Das Greifswalder Rathaus am Donnerstagabend. Angespannte und erwartungsvolle Stimmung. Volle Presseplätze – belegt mit regionalen und überregionalen Medien. 39 von 43 Bürgerschaftsmitgliedern sind gekommen. Die Tagesordnung wird zu Beginn noch einmal verändert, es sind zahlreiche Abstimmungen und eine Aktuelle Stunde geplant. Schon im Vorfeld ist eine mögliche zweite Sitzung angekündigt, falls an diesem Abend nicht die gesamte Tagesordnung abgehandelt werden kann. Schlussendlich „ziehen sie durch“, damit sie nicht nochmal alle kommen müssen, wie Bürgerschaftspräsident Egbert Liskow (CDU) es formuliert.
Der Saal ist getrennt – nicht nur durch den Gang wortwörtlich zwischen rechts und links, sondern auch was die verschiedenen Lager betrifft. Das kommt immer wieder zur Sprache. Dass in demokratischen Gremien Diskussionen laufen, mal weniger und mal mehr gestritten und gefetzt wird, gehört dazu. Doch in Greifswald geht es auch an diesem Abend oft über diesen Punkt hinaus. Das Problem: Beide Seiten greifen sich immer wieder verbal und auf höchst unpolitische und persönliche Art und Weise an. Und auch der Oberbürgermeister muss viel Konfrontation einstecken. Dass dieser Umgang miteinander dann noch von Bürger:innen, die als Gäste vor Ort sind, angestachelt, weitergeführt und zum Teil auf die Spitze getrieben wird, hilft dabei wenig. Und auch um Greifswald, die Probleme und Verhältnisse vor Ort spielen nur am Rand eine Rolle.
Mahnwache mit Kritik an Stadt- und Bundespolitik
17 Uhr: Vor dem Haupteingang des Rathauses versammeln sich etwa 50 Personen zu einer Mahnwache, zu der die Initiative Bürgerentscheid Greifswald (IBG) kurzfristig aufrief. Los geht es mit den ersten Spitzen gegen die Bundespolitik und das linke Lager in der Bürgerschaft bereits, bevor die Sitzung überhaupt begonnen hat. Unter den Redner:innen: IBG-Sprecherin Eva Nehmzow sowie Bürgerschaftsmitglied Grit Wuschek (parteilos). Dabei thematisiert Wuschek unter anderem den Sturz eines Mitglieds der Initiative, für den diese die Greifswalder Grünen-Politikerin Katharina Horn verantwortlich macht. Zwar heißt es von Nehmzow, dass der Vorfall nun gerichtlich geklärt werde. Wuschek allerdings formuliert bereits Tatsachen und begründet unter anderem damit ihren Antrag, Horn von all ihren Gremienpositionen zu entbinden. Darüber hinaus bezeichnet sie „rot-rot-grün“ als undemokratisch und bezichtigte Oberbürgermeister Stefan Fassbinder (Grüner) als Lügner.
Zeitweise hören bis zu 70 Personen den Ausführungen der verschiedenen Redner:innen der Mahnwache zu.
Letzte Sitzung laut Rechtsamt beschlussfähig
Im Saal startete die Sitzung dann unter anderem mit einer Nachfrage von Thomas Kerl (parteilos), die er gezielt vom Bürger:innenmikrofon zu stellen schien, ob die Bürgerschaft auf der vergangenen Sondersitzung beschlussfähig gewesen sei. Er spielte damit auf die nur noch geringe Besetzung der Bürgerschaft an, nachdem zahlreiche Mitglieder des Gremiums nach Räumung des Saals ebenfalls gegangen waren – aus „Solidarität“, wie sie es formulierten. So war etwa die Abstimmung über den Termin für die Wahl des:der Vizeoberbürgermeister:in anschließend noch abgestimmt worden. Das Rechtsamt sieht nach Prüfung darin keine Probleme. Die Kommunalverfassung sehe vor, dass ein Gremium auch nach dem Abgang von Mitgliedern beschlussfähig bleibe, wenn eben diese Beschlussfähigkeit einmal festgestellt wurde, so ein Rechtsamtsvertreter.
Brandschutzmaßnahmen sorgen für Diskussionen
Die meiste Zeit nahmen während dieser Sitzung die Bürgerfragerunde und die Aktuelle Stunde zum Thema „Zusammenhalt für die Demokratie“ ein.
IBG-Initiator Ralf Leonhard nahm die Bürgerfragestunde zum Anlass, über eine für ihn fragwürdige Bestuhlungssituation im Saal zu sprechen. Laut der Einschätzung von Leuten der Berufsfeuerwehr Greifswald auf Grundlage eines Saalplans wüsste er, dass der aktuell vorgesehene Platz für die Öffentlichkeit nicht ausgeschöpft werde. Er vermutet dahinter die Absicht der Verwaltung und des Oberbürgermeisters, die Öffentlichkeit einschränken zu wollen. Er warf ihnen „Lügenberichte“ vor, „ideologischen Fanatismus“ der Tierschutzpartei und „rot-grün“. Dabei schlug er ihnen vor, ihre Plätze zu räumen, „damit ‚vernünftige Greifswalder‘ hieran teilnehmen“ können. Er spielte zudem auf das Verbot von Ton- und Videoaufnahmen in der Sondersitzung an. Das sei ein „Skandal“ gewesen. Vizepräsidentin Wisnewski (Grüne) warf er „Unfähigkeit“ vor.
Von Seiten der Stadt dementierte Fassbinder jegliche Anschuldigungen: Die Bestuhlung sei wegen nötiger Umbaumaßnahmen derzeit eingeschränkter. Brandschutzbestimmungen würden jedoch keine andere Möglichkeit zulassen. Man sei bemüht, „möglichst viele Plätze zu gewährleisten“. Ein weiterer Sitzungssaal wurde ebenfalls eröffnet, wohin der Livestream übertragen wurde. Birgit Socher (Die Linke) fügte an, dass alle genannten Maßnahmen mit den Fraktionsvorsitzenden bereits 2023 im Präsidium besprochen worden seien. Sie wundere sich nun, dass das Thema so „hochkoche“.
Bürgerschaft bittet CDU um Rückkehr zur Mitte
In der von der SPD beantragten Aktuellen Stunde kam es neben zahlreichen Wortbeiträgen verschiedener Fraktionsmitglieder immer wieder zu Appellen an die CDU, sich nicht mit rechtsgesinnten Kräften einzulassen. „Sie machen sich mit einer Partei gemein, die mit Remigration kein Problem hat“, hieß es etwa von Andreas Kerath von der SPD.
CDU-Mitglied Madeleine Tollani erklärte den Demokratiebegriff als ausschließlich „formelle Machtausübung“ und Faschismus als „Führerprinzip“. Viele würden den Demokratiebegriff deshalb falsch nutzen. „Demokratie sei nicht mit Menschenrechten vermischbar“. Und sie benannte die AfD „nach ihrem Wahlprogramm als höchstdemokratisch“ – sie fordere Volksabstimmungen nach dem Schweizer Modell und niemand aus der Partei habe bisher „die Abschaffung von Wahlen postuliert“. Dass etwa der Brandenburger AfD-Politiker Lars Hünich erst vor einigen Wochen die Abschaffung des „Parteienstaates“ forderte, schien sie verpasst zu haben.
Mignon Schwenke (Linke) betont, dass mit „juristischen Spitzfindigkeiten“ keine Lösungen erzielt würden und eine Zeit der Kompromisse offenbar vorbei sei. Diejenigen, die mit Geschrei die Sitzungen stören, würden die Demokratie in Wahrheit mit Füßen treten.
Reden, wie etwa von König oder Alexander Krüger (Grüne) wurden vor allem von Thomas Kerl (parteilos) und Axel Hochschild (CDU) mehrfach gestört, kommentiert oder belacht. Krüger gab zum Ende seiner Ausführungen zu Bedenken, dass Greifswald für einige Zugezogene nur „eine Spielwiese gegen Demokrat:innen zu sein scheint“.
Robert Gabel (Tierschutzpartei) fasste die zurückliegenden Sitzungen mit den Worten zusammen: Demokratie fände man in den letzten Monaten „hier nicht“.
Nehmzow von Ausschüssen abberufen, Horn bleibt
Dem kurzfristigen Antrag von Grit Wuschek, Grünen-Politikerin Katharina Horn von all ihren Ämtern zu entbinden, ging der SPD-Antrag voraus, Eva Nehmzow aus der Ortsteilvertretung der Innenstadt und dem Ausschuss für Soziales, Jugend, Sport, Inklusion, Integration, Gleichstellung und Wohnen, in dem sie als sachkundige Einwohnerin für die AfD sitzt, abzuberufen. SPD-Mitglied Thomas Stamm-Kuhlmann begründete den Antrag mit der Gefahr, dass sie bei weiterer Mitgliedschaft die eigentliche Arbeit der Gremien ver- und behindern könnte. Das habe zuletzt die Sondersitzung gezeigt. Eine Inszenierung sei offensichtlich gewesen. Schwenke wies zudem auf Nehmzows, aus ihrer Sicht, eher mäßiges Interesse während Ausschusssitzungen hin. Sie sei nur da, um den anderen Mitgliedern „auf die Finger zu schauen“, habe Nehmzow formuliert.
Für CDU-Mitglied Jürgen Liedtke unverständlich: Nehmzow habe sich seiner Ansicht nach für ihr Verhalten am 31. Januar entschuldigt, außerdem sei die Situation ähnlich des Verfahrens um Katharina Horn, die 2021 wegen der Beschmierung von CDU-Plakaten angezeigt worden ist. Unterschied aber: Die Konsequenz von Horn nach dem Urteil war ein selbständiger Rücktritt von ihren damaligen Ämtern. Nehmzows Äußerung, sie werde sich „niemals bei diesen rot-rot-grünen Neo-Faschisten und ihrer lächerlichen Tierschutzpartei“ entschuldigen, reichte ihm offenbar nicht als Hinweis.
Schlussendlich stimmten 22 Mitglieder für einen Ausschluss von Nehmzow, 15 dagegen, es gab zwei Enthaltungen.
Wuscheks Antrag auf Ausschluss von Katharina Horn wurde ohne ihre Anwesenheit gefällt, weil sie zu dem Zeitpunkt bereits die Sitzung verlassen hatte. In der Abstimmung sprachen sich elf Mitglieder für einen Ausschluss aus, 26 dagegen bei einer Enthaltung.
Was sonst noch Thema war:
Straßenbau für CDF, erstmal keine für den Riems
In der Bürgerfragerunde merkte Dirk Schwarzrock die Straßenverhältnisse auf der Insel Riems an. Sie sei Teil der Stadt Greifswald. Dabei zeigte er sich enttäuscht von einer vermeintlichen Aussicht des Oberbürgermeisters vor vier Jahren, dass entsprechende Fördergelder für Sanierungsmaßnahmen bereit stünden. Laut ihm würde die Stadt Anwohner:innen nur vertrösten und „verprellen“.
Grünen-Mitglied Jörg König verweist daraufhin auf weitere Straßen, die dringend sanierungsbedürftig seien. Im Bauausschuss warte man schon länger auf einen aktuellen Straßenzustandsbericht. Bei all den Wünschen dürften jedoch nicht „die Lautesten gewinnen“.
Für Straßensanierungen würden noch finanzielle Mittel akquiriert, jedoch könnte nicht alle dringenden Maßnahmen umgesetzt werden. Insgesamt stünden 600.000 Euro zur Verfügung, weitere Gelder stehen in Diskussion. Priorität würden wegen des Jubiläumsjahres von Caspar David Friedrich die Hauptstraßen rund um die Veranstaltungsorte bzw. Innenstadt haben. Im kommenden Haushalt sollten jedoch mehr Gelder für Straßenbaumaßnahmen eingeplant werden.
Leer bleibt leer im Stadtgebiet
Zur Thematik leerstehender Häuser und möglicher Nutzungsideen fragte ein Student auch nach dem noch immer nicht sanierten Sibylla-Schwarz-Haus in der Baderstraße 2. Laut Fassbinder würden der bereits begonnene Prozess einer Enteignung des seit Jahren säumigen Inhabers derzeit ruhen. Es gebe „Aktivitäten“ vor Ort, so Fassbinder als Begründung. Ob diese tatsächlich zum Erfolg führen, könne man derzeit aber nicht sagen, merkte er an.
Parken für Anwohnende für 90 Euro
Es ist endlich eine Entscheidung zu den Bewohnerparkgebühren gefallen. Nach einigem Hin und Her soll der entsprechende Parkausweis künftig 90 Euro kosten. Dafür stimmte die Bürgerschaft (21 Ja-Stimmen, 15 Nein-Stimmen), nachdem ein Antrag der CDU für 30 Euro und ein weiterer Antrag der SPD für 70 bzw. 75 Euro abgelehnt worden waren.