„Im Zusammenhang mit dem Verdacht der versuchten Nötigung am Abend des 17.01.2023 in Loitz zum Nachteil eines 11-jährigen Mädchens (siehe Pressemitteilung) haben die fortlaufenden Ermittlungen der Kriminalpolizei Greifswald und eine erneute Befragung des Mädchens ergeben, dass sich das Kind die Tat nur ausgedacht hat.“ Das gab die Polizeiinspektion Anklam Ende vergangener Woche bekannt.
Damit ist der größte Aufhänger vieler kritischer Stimmen im und um den Ort haltlos, nachdem es einen Drohbrief an Stadt und Landkreis und schließlich eine Informationsveranstaltung zur Lage in der Regionalen Schule Loitz gegeben hatte, an der mehr als 250 Leute teilnahmen.
Die knapp dreistündige Veranstaltung war geprägt von Zwischenrufen und rassistischen und menschenverachtenden Anfeindungen. Auf die Aussage des Integrationsbeauftragten des Landkreises etwa, dass die Würde des Menschen unantastbar sei, reagierten viele im Saal mit Gelächter. Ein Wortbeitrag lautete: „Die Syrer, die hier untergebracht wurden, können ihre Lümmel nicht in der Hose halten.“ Eltern und Großeltern hätten Angst, ihre „hübschen blonden Mädchen“ noch auf die Straße gehen zu lassen. Selbst die Kinder hätten bereits Angst, äußerten Loitzer Bürger:innen.
Auf die Erläuterung aus dem polizeilichen Ermittlungsbericht, der zu diesem Zeitpunkt bereits die Schuld der Geflüchteten ausschloss, wurde aus dem Publikum mit Rufen wie „Alles Lüge“ und „Verschleierung“ geantwortet.
Menschenverachtende Kommentare bleiben ungestraft
Um ein Gespräch mit syrischen Geflüchteten zu ermöglichen, hatte ein Loitzer Stadtvertreter im Vorfeld den Verein Zora aus Greifswald gebeten, Freiwillige aus einer anderen Unterkunft zur Veranstaltung einzuladen. Ein Ehepaar und ein Mann waren gekommen. Aber schon im Eingangsbereich der Schule, in der die Veranstaltung stattfand, seien die Gäste mit Aussagen wie „Die sollte man alle totschlagen“ begrüßt worden, so Laura-Ann Schröder, begleitende Mitarbeiterin von Zora, in einem Redebeitrag während der Veranstaltung. Weitere Zwischenrufe über „Warum kommen nur Männer und wo sind die Frauen?“ und „Bring einen Ofen aus Auschwitz mit“ hätten das Ehepaar schließlich zum vorzeitigen Verlassen der Veranstaltung veranlasst, berichtete Schröder gegenüber KATAPULT MV.
Am Ende wurde eine Person des Saals verwiesen und jeweils eine Strafanzeige wegen des Verdachts der Volksverhetzung und wegen Beleidigung gegen unbekannt gestellt, weil ein Mann dem stellvertretenden Landrat den Mittelfinger gezeigt hatte.
Im Vorfeld hatten mehrere Initiativen und Vereine, die sich um die Geflüchteten in den Unterkünften kümmern oder mit ihnen arbeiten, dem Landkreis Vorpommern-Greifswald ihre Unterstützung auf der Veranstaltung angeboten. Eine Reaktion gab es nach ihren Angaben nicht.
Unterkunft in Loitz bleibt
Die falschen Anschuldigungen in Loitz sind aufgeklärt. Bleiben müssen die Geflüchteten weiterhin dort. 36 Männer waren es laut Landkreis bis Mitte vergangener Woche. Dann kamen noch einmal rund 20 Menschen hinzu, wie der stellvertretende Landrat Dietger Wille (CDU) nach der Veranstaltung mitteilte. Ausgelegt ist die Unterkunft für 200 Personen und soll weiterhin nur eine vorübergehende Lösung sein, weil die anderen drei Unterkünfte in Wolgast, Pasewalk und Greifswald an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen.
Nach der Veranstaltung wies Wille erneut darauf hin, dass wegen der zu erwartenden steigenden Zahl an Geflüchteten weitere Möglichkeiten der Unterbringung geprüft würden. Auch denke man über eine zentrale Unterbringungsmöglichkeit im Landkreis nach.
Flüchtlingsrat nimmt Land und Kommunen in die Pflicht
Der Flüchtlingsrat MV sieht nach den Ausschreitungen von Loitz und Grevesmühlen am vergangenen Donnerstag die kommunale und die Landespolitik in der Verantwortung. Er veröffentlichte einen Zehn-Punkte-Plan für einen besseren Umgang mit Geflüchteten, verbunden mit einem dringenden Augenmerk auf den „offenen Rassismus“, der sich zunehmend verstärke.
Unter anderem werden dort politische Akteur:innen aufgefordert, die Bevölkerung besser über die rechtlichen Grundlagen der Aufnahme Geflüchteter aufzuklären. Die Unterbringung müsse angemessen im Verhältnis zur Einwohnerzahl des jeweiligen Ortes und zudem „humanitär“ sein, etwa mit Einkaufsmöglichkeiten und Zugang zu Beratungsstellen: „Die Einrichtung von Zelt- und Containerlagern [ist] ebenso zu vermeiden wie eine dauerhafte Unterbringung in Turnhallen.“
Veranstaltungen, auf denen „antisemitische, rassistische und menschenverachtende Äußerungen fallen, müssen umgehend abgebrochen werden.“ Personen, die sich dementsprechend äußerten, müssten des Saales verwiesen werden – „zur Not mit polizeilicher Unterstützung“. Außerdem müssten die rechtlichen Grundlagen für die Unterbringung Geflüchteter in MV überarbeitet werden. Diese seien über zwanzig Jahre alt, so der Flüchtlingsrat.
Schließlich sei es staatliche Aufgabe, vor Krieg und Verfolgung flüchtenden Menschen Schutz zu bieten, „sie aufzunehmen, eine würdige Unterbringung zur Verfügung zu stellen und für ihre physische und psychische Sicherheit zu garantieren“.
Fotos: Rolando Octavio
Quellen
- Polizei Anklam (Hg.): Nachmeldung zur versuchten Nötigung in Loitz, auf: presseportal.de (27.1.2023).↩
- Telefonat mit Laura-Ann Schröder am 26.1.2023.↩
- Polizei Anklam (Hg.): Volksverhetzende Äußerungen am Rande einer Informationsveranstaltung der Stadt Loitz, Landkreis Vorpommern-Greifswald, zu einer Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge im Ort, auf: presseportal.de (26.1.2023).↩
- Flüchtlingsrat MV (Hg.): 10 Punkte zur Diskussion über die Unterbringung Geflüchteter, auf: ↩