvorsitz des Ex-Ministerpräsidenten Erwin Sellering (SPD) als “Feigenblatt”.

Die Deutsche Umwelthilfe bezichtigt nun die Klimaschutzstiftung MV, gegen das Stiftungsrecht zu verstoßen. Ziel ihrer Klage vor dem Verwaltungsgericht Schwerin sei es, den Anerkennungsbescheid für die Stiftung aufzuheben, da unter dem Vorwand des Klima- und Umweltschutzes wirtschaftliche Interessen durchgesetzt werden sollen. Bedenken gegen die Klimastiftung kamen auch vom Landesrechnungshof – weil dieser kurzum bei der Gründung durch die Landesregierung einfach umgangen worden war.

Das Startkapital der Stiftung von 20,2 Millionen Euro kommt übrigens mit 20 Millionen Euro größtenteils von der Nord Stream AG. Die restlichen 200.000 kommen vom Land Mecklenburg-Vorpommern.

Deutsch-Russischer Unternehmertag 2021 in Rostock – Platinsponsor: Nord Stream

Wir freuen uns auf den Austausch und hoffen darauf, dass wir die Wirtschaftsbeziehungen zwischen unseren Regionen weiter ausbauen können.
Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern

An den deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen wird seitens der Landesregierung trotz globaler Pandemie und Menschenrechtsverletzungen in Russland weitergearbeitet. So findet das größte deutsch-russische Wirtschaftstreffen in dieser Woche als digitale Veranstaltung in Rostock und St. Petersburg statt. Als Teilnehmer haben sich unter anderem der russische Industrie- und Handelsminister Denis Manturow und der russische Botschafter in Deutschland, Sergej Netschajew, angekündigt.

Dass die SPD-Ministerpräsidentin trotz der anhaltenden Drohgebärden am Russlandtag festhält, ist ein Schlag ins Gesicht für die Demokratiebewegung in Russland und unsere europäischen Partner.
Anne Shepley, grüne Spitzenkandidatin zur Landtagswahl

Einer der Ehrengäste beim Russlandtag ist Erwin Sellering, MVs Ministerpräsident a. D. und Vorsitzender der Stiftung Klimaschutz MV. Außerdem ist Sellering Vorsitzender des Vereins “Deutsch-Russische Partnerschaft”, dessen Vorstand auch Steffen Ebert angehört, hauptberuflich Pressesprecher der Nord Stream AG. Diese sponsert nicht nur die Klimastiftung MV. Zusammen mit dem russischen Industriekonzern Kirowwerk (russ. Kirowskij Zawod) tritt das Unternehmen auf dem Russlandtag auch als Platinsponsor auf.

Anne Shepley, Spitzenkandidatin der Grünen zur Landtagswahl, kritisiert den Russlandtag: “Es klingt wie in einem schlechten Film: Das staatliche russische Energieunternehmen Gazprom finanziert eine Veranstaltung mit und Erwin Sellering, der auch Vorsitzender der Klimaschutzstiftung ist, wird als Ehrengast eingeladen. Dieses Verhalten lässt jede kritische Distanz vermissen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass sich unsere Landesregierung als Putins private PR-Abteilung instrumentalisieren lässt.”

Die letzten Kilometer sind gezählt

Noch in diesem Jahr hofft Russland, den Bau des zweiten Pipelinestranges fertigstellen zu können. Dafür fehlen in Deutschland nur noch wenige Kilometer der Erdgasleitung. Auch in dänischen Gewässern um Bornholm wird weiter an der Trasse gearbeitet. Sollten die Bauarbeiten noch in diesem Jahr abgeschlossen werden, könnte der jährliche Transport von 55 Milliarden Kubikmetern russischem Gas theoretisch beginnen – und damit auch die weltweite Unsicherheit steigen, ob und wie sehr sich Europa noch abhängiger von Russland macht.

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Fußnoten

  1. Aktuelle Schiffsposition russisches Verlegeschiff Fortuna, auf: marinetraffic.com (01.06.2021)
  2. Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH): BSH ordnet sofortige Vollziehung der Genehmigung von Bau und Betrieb der Nord Stream 2-Pipeline für eine Teilstrecke in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone an, auf: bsh.de (17.05.2021)
  3. Bundesamt für Naturschutz (BfN): Die Meeresschutzgebiete in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone der Ostsee, auf: bfn.de (25.02.2020)
  4. Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt Mecklenburg-Vorpommern: Schmierfettfunde: Substanzen nicht berühren / Untersuchungen dauern an, auf: regierung-mv.de (25.05.2018)
  5. Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt Mecklenburg-Vorpommern: Backhaus: „Wir werden die Bagger im Bodden kritisch begleiten“, auf: regierung-mv.de (20.06.2018)
  6. Ostsee-Zeitung (Hg.): Fettklumpen am Strand bei Greifswald, auf: ostsee-zeitung.de (26.05.2018)
  7. Süddeutsche Zeitung (Hg.): Was geblieben ist, auf: sueddeutsche.de (19.02.2021)
  8. Deutsche Umwelthilfe: Klageschrift gegen Stiftung Klima- und Umweltschutz MV, auf: duh.de (19.05.2021)
  9. Staatskanzlei Mecklenburg-Vorpommern, Pressemitteilung: Land will „Stiftung Klima- und Umweltschutz MV“ auf den Weg bringen, auf: regierung-mv.de (06.01.2021)
  10. Russlandtag MV: Sponsorenübersicht, auf: russlandtag-mv.de (01.06.2020)

Autor:innen

Redakteurin bei KATAPULT MV.

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