Bedrohung von Journalist:innen
Entspannung sieht anders aus
Von Louise Blöß
Lesedauer: ca. 14 Minuten
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56 tätliche Angriffe auf Journalist:innen zählte das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) laut aktueller Studie Feindbild Journalist:in im vergangenen Jahr in Deutschland. Einer davon fand am 17. Oktober in MV statt: in Waren (Landkreis Mecklenburgische Seenplatte). Eine Reporterin berichtete von einer Demonstration vor Ort, die unter anderem durch den sogenannten Unternehmeraufstand MV unterstützt wurde. Dabei wird ihr nicht nur von einem Demonstrierenden Gewalt angedroht, sie und ihr Sicherheitsmann werden bedrängt, ihm ins Gesicht gefasst und die Maske heruntergerissen.
Der beschriebene Fall illustriert eine Problemlage, mit der Journalist:innen auch 2022 konfrontiert waren. Obwohl die vom ECPMF erfassten Angriffe im Vergleich zu 2020 und 2021 bundesweit zurückgingen – die Studie führt dies auf die zunehmende Marginalisierung von „Querdenken“ und das damit geringer gewordene Mobilisierungspotenzial der Gruppen zurück –, übertreffen sie weiter deutlich das Vor-Corona-Niveau. Ein Zeichen der Entspannung sehe anders aus, schreiben die Autor:innen deshalb bereits in der Einleitung.
Zahl der Angriffe nicht genau zu überblicken
Dass es sich bei dem Angriff in Waren um einen Einzelfall handelt, wie es die ECPMF-Daten vordergründig vermuten lassen, ist fraglich. So teilt das Landesinnenministerium zwar auf Nachfrage mit, der Kriminalpolizeiliche Meldedienst habe im vergangenen Jahr nur einen Fall politisch motivierter Kriminalität im Unterthemenfeld Medien in MV erfasst. Die Landespolizei hingegen registrierte fünf Straftaten in diesem Kontext.
Die Studienautor:innen des ECPMF führen die mögliche Unvollständigkeit ihrer eigenen Daten auf ein „großes Dunkelfeld“ nicht gemeldeter, angezeigter und/oder publizierter Vorfälle zurück. Darüber hinaus erfasst die Non-Profit-Organisation in ihrer Statistik „lediglich“ tätliche Übergriffe auf Medienschaffende. Sie müssen in „einem politischen Zusammenhang“ stehen und die Journalist:innen wegen ihrer Berufsausübung betreffen. Nicht erfasst werden etwa durch die Polizei verhinderte Attacken sowie „Verfolgungen oder Bedrängungen, bei denen keine physische Gewalt eingesetzt wird“. Von der Statistik ausgeschlossen sind seit 2017 zudem ausschließliche Bedrohungen, da diese Zahl „zu drastisch gestiegen“ sei.
Pauschale Kritik, Hass und Hetze belasten
Dass nicht nur körperliche Angriffe, sondern auch Bedrohungen oder Hassnachrichten mittlerweile „zum Arbeitsalltag“ von Journalist:innen in MV gehören, schildert der Landesverband des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) in seinem aktuellen Mitgliedermagazin. Unter dem Titel Medien als Feindbild identifiziert der Berufsverband eine durchaus kritische Entwicklung für Berichterstatter:innen im Bundesland. Es gehe „dabei längst nicht mehr nur um die altbekannten ‚Lügenpresse-Rufe‘, um das Kamera-Wegdrücken oder Anrempeln“, schreibt Landesgeschäftsführerin Corinna Pfaff. Vielmehr seien Journalist:innen auch mit Drohnachrichten im eigenen Briefkasten, gezielter Diffamierung und Einschüchterungsversuchen konfrontiert. Dies habe der DJV auch bereits gegenüber der Landespolizei und dem Innenminister zum Ausdruck gebracht.
Kritik „an ‚den Medien‘“ habe es schon immer gegeben, ergänzt Pfaff gegenüber KATAPULT MV. Konstruktive Kritik sei wichtig für Journalistinnen und Journalisten. „Pauschale Vorwürfe, Hetze und Hass“ hingegen machten zu schaffen. Dabei werde wenig zwischen den einzelnen Angeboten der Medienlandschaft unterschieden, sondern „allgemein von ‚Systemmedien‘ gesprochen“. So baue sich ein „Feindbild“ auf. Dabei konsumierten viele Menschen die entsprechenden Angebote der Tageszeitungen, Radio- oder Fernsehsender gar nicht mehr, deren Inhalte sie scharf kritisieren beziehungsweise auf die ihre Wut sich richtet, berichtet Pfaff weiter. Diesem Misstrauen gegenüber stehe oft ein sehr viel unkritischerer Blick auf Soziale Medien, den Wahrheitsgehalt der dort verbreiteten Informationen und deren Quellen.
Aggressionspotenzial nimmt zu
Corinna Pfaffs Beobachtungen teilen auch verschiedene Medienschaffende in MV. So schreibt etwa Gordana Patett, Multimedia-Chefredakteurin des NDR in MV, dass der Sender seit einigen Jahren „ein deutlich höheres Aggressionspotenzial“ wahrnehme. Das sei zum einen bei der Berichterstattung über Demonstrationen der Fall. Laut ECPMF sind diese generell „der gefährlichste Arbeitsplatz für Pressevertreter:innen“. Hier hätten die Reporter:innen und Produktionskolleg:innen des NDR bereits zu Corona-Zeiten „sehr intensive und psychisch herausfordernde Erfahrungen sammeln müssen“, erinnert sich Patett. Bei den sich daran anschließenden Demonstrationen zur Energiekrise, Nord Stream oder den Russlandsanktionen seien Kolleg:innen dann teilweise auch persönlich angegriffen worden. Patett berichtet von sexistischen Beleidigungen, namentlicher Nennung oder Bedrohung.
Ähnliches beschreibt der Chefredakteur der Schweriner Volkszeitung (SVZ). Lokalreporter:innen seien im Kontext von Corona-Demos „bespuckt“, „demonstrativ angehustet“, verfolgt und „persönlich verbal angefeindet“ worden, so Michael Seidel. Zudem verschaffte sich „ein Intensivtäter“ Zugang zur Redaktion. Und auch bei den jüngsten Protesten – etwa gegen geplante Geflüchtetenunterkünfte – stünden seine Kolleg:innen „in steifem Gegenwind“. Gegen die sogenannte „Lügenpresse“ zu hetzen, ist aus Seidels Sicht mittlerweile bereits „Mainstream“, „auch in einem breiten, sich als bürgerlich verstehenden Spektrum“.
Gabriel Kords, Chefredakteur des Nordkuriers, bewertet die Lage für seine Kolleg:innen als „im Großen und Ganzen noch vergleichsweise ruhig“. Die Demonstrationen, sowohl in der Corona-Zeit ab Frühjahr 2020 als auch die sogenannten Montagsproteste, verliefen „in aller Regel ruhig“. Über die weit mehr als hundert Veranstaltungen hinweg, die die Lokalredaktionen des Nordkuriers in den vergangenen Jahren begleitet haben, sei es bei den „allermeisten zu keinen nennenswerten Vorkommnissen gekommen“, erklärt Kords auf Nachfrage. Die „Zahl der (verbalen) Angriffe und (verbalen) persönlichen Attacken“ halte sich „bislang in engen Grenzen“.
Und wieder Waren
Dennoch beobachtet auch Kords in den vergangenen Monaten eine Zunahme „verbaler Entgleisungen am Rande von Protest-Demos“. Darüber hinaus komme es seit gut einem halben Jahr immer wieder zu Problemen in Waren, die dort, wie er erklärt, leider keine Einzelfälle darstellen. So wurde bei einer Kundgebung auf dem Warener Marktplatz Anfang Januar ein Mitglied der Redaktion, das über das Geschehen berichten wollte, „von mehreren Männern eingekreist und bedroht“. Offenbar sei eine größere Entfernung zur Polizei für einen Einschüchterungsversuch genutzt worden, schreibt der Nordkurier im Nachgang. Zu den an der Bedrohung Beteiligten hätten auch zwei Mitglieder der rechtsextremen Neue Stärke Partei – Christoph T. und Emanuel T. – gehört.
Ein weiterer Vorfall habe sich kürzlich in Waren zugetragen, ergänzt Chefredakteur Kords. Betroffen war ein anderes Mitglied der Nordkurier-Redaktion. Der Ablauf sei ähnlich gewesen wie beim ersten Mal, „die Täter waren offenbar in beiden Fällen dieselben“. Auch im Kontext einer Menschenkette in Waren am 11. März wird in einem Artikel der Zeitung von einem Angriff auf einen Reporter berichtet. Ein Demonstrant habe den Journalisten bedroht. Es sei Anzeige erstattet worden. Kords bestätigt diesen dritten Vorfall auf Nachfrage. Er habe allerdings nicht die Qualität der zwei anderen Fälle erreicht.
In Waren hätten außerdem in jüngster Vergangenheit die Veranstalter einiger Proteste „von der Bühne herab“ gegen Nordkurier-Reporter polemisiert, so Kords. Redner, die ebenfalls Mitorganisatoren der Veranstaltungen gewesen seien, hätten sich mehrfach „polemisch über unsere Berichterstattung und auch über die Arbeit einzelner, namentlich genannter Kollegen geäußert“. Bei einer Podiumsdiskussion im Bürgersaal habe der Moderator das Publikum gegen den Nordkurier-Kollegen „regelrecht aufgestachelt“. Daraufhin hätten große Teile des Publikums den Reporter ausgebuht und ausgepfiffen. Obwohl sich der Moderator im Anschluss entschuldigt habe, setzte er seine Angriffe gegen die Arbeit des Nordkuriers danach auf mehreren Demos in ähnlicher Form fort. Gespräche, die die Zeitung zur „Befriedung der Situation“ mit Veranstaltenden geführt habe, „waren (...) letztlich nicht erfolgreich“, schließt Kords.
Zerstochene Autoreifen und Hassbotschaften in Sozialen Medien
Einen weiteren Schritt der Eskalation meldet die Ostsee-Zeitung (OZ). Wie Chefredakteur Andreas Ebel dem DJV schildert, wurden Ende Februar die Reifen zweier OZ-Fahrzeuge zerstochen. Eines davon stand zur Tatzeit vor der Privatwohnung einer Journalistin. In einer Anmerkung des DJV ist zu lesen, dass die Reifen ebenjenes Fahrzeugs nach der Reparatur – ebenfalls vor dem betreffenden Haus – erneut zerstört wurden. Die OZ habe in zwei Fällen Anzeige erstattet, erklärt Ebel gegenüber KATAPULT MV. Bisher habe es seitens der Polizei und Staatsanwaltschaft aber noch keine Rückmeldung hinsichtlich des Ermittlungsstandes gegeben.
Ebel ordnet die Geschehnisse als „heftig“ und besorgniserregend ein. Bisher seien es „‚nur‘ wüste Beschimpfungen und Hetzereien in den Sozialen Medien“ gewesen, so der OZ-Chef. In manchen Telegram-Gruppen schaukle sich der „Hass gegen Medienleute“ aber dermaßen hoch, „dass jetzt zum Messer gegriffen wird“.
Damit spricht Ebel einen Bereich an, an dem auch nach Einschätzung von NDR-Landeschefin Patett die Zunahme der Aggression gegenüber Journalist:innen deutlich wird. Es komme neben „Beleidigungen der User:innen untereinander“ auch immer wieder zu „verbalen Entgleisungen, rassistischen, sexistischen und gegen Journalist:innen gerichteten Kommentaren“. Dabei zielten die Anfeindungen, die den NDR online erreichen, meist „allgemein auf den Norddeutschen Rundfunk und das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“, wobei Patett Letzteres gegenüber dem DJV noch als ein separates Themenfeld mit steigender Negativtendenz beschreibt.
Wie die Autor:innen der Studie Feindbild Journalist:in feststellen, zeige sich die „zunehmende Feindseligkeit gegen Journalist:innen“ eben auch in dieser Form „von direkter Bedrohung oder Online-Hass“. Diesen betrachten auch Nordkurier-Chef Kords und SVZ-Chefredakteur Seidel als problematisch. Seidel berichtet diesbezüglich von „wüsten Beschimpfungen, dummen Vorwürfen und Fäkalsprache in den Diskussionssträngen auf unseren Social-Media-Kanälen“.
Kords erklärt, dass seine Kollegen ab und zu „Zuschriften mit Inhalten ‚unter der Gürtellinie‘, also zum Beispiel Beschimpfungen, Drohungen“ und so weiter erhielten. Die habe es zwar „schon immer gegeben“, aber der Ton sei „sicherlich rauer geworden“. Zudem erreichen den Nordkurier täglich „bis zu 5.000 Nutzerkommentare“ über die Sozialen Medien. Der Großteil dieser sei „sachlich, ausgewogen und oft sehr interessant“, betont Kords. Das bestätigt auch Corinna Pfaff vom DJV: Die meisten Menschen blieben sachlich und seien dialogbereit.
Daneben gebe es jedoch etliche Kommentare, die destruktiv und einzeln auch beleidigend seien, fasst Kords zusammen. Die Bandbreite reiche dabei „von stumpfer Polemik bis hin zu persönlichen Angriffen auf einzelne namentlich genannte Kollegen“. Diese Minderheit sei „gezielt aggressiv“ und „gut vernetzt“, erklärt Pfaff. Das Ziel: Kolleginnen und Kollegen einzuschüchtern, „um so Einfluss auf die Meinungsbildung zu nehmen“. Kords seien zudem „einzelne Fälle aus MV bekannt, in denen Kollegen anderer Medien Opfer von bizarren Kampagnen und Verschwörungstheorien geworden sind“.
Eine solche Erfahrung haben auch die KATAPULT-MV-Redakteure Patrick Hinz und Benjamin Fredrich gemacht. Im Nachgang ihrer Berichterstattung zu einer Großdemonstration in Lubmin Ende September 2022 wurde auf einem Youtube-Kanal ein Video verbreitet, welches ihr jeweiliges Foto mit Namen, aber auch die anderer Journalist:innen und Fotografen beinhaltete und ihre angebliche Verstrickung in einen Angriff auf ukrainische Aktivistinnen unterstellte. Dieser sei von den Medienvertreter:innen eigens für die Berichterstattung inszeniert worden, so das Narrativ.
Des Weiteren finden sich die Namen von KATAPULT-Redakteur:innen auch in einschlägigen Telegram-Gruppen wieder. Auf Demonstrationen werden sie mittlerweile sofort erkannt, was aufgrund der großen Nähe von Lokaljournalist:innen zu den Menschen nicht grundsätzlich als schlecht einzuschätzen ist. Jedoch, wie auch in der Feindbild Journalist:in-Studie nachlesbar, Einschüchterungsversuche etwa durch das Fotografieren und/oder Filmen der Kolleg:innen bedrohlicher macht.
In den Social-Media-Kommentarspalten ist KATAPULT MV, neben vielen konstruktiven Anmerkungen und emotionalen Diskussionen, nicht nur mit Hassrede, sondern auch Falschmeldungen und Drohungen konfrontiert. In diese werden neben der Zeitung oder der Redaktion allgemein auch einzelne Redakteur:innen ins Visier genommen.
Die Erzählung von der Presse-Politik-Verschwörung
Doch woran liegt es, dass die Menschen online wie offline so auf Medienvertreter:innen reagieren, der Hass sich digital oder mitunter sogar in Taten niederschlägt? Dass Journalist:innen als „Feindbild“ angesehen werden, habe zum Beispiel mit der Verbreitung von Verschwörungstheorien zu tun, unternimmt Lutz Kinkel, Leiter des ECPMF, im vergangenen Jahr einen Erklärungsversuch. Diese bedienten die Erzählung von Medienschaffenden als „Agenten des Systems“, die mit der Politik „unter einer Decke (...) stecken“, „das Volk angeblich belügen, betrügen und verhöhnen“. Medienvertreter:innen werden zu Feinden, „weil sie nicht ‚die Wahrheit‘ sagen. Die Wahrheit dagegen sei im Besitz der Menschen, „die den Verschwörungserzählungen anhängen“.
„Eine genaue Beschreibung dieser ‚Wahrheit‘ findet in der Regel nicht statt“, kommentiert Roman Schmelter, Studioleiter des NDR in Schwerin. Dies zeige sich etwa am aktuellen Beispiel Upahl. Dort forderten die Demonstrierenden unter anderem von den Medien, „etwas zu zeigen, was als ‚Wahrheit‘ bezeichnet wird“. Das mache die „Berichterstattung inhaltlich schwierig“.
Die Behauptung, Presse und Politik würden sich gemeinsam verschwören, bilde weiterhin einen „elementaren Baustein“ der Querdenken-Gruppen, schreiben die Studienautor:innen des ECPMF. Sie erschließe weitere „Protestmilieus“ – zum Beispiel „zuletzt versucht bei der Friedensbewegung“ –, halte aber auch die sehr verschiedenen Strömungen innerhalb der Gruppen zusammen. So hielt der „Lügenpresse“-Vorwurf unter anderem Einzug „in vormals bürgerliche Milieus“. Dass der so „permanent geschürte Hass auf die Presse“ nicht folgenlos bleibt, sei logisch. So spricht der Protestforscher Simon Teune etwa von einer „Erosion der Hemmschwelle bei vielen Bürger:innen, mit der extremen Rechten gemeinsam zu demonstrieren“.
So oder so „Lügenpresse“
Dem Vorwurf „Lügenpresse“ sehen sich alle tagesaktuellen Medien in MV regelmäßig ausgesetzt. Es sei ein „beliebtes populistisches Narrativ“, kommentiert Gordana Patett. Es entstamme einer zunehmenden Medienverdrossenheit und verbinde sich immer wieder mit „bestimmten Reizthemen“ – etwa Corona oder den Russlandsanktionen –, was mit entsprechender ideologischer Unterfütterung „bis hin zu Verschwörungstheorien führen kann“. Die damit einhergehende Aggressionen beziehungsweise Radikalisierung drücke sich dann zum Beispiel in Angriffen gegen Journalist:innen aus. Der Lügenvorwurf komme auf, wenn das Gefühl entsteht, die eigene Meinung nicht bestätigt zu finden, so Patett weiter. Gleichgesinnte finden sich über das Internet, „die dies bestätigen, und so entwickelt sich ein Kreislauf, dem kaum entgegenzuwirken ist“. Dass dies außerdem einen Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust der Medien signalisiert, betont Patett ebenfalls. Das gelte es ernstzunehmen.
Auf die Angriffe auf OZ-Fahrzeuge und eine Erklärung für die von ihm als zunehmende Eskalation beschriebene Situation angesprochen, kann Chefredakteur Ebel lediglich mutmaßen. Seiner Ansicht nach gebe es „eine generelle Ablehnung von Institutionen unseres Gemeinwesens“ bei einem kleinen Teil der Menschen. Davon betroffen sind neben Polizei, Rettungsdienst oder Parteien eben auch Medien, so Ebel. Außerdem bestehe eine Sehnsucht nach „einfachen Antworten“ für die Welt und ihre komplexen Probleme, „die es oft nicht gibt“. Wenn Journalist:innen zudem als Informationsübermittler etwa die Überregulierung des deutschen Staates beschreiben, landeten „sie oft mit den Entscheidern in einem Topf“. Dabei spiele es am Ende auch gar keine Rolle, wie über einzelne Themen berichtet werde, formuliert SVZ-Chef Seidel.
Nicht zu berichten ist auch keine Lösung
Doch was macht das mit Journalist:innen, wenn sie online Hass oder sogar Bedrohungen ausgesetzt sind? Gerade im Lokaljournalismus, wo Nähe so wichtig ist? Acht Jahre „Lügenpresse“-Vorwürfe „sowie das erhöhte Bedrohungspotenzial“ gerade während der Corona-Zeit gehen „nicht spurlos an den Pressevertreter:innen vorbei“, heißt es in der ECPMF-Studie. Davon geht auch Corinna Pfaff vom DJV MV aus. Doch die Berichterstattung dürfe dadurch nicht beeinflusst werden, auch wenn es „emotional oft schwerfällt“ und „verständlicherweise auch Angst im Spiel“ sei, sagt Andreas Ebel. Die Kolleg:innen würden dabei auch nicht alleingelassen, versichert Gabriel Kords. Über „Ängste im Vorfeld sowie über Ereignisse vor Ort“ könne sowohl mit Kolleg:innen als auch mit Vorgesetzten gesprochen werden.
Zusätzlich stellen die Redaktionen verstärkt Sicherheitsüberlegungen etwa im Hinblick auf Einsätze bei Demonstrationen an. Niemand solle sich leichtfertig in Gefahr bringen, stellt Kords klar. Wenn beim Nordkurier also im Vorfeld einer Berichterstattung von möglichen Attacken auf Mitarbeiter:innen ausgegangen wird, besetze man zum Beispiel Termine doppelt. Und im Zweifel – was bisher glücklicherweise nur selten der Fall gewesen sei – wüssten alle Kolleg:innen, dass sie sich lieber zurückziehen sollten, auch wenn es schwerfalle. Oder, wie Michael Seidel von der SVZ formuliert: „Im Zweifel gilt ‚Team Vorsicht‘.“ „Nicht zu berichten, wäre [aber] auch keine Lösung“, so Kords.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe 19 von KATAPULT MV.
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Autor:innen
Redakteurin bei KATAPULT MV.