Seit 1995 wird das ehemalige Kernkraftwerk „Bruno Leuschner“ in Lubmin bei Greifswald zurückgebaut. 6,6 Milliarden Euro sind dafür bisher veranschlagt worden – doch die werden nicht reichen. Der Rückbau wird Jahrzehnte dauern und erfordert währenddessen sogar Neubauten. Sowohl für Angestellte und Besucher:innen als auch für sämtliches Material sind viele langwierige und kleinteilige Sicherheitsvorkehrungen unumgänglich – nicht nur wegen radioaktiver Partikel, sondern auch wegen Asbest.
„Es war nie geplant, diesen Komplex jemals wieder zurückzubauen“, erzählen die Mitarbeitenden des EWN, des Entsorgungswerks für Nuklearanlagen, bei unserem Besuch im stillgelegten Kernkraftwerk in Lubmin. Genau das ist jetzt aber ihre Aufgabe. Seit nunmehr 27 Jahren. Was sich hinter den meterdicken Betonmauern der Kraftwerksblöcke abspielt, bekommen nur wenige zu Gesicht.
Insgesamt arbeiten 875 Frauen und Männer daran, sowohl die radioaktiven als auch mit Asbest verseuchten Bestandteile in den Kraftwerksblöcken zu entsorgen und sicher zwischenzulagern, danach die Maschinenteile, Zwischenwände, Kabel, Rohre und Mauern nach und nach abzutragen und in palettengroßen Kisten aus dem sogenannten Kontrollbereich zu befördern. Alles muss in eine solche Kiste passen, wird entsprechend zerlegt und zerkleinert. Baustoffe, Metalle und Co. müssen sortenrein getrennt werden.
Um das überhaupt bewerkstelligen zu können, müssen die Angestellten täglich gut eine Stunde für das Durchlaufen der Sicherheitsschleusen, Kleiderwechsel und Duschen aufwenden. Wer in den Kontrollbereich will, muss sich sämtlicher eigener Kleidung entledigen und vor Ort bereitgestellte Unterwäsche, Overall, Schuhe, einen zusätzlichen Schutzanzug, Helm und Atemmaske anziehen. Nach dem Besuch oder der Arbeit wird alles entweder entsorgt oder speziell gereinigt. Vorschrift. Außerdem misst ein Dosimeter während des gesamten Aufenthalts die Strahlenbelastung. „Alles, was hier rein- oder rauswill, muss geprüft werden“, heißt es von den Verantwortlichen. Ob Mensch oder Material – für alles gibt es mehrere Sicherheitsschleusen auf dem Gelände.
Während des jahrzehntelangen Rückbaus sind ebenfalls Maßnahmen zur Instandhaltung nötig. So müssen parallel zur Beseitigung regelmäßig etwa Fassaden und Dächer der Werkshallen oder Lüftungsanlagen erneuert werden, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Für einen verbesserten Arbeitsablauf beim Rückbau wird sogar neu gebaut: In einer Zerlegehalle etwa sollen die noch vorhandenen besonders großen Teile aus den Blöcken, wie die Dampferzeuger und Reaktordruckbehälter, weiterbearbeitet und zerkleinert werden, damit die Blöcke selbst abgebaut werden können. Kosten allein dafür: rund 43 Millionen Euro.
Und so dauert es schließlich Jahrzehnte, bis ein Gebäudekomplex, der für die Ewigkeit gebaut wurde, nach und nach abgetragen und in Kisten verschwunden sein wird. Bis Ende der 2030er-Jahre soll der Rückbau weitgehend abgeschlossen sein. Ob die Zeit reicht, könne nicht in den noch vorhandenen Beton gemeißelt werden, wie es einer der Angestellten ausdrückt. Ebenso wenig, dass die anberaumten 6,6 Milliarden Euro ausreichen.
Die Angabe gilt für den gesamten Standort. Neben den Arbeiten in den Blöcken gibt es auch zahlreiche Aufgaben in Organisation und Verwaltung, etwa die Abstimmung mit Behörden.↩
Als Kontrollbereich bezeichnet man in einem Kernkraftwerk den Teil, in dem Personen ionisierender Strahlung ausgesetzt sein können, die oberhalb des Grenzwerts liegt.↩
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