Einmal im Jahr prangert der Bund der Steuerzahler die schwersten Fälle von tatsächlicher oder vermeintlicher Steuergeldverschwendung an, zum mittlerweile 50. Mal. Beispiele aus MV sind seit 30 Jahren dabei, sagte Diana Behr, Landesgeschäftsführerin des Steuerzahlerbundes, zum Auftakt der Präsentation. Wie im vergangenen Jahr sind sechs Fälle aus MV gelistet. Zwei davon sind aufgrund aktueller Recherchen ausschließlich online verfügbar, vier sind in der Printausgabe des Schwarzbuchs 2022/23 enthalten.
Ein Schrottfrachter für Anklam
Die Stadt Anklam kaufte den über 60 Jahre alten Frachter MS Dömitz für 50.000 Euro, um daraus einen „Event-Frachter“ zu machen. Das Geld stammte zu einem Großteil aus Mitteln der Kulturförderung der Stadt. Hinzu kamen Kosten für eine Machbarkeitsstudie, mit der herausgefunden werden sollte, was mit dem ehemaligen Binnenschiff überhaupt noch gemacht werden konnte. Die kostete die Stadt noch einmal zwischen 70.000 und 100.000 Euro. Ergebnis: Zwischen den beiden Möglichkeiten „Event- und Gastronomieschiff“ und „Badeschiff“ wurde sich für Ersteres entschieden. Um- und Ausbaukosten: zwischen 4,5 und 5,5 Millionen Euro. Für den künftigen Betrieb gibt es nach Angaben des Steuerzahlerbundes allerdings bisher weder eine Wirtschaftlichkeitsanalyse noch einen Geschäftsplan oder private Investoren. Angesichts der Schulden, die die Stadt hat, plädiert der Bund der Steuerzahler dafür, den Kauf des Schiffes zu stoppen und das eingeplante Geld in andere Projekte zu stecken. Die Förderung vieler freiwilliger Leistungen, wie Spielplatzsanierungen oder Gelder für Vereine, seien für die Planung und Umsetzung des Projektes in den Hintergrund gerückt worden.
Fürs Image: New York zu Gast in Peenemünde
Mit 910.000 Euro finanzierte das Land MV drei Konzerte der New Yorker Philharmoniker auf Usedom. Das Geld stellte das Wirtschaftsministerium bereit. Die Landtagspräsidentin, die auch Präsidentin des Tourismusverbandes ist, flog zur Vorbereitung der Konzertreihe für einen Kurzbesuch nach New York, was noch einmal 4.000 Euro beanspruchte. Zum Vergleich: Das Land förderte alle Musikfestivals in diesem Jahr mit insgesamt rund 400.000 Euro. Der Bund der Steuerzahler kritisiert, dass für eine Konzertreihe im Vergleich zur sonstigen Förderung von Musikveranstaltungen mehr als das Doppelte ausgegeben werde, ohne dass die Region nachhaltig davon profitiere. Vielmehr hätte er eine Unterstützung der Künstler:innen im Land bevorzugt, die „bereits zwei Jahre Pandemie hinter sich haben, in denen sie kaum Auftritte hatten und auf Einnahmen verzichten mussten“.
Onlinehandel in Schwerin
Auch in der Landeshauptstadt gibt es ein Steuergelderleck: Und zwar direkt bei der Landesregierung. Die beschloss zu Beginn der Pandemie, regionalen Händler:innen eine Plattform für die Vermarktung ihrer Produkte zur Verfügung zu stellen. Innerhalb von 17 Tagen gingen die Plattformen Digitales MV/Marktplatz MV online. Viel Nachfrage dafür gibt es aber nicht: 20 Shops sind darauf aktiv, ein paar Hundert Klicks gibt es pro Monat. Bis heute. Denn trotz Wiedereröffnung der Läden nach dem Corona-Lockdown läuft die Plattform weiter. Auf Kosten der Steuerzahler. Für bisher insgesamt 1,6 Millionen Euro Steuergeld. Das wurde aus dem sogenannten MV-Schutzfonds entnommen. Der Bund und der Landesrechnungshof kritisierten diesen Fonds von Beginn an, denn längst nicht alle Ausgaben aus diesem „Sondervermögen“ haben einen strengen Bezug zur Pandemie, erläutert der Steuerzahlerbund, das zeige dieses Beispiel eindrucksvoll. Zudem plant die Landesregierung eine Handelsplattform 2.0. Auch dafür seien Mittel aus dem Schutzfonds beantragt worden. Und dies, obwohl weder Händler noch Kunden an diesem Angebot sonderlich interessiert zu sein scheinen.
Werftenrettung
Die Werften an den Standorten Wismar, Rostock und Stralsund stehen seit rund einem Jahr im Fokus einer erneuten Rettungsaktion: Im Dezember 2021 musste das Unternehmen MV-Werften, das alle drei Standorte unter sich vereint, Insolvenz anmelden. Der Investor Genting Hong Kong mit Sitz auf den Bermudas hatte sich mit der Konzentration auf den Kreuzfahrtmarkt verkalkuliert. Wegen der Pandemie brach die Branche ein. Ende Dezember standen rund 2.600 Beschäftigte vor dem Frage, ob und wie es weitergehen wird. Es folgten Monate der Wartezeit, Kurzarbeit, Kündigung oder des Wechsels in eine Transfergesellschaft. Bis heute hält die Landesregierung an der Rettung der Werften fest und finanziert diese aus Landesmitteln.
Bereits vor der Insolvenz hatte sie Bürgschaften und ein Darlehen an das Unternehmen versprochen, „um unter bestimmten Voraussetzungen eine eventuell eintretende Finanzierungslücke zu schließen“, so der Steuerzahlerbund. Die Kosten für die Rettung liegen bisher bei insgesamt mehr als 86 Millionen Euro. Der Bund der Steuerzahler kritisiert hierbei besonders, dass die Finanzvorschüsse ohne Absicherung des Währungsrisikos vergeben worden seien. Auch der Landtag begrenzte die Vergabe nicht, etwa durch eine Obergrenze. Dieser Umgang mit Steuergeld sei „grob fahrlässig und illustriert sehr gut das Handeln des Landes in der immer noch aktuellen Werftenkrise“, so Fallautorin Michaela Skott. Nachdem der Konzern dann endgültig Insolvenz anmeldete, machte er seine Ansprüche aus dem Darlehensvertrag geltend. Das Land, mittlerweile unter einer neuen Regierung, will jedoch nicht mehr zahlen. Genting forderte die Zahlung per gerichtlichem Eilverfahren ein und bekam zunächst recht. Das Land legte Einspruch ein. Das Hauptverfahren steht bis heute aus.
Förderung von Balkonkraftwerken
Die Landesregierung will mit insgesamt zehn Millionen Euro private Balkonkraftwerke zur Überbrückung der Energiekrise fördern. Insgesamt könnten 20.000 Haushalte sogenannte Mini-Photovoltaikanlagen installieren, so Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD). Die Vergabe erfolge nach dem Prinzip: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Der Bund der Steuerzahler kritisiert zum einen dieses Verfahren, zum anderen, dass es bislang ein System ohne nachweisbare Effekte sei. Die Kraftwerke kosteten etwa 1.000 bis 1.500 Euro in der Anschaffung und erzielten erst nach mehreren Jahren Gewinne. Hinzu komme ein großer bürokratischer Aufwand für die Antragsbearbeitung. Der Steuerzahlerbund plädiert daher, das Programm zu stoppen und das Geld in den Ausbau der Windenergie zu investieren.
Schweriner Nordumgehung
Es geht um die geplante Umgehungsstraße nördlich der Landeshauptstadt. Die Planungen reichen bis in die Neunzigerjahre zurück. Die Kosten haben sich seitdem auf 60 Millionen Euro mehr als verdoppelt. Weitere Preissteigerungen seien nicht auszuschließen. Ebenso noch nicht enthalten seien die Kosten etwa für Ausgleichsmaßnahmen, so Skott. Der Steuerzahlerbund kritisiert vor allem die Trassenführung durch Naturschutzgebiete und eine nicht durchdachte Verkehrsverlagerung. Etwa werde der Ort Rampe noch mehr Durchfahrtsverkehr bekommen. So brauche es eine neue Planung zur Trassenführung.
Hinweise zu solchen Fällen von drohender oder bereits geschehener Steuerverschwendung kommen laut Behr und Skott aus allen Teilen MVs – von vielen Bürger:innen, die die Probleme vor Ort betreffen. Aber auch direkt aus den Verwaltungen kämen immer wieder Hinweise, betont Skott. Alle Fälle werden recherchiert, sodass Hinweisgeber:innen auch nachvollziehen können, warum ihre Fälle nicht im Schwarzbuch veröffentlicht worden sind.
Nicht in den Bericht geschafft hat es zum Beispiel der Inselhafen Prerow mit etwa 40 Millionen Euro Investitionsvolumen. In der Abwägung lasse sich kein Verschwendungsfall erkennen, so Fallautorin Skott. Die Bedeutung des Hafens vor allem für die Seenotrettung überwiege.
Ziel des Steuerzahlerbundes mit der Veröffentlichung solcher Fälle im Schwarzbuch sei es nicht nur, Probleme aufzuzeigen, sondern die entsprechenden Institutionen zum Handeln anzuregen. In MV ist es in diesem Jahr vor allem die Landesregierung.
Alle Fälle können auf der Website des Steuerzahlerbundes MV eingesehen werden.
Transparenzhinweis: Eine erste Version der Grafik hatte einen falschen Betrag für das New York Symphony Orchestra.
Quellen
- Skott, Michaela: Es fährt ein Schiff nach nirgendwo, auf: schwarzbuch.de (19.10.2022).↩
- Skott, Michaela: Gastspiel: New York, Rio…, Peenemünde?, auf: schwarzbuch.de (19.10.2022).↩
- Skott, Michaela: Steuergeld für Online-Handelsplattformen, auf schwarzbuch.de (19.10.2022).↩
- Skott, Michaela: Wechselkurs wird zum Kostenrisiko, auf schwarzbuch.de (19.10.2022).↩
- Skott, Michaela: PR-Coup statt echter Hilfe in der Not?, auf: schwarzbuch.de (19.10.2022).↩
- Skott, Michaela: Autofrei in Villariba – Stau in Villabajo, auf: schwarzbuch.de (19.10.2022).↩