Insolvenz-Transparenz

Wie kam es zur Zahlungsunfähigkeit von KATAPULT?

Was schieflief, welche Entscheidungen falsch waren und von welchen Projekten wir uns verabschieden.

Telefon klingelt. Ich bin auf der Fähre. Die Verbindung ist schlecht. Unsere relativ neue Geschäftsführerin Nasrin gibt mir die Info durch, dass die Deutsche Post angerufen hat. Wir haben eine 72.000-Euro-Rechnung für Versandkosten noch nicht gezahlt. Sie fragt, wie wir reagieren wollen. Auf unserem Konto sind 80.000 Euro. Eigentlich genug. Das Problem: Die KATAPULT-Nettogehälter müssen in der gleichen Woche raus. Betrag: 75.000 Euro.

„Was machen wir?“, fragt Nasrin. Ich antworte, dass wir die Post auf vorerst 30.000 Euro vertrösten, unsere Gehälter zur Hälfte zahlen und den Rest verspätet abstottern. Nasrin versucht es. Vergeblich. Am Telefon sagt eine ernste Post-Stimme: „Frau Morgan, sind Sie insolvent oder nicht? Wenn Sie jetzt nicht zahlen, müssen Sie sich insolvent melden!“

Nasrin antwortet: „Wir können das zahlen“, wissend, dass es nun eng wird und dass wir diese Entscheidung auf dem Rücken unserer Mitarbeitenden austragen werden – weil es anders nicht geht.

Sie wird diese Situation mit dem KATAPULT-Team besprechen müssen, sie wird den Leuten sagen müssen, dass wir diesen Monat erst mal kein Gehalt haben. Eine bedrückende Situation. Das Überraschende: Die Mitarbeitenden vertrauen ihr. Sie werden später sagen, wie klar und professionell Nasrin das alles rübergebracht hat. Die meisten sind beruhigt.

Wir vereinbaren, dass sich diejenigen bei ihr melden, die das Gehalt dringend brauchen und den Engpass nicht überbrücken können. Sie sind dann die ersten, die ihr Geld bekommen.

Diese Szene ist der Endpunkt einer längeren Krisengeschichte. Genau genommen beginnt die Abwärtsbewegung bei KATAPULT im Herbst 2022: Die Aboaktionen, die sonst einen guten Teil unserer Lesenden von einem Kauf überzeugt haben, zünden nicht mehr. Die Druckpreise verdoppeln sich. Wir zahlen für den Druck unseres Magazins auf einmal 80.000 statt 40.000 Euro. Ich lehne aber jede Abo-Preiserhöhung ab. Das Magazin sollen sich auch Studierende und Arbeitslose leisten können, das war immer unsere Auffassung. Preiserhöhung ist mir außerdem zu unkreativ, um die Kosten zu kompensieren, das will ich nicht, uns fällt was Besseres ein. Später stellt sich raus, dass ich falschlag.

Die Leitungsrunde von KATAPULT trifft sich immer öfter. Eine Krise nach der anderen. Wir suchen neue Einnahmequellen, schließen unser Café, und sparen. Wir organisieren unser Festival zu 80 Prozent allein (es wird dadurch sogar besser). Nasrin vergräbt sich in den Unternehmensdaten und entwirft einen Plan, mit dem wir 300.000 Euro pro Jahr sparen. Ohne Kündigungen für die Redaktion.

Das Café war eigentlich chronisch im Minus, weil wir nicht öffnen durften. Warum? Lüftungsanlage der Küche wurde nicht geliefert. 6.000 bis 10.000 Euro Verlust jeden Monat. Das Café ist unternehmerisch beim Buchverlag angesiedelt. Dazu kommt, dass auch der Buchverlag immer öfter Minus gemacht hat. Manche Monate um die 20.000 Euro. Das Problem ist, wir haben zu spät reagiert. Das alles hätte viel früher gestoppt werden müssen.

Der Buchverlag ist alleine nicht überlebensfähig. Und das hat nicht nur mit dem Verlegen von Büchern zu tun. Denn wir haben mit dem Verlag auch unser Redaktionsgebäude gekauft. Erwerb: 20.000 Euro. Renovierung: 2,2 Millionen Euro. Dachten wir zunächst. Dann kamen die Rohstoffpreisexplosion durch Corona und den Krieg und ein Teerfund im Fußboden des Hauses. Allein die Teer-Entsorgung kostete 100.000 Euro. Am Ende werden es 2,6 Millionen Euro für die Renovierung.

Der Verlag ist hier also das Scharnier für alles. Er hat die Verluste aus dem Festival 2022 und aus Café Karsten getragen, er hat das Grundstück gekauft, er hat eine Schule umgebaut, er hat den Kredit aufgenommen und tilgt jeden Monat 15.500 Euro vom Baukredit. Wenn nun also die Geschäfte im Verlag schlecht laufen sollten, dann haben wir ein Problem. Was passiert? Die Geschäfte laufen schlecht. Scheiße.

Die Druckpreisverdopplung trifft den Buchverlag noch viel mehr als das Magazin. Bücher sind teurer in der Produktion. Erst wenn wir von einem Buch eine gewisse Stückzahl verkaufen, kommen wir ins Plus. Durch die Kostenerhöhung hat sich diese Zahl etwa verdoppelt. Die Produktion eines Buches kostet etwa:

– Beispielrechnung fürs neue Gamingbuch mit den Rocket Beans –

Auflage: 10.000 ExemplareDruckkosten: 36.600 EuroLadenpreis: 28 EuroNettoladenpreis: 26,17 EuroGewinnschwelle ohne Gehälter: 2.800 verkaufte ExemplareDiese Zahlen gelten für dieses konkrete Buch. Insgesamt haben wir 36 Titel verlegt. Davon haben es zwar 29 über diese Gewinnschwelle (ohne Einberechnung der Gehälter) geschafft. Rechnet man aber auch die Personalkosten dazu, sind nur noch 15 Titel rentabel. Das sind zu wenige. Der Buchverlag schreibt also Verluste, das Magazin macht etwa null, KATAPULT MV macht leicht Verlust und überraschenderweise macht KATAPULTU, das Projekt, für das wir mal am härtesten kritisiert wurden, plus. Etwa 12.000 Euro pro Monat. Ich war immer dafür, dass wir jedes einzelne Medium einzeln betrachten. Wenn es dann aber schlecht läuft, dann hilft man sich gegenseitig. Das geht gar nicht anders. Wir sitzen hier als Team jeden Tag nebeneinander.

Die KATAPULT-Medien unterliegen also einer gewissen Verflechtung. Das hat Vor- und Nachteile. Derzeit scheinen die Nachteile zu überwiegen.

Neuausrichtung Buchverlag

Der Verlag ist heute bereits umgebaut. Das Team wurde verkleinert. Wir haben Mitarbeitende ins Magazin gezogen. Wir drucken weniger Bücher pro Jahr, aber auch kleinere Auflagen. Wir konzentrieren uns auf nur noch sechs statt zwölf Bücher jährlich und haben dafür dann mehr Zeit für die Liebe, die ein Buch nun mal braucht, bevor es auf den Markt kommt.

Das ist ein Anfang. Es reicht aber noch nicht. Es gibt noch eine schmerzhaftere Entscheidung. Sie ist für mich, aber besonders für unseren Verleger Sebastian Wolter, unangenehm. Wir müssen uns von der Belletristik verabschieden. KATAPULT – das sind Karten, das sind Sachbücher. Wir können mit Daten und Statistiken. Aber polnische Romane? Sebastian und ich, wir haben sie geliebt, aber das reicht nicht aus, wir müssen jetzt machen, was zu KATAPULT passt. Bereits erschienene Bücher werden weiterhin ausgeliefert und betreut, begonnene Projekte vollenden wir noch. Aber wenn wir die nächsten Wochen überleben, dann sieht unser neues Profil so aus:

Der KATAPULT-Verlag macht:1. Kartenbücher!2. die neue Buchreihe „Politik für Desinteressierte“3. starke Kooperationen (bisher: Rocket Beans, Goldeimer, nachhaltig.kritisch)

Für die neue Reihe „Politik für Desinteressierte“ ist der erste Band bereits in Arbeit. Er heißt Schlägereien in Parlamenten. Das Goldeimer-Buch Kochen für den Arsch ist derzeit unser Bestseller und das Buch mit den Rocket Beans, 100 Karten über Gaming, ist das herzlichste, was wir je gemacht haben. Es erscheint diesen Freitag und ist voller Karten!

Wir haben den Verlag bereits umgebaut. Zu viele Projekte, zu viel Verzettelung. Diese Projekte sind derzeit auf dem Prüfstand: Journalismusschule, Café Karsten (suchen externe Betreiberin), Festival (muss das sein?). Die Fehler aus der Vergangenheit wirken aber bis heute nach. Dazu kommt: Seit letztem Jahr haben sich die Zinsen unserer Baukredite erhöht.

Manche Druckereien warten etwas länger auf unsere Zahlungen, manche Verhandlungen sind etwas hartnäckiger, manchmal ist unser Konto im Dispo, manchmal sind wir ganz hoffnungsvoll ein paar Tausender über null und manchmal ruft die Deutsche Post bei uns an und verlangt die sofortige Zahlung von 72.000 Euro.

Nasrin Morgan nimmt ab und macht ihren Job als neue Geschäftsführerin, so gut, wie es niemand anderes kann.

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