Rechte Gewalt
Schwerin: Mitglieder von Jusos und Linksjugend angegriffen
Lesedauer: ca. 6 Minuten
Artikel teilen
Während der „Jusos Long Night“ am 17. Juni kam es in Schwerin zu einer Gewalttat. Die Schweriner SPD hatte gemeinsam mit ihrer Jugendorganisation einen Infostand mit Werbematerialien aufgebaut. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) und die Landtagsabgeordnete Mandy Pfeifer (SPD) waren vor Ort.
Die Hamburger Morgenpost berichtete bereits am folgenden Tag von dem Vorfall und titelte: „Auch Schwesig vor Ort: Fußballfans und Jusos geraten an Infostand aneinander“. Die Fußballfans trugen Trikots und Fanschals von Dynamo Schwerin und Hansa Rostock. Am selben Tag fand ein Spiel der Vereine in Schwerin statt. Beide Fußballklubs stehen immer wieder wegen rechter Tendenzen ihrer Fans und gewalttätiger Auseinandersetzungen in der Kritik. Ein anderer trug ein T-Shirt von Thor Steinar, einer Marke, die in der rechten Szene beliebt ist.
SPD geht von rechtsextremen Angreifern aus
Aus Instagram-Beiträgen geht hervor: SPD-Mitglieder und Ministerpräsidentin Manuela Schwesig sehen einen rechtsextremen Hintergrund der Auseinandersetzung. Die „Fußballfans“ von Hansa Rostock sollen Neonazis gewesen sein. Genauer: drei streitlustige, betrunkene Männer mittleren Alters, die versuchten, ein Banner mit der Aufschrift „Endstations rechts“ zu klauen, erklärte ein Linksjugend-Mitglied, das Opfer der Gewalttat wurde. Der Angreifer habe auf das Banner mit mehreren Schlägen reagiert.
Die Landtagsabgeordnete Mandy Pfeifer dankte der Polizei auf Instagram für ihren Einsatz und fügte hinzu: „Schade, dass es solche gibt, die mit so einem Angebot nicht umgehen können und es mit Gewalt kaputt machen.“ Schwesig äußerte sich auf ihrem Instagram-Kanal ebenfalls zu dem Vorfall. „Wir lassen uns nicht verängstigen und zeigen weiterhin klare Kante gegen Rechts!“ Beide Politikerinnen blieben unversehrt. Sie waren wohl nicht das Ziel des Angriffs. Das bestätigte auch die Polizei. Es gibt jedoch Hinweise auf eine politisch motivierte Straftat. Deshalb ermittelt der Staatsschutz der Schweriner Kriminalpolizei. Als die Polizei am Infostand eintraf, hatten die Täter bereits flüchten können. Eine Nahbereichsfahndung führte zunächst zu keinem Ergebnis. Einer der Angreifer ist der Polizei jetzt aber bekannt.
„Ich sehe sie immer noch im Hintergrund grölen und sich freuen“
Unmittelbar von dem Angriff betroffen waren ein Sprecher der Linksjugend Schwerin und ein Mitglied der Jusos, die beide anonym bleiben möchten. Die Aktion sei innerhalb von Sekunden vonstattengegangen, berichten die Betroffenen. Gegen 19 Uhr habe sich einer der Täter zum ersten Mal genähert und Werbeartikel vom Tisch geklaut. Nachdem er kurz verschwunden war, sei er aber wieder zurückgekommen, um auch das Banner mit der Aufschrift „Endstations rechts“ zu entwenden. Dabei habe er auch versucht, den Tisch mit den Werbeartikeln umzustoßen, und mehrmals auf die Tischbeine eingetreten. Die beiden hätten darauf versucht, das Banner wieder zurückzubekommen. Daran sei die Situation eskaliert.
Der Täter sei handgreiflich geworden und habe dreimal auf ihn eingeschlagen, erzählt das Mitglied der Linksjugend Schwerin. Einmal habe er auch getroffen. „Ich stand danach ziemlich unter Schock, war sehr doll am Zittern und habe gestottert. Meine Brille ist vom Schlag weggeflogen und ich war etwas desorientiert.“ Benjamin Gienke, Kreisvorsitzender der Jungsozialisten Schwerin, war ebenfalls vor Ort und erinnert sich noch an die Reaktionen der zwei anderen Männer, die dem Geschehen nur zuschauten: „Ich sehe sie immer noch im Hintergrund grölen und sich freuen.“ Als das Handgemenge noch weiter zu eskalieren drohte, habe dann Schwesigs Personenschutz eingegriffen und die Situation aufgelöst. Zwei Minuten später war auch die Polizei vor Ort.
„Solche Vorfälle motivieren mich eher, weiterzumachen“
Trotz des Vorfalls wollen sich auch Jusos und Linksjugend Schwerin nicht einschüchtern lassen. Im nächsten Jahr werde die „Long Night“ wieder stattfinden, so Gienke gegenüber KATAPULT MV. Denn bis auf den Vorfall sei die Veranstaltung gut angenommen worden. „Wir hatten eine tolle Stimmung, es waren viele junge Leute da.“ Nach dem Angriff sei aber leider die ganze Atmosphäre kaputt gewesen, erzählt der 30-Jährige. „Wenn der Vorfall eines gezeigt hat, dann ist es, dass man die Kante gegen rechts klar halten muss“, findet Gienke. Leon-Fabio Blietz, stellvertretender Kreisvorsitzender der Jusos Schwerin, sieht das genauso: „Solche Vorfälle motivieren mich eher, weiterzumachen.“
Auch das Linksjugend-Mitglied lässt sich von solchen Aktionen nicht beirren. „Was ich immer wieder höre, ist, dass man mit sowas anscheinend rechnen muss, wenn man politisch aktiv ist. Das ist leider die Realität.“ Solch einen Angriff habe er bisher aber noch nicht erlebt. Bei Infoveranstaltungen im öffentlichen Raum bekomme man zwar öfter Unmut entgegengebracht, aber es bleibe dann meist bei Pöbeleien, missbilligenden Blicken oder dummen Kommentaren, so der Auszubildende.
Rechte Übergriffe auf Politiker:innen, auch körperlich
Angriffe auf Politiker:innen und politisch aktive Personen gibt es immer wieder, auch in Mecklenburg-Vorpommern. Oft sind sie verbal und kommen in Form von Drohbriefen. Die Beratungs- und Unterstützungsorganisation Lobbi in Mecklenburg-Vorpommern dokumentiert solche rechten Übergriffe. Nachdem im Mai 2020 eine Dokumentation über das rechtsterroristische Netzwerk „Nordkreuz“ ausgestrahlt wurde, erhielten eine Reihe von Politiker:innen, Journalist:innen und Staatsanwaltschaften in MV Morddrohungen.
Manchmal wird es auch körperlich. Tätliche Übergriffe gab es bereits einige im Land. So wurde vergangenen September der Grünenpolitiker Conrad Busse beim Passieren eines NPD-Wahlkampfstandes in Stralsund nach einer verbalen Auseinandersetzung angegangen, zu Boden gedrückt, getreten und geschlagen. Dieser rechte Angriff verlief nicht so glimpflich wie der jüngste Vorfall am SPD-Stand. Busse erlitt damals eine Gehirnerschütterung, mehrere Rippenprellungen und eine Knieverletzung. Bereits 2020 gab es eine Auseinandersetzung an einem AfD-Infostand in Stralsund. Drei anwesende AfD-Mitglieder verfolgten damals einen Mann und attackierten ihn.
Karin Larisch, ehemalige Landtagsabgeordnete der Linksfraktion, setzt sich gegen Rassismus und rechte Gewalt ein. Sie wird seit Jahren bedroht und wurde mehrmals Opfer rechter Angriffe. Neonazis legten Sprengstoff in ihren Briefkasten, der auch explodierte. Am Tatort sprühten die Täter zudem rechte Parolen.
Exakt identische Schriftzüge wurden am ehemaligen jüdischen Gemeindehaus in Güstrow angebracht. Wenige Tage zuvor wurden die Scheiben von Larischs Wahlkreisbüro eingeworfen. Drei Monate zuvor wurde sie in ihrem eigenen Wohnhaus Opfer eines Buttersäureangriffs. Auch ihre Tochter war bereits betroffen, wurde etwa von mehreren Mitgliedern eines rechten Wählerbündnisses beschimpft und gefilmt. Bei einem anschließenden Streitgespräch wurde die Tochter der Politikerin auch noch attackiert.
AfD am häufigsten von Angriffen auf Wahlkreisbüros betroffen
Zu politisch motivierten Straftaten zählen auch Angriffe auf Wahlkreisbüros und private Einrichtungen beziehungsweise privates Gelände. Letztere zählt das Landeskriminalamt erst seit 2019 dazu. Seitdem wurden zwölf politisch motivierte Straftaten auf Privathäuser von Politiker:innen aus Mecklenburg-Vorpommern von der Polizei registriert.
Auf Wahlkreisbüros in MV gab es seit 2018 insgesamt 119 Angriffe, die als politisch motiviert gelten. Der Tatbestand lautet oftmals Sachbeschädigung oder Diebstahl. Besonders häufig werden Wahlkreisbüros der rechtsextremen AfD Mecklenburg-Vorpommern beschädigt. In den letzten drei Jahren gab es insgesamt 78 politisch motivierte Straftaten gegen AfD-Wahlkreisbüros. So beispielsweise 2018 in Wolgast, wo das Büro des damaligen AfD-Mitglieds Ralph Weber mehrmals angegriffen wurde.
Übergriffe gegen Wahlkreisbüros in Mecklenburg-Vorpommern haben insgesamt aber abgenommen. Waren es 2018 noch 37 Angriffe, zählte die Polizei im Jahr 2021 nur noch 24.
MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo!
Autor:innen
Freie Reporterin in Greifswald.