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Insel Koos

Naturschutz zwischen Kernkraftwerk und Seucheninsel

Die zweitgrößte Insel im Greifswalder Bodden heißt Koos. In dem Naturschutzgebiet brüten viele bedrohte Vogelarten, weshalb die Insel für die Öffentlichkeit tabu ist. Nur die sogenannten Naturschutzwart:innen dürfen die Insel betreten. Während ihres Bundesfreiwilligendienstes leben und arbeiten sie für ein Jahr dort, um Daten über die Vogelpopulationen zu gewinnen.

Ein Freitag im Februar, kurz nach zehn Uhr: Ferdinand Reihlen-Börgers beginnt seine wöchentliche Vogelzählung. Heute ist er allein unterwegs, sein Kollege Nils Helge Havertz hat Urlaub. Ansonsten erfassen sie gemeinsam auf der Insel Koos und den angrenzenden Karrendorfer Wiesen die Vogelpopulationen. Das ganze Jahr über. Bei jedem Wetter.

Die Insel Koos ist für Besucher:innen gesperrt. Die Naturschutzwart:innen nennen die Pforte „Präda-Tor“, weil sie Fressfeinden (Prädatoren) wie Füchsen, Waschbären, Marderhunden oder auch Wölfen den Zugang zur Insel versperrt.

Heute zum Beispiel gibt es eine Mischung aus Schnee- und Eisregen bei -1 Grad. Die Sicht ist wegen des Nebels vergleichsweise schlecht. Bei gutem Wetter kann man von einem der Aussichtspunkte mit einem Spektiv die Uhrzeit vom Greifswalder Dom ablesen, erzählt Ferdinand. Während wir unterwegs sind, nimmt der Wind zu. Der Naturschutzwart stellt trotzdem das spezielle Fernrohr auf, weil er einige Brandgänse erkennt. „Die waren lange nicht hier, ein Zeichen, dass der Vogelzug wieder beginnt“, weiß der 29-Jährige und notiert Art, Anzahl und Uhrzeit in seinem Notizheft. Er ist erleichtert – heute sind doch Vögel zu sehen. Für den Bundesfreiwilligendienstler, der schon fast ein Jahr auf der Insel lebt, ist die Witterung keine Hürde. „Das hat auch was“, erzählt er, während er eine Gruppe Pfeifenten beobachtet, die gerade über den Greifswalder Bodden fliegt.

Ehemalige Zuchtinsel jetzt unter Naturschutz

Seit 2019 finanziert die Greifswalder Succow-Stiftung zwei Bundesfreiwilligendienstler:innen, die für ein Jahr als Naturschutzwart:in auf der Insel leben. Ihre Wohnung befindet sich in einem Gebäude, in dem früher Mäusezucht betrieben wurde. Hier befindet sich auch ein kleines Büro, von dem aus sie ihre Hauptaufgabe organisieren: die Zählung der im Gebiet rastenden oder brütenden Vögel. Vor allem Säbelschnäbler, Kiebitze und Sandregenpfeifer findet man hier. Aber auch besonders bedrohte Arten, wie der Alpenstrandläufer. Sollte die Entwicklung so weitergehen, könnte die Art in etwa 30 Jahren in Mitteleuropa ausgestorben sein.

Auf Ferdinands Erfassungsroute gibt es mehrere Anlaufstationen auf der Insel und den Karrendorfer Wiesen. Start ist immer am Südhaken der Insel. Den Norden dürfen selbst die Naturschutzwart:innen nur einmal im Monat betreten, um die Vögel so wenig wie möglich zu stören.

Zwischen 1950 und 1990 gehörte die Insel zum Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit. Für die Arbeit auf der anderthalb Kilometer entfernten Forschungsinsel Riems wurden auf Koos unter anderem Mäuse und Hühner gezüchtet. Noch heute stehen alte Ställe neben den noch älteren Häusern aus der Zeit, als die Insel von Landwirt:innen bewohnt und bewirtschaftet wurde.

Zwischen 1950 und 1990 wurde Koos zur Aufzucht von Versuchstieren für das Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit genutzt. So stehen auch noch alte Gebäude aus der Zeit, wie die Hühnerzuchtanlage. Das Wohn- und Arbeitshaus der Naturschutzwart:innen ist die ehemalige Mäusezucht.
Auf der Insel haben zu DDR-Zeiten bis zu 50 Menschen gelebt. Ein paar der Gebäude des ehemaligen Inselhofes stehen noch heute und werden als Nistplätze für Schwalbenarten genutzt.

Anfang der Neunzigerjahre wurden die Deiche im Bereich der Karrendorfer Wiesen wieder zurückgebaut und es entstand ein Salzgrasland direkt in der Einflugschneise vieler Vogelarten. Das Naturschutzgebiet, zu dem die Insel heute gehört, erstreckt sich zusammen mit den Karrendorfer Wiesen, dem Kooser und dem Wampener See über 1.560 Hektar.

Die Insel ist 170 Hektar groß. Für die Vogelzählung brauchen Ferdinand und seine Kolleg:innen mehrere Stunden.

Während sie im Winter weniger Vögel zählen, erzählt Ferdinand, beobachten sie im Sommer etliche der zum Teil bedrohten Arten. Manchmal beginnt die Vogelzählung dann schon um 3 Uhr morgens: „Das ist immer besonders spannend, wenn man in einer großen Masse an Vögeln die unterschiedlichsten Arten findet.“ Über das Jahr habe sich nicht nur der Blick des gebürtigen Berliners geschärft, sondern auch sein Gehör. Gerade bei Vogelarten, die im Frühjahr und Sommer zwischen den Bäumen oder generell nicht so leicht auseinanderzuhalten sind, helfe dieser Sinn besonders, um Arten zu identifizieren.

Einige Arten wie Berg- und Reiherenten sind nur schwer voneinander zu unterscheiden – trotz 60-facher Vergrößerung des Spektivs.

Neben der Vogelzählung sind die Naturschutzwart:innen aber auch für das sogenannte Prädatorenmanagement verantwortlich. Das bedeutet: Fressfeinde wie Füchse und Marderhunde von diesem Gebiet fernzuhalten. Besonders die Wasservogelarten sind zumeist Bodenbrüter. Ihre Nester bauen sie in Schilfgürteln oder direkt am Strand. Der Zaun, der den Zugang zur Insel versperrt, soll die Vögel und ihre Nester schützen. In den beiden Lebendfallen am Rand des Tores werden regelmäßig Waschbären, Füchse und Marder gefangen.

Menschenfreie Zone

Doch natürlich hält der Zaun auch Besucher:innen ab. Problematisch findet der Landschaftsökologe immer wieder die Ignoranz vieler, die im Naturschutzgebiet unterwegs sind. Regelmäßig versuchten einige, mit dem Auto auf die Insel zu fahren. Auch vom Bodden aus steuern Leute mit Kajaks die Insel an. Außerdem würden Hunde immer wieder ohne Leine auf die geschützten Wiesen gelassen, auch wenn der Freilauf in geschützten Gebieten verboten ist. Er und seine Kolleg:innen versuchen dann, aufzuklären und verständlich zu machen, dass hier die Vögel Priorität haben. Bis auf die Naturschutzwart:innen leben nur noch Rinder und Schafe auf Koos, die ausgewählte Flächen kurz halten. Landwirte kommen manchmal zur Kontrolle der Tiere vorbei.

Die Naturschutzwart:innen zählen während der Wasservogelzählung ausschließlich Wasser- und Greifvogelarten. Singvögel oder Krähen werden auf anderen Routen berücksichtigt.

Ende März endete für Ferdinand das Jahr auf der Insel. Der Vogelerfassung in MV aber bleibt er treu: Im April tritt er eine Stelle als Vogelkartierer in Bad Doberan an. Das sei gerade ein ziemlich gefragter Job. Im Zuge des Ausbaus erneuerbarer Energien müssen auf Flächen, auf denen Windräder gebaut werden sollen, Flora und Fauna überprüft werden.

Nach ihm folgt die nächste Bundesfreiwilligendienstlerin. Auch sie wird für ein Jahr auf Koos leben und arbeiten. Internet und Trinkwasser gibt es nur begrenzt. In den kommenden Wochen soll deswegen ein Frischwasseranschluss gelegt werden. Denn aktuell müssen die Naturschutzwart:innen mit Kanistern und Fahrradanhänger ins drei Kilometer entfernte Groß Karrendorf fahren, um Trinkwasser zu zapfen. Aber viel mehr Luxus muss es auch nicht sein, merkt Ferdinand an, immerhin ist man ja dort, um in der Natur zu sein. Und die Nachfrage nach diesem Bufdi-Job ist so oder so ziemlich groß.

Die erfassten Daten werden im offenen Portal Ornitho zur Verfügung gestellt. Wenn die Wart:innen besondere Vogelsichtungen dort eintragen, sind in den Folgetagen merkbar mehr Hobbyornitholog:innen im Gebiet unterwegs.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe 29 von KATAPULT MV.

Quellen

  1. NABU (Hg.): Alpenstrandläufer, auf: nabu.de.

Autor:innen

  • Bild von Patrick Hinz, Chefredakteuer Katapult MV

    Chefredakteur

    Geboren in Vorpommern, aufgewachsen in Mecklenburg. Einziger KATAPULT-Redakteur mit Traktorführerschein UND Fischereierlaubnis.

  • Bild von KATAPULT MV Redaktionsleiterin Martje Rust

    Redaktionsleitung

    Ist in Greifswald geboren, hat in Augsburg studiert und zog für den Lokaljournalismus wieder zurück nach MV.

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