Die Baubranche will ein klares Statement von der Landesregierung, dass sie hinter ihr steht. So das Credo der Architektenkammer, der Ingenieurkammer, des Bauverbands und der drei Industrie- und Handelskammern von MV. Während für das Gesundheitswesen, Industrie und Landwirtschaft klare Ziele im neuen Koalitionsvertrag formuliert wurden, kommt der Bausektor nicht einmal vor. Die Politik könne nicht nur bestimmte Förderungsschwerpunkte nennen. Dahinter stünden immer Bauvorhaben, die auch realisiert werden müssten, von Werkhallen bis Wohnungsbau.
Zwar sei die Hochschullandschaft in MV in der letzten Legislaturperiode finanziell gefördert worden, sagt die Präsidentin der Ingenieurkammer, Gesa Haroske. Dabei gewannen auch die Studiengänge rund um die Bauwirtschaft an den Standorten Wismar, Neubrandenburg und Rostock dazu. Jetzt müsse es aber darum gehen, wie man die ausgebildeten Nachwuchskräfte im Land halten könne.
Aufträge gäbe es eigentlich genug: 2020 hat das Bauhauptgewerbe laut dem Bauverband MV 3,15 Milliarden Euro umgesetzt. Damit ist MVs Bauwirtschaft fast wieder so umsatzstark wie zuletzt 1995. Das Problem: Es gibt sehr viel weniger Beschäftigte.
Standortattraktivität Wismars nutzen
Laut Thomas Maync, dem Präsidenten des Bauverbands, hat zuletzt die Corona-Pandemie gezeigt, dass die Baubranche durchweg arbeitsbereit sein kann, auch wenn Preissteigerungen und Lieferengpässe bis heute an der Tagesordnung sind.
Interesse an Berufen in der Baubranche scheint es aber noch zu geben: Allein die Hochschule Wismar hat seit ein paar Jahren dreimal so viele Bewerber:innen für den Masterstudiengang Architektur, als es Plätze gibt, sagt Architektenkammerpräsident Christoph Meyn. Hier könne man die Anzahl der Plätze (bislang 50) aufstocken. Wichtig sei aber auch, dass der Studiengang dualer wird, sodass Studierende schneller in die regionale Baubranche involviert werden. Eine große Zahl von Studierenden würde die Semester von Hamburg aus absolvieren, nach ihrem Abschluss dann auch dort einen Arbeitsplatz suchen. Das müsse sich ändern, die Kräfte sollten nach der Ausbildung im Land gehalten werden. Derzeit wird deswegen an einer dualen Ausrichtung des Studiengangs in Wismar gearbeitet, sagt Meyn. Das müsse aber auch für die anderen Standorte und Studienmöglichkeiten gelten. Auch eine einfachere Aufnahme in die Handwerkskammern müsste es geben, damit die Hürde für Neueinsteiger:innen niedriger ist.
Ronny Seidel vom Ingenieurrat MV fügt hinzu, dass eine bessere Ausrichtung der sogenannten Mint-Fächer, also aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, schon in der Schule nötig sei, um genügend potenzielle Nachwuchskräfte frühzeitig für die Branche zu begeistern.
Mehr nachhaltiges Bauen statt Sparmaßnahmen
Christoph Meyn plädiert neben der bewussteren Nachwuchsförderung dafür, mehr Geld in nachhaltige Baumaßnahmen zu investieren, anstatt die günstigsten Angebote zu wählen. Klimaschutz sei überall präsent, der Bausektor erzeuge weltweit 40 Prozent aller CO2-Emissionen. So müsse sich die Politik nicht nur auf die regenerative Energieerzeugung und deren Ausbau stürzen, sondern auch auf ressourcenschonendes und kreativeres Bauen.
Gerade der ländliche Raum könnte mit innovative Projekten auch für junge Leute wieder attraktiver werden, allen voran, wenn die Infrastruktur gut ausgebaut ist. Aber auch eine kreativ gestaltete Kita in einem Dorf sei attraktiver als ein Containerbau, so Meyn. Ingenieur-, Architekten- und Handwerkskammern hätten da ein großes Innovationspotenzial. Es bedürfe dafür aber keiner Bundesprogramme, sondern landesspezifischer. Die aber gebe es derzeit nicht.
Auch bei der Nutzung von nachhaltigen Baumaterialien aus dem eigenen Land könnte MV ein Vorreiter werden. Zum Beispiel gebe es bei Wismar ein leistungsfähiges Holzverarbeitungszentrum, wodurch bewusst regenerative Baustoffe genutzt werden können. MV habe auch viel Wald, so Meyn. Da gäbe es Potenzial. Derzeit kommen Materialien für nachhaltiges Bauen aus Süddeutschland oder Österreich, auch hier fehle eine gezielte Wirtschaftsförderung.
Zu viel Bürokratie
Nachwuchs und Nachhaltigkeit seien zwei wichtige Punkte. Ein dritter grundlegender Faktor sei aber auch der Abbau von bürokratischen Strukturen, die vieles verzögern würden, kritisiert Gera Haroske. Es gebe zu viele verantwortliche Ministerien, die Zuständigkeit für die Bauwirtschaft sei auf drei bis vier aufgeteilt. Das müsse zusammengefasst werden. Das sieht auch Thomas Maync so und fordert: Die Verwaltungen müssten offener und flexibler sein, das Bau- und Planungsrecht müsse vereinfacht werden, damit Projekte schneller umgesetzt werden können.
Auch Ausschreibungen seien nach wie vor schwer im Land zu halten. Für Klaus Jürgen Strupp, Präsident der Rostocker Industrie- und Handelskammer, kann es nicht sein, dass bei der Ausschreibung eines Bauprojekts für fünf Millionen Euro ein bayerisches Unternehmen den Zuschlag bekomme, nur weil es 4.000 Euro günstiger ist als ein Bewerber aus MV. Und das sei nicht das einzige Beispiel. Dabei sehe man die Problematik der Verwaltungen, die angehalten sind, die günstigsten Angebote zu nehmen, auch wenn das schon mal auf Kosten der CO2-Bilanz und regionaler Wirtschaftskreisläufe gehe. Laut Christoph Meyn ist dies aber eine einfache Rechnung: Nur wenn regionale Betriebe Aufträge erhalten, können sie Wachstum generieren. Deswegen sollten in solchen Vergabeverfahren von Bauprojekten auch andere Kriterien als die reinen Kosten ins Gewicht fallen, etwa Nähe und Nachhaltigkeit. Dann hätten auch Bewerber:innen aus dem Land eine Chance. Das würden auch andere Bundesländer schon längst so handhaben.
Mehrere Punkte sind laut MVs Bauwirtschaft also derzeit mehr als drängend. Die Beteiligten hoffen nun, mit ihrem gemeinsamen Auftritt und ersten Lösungsvorschlägen Gespräche mit dem Land angeregt zu haben. Sie warten auf eine Reaktion.