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Öffentlichkeitsbeteiligung beginnt

Ostsee weiter stark belastet

Die Bundesregierung hat den Entwurf ihres Berichts zum Zustand der deutschen Ostseegewässer veröffentlicht. Das Bild, das der deutsche Teil des Meeres abgibt, könnte besser sein. Zu hohe Nährstoffeinträge, zu viele Schadstoffe und eine fortwährende Müllbelastung machen der Ostsee zu schaffen. Bevor die Erkenntnisse im Herbst 2024 an die EU berichtet werden, steht noch die Beteiligung der Öffentlichkeit an. Jede Person kann seit Mitte Oktober zu den Unterlagen schriftlich Stellung nehmen. Aber was steht eigentlich drin?

Einen guten ökologischen Zustand der Ostsee und anderer europäischer Meere zu erreichen – das ist das ausgegebene Ziel. Darauf wollen die Mitgliedstaaten der EU im Rahmen der Europäischen Rahmenrichtlinie zum Meeresschutz hinarbeiten. Auch Deutschland. Dazu gehört es, alle sechs Jahre über den Zustand der in der jeweiligen Landesverantwortung liegenden Gewässer zu berichten. 2024 sind die nächsten Berichte fällig. Der deutsche Entwurf für die Ostsee liegt seit dem 15. Oktober der Öffentlichkeit vor.

Anhand von elf Themen betrachtet das Papier, wie weit der Meeresschutz vorangeschritten und wie der Zustand zu bewerten ist. Das Fazit vorweg: Der angestrebte gute Zustand der deutschen Ostseegewässer wurde auch im aktuellen Berichtszeitraum von 2016 bis 2021 verfehlt. Es konnten „keine deutlichen Verbesserungen“ beobachtet werden. So formulierte es Landesumweltminister Till Backhaus (SPD) zum Auftakt der Öffentlichkeitsbeteiligung Mitte Oktober. Und das, obwohl bereits die vorangegangenen Bewertungsrunden 2012 und 2018 der Ostsee keinen guten Zustand bescheinigt hatten. Für Backhaus steht dennoch fest, dass der Schutz der Ostsee für MV weiterhin eine entscheidende Rolle spielen soll. Gerade für dieses Bundesland stelle die Meeresumwelt „ein kostbares Erbe“ dar. Immerhin obliegt die Umsetzung der EU-Richtlinie für die Küstengewässer vor MV auch MV.

Zu viele invasive Arten

Es ist noch deutlich Luft nach oben bei der „Daueraufgabe“ Ostseeschutz. Das zeigt sich etwa bei der Belastung des Meeres durch invasive, also nichteinheimische Arten. Diese, so erklärt es der Entwurf, kamen als „blinde Passagiere“ im Ballastwasser von Schiffen oder als Schiffsbewuchs in die Ostsee. In den deutschen Ostseegewässern konnten bis 2021 insgesamt 76 dieser Arten registriert werden – davon neun im aktuellen Berichtszeitraum seit 2016. Dazu gehören zum Beispiel die Ostasiatische Seeschneide, die Felsengarnele oder die Pazifische Auster.

Da ein guter Zustand nur dann erreicht ist, „wenn die Einschleppung und Einbringung neuer Arten gegen null geht“ und sich daraus keine negativen Folgen für die einheimischen Tiere und Pflanzen ergeben, kann dieser der Ostsee nicht bescheinigt werden. Ob die eingeschleppten Arten jedoch Beeinträchtigungen mit sich bringen, bleibt erst einmal offen. Anhaltspunkte dafür seien laut Bericht nicht ausreichend analysiert worden.

Dorsch, Hering und Sprotte in keinem guten Zustand

Zu einem solchen gehört es auch, dass die Bestände wirtschaftlich relevanter Meerestiere bei „guter Gesundheit“ sind. Ausgangspunkt der Betrachtung war eine Liste von insgesamt 25 in den deutschen Ostseegewässern vorkommenden und kommerziell genutzten Fischbeständen. Davon wurden 9 Bestände bewertet, 16 blieben aufgrund unzureichender Daten außen vor. Zu den bewerteten Fischen gehören neben dem westlichen und östlichen Dorsch, Europäischen Aal und Lachs auch Ostseeflunder, Flunder, Hering, östliche und westliche Scholle, Seezunge und Sprotte.

Der Zustand mancher Bestände ist auch der Grund, warum die EU-Fischereiminister:innen in der vergangenen Woche erneut Fangquoten beschlossen. Das zeigt sich auch im Berichtsentwurf. So wiesen die Bestände von westlichem Dorsch und Scholle sowie Hering und Sprotte „eine zu hohe Nutzungsrate auf“. Die Bestände von östlichem und westlichem Dorsch, Hering und Seezunge seien zudem zu gering. Es konnte somit kein guter Umweltzustand erreicht werden, womit auch das Zwischenziel – drei Viertel der bewerteten Bestände bis 2023 in einen guten Umweltzustand zu versetzen – verfehlt wurde. Der einzige Bestand, der laut Bericht eine Verbesserung aufweist, ist der der östlichen Scholle. Für alle anderen konnte keine Verbesserung registriert werden.

Zudem wird vor dem Rückgang sogenannter kaltangepasster Arten infolge des Klimawandels gewarnt. Schon jetzt seien Auswirkungen der klimatischen Veränderungen beim Hering wissenschaftlich nachgewiesen. Es sei zu erwarten, dass die Fischerei für etwa Hering und Dorsch nur in „sehr geringem Umfang möglich bleiben wird, um eine Übernutzung zu vermeiden“. Eine Perspektive, wieder mehr Erträge für die kommerzielle Fischerei zu erzielen, sieht der Bericht in der Etablierung anderer Fischarten – zum Beispiel der Schwarzmundgrundel. Auch sie zählt zu den invasiven Arten. Das könnte „eine gezielte fischereiliche Nutzung ermöglichen“.

Vollständig überdüngt

Was wohl auch für den Rückgang so mancher Meeresbewohner, etwa des Herings, verantwortlich ist, ist die Überdüngung der Ostsee. In diesem Zusammenhang wird von Eutrophierung gesprochen. Die übermäßig eingetragenen Nährstoffe – etwa durch die Land- und Abwasserwirtschaft – sorgen dafür, dass sich vermehrt Algen entwickeln und so die Durchlässigkeit des Wassers für Sonnenlicht abnimmt. Die Folge: Seegras- und Großalgenbestände schrumpfen. Diese gelten jedoch als Aufzuchtort, Kinderstube und Lebensraum vieler mariner Organismen. Eben auch des Herings.

Die Ostsee ist, so führt es der Bericht weiter aus, besonders anfällig für Eutrophierung. Das liegt auch daran, dass sie als Randmeer nur einen sehr geringen Wasseraustausch erfährt. Somit können die weiterhin zu hohen Einträge von Nährstoffen nicht kompensiert werden. Das Ergebnis: „100 Prozent der deutschen Ostseegewässer sind weiterhin eutrophiert.“

Doch es gibt auch gute Nachrichten. So seien durchaus Verbesserungen festzustellen. Dies gelte zum Beispiel für den Gesamtzustand der Kieler Bucht. Aber auch in der Mecklenburger Bucht – dem Gebiet zwischen Fehmarn und Darß – und dem Arkonabecken nördlich von Rügen gab es positive Anzeichen. Im vergleichsweise schlechtesten Zustand befindet sich dagegen die Pommersche Bucht nördlich von Usedom.

Die registrierten Verbesserungen reichen nicht aus, um bei den Küstengewässern von einem guten Zustand zu sprechen. So seien die Nährstoffeinträge weiterhin „zu hoch“. Weitere Anstrengungen zur Reduzierung von Stickstoff und Phosphat sind notwendig, bilanziert der Bericht.

Guter Zustand noch Zukunftsmusik

Ein schlechtes Zeugnis bekommt die Ostsee auch hinsichtlich der Schadstoffkonzentration – so überschritt beispielsweise Quecksilber die festgelegte Bewertungsschwelle – und der physikalischen Störungen des Meeresbodens, etwa durch grundberührende Fischerei oder küstennahe Schifffahrt. Nicht bewertet werden konnte unter anderem das Auftreten von Meeresmüll. Wobei der Berichtsentwurf durchaus feststellt, dass dieser weiter reduziert werden müsse. Es konnte hier aber auch eine positive Entwicklung registriert werden. So nahm die Belastung der Küste durch Strandmüll ab. Demgegenüber nahm das Müllaufkommen am Meeresboden der Ostsee zu.

Es scheint also noch ein längerer Weg zu sein, bis die deutschen Ostseegewässer einen guten Umweltzustand erreichen. MVs Umweltminister Backhaus weist diesbezüglich darauf hin, dass sich die positiven Effekte einer geringeren Belastung wohl erst mit zeitlicher Verzögerung zeigen werden. Die „Sünden aus der Vergangenheit“ blieben so noch „lange Zeit erhalten“, erklärte der SPD-Politiker.

Zu dem Berichtsentwurf, der seit dem 15. Oktober öffentlich ist, kann sich nun die Öffentlichkeit äußern. Sechs Monate, also bis zum 15. April, kann jede Person oder Interessengruppe schriftlich zu dem vorliegenden Papier Stellung nehmen und sich so auch am Maßnahmenprogramm und dessen Ausgestaltung beteiligen.

Quellen

  1. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV, Hg.): Zustand der deutschen Ostseegewässer 2024. Entwurf, S. 4, 16, auf: mitglieder.meeresschutz.info (15.10.2023).
  2. Ministerium für Klimaschutz, Landwirtschaft, ländliche Räume und Umwelt MV (Hg.): Öffentlichkeitsbeteiligung zum Meeresschutz der deutschen Nord- und Ostsee startet, auf: regierung-mv.de (16.10.2023).
  3. BMUV 2023, S. 17.
  4. Ebd., S. 40.
  5. Ebd., S. 43.
  6. Ebd., S. 44.
  7. Ebd., S. 41.
  8. Ebd., S. 43.
  9. Ebd., S. 47.
  10. Ebd., S. 50.
  11. Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (Hg.): Auch 2024 wird herausfordernd für die Ostseefischerei, auf: bmel.de (24.10.2023).
  12. BMUV 2023, S. 49.
  13. Ebd., S. 47.
  14. Ebd., S. 50.
  15. Ebd., S. 53.
  16. Ebd., S. 189.
  17. Ebd., S. 53.
  18. Ebd., S. 54.
  19. Ebd., S. 57.
  20. Gewässer bis eine Seemeile seewärts der Basislinie.
  21. BMUV 2023, S. 59.
  22. Ebd., S. 67.
  23. Ebd., S. 7.
  24. Ebd., S. 95.
  25. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (Hg.): Anhörung zur Aktualisierung der MSRL-Zustandsbewertung für die deutschen Meeresgewässer, auf: mitglieder.meeresschutz.info.

Autor:in

  • Redakteurin in Greifswald

    Geboren in Berlin, aufgewachsen in Berlin und Brandenburg. Tauschte zum Studieren freiwillig Metropole gegen Metropölchen.

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