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Rückbau des Kernkraftwerks Lubmin

Zwischen Abfällen und Neubauten

Seit 1995 wird das ehemalige Kernkraftwerk in Lubmin zurückgebaut. Das dort befindliche über 25 Jahre alte Zwischenlager für radioaktive Abfälle muss nun nach neuesten Sicherheitsvorschriften überholt und erweitert werden. Wie lange der Standort noch als Überbrückungslösung gebraucht wird, ist offen.

Das Prinzip ist einfach: grüne Wiese. Sie soll nach dem Rückbau des ehemaligen Kernkraftwerks in Lubmin auf der Fläche (wieder) entstehen. Wie auch an den 24 anderen zum Teil noch betriebenen Standorten in Deutschland. In Lubmin dauert das mittlerweile 29 Jahre. Noch stehen die Blöcke. Im Innern sind Großkomponenten, wie Kernbrennstoffe und Dampferzeuger, aber schon ausgebaut.1

Das Foto zeigt die im Bau befindliche neue Zerlegehalle des Kernkraftwerks Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern). Hier sollen zukünftig große Teile zur besseren Dekontamination zerlegt werden.
Im Bau befindet sich derzeit eine neue Zerlegehalle. Darin sollen die noch vorhandenen besonders großen Teile aus den Kraftwerksblöcken zerkleinert werden, etwa die Dampferzeiger und Reaktordruckbehälter, damit sie schließlich weiter dekontaminiert werden können. 2025 soll die Halle in Betrieb gehen. Kosten: rund 43 Millionen Euro.

Einige Bestandteile konnten so weit gereinigt werden, dass sie keine Umweltbelastung mehr darstellen und die Anlage verlassen konnten, um weiterverkauft oder verschrottet zu werden. Die anderen strahlenden oder radioaktiv kontaminierten Materialien sind in einer Lagerhalle auf dem Betriebsgelände abgeschirmt verstaut – dem Zwischenlager Nord.

Es ist die einzige Lagerungsmöglichkeit für radioaktive Abfälle in Ostdeutschland.2

Das Foto zeigt einen Mitarbeiter, der durch das Zwischenlager Lubmin unweit des Kernkraftwerks Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) läuft.
Im Zwischenlager werden auf einer Fläche von 20.000 Quadratmetern leicht- bis hochradioaktive Stoffe verwahrt. Es ist zu 70 Prozent ausgelastet.

Endlager dringend gesucht

Das Gebäude ist etwa 20.000 Quadratmeter groß und besteht aus acht Hallen. In Halle eins bis sieben lagern Fässer und größere Bauteile aus Blöcken mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen – nicht nur vom Standort Lubmin, sondern auch aus Rheinsberg, einer weiteren ehemaligen Anlage des Volkseigenen Kombinats der Kernkraftwerke der DDR.
Außerdem befinden sich im Zwischenlager die Landessammelstellen von MV und Brandenburg für radioaktive Stoffe aus Medizin und Forschung. Wie viel Kapazität dieser Bereich ausmache, könne das Betreiberunternehmen EWN nicht sagen. Das Zwischenlager ist aber aktuell zu 70 Prozent ausgelastet.3
Ab 2029 soll der Großteil aller schwach- und mittelradioaktiven Abfälle ins Endlager Schacht Konrad, ein ehemaliges Eisenerzbergwerk nahe Salzgitter, gebracht werden.

Das Foto zeigt Atommüllfässer im Inneren eines Containers im Zwischenlager Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern).
Hier befinden sich zudem die Landessammelstelle für radioaktive Abfälle von MV und Brandenburg. Daher kommt auch Material aus der Medizin und dem Forschungsbereich nach Lubmin.

Für die hochradioaktiven Abfälle wird derzeit noch ein Endlager gesucht. Bis dahin sind sie in Lubmin in Halle acht des Zwischenlagers deponiert. In Castorbehältern aufbewahrt lagern dort Brennstäbe, sogenannte Glaskokillen als Füllbehältnisse für abgebrannte Kernbrennelemente und aktivierte, also strahlende Reaktorbauteile – nicht nur aus Lubmin und Rheinsberg, sondern auch aus Karlsruhe.4 Letztere lagern hier und nicht etwa in näher gelegenen Zwischenlagern in Baden-Württemberg oder Hessen, weil die Standorte Lubmin, Rheinsberg und Karlsruhe dem Bund gehören und zum Zeitpunkt der Einlagerung deren radioaktive Abfälle nicht in einem Zwischenlager von Privatunternehmen eingelagert werden durften. Als einzige Möglichkeit blieb Lubmin.

Das Foto zeigt zwei Behälter mit den Resten eines zerlegten Kabels. Auf der linken Seite ist das zerschredderte Isoliermaterial, auf der rechten Seite das zerschredderte Metall zu sehen.
In der Kabelgranulieranlage werden im Kraftwerk genutzte Kabel zerlegt und dekontaminiert. Getrennt werden der kontaminierte Kabelmantel und der Rest, anschließend wir das Kabel in Isoliermaterial und Metall zerlegt. Auch das geschredderte Metall kann so weiterverarbeitet werden.

Aus demselben Grund befindet sich in der Halle noch weiteres hochradioaktives Material aus Bundeseigentum: Teile des zerlegten ehemaligen Frachtschiffs Otto Hahn. Es wurde nuklear betrieben und war von 1964 bis 1979 im Einsatz.

Insgesamt 74 Castorbehälter lagern laut EWN in Halle acht. Und sie bleiben so lange dort, bis auch für sie ein Endlager gefunden ist. Die Suche läuft bundesweit. Im Grunde schon seit den Siebzigerjahren.5 Und andauern wird sie definitiv noch mehrere Generationen. Und Legislaturperioden.

Das Foto zeigt eine Zerlegekabine im Kernkraftwerk Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern). Hier werden größere Teile zugeschnitten, damit sie besser dekontaminiert werden können.
In der Zentralen Aktiven Werkstatt (ZAW) müssen größere Teile erst zugeschnitten werden, bevor sie weiter dekontaminiert werden können. Das geschieht in einer solchen Zerlegekabine.
Das Foto zeigt einen Mitarbeiter des Kernkraftwerks Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) auf einem Gabelstapler in der Trockenstrahlhalle. Hier werden Bauteile mit Eisengranulat dekontaminiert.
In der Trockenstrahlhalle reinigen die Mitarbeitenden die Bauteile mit Eisengranulat. Nach der Bearbeitung ist nur das Granulat kontaminiert, das Bauteil kann nach einer Freimessung wiederverwendet werden.
Auf dem Foto ist ein Mitarbeiter des Kernkraftwerks Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) zu sehen, der mit einem Hochdruckreiniger Bauteile dekontaminiert.
In den Wasserstrahlkabinen werden die radioaktiven Partikel bei einem Wasserdruck von 3.000 bar mittels Hochdruckreiniger gesäubert.
Das Foto zeigt getrocknete Schadstoffe in einem Atommüllfass im Kernkraftwerk Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern).
Nach der Wasserstrahlbehandlung wird das kontaminierte Wasser gesondert aufgefangen. Die restlichen trockenen Schadstoffe werden in Atommüllfässer gefüllt und ins Zwischenlager gebracht.
Das Foto zeigt ein Labor im Kernkraftwerk Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern). Hier werden Proben dekontaminierter Stoffe geprüft, bevor sie freigegeben werden.
Proben aller bearbeiteten Stoffe werden im Labor noch einmal geprüft.

„Für ein Menschenleben ist schon ein Zwischenlager ein Endlager“

Noch gibt es keinen tiefenbiologisch einwandfreien Standort, der sich für die vorgeschriebene Lagerdauer eignet. Ziel ist es, das Endlager für 100 Millionen Jahre sicher anzulegen. Aber: Man wolle sich vorbehalten, auch noch bis zu 500 Jahre nach Verschluss an das Material heranzukommen. Aus sicherheits-, ethischen und wirtschaftlichen Gründen, heißt es im Abschlussbericht des Arbeitskreises Auswahlverfahren Endlagersuche.6

Die geplante Entscheidung für einen Endlagerstandort war ursprünglich für 2031 vorgesehen, wurde dann aber auf „im günstigsten Fall 2046 und im ungünstigsten Fall 2068“ verschoben. Und damit soll erst die Entscheidung fallen. Mit einem betriebsbereiten Endlager sei laut Expert:innen „realistisch nicht vor dem Jahr 2080 zu rechnen“.7 Für ein Menschenleben sei daher schon ein Zwischenlager ein Endlager, kommentiert der Pressesprecher von EWN, Kurt Radloff, beim Besuch der Anlage Anfang 2023.

Eine Ersatzlösung für die Zwischenlösung

So lange müssten die Zwischenlager eben auch instand gehalten werden. Dabei stoßen die Betreiberfirmen mit jeder neuen Wahlperiode und neuen Sicherheitsauflagen an neue Grenzen. Ausgehend von den Terroranschlägen 2001 wurden die Anforderungen für die Lagerung radioaktiver Abfälle wegen möglicher Angriffe zehn Jahre später verschärft. In Lubmin kann die Halle acht mit dem hochradioaktiven Material nach Angaben von EWN jedoch nicht nach diesen Auflagen umgerüstet werden. Somit ist nach wie vor ein Neubau nötig – das Ersatztransportbehälterlager, kurz Estral. Wie teuer das Projekt wird, könne derzeit noch nicht gesagt werden.

Die neue Lagerstätte soll ebenfalls auf dem Betriebsgelände errichtet werden. Da sie ausschließlich die 74 Castorbehälter aus Halle acht aufnehmen soll, wird sie deutlich kleiner als das bisherige Gebäude – insgesamt rund 7.000 Quadratmeter. Verstärkt mit 1,80 Meter dicken Mauern aus Stahlbeton.8

Rechtliche Vorgaben sind überholt

Das dazugehörige Genehmigungsverfahren läuft aktuell noch. Mehr als 200 Personen und Organisationen hatten im Zuge dessen bereits Einwände gegen das Projekt eingereicht, darunter viele Anwohner:innen und der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Dessen Kritik richtet sich insbesondere gegen die Konzeption der Anlage vor dem Hintergrund der in immer fernere Zukunft rückenden Inbetriebnahme eines Endlagers. Daher werde eine Zwischenlagerung in Lubmin bis zum Ende des Jahrhunderts notwendig sein, so der BUND-Landesverband.9 Eine Lagergenehmigung gebe es aber lediglich für 40 Jahre ab Verschluss der Behälter: „Die aktuellen Sicherheitseinrichtungen sind nicht auf diesen langen Zeitraum ausgelegt.“

Tatsächlich stehen derzeit alle 16 Zwischenlager in Deutschland vor dieser Herausforderung. Die im Atomgesetz verankerte Vorgabe einer maximal 40-jährigen Genehmigung der Lagerung hochradioaktiver Abfälle gilt selbst unter Expert:innen als überholt.10 Schon allein vor dem Hintergrund, dass die Frist für einige Einrichtungen bereits in zehn Jahren ausläuft, bis 2080 jedoch definitiv für alle.11 Daher arbeiten Behörden und Forschungseinrichtungen gemeinsam mit den betroffenen Unternehmen an neuen Regelwerken und Prüfmaßstäben, um die Betriebsfähigkeit der Zwischenlager verlängern zu können. Ausgang: offen.

Inbetriebnahme frühestens Anfang der 2030er-Jahre

An der neuen Lagerstätte in Lubmin entzündete sich aber noch weitere Kritik: So fehlten laut BUND bei den Planungen wichtige Bestandteile, etwa eine Reparatureinheit für defekte Castoren. Laut EWN dagegen existiert sehr wohl ein Reparaturkonzept für den Neubau, und es erfordere kein Öffnen der Castorendeckel.

Alle Kritikpunkte wurden bei einem Vor-Ort-Termin im November 2022 besprochen. Nun prüft das Bundesamt für die Sicherung der nuklearen Entsorgung die Unterlagen. Frühestens Anfang der 2030er Jahre soll das neue Zwischenlager in Betrieb gehen.

Wann ein Endlager für diese Castoren gefunden ist, will niemand mutmaßen. Aber, so Sprecher Radloff, „für die Generation der heute 30- bis 40-Jährigen ist es schon deutlich unwahrscheinlicher, die Inbetriebnahme zu erleben“. Deshalb sei es umso dringender, auch die nachfolgenden Generationen für die Problematik des Atommülls und dessen sicherer Lagerung zu sensibilisieren. Es haben bereits viele Generationen an dem Problem geforscht und gearbeitet. Nun muss sich auch die künftige Gesellschaft damit auseinandersetzen – zwangsläufig.

Dieser Artikel erschien in KATAPULT-MV-Ausgabe 18. Er wurde am 5. November aktualisiert.

  1. Wie der Rückbau innerhalb der Kraftwerksblöcke aussieht, erfahrt ihr in der Fotoserie Wie ein Kraftwerk in Kisten verschwindet. ↩︎
  2. Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Hg.): Hochradioaktive Abfälle in Deutschland – Zwischenlagerung und Entstehung, auf: base.bund.de (Stand 1.12.2022). ↩︎
  3. Telefonat mit EWN am 5.11.2024. ↩︎
  4. Das radioaktive Material aus Karlsruhe stammt zum einen aus einer ehemaligen Wiederaufbereitungsanlage für Brennstäbe, zum anderen aus einem Reaktor. ↩︎
  5. Bundesgesellschaft für Endlagerung (Hg.): Geschichte der Endlagersuche, auf: bge.de. ↩︎
  6. Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagersuche (Hg.): Auswahlverfahren für Endlagerstandorte, S. 30 (2002). ↩︎
  7. Leidinger, Tobias: Verlängerte Zwischenlagerung in Deutschland – Handlungsbedarf auf allen Ebenen, in: International Journal of Nuclear Power, Ausgabe 2, S. 48 (März 2023). ↩︎
  8. Entsorgungswerk für Nuklearanlagen (Hg.): Estral. Unser Zwischenlager für Castor-Behälter, auf: ewn-gmbh.de (Juli 2021). ↩︎
  9. BUND-Landesverband MV (Hg.): Sicherere Atommüll-Zwischenlagerung jetzt!, auf: bund-mecklenburg-vorpommern.de. ↩︎
  10. Leidinger 2023, S. 48. ↩︎
  11. Am Standort Lubmin wurde der erste Castorbehälter 1996 verschlossen, der letzte 2011. ↩︎

Autor:in

  • Bild von KATAPULT MV Redaktionsleiterin Martje Rust

    Redaktionsleitung

    Ist in Greifswald geboren, hat in Augsburg studiert und zog für den Lokaljournalismus wieder zurück nach MV.

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