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Heizkraftwerkbesetzung in Greifswald

Verfahren eingestellt

Vor knapp einem Jahr besetzten Aktivist:innen das Greifswalder Heizkraftwerk, um auf die Klimaschädlichkeit von Erdgas aufmerksam zu machen. Am Mittwoch wurde am Amtsgericht Greifswald wegen Hausfriedensbruchs gegen sie verhandelt. Das Ergebnis: Alle Strafverfahren wurden fallengelassen. Gegen eine der Angeklagten wurde eine Geldauflage von 150 Euro verhängt, die sie an eine gemeinnützige Organisation zahlen muss.

Schon vor Verhandlungsbeginn hatten sich knapp 20 Menschen zu einer Mahnwache vor dem Greifswalder Amtsgericht versammelt. Damit wollten sie ein Zeichen der Solidarität für die vor Gericht stehenden Aktivist:innen setzen. Die Aktionsgruppe „Pipelines VerSTOPfen“ forderte den Freispruch aller Angeklagten. Zudem sprachen sich die Demonstrierenden für „echte Klimagerechtigkeit“ sowie „einen sofortigen Gasausstieg und die Entkriminalisierung von Menschen, die sich der Klimakrise in den Weg stellen“ aus.

Mahnwache im Vorfeld der Gerichtsverhandlung. (Foto: M. Rust)

Besetzung am 10. September 2021

Auf das Dach und den Schornstein des zu den Greifswalder Stadtwerken gehörenden Blockheizkraftwerks in der Kapaunenstraße waren vor gut einem Jahr mehrere Personen gestiegen. Sie befestigten kleinere und ein großes Banner mit der Aufschrift „#gas is over“ am Gebäude. Laut der damaligen Pressemitteilung der Gruppe sollte mit der Aktion auf die „Klimaschädlichkeit von Erdgas aufmerksam gemacht werden“. Sie forderten die Energieversorger auf, nicht in neue Gaskraftwerke und -infrastruktur zu investieren.

Verständnis von den Stadtwerken, trotzdem Anzeige

Thomas Prauße, Geschäftsführer der Stadtwerke Greifswald, zeigte sich während der Aktion vor einem Jahr verständnisvoll, kritisierte aber die Fahrlässigkeit der Aktivist:innen. Mit der Aktion hätten sie sich in Lebensgefahr gebracht.

Gegen die drei Aktivist:innen, die in der von den Stadtwerken gesetzten Frist nicht freiwillig vom Dach kamen, wurde noch vor Ort Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs erstattet. Weil die Personalien aber nicht sofort festgestellt werden konnten, waren es Anzeigen gegen Unbekannt.

Verhandlung mit strengen Vorkehrungen

Kurz vor Beginn der heutigen Gerichtsverhandlung wurde das öffentlich angelegte Verfahren von einem kleineren Saal des Amtsgerichts in den größten verlegt. Die maximale Zuschauerzahl wurde jedoch auf fünf begrenzt. Insgesamt kontrollierten zwölf Polizeibeamte das Gebäude von innen und außen.

Kurzfristig wurde die Verhandlung in den größten Saal des Amtsgerichts verlegt. Allerdings wurden maximal fünf Gäste zugelassen. (M. Rust)

Fragen warf zu Verhandlungsbeginn der gewählte Rechtsbeistand einer der Angeklagten auf: Eine zuvor beantragte Wahlverteidigerin wurde vom Gericht nicht zugelassen, das sei so auch im Vorfeld kommuniziert worden. Die Angeklagten bestritten, davon Kenntnis gehabt zu haben. Die Wahlverteidigerin selbst war als Gast im Gerichtssaal. Auch sie hatte nach eigener Aussage keine Begründung erhalten, warum sie als Rechtsbeistand abgewiesen worden sei. In vorherigen Verhandlungen wurde sie bereits mehrfach als Wahlverteidigerin zugelassen. Ein zweiter Wahlverteidiger konnte kurzfristig organisiert werden.

Noch vor Verlesung der Anklage reichten die drei Beschuldigten zudem insgesamt neun Beschwerden und Anträge ein. Darunter eine Beschwerde über die Nichtzulassung der ersten Wahlverteidigerin und Anträge auf Trink-, Toiletten- und Lüftungspausen, die Verwendung gendergerechter Sprache, einen schusswaffenfreien Gerichtssaal und die Zulassung von Tonaufnahmen. Gewährt wurde ein Teil der Pausen und die Schusswaffenfreiheit, zurückgestellt dagegen die Lüftungs- und Essenspausen, Tonaufnahmen und das Gendern. In der Gesetzgebung sei derzeit noch ausschließlich die männliche Form angesprochen, so die Begründung für Letzteres. „Ob das nun richtig sei oder nicht“, kommentierte der Staatsanwalt. Ihren Wunsch nach Tonaufnahmen begründeten die Angeklagten mit der „historischen Bedeutung“ der Verhandlung. Es sei die erste Besetzung eines Heizkraftwerks in Deutschland gewesen, so die Argumentation. Daraufhin schaltete sich der Staatsanwalt ein und bezeichnete den Versuch als „grotesk“ und „Selbstüberschätzung“ der Angeklagten vor Gericht. Es sei „kein herausragendes Ereignis, auf Dächer zu klettern“. Im Zuge der Anträge verzögerte sich die Zeugenvernehmung um rund 40 Minuten.

Noch vor der Anklageverlesung postierten sich die Teilnehmenden der Mahnwache vor dem Gericht mit Bannern, zeitweise gab es Musik und Sprechchöre, die auch im Saal zu hören waren.

Keine eindeutigen Beweise

Als Zeuge wurde ein Polizeibeamter, der bei der Besetzung des Heizkraftwerks vor Ort war und das Einsatzprotokoll verfasst hatte, befragt. Dazu die Leiterin der juristischen Abteilung der Stadtwerke und ein Augenzeuge, der privat vor Ort gewesen war.

Aus deren Aussagen ging hervor, dass bei der Aktion nicht alle Aktivist:innen identifiziert werden konnten, etwa wegen fehlender Ausweise und verhüllten und bemalten Gesichtern. Von den zwei Aktivist:innen, die sich auf dem Dach aufgehalten hatten, konnten die Personalien nicht festgestellt werden. Von den drei Angeklagten schon, wobei sich zwei von ihnen laut mehreren Zeugenaussagen während der Aktion außerhalb des Betriebsgeländes befanden. Eine eindeutige Zeugenaussage dazu, ob die dritte Angeklagte auf dem Schornstein war, gab es nicht.

Da die Strafanzeigen der Stadtwerke deutlich gegen die Aktivist:innen auf dem Betriebsgelände formuliert waren, musste die Anklage gegen zwei Beschuldigte mit der Begründung eines sogenannten Verfahrenshindernisses fallen gelassen werden. Für eine eindeutige Zuordnung der dritten Angeklagten hätte es weitere Zeugenvernehmungen gebraucht. Der Staatsanwalt schlug allerdings einen sogenannten Opportunitätsantrag vor, dem der Richter stattgab. Damit wurde auch gegen die dritte Angeklagte das Verfahren eingestellt, sofern sie innerhalb von drei Monaten 150 Euro an eine gemeinnützige Organisation zahlt. Die Angeklagte stimmte zu und kündigte an, das Geld an die Greifswalder Succow-Stiftung zahlen zu wollen.

Angeklagte und die Stadtwerke als klagende Partei haben nach Aussage der Staatsanwaltschaft kein Recht auf Revision. Die Stadtwerke könnten jedoch noch zivilrechtlich gegen die Angeklagten vorgehen.

Über das Urteil hinaus

Der Fokus lag heute allerdings nicht nur auf der Protestaktion aus dem vergangenen Jahr. Die Aktivist:innen, ihre Unterstützer:innen und Teilnehmenden der Mahnwache vor dem Amtsgericht nutzten die Situation, um die aktuelle Lage einmal mehr anzuprangern. Die Gesellschaft subventioniere weiterhin fossile Energien und übernehme keine Verantwortung: „Wir klagen an, dass es durch das Festhalten an fossilen Energieträgern unmöglich wird, die Erderwärmung auf die notwendigen 1,5 Grad zu begrenzen“, äußerte sich einer der Angeklagten vor Gericht. Die aktuelle Politik missachte die Interessen jetziger und zukünftiger Generationen. Die Nutzung von Erdgas sei nicht nur klimaschädlich, sondern finanziere auch politische Akteure, die sich an Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen beteiligten. Damit sei nicht nur Russland gemeint, sondern auch Nord- und Südamerika, die Erdgas mittels Fracking gewinnen und weltweit exportieren. In Deutschland sei das verboten.

Im Abschlussplädoyer betonte der Staatsanwalt noch, dass bei der Besetzung des Heizkraftwerks kein sogenannter rechtfertigender Notstand vorgelegen habe. Die Angeklagten hätten alternativ zur Besetzung andere, legale Mittel finden können, auf die Problematik aufmerksam zu machen – über Petitionen, Streiks und Medien. Der Richter sagte in seiner Abschlusserklärung, dies sei einer der wenigen Fälle, in denen ein Strafverfahren wegen Hausfriedensbruchs eingestellt werde. Da aber zwei der Angeklagten eindeutig nicht diejenigen waren, die sich auf dem Dach und dem Schornstein befanden, und somit kein Strafantrag gegen sie existiere, gebe es keine andere rechtliche Möglichkeit. Die Kosten des Verfahrens trägt demnach der Staat.

Teilnehmer:innen der Mahnwache blieben bis zum Abschluss der Verhandlung vor dem Amtsgericht. (Foto: M. Rust)

Die Angeklagten zeigten sich nach der Urteilsverkündung zufrieden. Sie hätten auf genau diesen Ausgang gehofft. Die auferlegte Zahlung an die Succow-Stiftung wolle man sich solidarisch teilen, damit niemand alleine die Kosten tragen müsse.

Autor:innen

  • Bild von KATAPULT MV Redaktionsleiterin Martje Rust

    Redaktionsleitung

    Ist in Greifswald geboren, hat in Augsburg studiert und zog für den Lokaljournalismus wieder zurück nach MV.

  • Sophia Rockenmaier

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