Zum Inhalt springen

Geplante Geflüchtetenunterkunft

Nicht in Upahl!

Von und

Lesedauer: ca. 4 Minuten

Artikel teilen

Etwa 400 Menschen sind in der Sporthalle des Gymnasiums am Tannenberg erschienen, um Fragen zu stellen und ihrem Unmut gegenüber Politik und Verwaltung Luft zu machen.


Personen auf dem Podium

  • Christian Pegel (SPD): Innenminister
  • Tino Schomann (CDU): Landrat Nordwestmecklenburg
  • Uwe Oertel: Polizeidirektor Polizeiinspektion Wismar
  • Hans-Martin Helbig: Leiter Krisenstab Asyl
  • Christian Stabingis: Fachdienst Soziales
  • Tino Waldraff: ÖPNV-Beauftragter des Landkreises
  • Andreas Treumann: Fachdienst Kreisinfrastruktur
  • Maike Frey: Deutsches Rotes Kreuz Nordwestmecklenbur
  • Roy Rietentidt: stellvertretender Vorsitzender Betreuungsverein Schulz

Vor Ort sind auch etliche regionale und überregionale Medien. Während der Veranstaltung selbst dürfen sie nur Schnittbilder sammeln, später keine Fragen und Ausführungen von Publikum und Podium senden. Aber O-Töne dürfen vorher und nachher gesammelt und ausgestrahlt werden.

Mit uns reden wollen wenige. Eine Frau ruft Herrn Krüger – er würde immer so schön alle Fragen beantworten. Während er mit uns spricht, klingelt zweimal sein Handy. Leif-Erik Holm. Bundestagsabgeordneter, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der AfD-Bundestagsfraktion, Oberbürgermeisterkandidat für Schwerin. Erst kürzlich hat er in Stralsund Stimmung gegen Geflüchtete gemacht.

Holm möchte auch an der Versammlung teilnehmen, darf aber bestimmt nicht. „Aber warum nicht? Es ist doch eine Linke eingeladen.“ Simone Oldenburg, stellvertretend für die an Covid erkrankte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD). 

Nach dem Interview fragen wir nochmal nach dem Namen des Upahlers. Ach, gar nicht Krüger, sondern Krieger! Da klingelt auch was bei uns: Er wehrte sich nach dem Beinahe-Sturm des Kreistages in der Vorwoche dagegen, in die rechte Ecke gestellt zu werden.

Versammlung ohne große Zwischenfälle

Moderator, Coach, Comedian und Unternehmer Jörg Klingohr moderiert, versucht die besorgten Bürger:innen zu beruhigen, stellt aber auch Fragen an das Podium. Die Upahler:innen treten nach vorne ans Mikrofon und sagen ihre Meinung, stellen ihre Fragen. Nichts im Vergleich zu Loitz: Niemand verkleidet sich als Transfrau. Niemand wünscht jemanden nach Auschwitz. Niemand schreit oder fällt sich ins Wort.

Ob nur junge Männer kommen? Nein. Anfangs würden natürlich die 110 Geflüchteten aus der Sporthalle in Wismar in dem geplanten Containerdorf unterkommen. Und das seien nur Männer. Aber es würden nicht nur Männer in Upahl untergebracht. 

Ob die Männer übergriffig gegenüber Frauen und Mädchen sind? Nein. Sie seien alle sehr höflich, anders als man es manchmal bei Deutschen erlebe. Die Anwesenden lachen hämisch. 

Ob die Geflüchteten kriminell sind? Nicht krimineller als Deutsche. Zu Orten mit ähnlichen Unterkünften müsse die Polizei nicht öfter anrücken als zu anderen Orten im Landkreis. Die anwesenden Upahler:innen glauben das nicht.

Wann denn das letzte Mal die Polizei nach Upahl kommen musste? Vorgestern. Misstrauen der Upahler:innen.

Kann man ihnen garantieren, dass ihnen nie etwas passieren wird? Nein. Die Upahler:innen lachen.

Ob nicht der Bund 300 geeignete Liegenschaften für die Geflüchteten zur Verfügung gestellt hätte? Nein.

Ob die Upahler:innen nun weniger Grundsteuer zahlen müssten? Nein.

Warum eigentlich die „Asylanten“ eine eigene Bushaltestelle kriegen, die Realschüler:innen aber keinen Unterstand für ihre? Warum der Schulbus eigentlich so eine schlechte Taktung hat? Und warum eigentlich wird der Ortsteil Kastahn von gar keinem Bus angefahren?!

Ernüchterung nach der Versammlung

Immer wieder betonen Anwesende, dass sie nicht rassistisch seien. „Ob Ausländer oder Deutsche, ist mir scheißegal. Es sind Fremde“, sagt eine Bürgerin, die vom selbsternannten Sprecher der Gemeinde Jan Achilles als „erstes Opfer“ der geplanten Unterkunft vorgestellt wird. Eine Tagesmutter, zu welcher die Eltern ihre Kinder nicht mehr schicken wollen würden. Achilles berichtet außerdem, dass es „jetzt schon feststeht, dass drei Unternehmer aus Upahl weggehen werden.“

Viele Anwesende hätten sich wohl gewünscht, dass die Pläne doch noch kurzfristig gekippt werden oder weit weniger als 400 Schutzsuchende in ihrer kleinen Gemeinde unterkommen würden. 50. Oder lieber 33 – wie es der Königsteiner Schlüssel vorsehe. Nach diesem berechnet sich, wie viele Geflüchtete ein Bundesland aufnehmen muss. MV knapp zwei Prozent. Runtergerechnet auf Upahl seien das 33. 

21 Uhr. Eine Stunde später als angesetzt beendet Moderator Klingohr die Veranstaltung. „Wir drehen uns hier im Kreis.“ Und alles könne man an einem Abend sowieso nicht klären. Die Upahler:innen sind enttäuscht, einige wütend. 

Während der Versammlung drangen immer wieder Pfiffe, Rasseln und Rufe von draußen in die Sporthalle. Bis zu 100 Personen um Holm haben sich zu einer von der Versammlungsbehörde als Spontandemo eingeordneten Veranstaltung vor der Sporthalle getroffen, rufen immer wieder: „Wir bleiben hier!“ Als wir rauskommen, sind sie weg.

MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo!

Fußnoten

  1. Lachmann, Kai: Stralsund: Leif-Erik Holm (AfD) fordert Abschiebungen nach Afghanistan, auf: ostsee-zeitung.de (2.2.2023).
  2. Behnk, Malte: Upahler nach Protest gegen Asylunterkunft: „Wir haben mit Nazis nichts zu tun“, auf: ostsee-zeitung.de (27.1.2023).
  3. massivkreativ.de.
  4. Polizeiinspektion Wismar (Hg.): Fazit der Polizei Wismar - Bürgerversammlung des Landkreises Nordwestmecklenburg in Grevesmühlen, auf: presseportal.de (3.2.2023).

Autor:innen

Geboren in Rostock.
Aufgewachsen in Rostock.
Studierte in Rostock. Und Kiel.

Geboren in Vorpommern, aufgewachsen in Mecklenburg. Einziger KATAPULT-Redakteur mit Traktorführerschein UND Fischereierlaubnis. Layouter und Chefredakteur.

Neueste Artikel

11.10.2024

Das Problem mit der Bezahlkarte

Die Bezahlkarte für Asylsuchende ist nicht erst seit dem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz im November 2023 ein Streitpunkt in Politik und Gesellschaft. Damals beschloss die Landesregierung, einen Sonderweg zu gehen und sich nicht dem bundesweiten Verfahren anzuschließen. Seitdem wurde in Parlamenten und außerhalb davon gestritten. Gerichtsurteile wurden gefällt. Warum die Bezahlkarte diskriminierend ist, erfahrt ihr im Text.

10.10.2024

Stadtvertretung Neubrandenburg verbietet Regenbogenflagge

Ohne Debatte wurde der gestrige Antrag von Tim Großmüller von den Stadtvertreter:innen mit einer Mehrheit von AfD, BSW und Bürgern für Neubrandenburg angenommen. Inhalt des Beschlusses: Am Bahnhof darf ab sofort keine Regenbogenflagge mehr gehisst werden. Einen Tag nach dem Beschluss kündigte Oberbürgermeister Silvio Witt überraschend seinen Rücktritt an.
Die Karte zeigt anhand von Baumsymbolen den Zustand von MVs Wald. Unter 60 Bäumen (in rot) sind nur zehn grün eingefärbt, also gesund.

09.10.2024

Neuer Waldzustandsbericht

Die neue bundesweite Waldinventur mit alarmierenden Ergebnissen.