Portrait von der EU-Abgeordneten Sabrina Repp, die ein Interview mit KATAPULT MV geführt hat.

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Interview

Wie geht’s Europa, Sabrina Repp?

Seit Juni 2024 vertritt die gebürtige Tessinerin Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt als EU-Abgeordnete. Die zweitjüngste Politikerin im aktuellen Parlament erzählt im Interview, wie man EU-Abgeordnete wird, den Spagat zwischen MV und Brüssel bewältigt und mit welchen Herausforderungen Europa gerade zu kämpfen hat.
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Ich treffe die 26-Jährige an einem Freitagmittag in Rostock. Erst letzte Nacht ist sie aus Brüssel zurückgekommen. Bevor wir uns unterhalten, schlage ich vor, gemeinsam den Song Europa der Stuttgarter Post-Punk-Band Die Nerven zu hören. Sabrina stimmt zu, ich drücke auf Play: akustische Gitarren, sanfte Töne. „Eine Kindheit, eine Jugend. Ein Turm aus Elfenbein. Alle sagen immer wieder, so wird’s nie wieder sein. Lernen aus den Fehlern, lernen aus dem Leid. So wird’s nie wieder sein.“

KATAPULT MV: Wir beobachten aktuell auf der ganzen Welt einen Rechtsruck. Was denkst du nach einem Jahr als Europaabgeordnete über diese Textzeilen

Sabrina Repp: Seit ich Abgeordnete bin, erlebe ich deutlicher, als wie selbstverständlich Europa oft wahrgenommen wird. Der Konsens scheint in den letzten Jahren nach und nach aufgeweicht. Der Rechtsruck und die Wahlergebnisse werden in den nächsten vier Jahren noch sehr konkrete Auswirkungen auf unsere parlamentarische Zusammenarbeit haben. Die rechten Fraktionen im europäischen Parlament sind mehr und größer geworden. Das ist eine Herausforderung. Wir müssen uns zurzeit dagegen wehren, Rückschritte zu machen.

Du hast gesagt, dass der Zuspruch für Europa abgenommen hat. Dabei profitiert MV von europäischen Förderungen – zum Beispiel in Landwirtschaft und Infrastruktur. Warum hat der Ruf von Europa trotzdem gelitten?

Ich glaube, die EU wirkt für viele Menschen sehr weit entfernt. Die Politik machen wir aber nicht nur in Brüssel und Straßburg, sondern auch hier vor Ort. In sichtbaren Projekten wie Radwegen, Sanierung von Gebäuden oder in der Landwirtschaft. Doch wirtschaftliche Vorteile durch die EU allein reichen nicht aus. Es braucht eine Verbundenheit, ein europäisches Zusammenhaltsgefühl.Wenn ich möchte, dass meine Kinder später auch in Frieden, Freiheit und Demokratie aufwachsen können, geht das nur mit der EU. Alle Herausforderungen der letzten Jahre wie demokratische Rückschritte, Energiekrise, Coronakrise und Klimawandel können wir nicht als MV oder Deutschland lösen, sondern nur gemeinsam im Großen und Ganzen. Bei der aktuellen Weltlage ist die Europäische Union unsere einzige Möglichkeit, ein Gegengewicht herzustellen. Dem müssen wir uns bewusst werden.
Gleichzeitig haben wir vor Kurzem im Bildungs- und Kulturausschuss über eine Studie gesprochen, in der 51 Prozent der jungen Menschen angegeben haben, sie wüssten nicht genug über die EU und ihre Funktionsweise. Das müssen wir verbessern und Europa näher zu den Menschen bringen. Dazu kann ich mir natürlich in Brüssel überlegen, was Menschen in MV denken. Aber ich möchte lieber mit den Leuten vor Ort, beispielsweise durch Schultouren oder mobile Cafés, sprechen und versuchen, ihre Perspektiven in unsere Arbeit einzubringen. Das ist eine Sisyphusarbeit. Aber es zu versuchen, finde ich wichtig.

Du hast einen Bachelor und einen Master in Politikwissenschaften. Aber wo lernt man eigentlich, Europaabgeordnete zu sein?

Das lernt man gar nicht, um ehrlich zu sein. Mir hilft natürlich mein politikwissenschaftlicher Hintergrund, um manche Zusammenhänge besser zu verstehen, aber besonders in der Ausschussarbeit ist es notwendig, sich sehr intensiv einzuarbeiten. Denn in den Ausschüssen ist man Ansprechperson für seine Fraktion – unabhängig davon, ob man seit 20 Jahren oder seit einem Monat im Parlament sitzt. Oft muss man schnell Position beziehen. Durch meine vorherige Arbeit in der politischen Bildung und für den Landtagsabgeordneten Julian Barlen konnte ich aber ein Gefühl, einen Kompass dafür entwickeln. Man muss ausprobieren. Manche Sachen funktionieren gut, andere weniger.

Das erste Jahr habe ich also damit verbracht, für mich eine Orientierung zu finden und anderen eine Orientierung zu geben. Ansprechbar vor Ort zu sein und mein Versprechen aus dem Wahlkampf, Europa näher zu den Menschen zu bringen, einzulösen.

Das klingt nach einem vollen Terminkalender. Wie sieht denn so eine klassische Woche zwischen Blumenstadt Tessin und Europastadt Brüssel aus?

Meine Familie lebt zwar in Tessin, ich bin aber mittlerweile Rostockerin. Von hier aus geht es in der Regel montags zum nächstgelegenen Flughafen und dann weiter nach Brüssel. Donnerstags komme ich meistens zurück. Am Freitag und dem Wochenende kann ich dann hier in MV sein.

Von 52 Wochen im Jahr sind wir 39 bis 40 Wochen in Brüssel oder Straßburg. In denen gibt es hauptsächlich Plenar-, Ausschuss- und Fraktionssitzungen. Das ist arbeitsintensiv und logistisch anspruchsvoll. Wenn es geht, versuche ich zumindest den halben Sonntag zur Regeneration zu nutzen.

In einem Podcast hast du erzählt, dass du dazu gern mit dem Rennrad oder dem Kajak unterwegs bist. Wann ist das letzte Mal Zeit für eine Tour geblieben?

Letzten Sommer. Ich bin gern mit Freund:innen und meinem Partner auf der Mecklenburgischen Seenplatte mit Wanderkajaks unterwegs – mit Zelten und übernachten. Das holt einen immer runter. Aufs Rennrad habe ich es in diesem Jahr noch nicht geschafft. Weil ich so selten in meiner Wohnung bin, finde ich es auch mal schön, dort zu sein und Haushaltsaufgaben zu machen oder zu kochen. Man bekommt eine andere Perspektive auf die ruhigen Momente zuhause.

Der Altersdurchschnitt aller Abgeordneten im Europaparlament beträgt 49,6 Jahre. Du warst mit 25 Jahren sogar die jüngste deutsche Abgeordnete im Parlament. Ergeben sich daraus Nachteile?

Ich bin aktuell die zweitjüngste Abgeordnete im EU-Parlament. In einer Demokratie finde ich es aber wichtig, dass alle Perspektiven vertreten werden. Leider ist es aber nach wie vor so, dass junge Perspektiven – besonders Perspektiven von jungen Frauen – viel zu wenig vertreten sind. Ich glaube, am Ende stärkt es unsere Demokratie, wenn Sichtweisen nicht wegen des Alters oder des Geschlechts ausgeschlossen werden. Weder das eine noch das andere gibt Auskunft darüber, ob du gute Politik machst oder nicht. Der Mensch dahinter ist entscheidend.

Du wolltest aber als Kind nicht schon Politikerin werden, oder?

Nee, ich war schon immer sehr geschichtsinteressiert und wollte früher Ägyptologin werden. Archäologin und Lehrkraft standen auch immer hoch im Kurs. Nach meinem Bachelorabschluss in Dresden wollte ich dann unbedingt an der Uni bleiben, weil es mich in der Politikwissenschaft fasziniert hat, hinter die Kulissen zu blicken.Während meines Masters an der Uni Rostock – das war während der Coronazeit – hatte ich aber den Spaß am Studieren aber verloren. Mir hat der Kontakt gefehlt. Damals habe ich dann angefangen, für Julian Barlen zu arbeiten. Erst als Unterstützerin im Wahlkampf, später als Büroleiterin. Dabei habe ich gemerkt, dass man nicht nur meckern, sondern auch was verändern kann, wenn man bereit ist, Verantwortung zu übernehmen.
Als mich die Jusos dann gefragt haben, ob ich mir vorstellen kann, für das Europäische Parlament zu kandidieren, ging ein komplexer Prozess los. Von der Aufstellung als Kandidatin über die Verhandlungen mit Mitgliedern in MV bis hin zur SPD-Bundesebene. Da musste man dann einen guten Listenplatz bekommen, um überhaupt eine realistische Chance zu haben.

Du hast damals Listenplatz elf bekommen.

Genau. Der ganze Prozess dauerte etwa zwei Jahre – mit vielen Höhen und Tiefen. Dass es tatsächlich geklappt hat, hing von vielen Komponenten ab. Zum Beispiel, dass wir uns damals mit MV und Sachsen-Anhalt zusammengetan haben. Vorher gab es mit Matthias Ecke aus Sachsen nur einen ostdeutschen SPD-Abgeordneten im Parlament.

Matthias Ecke wurde während des Wahlkampfes im Mai 2024 von jungen Männern angegriffen und schwer verletzt. Mit Blick auf die letzten Wahlergebnisse stellt man außerdem fest, dass die SPD nicht gerade an Beliebtheit gewonnen hat. Welche Erfahrungen mit Gegenwind oder sogar Angriffen hast du?

Bei mir passiert das vorwiegend in den Sozialen Medien. Vorrangig auf Tiktok und Facebook. Die Leute schreiben oft in einem Ton, der nicht okay ist: „Geh’ erst mal arbeiten. Du hast doch keine Ahnung, wovon du redest.“ Der Ton im Netz wird rauer und die Gefahr darin besteht, dass die gewaltsame Stimmung überschwappt und in gewalttätige Übergriffe im realen Leben mündet.

Eines deiner Ziele im Wahlkampf war ein klimaneutrales Europa bis 2050. Ist das, nach dem, was du bis jetzt erlebt hast, eigentlich realistisch?

Aktuell nehme ich wahr, dass einige bereits beschlossene Gesetze in sogenannten Omnibusverfahren neu aufgemacht werden. Die, die solche Verfahren vorantreiben, wollen unter dem Deckmantel der Vereinfachung Gesetze tatsächlich abschwächen. Besonders im Bereich Klima und Umwelt gibt es da aktuell Rückschritte. Wirtschaft und Verteidigung werden durch die konservativen und rechten Fraktionen zur Zeit in den Vordergrund gerückt.

Ist das manchmal auch frustrierend?

Das bewegt mich. Aber ich bin überzeugt, wir brauchen mehr Europa. Und dafür werde ich mein Mandat nutzen und kämpfen. Niemand kann sagen, wie sich die EU weiterentwickelt. Aber ich stehe jeden Tag auf und gebe mein Bestes. Das bin ich den Leuten schuldig, die mich gewählt haben.

zu sehen sind drei gedruckte Ausgaben von KATAPULT MV

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Autor:in

  • Chefredakteur

    Geboren in Vorpommern, aufgewachsen in Mecklenburg. Einziger KATAPULT-Redakteur mit Traktorführerschein UND Fischereierlaubnis.

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