„Hammerskins“-Verbot

Waffen und Sprengstoff bei Neonazis gefunden

Nach dem Verbot der Neonazi-Vereinigung „Hammerskins“ und den darauffolgenden Razzien in zehn Bundesländern sind die Beamten auch in MV fündig geworden: Bei führenden Mitgliedern wurden unter anderem Waffen und Sprengstoff entdeckt. Die Frage, ob die Aktionen der organisierten Szene tatsächlich Schaden zufügt, bleibt jedoch.

In zehn Bundesländern wurden am Dienstag Razzien bei 28 mutmaßlichen Führungspersonen der Neonazi-Gruppierung Hammerskins Deutschland durchgeführt. In Mecklenburg-Vorpommern standen für die Ermittler:innen des Landeskriminalamts die Wohn- und Geschäftsgebäude des bundesweit bekannten Neonazis und Abrissunternehmers Sven Krüger aus Jamel im Fokus. 135 Beamt:innen, darunter Spezialeinheiten wie das SEK, durchsuchten insgesamt fünf Objekte in dem Ort Jamel im Landkreis Nordwestmecklenburg, das sogenannte Thinghaus in Grevesmühlen und weitere Gebäude im Landkreis Vorpommern-Greifswald, in Zempin auf der Insel Usedom und in Salchow bei Anklam. Fast 60 SEK-Einsatzkräfte waren allein bei Krüger im Einsatz. In Zempin fanden nach Angaben der Rechercheplattform Exif Durchsuchungen bei Robert L. statt, in Salchow bei Hammerskin Heiko S.

Festgenommen wurde laut Innenministerium gestern niemand. Jedoch ist auf Filmaufnahmen des NDR zu sehen, wie die Polizei Krüger zeitweise Handschellen anlegte.

Wie die Schweriner Behörde am Dienstagabend mitteilte, wurden bei den Razzien aufgrund des vom Bundesinnenministerium beschlossenen Verbots der rechtsextremistischen Vereinigung Hammerskins Deutschland in MV auch Waffen und Sprengstoff gefunden. Man habe in Jamel, Salchow und Zempin neben einem vierstelligen Betrag Bargeld zweimal Sprengstoff, mehrere Langwaffen, mehrere Kleinkaliberwaffen, eine Armbrust und mehrere Dolche, scharfe Munition sowie Übungsmunition entdeckt. Dazu beschlagnahmten die LKA-Ermittler eine Vielzahl an rechtsextremistischen Devotionalien, Propagandamaterial, CDs und Technik.

Innenminister Christian Pegel (SPD) sprach gegenüber dem NDR darüber hinaus auch von einer „vermutlich bisher für uns nicht so offensichtlich gewesenen Vereinsunterkunft im östlichen Landesteil“. Die Räumlichkeit sei „leergeräumt und versiegelt“ worden, gab das Innenministerium an. Bis Ende der Woche wolle man jetzt alles sortieren und schauen, ob sich „weitere strafrechtliche Verfahren“ daraus ergeben, so Pegel.

Laut dem Innenministerium war Mecklenburg-Vorpommern ein Schwerpunkt der bundesweiten Razzien gegen die Hammerskins.

Mehr zum Waffenbesitz von Sven Krüger:

Gefährderansprachen nur in MV

Daneben führte das LKA in Mecklenburg-Vorpommern als einzigem Bundesland 13 sogenannte Gefährderansprachen in der rechten Szene durch. Dabei werden potenziell gefährliche Personen von der Polizei gezielt angesprochen und aufgefordert, Störungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu unterlassen. „So schaffen wir eine ganzheitliche Ansprache in unserem Bundesland in Bezug auf die politisch motivierte Kriminalität der Rechtsextremisten“, erklärte Innenminister Pegel. Wer von den Ansprachen betroffen war, wollte das Ministerium auf Nachfrage nicht sagen. Datenschutzrechtliche Gründe sprächen dagegen, so eine Sprecherin.

Wie viel Schaden nimmt die Szene?

Beobachter:innen stellen sich vor dem Hintergrund der Durchsuchungen in MV die Frage, ob der Umfang des Einsatzes von Bundes- und Landespolizei ausreichte. So kommentiert etwa die Recherchegruppe AST auf X (vormals Twitter), ihrer Ansicht nach seien „in zu wenig Objekten in Nordwestmecklenburg Durchsuchungen durchgeführt“ worden. Es bleibe die Frage, „warum Jamel und andere Objekte nicht“. Ähnlich argumentiert auch die Opferberatungsstelle Lobbi MV. So scheinen die Durchsuchungen vor dem Hintergrund der Ergebnisse einer Exif-Recherche zu den Hammerskins von 2021 zwar überfällig gewesen zu sein. Doch es wurden auch einige Orte nicht durchsucht, die mit Hammerskins in Verbindung stehen. Das lasse die Frage offen, wie stark die Szene am Ende von den Aktionen getroffen ist. Das Innenministerium wollte diese Überlegungen auf Nachfrage nicht kommentieren und verwies auf das Bundesinnenministerium. 

Dieses erklärte seinerseits, zu Entscheidungen auf Landesebene keine Auskunft geben zu können. Eine mögliche Erklärung sei jedoch, dass bundesweit „lediglich“ 28 Führungspersonen und die ihnen zugehörigen Gebäude und Liegenschaften das Ziel waren. Das seien noch „lange nicht alle Mitglieder der Hammerskins“.

Hammerskins schon 30 Jahre in Deutschland aktiv

Zudem stellt sich die Frage, warum die Gruppierung erst jetzt verboten wurde. Die Hammerskins sind in Deutschland seit den frühen Neunzigerjahren aktiv und als kriminell, rassistisch und äußerst gewaltbereit bekannt, agieren jedoch zumeist im Hintergrund. Bundesweit sollen sie etwa 130 Mitglieder haben. Insbesondere auf rechten Musikveranstaltungen und in der Kampfsportszene agieren sie als Strippenzieher und Organisatoren. Auch in Mecklenburg-Vorpommern nahmen führende Mitglieder beispielsweise an Corona-Demonstrationen in Rostock und den Protesten gegen die Geflüchtetenunterkünft in Upahl teil und riefen zur Teilnahme am Protest bei einer Kreistagssitzung in Grevesmühlen auf, die schließlich eskalierte.

Die von den Jusos der SPD gegründete Initiative gegen Rechtsextremismus, Endstation Rechts, teilt die Kritik vieler Expert:innen, die das Vorgehen gegen die Hammerskins als verspätet ansehen. Einige Strukturen bestünden teilweise seit Jahrzehnten. Und auch, dass Sven Krüger dem Führungszirkel zugerechnet wird, sei keine neue Erkenntnis, kommentiert Oliver Kreuzfeld von Endstation Rechts auf Nachfrage. In den letzten Jahren seien die Besucherzahlen von Rechtsrock-Festivals und rechtsextremen Kampfsportveranstaltungen zum Teil stark gestiegen und hätten damit auch zu einer stärkeren öffentlichen Wahrnehmung geführt. „Das sind Bereiche, in denen auch Hammerskins ihre Finger mit im Spiel hatten. Womöglich hat diese Entwicklung auch bei den Sicherheitsbehörden dazu geführt, das Vorgehen gegen diese Gruppe zu intensivieren“, urteilt Kreuzfeld.

In MV gibt es neben regionalen Untergliederungen zwei sogenannte Chapter der Hammerskins: eins in Mecklenburg und eins in Vorpommern. Die als Anwerbeorganisation bekannte Teilorganisation Crew 38 wurde nun ebenfalls verboten. Ebenso verboten ist ab sofort auch das Symbol der Gruppierung: zwei gekreuzte Hämmer.

Die Gruppe ist ein Ableger der rechtsextremistischen und als gewaltbereit bekannten Hammerskins-Vereinigung aus den USA, der mehrere Morde und Terroranschläge zur Last gelegt werden. Das Verbot durch das Bundesinnenministerium wurde aufgrund dieser Verbindungen ein Jahr lang von Bund und Ländern zusammen mit US-amerikanischen Sicherheitsbehörden vorbereitet. Mit dem Verbot der Hammerskins und ihrer regionalen Ableger sind damit 20 rechtsextreme Vereinigungen in Deutschland illegal. Zuvor wurden unter anderem die Gruppierungen Combat 18,Nordadler sowie 2021 Nationale Sozialisten Rostock und Baltik Korps verboten.

Mehr zum Thema in unserer dreiteiligen Serie „Das Nazidorf“:

Quellen

  1. NDR (Hg.): „Hammerskins“-Verbot: Waffenfund bei Durchsuchungen in MV, auf: ndr.de (19.9.2023).
  2. Exif (Hg.): „Hammerskin Nation“ in Deutschland verboten, auf: exif-recherche.org (19.9.2023).
  3. E-Mail des Ministeriums für Inneres, Bau und Digitalisierung MV vom 20.9.2023.
  4. NDR (Hg.): Razzia bei „Hammerskins“: Was ist bisher bekannt, auf: ndr.de (19.9.2023).
  5. Innenministerium MV (Hg.): Vereinsverbot in MV: Waffen und Sprengstoff beschlagnahmt, auf: regierung-mv.de (19.9.2023).
  6. NDR (Hg.): „Hammerskins“-Verbot: Waffenfund bei Durchsuchungen in MV, auf: ndr.de (19.9.2023).
  7. @AST_Westmeckl: Beitrag vom 19.9.2023, 14:19 Uhr, auf: twitter.com.
  8. Telefonat mit Lobbi MV am 20.9.2023.
  9. Telefonat mit dem Bundesministerium des Innern und für Heimat am 20.9.2023.
  10. Bundesinnenministerium (Hg.): Bundesinnenministerin Nancy Faeser verbietet Neonazi-Vereinigung „Hammerskins Deutschland“, auf: bmi.bund.de (19.9.2023).
  11. Exif (Hg.): „Hammerskin Nation“ in Deutschland verboten, auf: exif-recherche.org (19.9.2023).

Autor:innen

  • Stralsund-Redakteurin

  • Redakteurin in Greifswald

    Geboren in Berlin, aufgewachsen in Berlin und Brandenburg. Tauschte zum Studieren freiwillig Metropole gegen Metropölchen.