Am 23. Juli wurde in Ikendorf, einem Ortsteil der Gemeinde Broderstorf im Landkreis Rostock, eine 47-Jährige von ihrem Lebensgefährten so stark an Kopf und Armen verletzt, dass sie mit einer Hirnblutung ins Krankenhaus musste. Die Polizei beschrieb die Verletzung als „potenziell lebensgefährlich“. Die Betroffene konnte im gemeinsamen Haus noch selbst den Notruf wählen. Ihr 61-jähriger Lebensgefährte wurde daraufhin vorläufig festgenommen.
Kurze Zeit später kam er jedoch wieder auf freien Fuß. Zeugenvernehmungen und weitere Hinweise hätten den Verdacht der versuchten Tötung nicht erhärtet, so ein Polizeisprecher auf Nachfrage.
Die Ermittlungen übernahm die Kriminalpolizei. Derzeit werden gesicherte Beweise und Spuren ausgewertet sowie Vernehmungen durchgeführt. Ermittelt werde nun wegen Körperverletzung und anderer infrage kommender Delikte, so der Sprecher. Informationen zum Gesundheitszustand der Betroffenen könne man aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht herausgeben.
Keine Haft für gewalttätigen Lebensgefährten
Da der Verdacht nicht mehr auf Totschlag lautete, entfiel laut Polizei der Haftgrund gegen den Beschuldigten. Nach Angaben des Justizministeriums wurde daraufhin ein Eingreifen der zuständigen Vollstreckungskammer beim Landgericht Rostock veranlasst. Der unter Führungsaufsicht stehende Beschuldigte wurde „aus Gründen der Krisenintervention“ erneut vorläufig festgenommen. Eine Wiederholungsgefahr könne demnach vorläufig ausgeschlossen werden.
Trotz lebensbedrohlicher Verletzungen keine Einordnung als Femizid
Hätte man den Vorfall verhindern können? Laut Sandro Smolka, dem persönlichen Referenten von Justizministerin Jacqueline Bernhardt (Die Linke), wäre als präventive Maßnahme im Vorfeld der Tat ein Kontakt- und Näherungsverbot nach dem Gewaltschutzgesetz in Betracht gekommen. Jedoch hätte die Verletzte einen solchen Antrag gegen ihren Lebensgefährten selbst stellen müssen. Nach der Tat hätten die Beamten dann „unverzüglich“ ein Aufenthalts- und Betretungsverbot für das gemeinsame Haus und Grundstück in Ikendorf angeordnet.
Trotz der lebensbedrohlichen Verletzungen stuft die Polizei den Fall nicht als versuchten Femizid ein. Bei den Handlungsanweisungen an die Polizei sei der Landesaktionsplan zur Bekämpfung häuslicher und sexualisierter Gewalt mit den Vorgaben der Istanbul-Konvention berücksichtigt und konsequent umgesetzt worden, versichert Tobias Gläser vom Rostocker Polizeipräsidium. Der dritte Landesaktionsplan soll bis Januar 2024 in einem Forschungsvorhaben evaluiert werden. Anschließend soll auf Grundlage der Ergebnisse die weitere Entwicklungsarbeit an einer Landesstrategie zur Umsetzung der Istanbul-Konvention erfolgen.
Noch vor wenigen Wochen hatte sich Justizministerin Bernhardt klar für eine konsequente Strafverfolgung ausgesprochen: „Natürlich setzen wir alles daran, dass Menschen, die Opfer von sexueller oder körperlicher Gewalt wurden, sich auch melden, um erstens Hilfe zu bekommen und zweitens ermutigt zu werden, diese Fälle zur Anzeige zu bringen. (…) Nur wenn der Gewalt der Kampf angesagt wird, kann sie auch erfolgreich eingedämmt werden.“
Ein Drittel der Männer findet Gewalt gegen Frauen akzeptabel
Erst im Juli erschien die Studie Spannungsfeld Männlichkeit, bei der herauskam, dass ein Drittel der jungen Männer in Deutschland Gewalt gegen Frauen akzeptabel findet. 34 Prozent gaben an, bereits selbst gegen eine Frau gewalttätig und handgreiflich geworden zu sein, um ihr Respekt einzuflößen.
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Auch in Mecklenburg-Vorpommern nehmen die Zahlen rasant zu: Die vom Beratungs- und Hilfenetz MV für 2022 gemeldeten 5.409 Fälle von Gewalt gegen Erwachsene bedeuten einen Anstieg von 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, als 4.553 Menschen vom Hilfenetz Schutz und Unterstützung erhielten. Betroffen waren im vergangenen Jahr 4.872 Frauen, 529 Männer und acht Personen diversen Geschlechts oder ohne Angabe zum Geschlecht. Die Fälle reichen von Beleidigungen, Einschüchterungen und Bedrohungen über physische und sexuelle Misshandlungen bis hin zu Vergewaltigungen. Auch bei Kindern und Jugendlichen, die entweder selbst oder mit betroffen waren, stieg die Zahl der gemeldeten Fälle von 3.760 im Jahr 2021 auf 4.846 im vergangenen Jahr deutlich.
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Wer Hilfe sucht, findet nachfolgend und auf unserer Karte die Frauenhäuser und Beratungsstellen in Mecklenburg-Vorpommern.
Beratungsstelle für Betroffene von häuslicher Gewalt18528 Bergen auf RügenTel. 03838 / 20 17 93frauenberatung@jugendhilfe-ruegen.dewww.jugendhilfe-ruegen.de
FrauenhausPF 3309, 17463 GreifswaldTel. 03834 / 50 06 56kontakt@frauenhaus-greifswald.dewww.frauenhaus-greifswald.de
FrauenschutzhausPF 1120, 18261 GüstrowTel. 03843 / 68 31 86archeev@web.dewww.arche-ev.de
FrauenhausPF 233, 19282 LudwigslustTel. 038751 / 21 27 0mobil 0171 377 51 37fh@awo-Ludwigslust.de
Frauen- und KinderschutzhausPF 400208, 17022 NeubrandenburgTel. 0395 / 77 82 640fksh-nb@gmx.dewww.quovadis-neubrandenburg.de
FrauenschutzhausPF 1047, 18301 Ribnitz-DamgartenTel. 03821 / 72 03 66mobil 0160 80 900 50, in Notfällenfsh-rd@awo-vorpommern.dewww.awo-vorpommern.de
Autonomes FrauenhausPF 101153, 18002 RostockTel. 0381 / 45 44 06frauenhaus@stark-machen.dewww.stark-machen.de
AWO „Frauen in Not“ / FrauenhausPF 110563, 19005 SchwerinTel. 0385 / 55 57 356frauenhaus@awo-schwerin.dewww.awo-soziale-dienste.de
AWO-FrauenschutzhausPF 1462, 23957 WismarTel. 03841 / 28 36 27frauenhaus@awo-wismar.de