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Filmfest im Rostocker Stadthafen

„Das Gefühl von Respekt zu erzählen, war von Anfang an das Ziel“

„Nicht weit raus“ ist ein Film, der mit viel Ruhe und sehr berührend den Leistungsschwimmer Miguel Arrobas in den Mittelpunkt stellt. An diesem Tag beginnt er bereits im Morgengrauen mit seinem Training. Auf offenem Meer kämpft er gegen die See. Seine Rettung geht mit einer schrecklichen Gewissheit einher. Im Gespräch erzählt Regisseur Beran Ergün von der Entstehung des Filmes und auf welche Probleme er beim Dreh gestoßen ist.

Moritz Morszeck: Hallo Beran, im ersten Teil des Films habe ich als Zuschauer nicht erwartet, dass es schlussendlich um Flucht und im Fokus um eine Wasserstraße geht, die die Gefahr des Todes birgt. Wie hast du einen Zugang zu diesem intensiven Thema gefunden?

Beran Ergün: Im Grunde genommen bin ich einen Schritt zurückgegangen und habe mir überlegt: Der Film ist im Kontext „Europäische Themen – europäische Inhalte“ entstanden. Ich habe mir verschiedene Konzepte überlegt und an diesen gearbeitet, in recht kurzer Zeit. Dabei hatte ich oft das Gefühl, das sind Themen, die ich im Rahmen eines Kurzfilms nicht so äußern kann. Durch meine Recherche wollte ich in seiner Kürze einen Film gestalten, der respektvoll erscheint.

Zeitgleich habe ich vom Extremschwimmen gehört beziehungsweise von einem deutschen Schwimmer, der jetzt als erster Deutscher erfolgreich am Wettbewerb „Ocean’s Seven“ teilgenommen hat …

… dabei müssen sieben Meerengen auf fünf Kontinenten bewältigt werden …

… und da kam mir diese Idee. Beziehungsweise während meiner Recherche war es so, dass mir aufgefallen ist, dass es die Route zwischen Gibraltar und Marokko gibt. Dabei ist mir in den Kopf gekommen: Diese Route kennt man in einem anderen Kontext, als westliche Flüchtlingsroute. Dann habe ich bei der Konzeption alles zurückgesetzt und mir kam der Gedanke, dass es ein respektvollerer und interessanter Weg sein kann, aus der europäischen Sicht heranzugehen.

Deswegen war es ein Schritt zurück. Was kann ich erzählen? Womit kann ich recherchieren, mit Leuten von hier? Was kann ich darüber erzählen und welche Brücke kann ich dabei schlagen? Deswegen habe ich an dem Punkt die Recherche fortgesetzt, auch mit dem Extremschwimmer Miguel in Portugal gesprochen, und es hat sich so entwickelt, dass ich das Gefühl hatte, es braucht den Anfang. Es braucht das Entschleunigte, um die Thematik dann im Nachhinein zu erzählen.

Miguel Arrobas ist in Portugal ein sehr bekannter Leistungssportler. Wie hast du ihn von dem Projekt überzeugen können?

Ich hatte genau recherchiert und bin dann Extremschwimmer durchgegangen, weil es aufgrund des Wettbewerbs „Europa im Film“ des Auswärtigen Amtes und der Deutschen Filmakademie gerne gesehen war, im Ausland zu drehen. Deswegen kam auch der Gedanke mit Portugal, und in der Recherche stieß ich auf eine Vielzahl von Extremschwimmern. Ich habe dann zwei bis drei Personen angefragt und es hat sich relativ schnell immer wieder auf Miguel konzentriert. Miguel hat auch von der ersten Sekunde an superschnell geantwortet und vor allem auf so eine Art und Weise, bei der ich das Gefühl hatte, da will nicht jemand in einem Film sein, sondern mit mir über eine Sache reden, die auch ihn thematisch beschäftigt.

Er hat mir auch erzählt, dass er kurz vor seinem Schwimmen – er hat die Straße von Gibraltar auch schon durchschwommen – von geflüchteten Personen erfahren hat, die kurz zuvor dort ums Leben gekommen sind, und deswegen hatte es von der ersten Sekunde an eine ganz andere Relevanz. Ich hatte das Gefühl, man erzählt nicht nur einen Film, sondern will thematisch auf einen Nenner kommen und gemeinsam entwickeln: „Was erzählen wir eigentlich?“ Und dadurch war sofort klar, wir erzählen das, und wie können wir da zusammen herangehen und es in dem Film umsetzen.

Interessant, wie da der Kontakt entstanden ist. Dabei habe ich mich auch gefragt: Wie habt ihr den Dreh als solchen gestaltet? Es gab drei verschiedene Sprachen bei der Produktion Englisch, Deutsch, Portugiesisch. Wie habt ihr das organisiert?

Miguel und seine Frau Marianna sprechen besseres Englisch als die deutsche Crew. Sie können sich darin so gut ausdrücken, dass ich gar nicht herumdrucksen musste, um nach den passenden Wörtern zu suchen. Deswegen war es relativ easy, weil wir beim Dreh ausschließlich Englisch gesprochen haben. Wir sind in der Dialogführung so vorgegangen, dass wir natürlich auf Portugiesisch jeweils vor Ort und einen Tag davor geprobt haben. Und haben dann anschließend auf Englisch durchgesprochen, welche Betonung was meint. Wie lassen sich die Wörter, die ich kenne, oder Wörter, die ich in der Absprache mit Miguel und Marianna gelernt habe, interpretieren – wie interpretiere ich diese, wie interpretieren die beiden das? Und wie lässt es sich so umsetzen, dass das Gefühl und die Tonalität bleiben? Deswegen sind wir in den Dialogen ins Portugiesische gewechselt und danach noch mal ins Englische. Wir haben es durchgesprochen und dann anschließend wieder zurück.

Am Set war die Sprache hauptsächlich Englisch. Sonst ging es eigentlich relativ einfach. Im Nachhinein habe ich mit Miguel noch mal das Thema „Untertitel“ besprochen und geschaut, Wörter zu finden, die auch die Tonalität beschreiben und nicht nur das Gefühl von Google-Übersetzer bieten. Im Nachhinein gab es auf sprachlicher Ebene weniger Probleme, als ich dachte. Das hat es dann sehr einfach gemacht, sodass das nicht das akute Problem war, sondern andere Dinge.

Welche waren das?

Ganz klar, es ist Corona gewesen, da der Dreh im ersten Jahr stattfand. Wir haben im Oktober dort gedreht und kurz davor sind die Zahlen vom Herbst zum Winter hin gestiegen. Das ganze Konzept ist vor Corona entstanden. Dadurch gab es die Problematik, mit wie vielen Leuten fliegen wir hin? Kann Person A auch den Job für Person B machen? Wer fühlt sich überhaupt sicher, mitzukommen? Auch die Frage: Die Zahlen mögen rein theoretisch wieder steigen, aber wir sind gerade an einem guten Zeitpunkt, wo wir es machen können. Wollen wir es gerade machen? Möchte es jemand nicht? Wir haben da versucht, jedem die Möglichkeit zu geben, frei zu entscheiden. Dann war ein Problem, dass wir dadurch unterbesetzt waren. Im Nachhinein hatte ich das Gefühl, dass gerade das uns viel Stärke gegeben hat, in einem kleinen Team zu sein. Also, dass man das Ganze nicht verkünstelt und nicht über Lichtaufbauten versucht, Sachen zu erzählen, die inhaltlich viel stärker sind.

Auf der anderen Seite ist es das ganze Wasserding. Also ich habe noch nie auf einem Boot gedreht und war vielleicht eine Handvoll Male auf einem Boot. Deswegen war es für mich ein neues Feld und wir mussten schauen, wie gehen wir damit um, auf einem Boot zu drehen. Es war schwer, dort die Bilder umzusetzen. Da bin ich auch noch mal dankbar für den Kameramann Andrej Justus, der auch einen Tieftaucherschein hat und kein Unbekannter bei Kameraaufnahmen unter Wasser ist. Das war natürlich sauschwer. Wie verändert sich die Brennweite unter Wasser? Wie sieht das Bild aus? Das Wasser ist trübe – welche Bilder können wir noch umsetzen? Das hat uns bis in den Schnitt Zeit gekostet.

Da sind eine Handvoll Dinge, die ich, wenn ich darüber nachdenken müsste, heute anders lösen würde, aber im Vorhinein weiß man es nicht und im Nachhinein kann man immer sagen, das hätte besser laufen können. An sich bin ich dennoch ziemlich happy geworden. Vor allem nach einiger Zeit hat man das Gefühl, dass es ein schönes Endergebnis geworden ist. Bei dem wir alle sehr dankbar waren und das Gefühl von Respekt gut erzählen konnten, was von Anfang an das Ziel war.

Das klingt nach einer aufregenden und intensiven Zeit. Dabei stelle ich mir die Frage: Wie lange habt ihr insgesamt für die Produktion gebraucht – von der ersten Idee bis zur Veröffentlichung?

Viel zu lange, unter anderem aufgrund von Corona. Anfang 2020 war das Ding geschrieben und es war geplant für Mai 2020. Dann kamen im März 2020 das Thema „Corona“ und natürlich die ganzen Einschränkungen auf, bei denen wir alle nicht genau wussten, was Projekte zu dieser Zeit bedeuten und inwieweit man diese verschieben kann. Nach einem Monat kam die Erkenntnis: Okay Leute, momentan kann es nicht gedreht werden, wir sollten oder müssen es auf Ende des Jahres verschieben und schauen, wie dann die Lage ist. Wir hatten das Glück, dass es über den Sommer abgeflacht ist.

Vom fertigen Konzept bis zur Veröffentlichung hat es bestimmt ein Dreiviertel- bis zu maximal einem Jahr gedauert.  Wir haben es dann am Ende fertig für die Auslieferung gemacht, sodass wir sagen konnten, das ist die Version, die wir haben. So sieht sie aus. So fühlt sie sich an und jetzt packt daran auch keiner mehr irgendwas an.

Über die Bedingungen der Produktion hinaus habe ich mich auch gefragt, wie es zur Wahl des Themas kam. Den Film habt ihr in einer Zeit produziert, in der die Flüchtlingskrise einen Höhepunkt erreicht hat. Warum hast du gerade dieses Thema gewählt?

Unweigerlich durch passive Wahrnehmung. Die Medienpräsenz entfaltet sich so, dass bestimmte Konzepte oder Ideen in diese Richtung gehen. Ich hatte das Gefühl, dass es die mediale Präsenz auf der einen Seite gab und auf der anderen Seite hat man sich gefragt – das klingt so absurd, es so zu sagen –, ist man tatsächlich nicht schon zu spät dran für diese Thematik. Ich hatte das Gefühl, dieses Thema kann medial wieder abflachen und dadurch eine passive Normalität in der Berichterstattung einnehmen. Es ist praktisch sauegal, wann der Film herauskommen kann. Es erzählt sich immer noch und ist in der Hinsicht zeitlos. Was mich beeinflusst hat in der Berichterstattung, sind die Bilder von Stränden, die Themen „Westen“, „offenes Meer“ und die Präsentation dessen, aber auch, wie Leute porträtiert werden. Wie werden Leute gezeigt? Wie ist die Kamera? Wie dicht ist man dran?

Da stellt man sich beim ersten Konzept die Fragen: Gibt es noch andere Personen? Erzählt man doch etwas von der anderen Seite, vom anderen Kontinent? Und irgendwie hat sich das ein bisschen unausgereift angefühlt, sodass man sich davon lösen musste. Man muss nicht unbedingt Bilder der Berichterstattung nachmachen. Es wurde relativ schnell klar, dass es dokumentarisch angelegt werden soll, was den Bezug zur Berichterstattung und Reportagearbeit hat, weil es dann oftmals die Frage gab: Erzählt man schöne Bilder? Da war es dann ein Zwiespalt, zu sagen, wollen wir in dieser Szene leuchten? Wollen wir es gerade schön machen? Das Bild flacht gerade ab. Wollen wir es heller machen? Muss es heller sein?

Da war es ein Hin und Her zwischen Ästhetik und Bildern aus Berichten, um einen Mittelweg zu finden. Man hat leichte Assoziationen, aber man hat das Gefühl, man könnte etwas annähernd Dokumentarisches erzählen. Das war auf jeden Fall ein schwieriger Punkt für mich, da ich es mag, schöne Bilder zu erzählen. Das Ziel war es jedoch, Bilder einzufangen, die für sich stehen können und gleichzeitig auf keine ästhetisierende Weise. Es soll nicht das Gefühl erzeugt werden, schaut mal, wie schön der Film aussieht, und dann erzählt er übrigens auch das hier. Sondern das eigentlich umzudrehen: Der Anspruch ist gar nicht, das persönliche Ego da hineinzubringen – das Bild muss so aussehen, der Himmel muss hier stehen und da muss die Sonne von rechts hereinkommen. Also da ein bisschen rough ranzugehen.Dieses Interview entstand im Rahmen der unabhängigen filmab!-Redaktion zum FiSH-Filmfest im Stadthafen Rostock vom 28. April bis 1. Mai 2022 in Kooperation mit KATAPULT MV. Hier stellen sich die jungen Redakteur:innen vor: Das ist die filmab!-Redaktion 2022

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