Am Ende der fünfstündigen Sitzung fasste es der SPD-Bundestagsabgeordnete Erik von Malottki zusammen: „In dieser Sitzung wurde mehr über bundespolitische Themen debattiert, die in der Lokalpolitik kaum änderbar sind, aber viel zu wenig um stadtinterne Belange“. Also das, was eigentlich der Kern einer Bürgerschaft sein sollte.
So ging es in einem der letzten Tagesordnungspunkte um die Pflege des Strandbads in Eldena, einem viel genutzten Ort für Anwohner:innen und Gäste. Angemeldete Wortbeiträge dazu: einer. Bei den Anträgen zu Cannabisclubs und dem Verbot geschlechtersensibler Sprache: fünf bis zehn.
Gendern verbieten – generisches Femininum nutzen
Die Bürgerschaftsfraktion Christlich Demokratische Konservative-IBG-AdbM reichte eine Beschlussvorlage ein, laut der Gendern in der schriftlichen und mündlichen Kommunikation der Verwaltung verboten werden soll. Konkret bezog sich der Antrag auf Empfehlungen des Rates für deutsche Rechtschreibung. Dieser hatte empfohlen, eine geschlechtergerechte Sprache ohne Sonderzeichen zu benutzen: „Bürger und Bürgerinnen“ statt „Bürger:innen“ beispielsweise. Im selben Atemzug wurde über einen Antrag der Fraktion Alternative ListeTierschutzPARTEI verhandelt. Dieser wollte das generische Femininum in der Verwaltung durchsetzen, also die ausschließliche Verwendung der femininen Form.
Der Leitfaden, den die Verwaltung aktuell nutzt, sei laut Oberbürgermeister Stefan Fassbinder (Grüne) nicht verpflichtend. Die Fraktionen der Grünen, SPD und Linke sprachen sich gegen Sprachverbote aus und wollten weder ein Verbot der Sonderzeichen, noch die Einführung des generischen Femininums unterstützen.
Brisant: Anja Hübner (Tierschutzpartei) zeigte sich enttäuscht von der mangelnden Kreativität der beantragenden Fraktion. So habe die Christlich Demokratische Konservative-IBG-AdbM ihren Antrag wortwörtlich aus vorherigen AfD-Anträgen anderer Gremien kopiert. Tatsächlich entsprechen große Teile des Antrags einem AfD-Antrag in Stralsund und dem Landtag. Der Satz „Einer ideologisch motivierten Forcierung des Gebrauchs vermeintlich geschlechtergerechter Morphologie in der Wortbildung ist jedoch entgegenzuwirken.“ findet sich als exakte Kopie in allen drei Anträgen. Die Greifswalder CDU kopiert also die AfD.
Letztlich wurde der Antrag zum Genderverbot mit 23 Ja-Stimmen angenommen. Fassbinder räumte einen rechtlichen Hinweis ein: Die Bürgerschaft dürfe der Verwaltung lediglich Vorgaben für die Außenwirkung von Sprache machen. Daher ist der Beschluss nur für die Kommunikation der Verwaltung nach außen zulässig.
CDU gegen Cannabisclubs
Das Genderverbot war nicht der einzige Antrag in der ersten Sitzung der neuen Bürgerschaft, in der die CDU auf Unterstützung der AfD hoffen konnte. Grundlage einer Debatte über Cannabisclubs war ein Antrag der CDU-Bürgerschaftsfraktion, laut dem die Stadt keine dieser Clubs in städtischen Immobilien zulassen sollte. Im Fokus stand dabei der Verein soChill Green CC Greifswald e. V., der sich bereits in der Walther-Rathenau-Straße eingemietet hat. Das Gebäude gehört der Witeno GmbH, einem Unternehmen mit städtischer Beteiligung. Fraktionsvorsitzender Gerd-Martin Rappen begründete den Vorschlag unter anderem damit, dass der Geschäftszweck des Unternehmens zur Förderung von Wissenschaft und Wirtschaft mit der Einmietung nicht gegeben sei. Ein Ansiedlung würde außerdem Drogenkonsum verharmlosen.
Johannes Barsch (SPD) kritisierte, dass die Stadt beim Beschluss des Antrags Mieteinnahmen einbüßen würde. Die Clubs würden stattdessen private Immobilien mieten. Um den Konsum von Drogen und Rauschgift für Jugendliche zu begrenzen, müssten seiner Meinung nach als Konsequenz auch Tabakautomaten, Brauereien und Ausschankbetriebe in städtischen Immobilien verboten werden. Nach seiner Auffassung sei die CDU unzufrieden mit dem Bundesgesetz und würde lokal dessen Aushebelung versuchen.
Ein Geschäftsordnungsantrag beendete die Debatte vorzeitig. In der finalen Abstimmung lehnte die Bürgerschaft den Antrag mit 24 Nein-Stimmen und 14 Ja-Stimmen ab. Drei Personen enthielten sich.
CDU nur gemeinsam erfolgreich
Egal, ob Gendern oder Cannabis – auffallend viele Anträge der CDU oder der Bürgerschaftsfraktion Christlich Demokratische Konservative-IBG-AdbM auch zu anderen Themen fanden Zustimmung in beiden Fraktionen. Die AfD unterstützte zusätzlich die Anträge mit ihren Stimmen. Dabei hatte sie selbst in der Sitzung keine Anträge eingebracht. Auch am Redepult gab es keine Wortbeiträge von AfD-Vertreter:innen.
Diagonalquerung kommt vielleicht später
Einzig die Diagonalquerung der Europakreuzung für Fahrräder war ein emotionales und lang diskutiertes Thema, das echten Stadtbezug hatte. Allerdings schon seit 25 Jahren.
Denn das Thema um eine Entzerrung des Verkehrs mithilfe eines diagonal über die Europakreuzung führenden Radstreifens gibt es seit den Neunzigerjahren. Die Bürgerschaftsfraktion Christlich Demokratische Konservative IBG-AdbM reichte nun eine Beschlussvorlage ein, um die Vorbereitungen der Querung zu stoppen – nach dem Beschluss der Bürgerschaft in der vorherigen Legislatur, diese erneut zu planen.
Im Vorfeld der Sitzung hatten sich knapp 25 Teilnehmende vor dem Rathaus versammelt, um für die Querung zu demonstrieren. Zahlreiche Gutachten seit 1998 würden belegen, dass eine solche Querung mehr Vor- als Nachteile bringe, heißt es in verschiedenen Wortbeiträgen von SPD, Linke und Grüne. Auch der Allgemeine Deutsche Fahrrad Club (Adfc) Greifswald-Usedom äußerte sich mit Unverständnis, das Projekt auf der Zielgeraden noch kippen zu wollen, spricht sich für die Finanzierung, Machbarkeit und die Vorteile des Projektes aus. 1998 und 2010 hatte es Gutachten gegeben, bei denen eine Machbarkeit nachgewiesen wurde. Hauptargument dagegen ist vor allem das Geld. Die Querung und ein damit verbundener Umbau der Kreuzung wurde mit 300.000 Euro beziffert. Allerdings hatte Fassbinder zuletzt auch eine kleinere Lösung eingebracht, die 35.000 Euro kostet.
Unterstützung für den Antrag der konservativen CDU und Partner:innen kam von der Verwaltung. Diese äußerte vor allem Sicherheitsbedenken. Die Diagonalquerung sei bei abbiegenden Bussen und LKW nicht breit genug für mehrere Radfahrer:innen. „Eine sichere Lösung braucht Zeit“, hieß es von Bausenatorin Jeannette von Busse (CDU). Auch Torsten Heil (CDU) sprach sich zeitweise für die größeren Umbaumaßnahmen aus, die sich die Stadt zunächst aber nicht leisten könne. Auf Nachfrage von Oberbürgermeister Fassbinder, dazu noch einmal in Verhandlungen zu treten, ruderte Heil zurück.
Auch hier konnte die Fraktion gemeinsam mit den Stimmen der CDU, den Einzelmitgliedern und der AfD den Antrag durchbringen und so den Bau der Diagonalquerung stoppen.
Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit wurden vier Anträge auf die nächste Sitzung verschoben. Diese findet am 25. November statt.
Hinweis vom 3.10.24: In der Bürgerschaft von Greifswald gibt es zwei Fraktionen, in denen mehrheitlich CDU Mitglieder sind. Die CDU-Fraktion und die Christlich Demokratische Konservative-IBG-AdbM. Letztere gründete sich nach einem Streit innerhalb der Partei. Gegen die CDU-Mitglieder der CDK-IBG-AdbM läuft ein Parteiauschlussverfahren, welches aber noch nicht rechtskräftig ist.In der ersten Version des Artikels haben wir den Vornamen der Bausenatorin falsch geschrieben. Das bitten wir zu entschuldigen.
Quellen
- ADFC Greifswald-Usedom im ADFC Landesverband Mecklenburg-Vorpommern e. V. (Hg.): Diagonalquerung in Greifswald: Ein Drama in mehreren Akten, auf: greifswald-usedom.adfc.de (26.9.2024).↩