Übersicht zum Anteil unkritischer Berichterstattung zur AfD in Mecklenburg-Vorpommern durch NDR, Ostsee-Zeitung und Nordkurier.
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Medienanalyse

Wie MVs Leitmedien die AfD normalisieren

Wie kritisch berichten Mecklenburg-Vorpommerns führende Medien über die AfD? Eine Auswertung von 85 Beiträgen zeigt: In acht von zehn Fällen bleibt die rechtsextreme Partei ohne klare Einordnung. Und die Chefredaktionen? Schweigen.
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MVs Medienlandschaft ist mit nur zwei Tageszeitungen – der Ostsee-Zeitung und dem Nordkurier – sowie dem öffentlich-rechtlichen Regionalangebot in Form des NDR MV dünn besiedelt. Trotzdem gelingt es den einzelnen Redaktionen, große Teile des Landes journalistisch in verschiedenen Formaten abzudecken. Anders aber bei der politischen Berichterstattung. Hier wird mit Blick auf die AfD deutlich: Die Leitmedien in Mecklenburg-Vorpommern tragen zur Normalisierung einer Partei bei, die in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg als gesichert rechtsextrem1 und in den übrigen zwölf Bundesländern als rechtsextremer Verdachtsfall gilt. Das beweist die Analyse von 85 Beiträgen zur AfD, die im September auf den Webseiten von NDR MV, OZ und Nordkurier veröffentlicht wurden. Das Ergebnis ist ernüchternd: Die Ostsee-Zeitung hat in knapp 71 Prozent ihrer Artikel zur AfD die rechtsextreme Partei nicht kritisch eingeordnet – gefolgt vom NDR mit 81 Prozent. Der Nordkurier – dessen Mediengruppe im Januar 2024 die Schweriner Volkszeitung (SVZ) übernommen hat2 – bildet das Schlusslicht: In 88 Prozent der analysierten Beiträge fehlt eine klare Einordnung und die AfD wird wie eine gewöhnliche demokratische Partei dargestellt.

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Kriterien von kritischer Einordnung

Bei der Analyse wurden Artikel, Video- und Audiobeiträge untersucht, die sich speziell mit der AfD, den Positionen der Partei oder deren Politiker:innen beschäftigen und zwischen dem 1. und 30. September online erschienen sind. Der Nordkurier hat im Untersuchungszeitraum 33 Beiträge zur AfD veröffentlicht, die diesen Kriterien entsprechen, gefolgt vom NDR (31) und der OZ (21).

Als kritisch einordnend gelten hierbei alle Beiträge, in denen die AfD als rechtsextremer Verdachtsfall benannt oder ihre antidemokratischen, rassistischen und extremistischen Tendenzen zumindest erwähnt wurden. Ein Beispiel für eine gelungene kritische Einordnung wurde am 12. September beim Nordkurier veröffentlicht – stammt allerdings von der Deutschen Presse-Agentur (DPA). Der Artikel beschäftigt sich mit Umfragewerten zu Manuela Schwesig und ihrer Partei SPD, thematisiert gleichzeitig jedoch auch die Einstufung der AfD vom Mai 2025 als gesichert rechtsextrem.3


Zur Erinnerung: Im Mai veröffentlichte das Bundesamt für Verfassungsschutz ein Gutachten, das auf 1.000 Seiten diese Einstufung rechtfertigt. Darin tauchen auch die Namen von 13 AfD-Politiker:innen aus MV auf, die zum Teil Mitglieder des hiesigen Landtags oder des Bundestags sind.4 Darunter auch der von Leif-Erik Holm, der als AfD-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl im September 2026 kandidiert.5 Holm wurde dennoch vom NDR zu diesbezüglichen Umfrageergebnissen interviewt. Die AfD liegt demnach mit 38 Prozent der Stimmen aktuell deutlich vorn. Dahinter liegen die SPD mit 19 Prozent, CDU (13), Linke (12), BSW (7), andere (6) und Grüne (5).6

Diese Umfrageergebnisse wurden ebenfalls von OZ und Nordkurier aufgegriffen und zu großen Teilen ohne Einordnung der AfD verbreitet. Das Problem: Die Form der sachlichen und neutralen Berichterstattung zur AfD trägt dazu bei, deren Positionen und Forderungen in die Gesellschaft zu tragen und zu normalisieren.7

Warum Einordnung unverzichtbar ist

Das bundesweite journalistische Netzwerk Neue deutsche Medienmacher:innen setzt sich für eine vielfältige und diskrimierungssensible Medienarbeit ein und hat eine klare Haltung: Eine falsch verstandene journalistische Neutralität berge die Gefahr, antidemokratische Akteur:innen als legitime politische Stimmen zu behandeln. Journalistische Ausgewogenheit bedeute nicht, extremistische und menschenfeindliche Positionen unkritisch und ohne Einordnung wiederzugeben.8 Eine ähnliche Position vertritt der Deutsche Journalistenverband (DJV). Beiträge der AfD dürften spätestens seit dem Verfassungsschutzgutachten nicht unkommentiert neben Beiträgen demokratischer Parteien stehen. Journalist:innen hätten die Pflicht, objektiv und kritisch über die rechtsextreme Partei und ihre Vorhaben zu berichten.9

Ein Beispiel dafür ist der Spiegel. Das Medienhaus hält die AfD für eine ernstzunehmende Gefahr für die demokratische Grundordnung und hat das Ziel, besonders reflektiert über sie zu berichten: Einordnung von Verbindungen, Aufklären von Unwahrheiten, kritische Begleitung, ohne die Sorgen und Ängste von potenziellen AfD-Wähler:innen zu ignorieren.10 Und auch die ARD hatte noch im Mai erklärt, in der politischen Berichterstattung darauf hinzuweisen, dass die AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde.11 Das Problem: Die AfD reichte Klage gegen diese Einstufung ein und bekam recht. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) darf die Partei vorerst nur als rechtsextremen Verdachtsfall führen. Das bedeutet jedoch nicht, dass das BfV von seiner Position zur die Menschenwürde missachtenden, extremistischen Prägung der Gesamtpartei abweicht.12

Aber welchen Standpunkt zur AfD-Berichterstattung vertreten MVs Leitmedien Ostsee-Zeitung, Nordkurier und NDR?

Die Chefredaktionen schweigen

Um das herauszufinden, haben wir den Chefredaktionen Fragen zukommen lassen. Darin haben wir unter anderem gefragt, wie sichergestellt wird, dass zwar über die AfD berichtet, gleichzeitig aber ihre Einstufung durch den Verfassungsschutz ausreichend thematisiert wird. Weiterhin haben wir gefragt, welche Leitlinien es innerhalb der Medienhäuser gibt, um Narrative der Partei kritisch einzuordnen, um eine unkommentierte Verbreitung zu verhindern. Abschließend wollten wir wissen, welche Verantwortung MVs drei Leitmedien sehen, nicht nur über die AfD zu berichten, sondern auch aktiv zur Einordnung ihrer Positionen zu demokratischen Grundwerten beizutragen.


Bis Redaktionsschluss ließen alle Chefredaktionen unsere Anfrage unbeantwortet. Es bleibt unklar, ob die Medien aus Unsicherheit im Umgang mit der AfD, Sorge vor dem Verprellen von Leser:innen oder dem Anspruch vermeintlicher Neutralität zu großen Teilen unkritisch mit der Partei umgehen.

Laut dem Politikwissenschaftler Cord Schmelzle brauche es „normalisierungsbewussten Journalismus“, der basierend auf fünf Empfehlungen möglich sei. Dazu gehöre es, die Ideologie und das Demokratieverständnis radikaler rechter Parteien einzuordnen sowie Themen eigenständig zu setzen – ohne sich von Parteien Schwerpunkte diktieren zu lassen. Weiterhin solle auf die Übernahme rechter Narrative verzichtet werden. Das sei am besten in Formaten möglich, die eine echte journalistische Auseinandersetzung zulassen. Insbesondere in Zeiten von Social-Media-Plattformen, die von Algorithmen und Oligarchen kontrolliert werden, sei es außerdem wichtig, dass Medien ihre Orientierungsfunktion nicht aufgeben.13

Was das für MV bedeutet

Wenn die Leitmedien im Land unkritisch über die AfD berichten, kann das zur schleichenden Normalisierung einer Partei beitragen, die alle Möglichkeiten der Demokratie nutzt, um offen gegen demokratische Grundwerte zu agieren. Journalistische Zurückhaltung wird so zum Verstärker rechtsextremer Narrative – besonders in einem Bundesland mit anstehender Landtagswahl, in dem die AfD derzeit stärkste politische Kraft ist. Eine normalisierungsbewusste Berichterstattung ist daher unverzichtbar.

Dennoch haben NDR, OZ und Nordkurier in 81 Prozent der untersuchten Beiträge unkritisch über die AfD berichtet. Bleibt diese Einordnung aus, kann leicht der Eindruck entstehen, die Partei verkörpere eine legitime, eine demokratische Haltung.

  1. Die Zeit (Hg.): Was bedeutet das Gutachten zur AfD in Brandenburg, auf: zeit.de (14.8.2025). ↩︎
  2. NDR (Hg.): „Nordkurier“-Mediengruppe übernimmt „Schweriner Volkszeitung“, auf: ndr.de (9.1.2024). ↩︎
  3. Nordkurier (Hg.): Wahljahr im Blick – Schwesig will Regierungschefin bleiben, auf: nordkurier.de (12.9.2025). ↩︎
  4. Blöß, Louise; Zillmann, Erik T.: Wie MVs AfD-Mitglieder zur rechtsextremen Einstufung beitragen, auf: katapult-mv.de (20.5.2025). ↩︎
  5. NDR MV (Hg.): 88 Prozent für Holm: AfD-Landeschef fordert Schwesig heraus, auf: ndr.de (20.9.2025). ↩︎
  6. Infratest Dimap (Hg.): Mecklenburg-Vorpommern-Trend September 2025, auf: infratest-dimap.de. ↩︎
  7. Blümel, Corinna: Das Dilemma der Normalisierung verstehen, auf: journal-nrw.de (25.7.2025). ↩︎
  8. Neue deutsche Medienmacher*innen (Hg.): Verantwortung der Medien, auf: medienmacher.de (6.2.2025). ↩︎
  9. Deutscher Journalisten-Verband (Hg.): Umgang der Medien mit AfD muss sich ändern, auf: djv.de (2.5.2025). ↩︎
  10. Kurbjuweit, Dirk: Wie umgehen mit der Gefahr von rechts?, auf: spiegel.de (17.7.2025). ↩︎
  11. EPD Medien (Hg.): Debatte über journalistischen Umgang mit der AfD, auf: medien.epd.de (6.5.2025). ↩︎
  12. Tagesschau (Hg.): Verfassungsschutz setzt AfD-Einstufung vorerst aus, auf: tagesschau.de (8.5.2025). ↩︎
  13. Schmelzle, Cord: Wie die Medien jetzt mit der AfD umgehen sollten, auf: spiegel.de (9.5.2025). ↩︎

Autor:in

  • Chefredakteur

    Geboren in Vorpommern, aufgewachsen in Mecklenburg. Einziger KATAPULT-Redakteur mit Traktorführerschein UND Fischereierlaubnis.

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