Für Aufsehen sorgte im Vorfeld der letzten Bürgerschaftssitzung Greifswalds am Mittwochabend die Änderungsvorlage zum Haushalt der Christlich Demokratischen Konservative-IBG-AdbM-Fraktion. Darin sollten vor allem bestimmte soziale Einrichtungen von Kürzungen betroffen sein, wie eine 80-prozentige Kürzung für das Kultur- und Initiativenhaus Straze sowie 50 Prozent weniger für das Jugendzentrum Klex. Eine komplette Streichung wurde weiterhin für das Seenotrettungsschiff Sea Eye 4 sowie für Personalstellen für Nachhaltigkeits-, Moor- und Wildtiermanagement gefordert.1 Das vermeintliche Ziel: einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen.
Umstrittener Kompromissantrag
Darauf reagierten die Fraktionen von SPD, Linke, Grüne sowie CDU mit einem gemeinsamen Änderungsvorschlag. Ein großer Kompromiss, betonen alle Beteiligten mehrfach. Kürzungen wurden mit Zähneknirschen akzeptiert, um einen finanziell stabileren Haushalt zu gewährleisten. So sollen an Bauprojekten fünf bis zehn Prozent Kosten eingespart werden, etwa bei einem Schulzentrum, der Theatersanierung und der Umgestaltung des Rosengartens. Vor allem aber sollte der „Kahlschlag im Bereich Bildung, Kultur, Soziales und Jugendarbeit“ verhindert werden. Sie seien „der Kitt der Gesellschaft“, fasst Oberbürgermeister Stefan Fassbinder (Grüne) zusammen. Dennoch solle der Sozialausschuss im kommenden Jahr den Bedarf der Einrichtungen prüfen, um mögliche weitere Möglichkeiten für Kürzungen zu finden.
Wenig Anklang fand der neue Haushaltsvorschlag in der AfD-Fraktion. Fraktionmitglied Jörg Valentin bezeichnete diesen als „schwach, inkonsequent und zögernd“. Er erkenne keine Ideen für einen sicheren Haushalt. Dagegen hielten Linke und Grüne: So betonten Hennis Herbst (Linke) und Camille Damm (Grüne), dass kommunale Verwaltungen nicht schwarze Zahlen auf Kosten der Bürger:innen schreiben müssten – anders als die Privatwirtschaft. Mit den gestiegenen Kosten gebe es kaum einen Landkreis oder eine Stadt, die derzeit einen ausgeglichenen Haushalt habe.
Potenzial für Einsparungen sieht die CDU-Fraktion beispielsweise in der Personalplanung der Stadtverwaltung. Allerdings – so Fraktionsmitglied Gerd-Martin Rappen – unterstütze seine Fraktion den Kompromissantrag, um Druck auf die Verwaltung auszuüben, Prozesse zu optimieren und Kosten zu senken. Eine Budgeterhöhung der Tafel sowie die sichere Finanzierung von Kinder- und Jugendzentren müsse aber sein, resümiert er. So soll die Tafel im neuen Haushalt mit 50 Prozent mehr gefördert werden.
Der Änderungsantrag wurde nach vier Stunden Sitzung und 24 Ja-Stimmen angenommen. Geschlossen dagegen stimmten die AfD- und die CDK/IBG-AdbM-Fraktion. Damit ist Greifswald eine der ersten Städte im Land, die ihren Haushalt zur Prüfung beim Innenministerium einreichen kann.
Die Förderung von Klex und Straze ist damit gesichert. Auch die Finanzierung des Freizeitzentrums Takt und das Fortbestehen des Jugendclubs Riems wird garantiert. Weitere Zuwendungen für Spielplätze, Schulmaterial und eine Neugeborenenprämie sind vorgesehen. Die finanzielle Unterstützung der Sea Eye 4 wurde dagegen dennoch gestrichen. Die Initiative versucht nun, mittels Spenden die nötigen Gelder zusammenzubringen, um die Tätigkeit des Rettungsschiffes im Mittelmeer zu gewährleisten.
Verwaltungsaufwand hoch, Personalkosten runter?
Wie schon im vergangenen Haushalt kritisierten AfD und CDK-IBG-AdbM die deutlich gestiegene Zahl an Personal in der Verwaltung als unnötig. Der stellvertretende OB Achim Lärm (parteilos) erklärte, dass mit steigenden Anforderungen an die Verwaltung in bürokratischen Prozessen und Digitalisierung auch mehr Aufgaben entstehen würden. Dafür brauche es mehr Personal. Auch Jörg König (Grüne) beschreibt einen Mehraufwand bei Verwaltungsfragen und verweist auf den Landkreis, der ebenfalls Personal aufgestockt habe.
Anders sieht das CDK-Fraktionsvorsitzender Axel Hochschild (ehemals CDU-Fraktion). Seiner Auffassung nach würden die Personalausgaben der Stadt steigen, seitdem Fassbinder im Amt sei. Moor- und Wildtierbeauftragte, ebenso wie die – von der Kommunalverfassung verpflichtend vorgeschriebene – Stelle für Gleichstellungsbeauftragte seien „völlig unnötig“.
Der abgestimmte Haushalt sieht nun – ebenfalls wieder als Kompromiss – vor, die geplanten 20 neuen Stellen in der Verwaltung im kommenden Jahr nicht zu schaffen, um zu sparen.
ÖPNV bleibt in städtischer Hand
Ebenfalls mit Kompromissen durchgegangen ist ein neuer Vertrag mit dem Landkreis Vorpommern-Greifswald über die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs im Stadtgebiet. Er sieht vor, im kommenden Jahr eine Million Euro Zuschuss statt bisher 275.000 Euro vom Landkreis zu bekommen, mit einer Aussicht auf jährlich 2,5 Prozent Steigerung in den Folgejahren.
Dieses endgültige Angebot hatte der Landkreis am Vortag der Sitzung eingereicht. Viel zu knapp, um da verhandeln zu können, findet Jörg König. Es gehe um Verträge für die kommenden zehn Jahre, machte er deutlich. Nun hätte die Stadt das Angebot des Landkreises akzeptieren müssen, um den Busverkehr in der Stadt auch weiterhin zu gewährleisten. Das finanzielle Defizit der Verkehrsgesellschaft könne auch der neue Vertrag nicht auffangen.
Jürgen Liedtke (CDK-IBG-AdbM) prognostiziert eine deutlich steigende Verschuldung, die es mit dem neuen Vertrag geben werde. Der Landkreis habe sich aus seiner Verantwortung gezogen.
Deutlich mehr Finanzierung hätte es gebraucht, um etwa Personal- und Sachkosten, klimaneutrale Investitionen und Streckenausbau auszugleichen – da sind sich alle Fraktionen einig. Das bestätigte auch Oberbürgermeister Fassbinder. Aber so konnte zumindest eine Kündigung abgewendet werden: „Besser ein halb guter als gar kein ÖPNV“, hieß es am Ende. Gerd-Martin Rappen betonte, dass in den kommenden Jahren so oder so mehr gegen das Defizit der Stadtwerke – Betreiberin der Verkehrsgesellschaft – unternommen werden müsse. Laut Jörg König sei dazu auch ein neuer Liniennetzplan nötig. Ein Vorschlag wurde dazu bereits im Verkehrsausschuss entwickelt.
Das Angebot des Landkreises wurde durch die Bürgerschaft angenommen. Mit dem Beschluss habe der Landkreis eingewilligt, den Vertrag noch dieses Jahr durchzubringen. Der Landrat kündigte an, für weitere Verhandlungsgespräche im kommenden Jahr offen zu sein.
Was sonst noch passiert ist
Das in der vergangenen Bürgerschaftssitzung beschlossene Genderverbot wird nun zur rechtlichen Prüfung an die kommunale Rechtsaufsicht übergeben. Darüber informierte die Rechtsabteilung der Stadt. Oberbürgermeister Fassbinder hatte nach dem Beschluss Widerspruch eingelegt. Er sieht den Antrag als rechtswidrig an. Dagegen kann noch die Bürgerschaft Einspruch einklagen oder einen neuen Beschluss formulieren.
Beschlossen wurde auch die dringende Befürwortung der Vorpommernmagistrale – einer schnelleren Bahnverbindung mit ICE-Strecke zwischen Berlin und Binz. Diese sei von der Bundesregierung als Ausgleich für das LNG-Terminal zugesichert worden. Ein Ausbau müsse aber beschleunigt werden. Dafür soll sich der Oberbürgermeister priorisiert einsetzen und das entsprechende Aktionsbündnis Vorpommern-Magistrale beschleunigen in seiner Unterschriftenaktion unterstützen.
Grünenmitglied Markus Münzenberg verweist auf die derzeit „abgrundtief schlechte Bahnanbindung“. Greifswald biete weder für Tourist:innen, Wissenschaftler:innen noch Pendelnde einen Standortvorteil.
Der Antrag wurde mehrheitlich angenommen. Obwohl Jörg-Uwe Krüger (AfD-Fraktion) die einbringende Fraktion SPD/Linke in seinem Wortbeitrag als „SED-Fraktion“ bezeichnete.
- Bürgerschaftsfraktion CDK-IBG-AdbM: BV-V/08/0043-1, auf: greifswald.sitzung-mv.de (3.12.2024). ↩︎