Die schwarze Zukunft, Stumme Wut und Unbesiegbare Frauen. So heißen die bunten Kunstwerke der afghanischen Künstlerin und Aktivistin Hafiza Qasimi, die im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus im Rostocker Rathaus ausgestellt werden.
Ihr Markenzeichen: Frauen mit langen, wehenden Haaren, Friedenstauben, ein Globus. Und seit dem 15. August 2021: bewaffnete Taliban. Denn die Werke erzählen vom Leben von Frauen und Kindern im von den Taliban regierten Afghanistan. Von Frauen, die Kinder für Essen verkaufen müssen. Von Frauen, die hinter dem Augengitter einer Burka eingesperrt sind. Von Mädchen, die nicht in die Schule gehen dürfen.
Die Bilder der Ausstellung „Kunst inmitten des Krieges“ hat Hafiza mit anderen Künstler:innen heimlich gemalt, nachdem ihre Galerie von den Radikalislamisten zerstört wurde. Die Werke wurden fotografiert und anschließend verbrannt.
Hafizas Bruder Anosh, der 2015 als 21-Jähriger nach Deutschland floh, stellte 20 Reproduktionen der ursprünglichen Malereien in Originalgröße an verschiedenen Orten in MV und in Hamburg aus. Und er half seiner Schwester aus der Ferne bei der Flucht. Anderthalb Jahre hat es gedauert, sie nach Deutschland zu holen.
Acht Monate verbrachte sie in Iran, wo sie nicht nur als Frau, sondern auch als Afghanin Diskriminierung erdulden musste. Seit nicht einmal einer Woche ist sie nun in Rostock, wo sie am heutigen Mittwoch um 16.30 Uhr ihre Ausstellung das erste Mal persönlich eröffnen wird. Außerdem wird ein 15-minütiger Kurzfilm, der die Entstehung der Werke dokumentiert, gezeigt. Im Anschluss sprechen Hafiza und Anosh über die Situation von Frauen in Afghanistan. Die Werke werden bis zum 31. März wochentags zwischen 8 und 18 Uhr in der Rathaushalle zu sehen sein.
Wir haben mit der 24-Jährigen gesprochen. Über ihr Leben unter den Taliban, ihre Flucht und ihre Kunst. Das Gespräch wurde auf Dari-Persisch geführt und von Anosh ins Deutsche übersetzt.
KATAPULT MV: Wer bist du und wo kommst du her?Hafiza Qasimi: Ich bin Künstlerin und Aktivistin aus Afghanistan. In Kabul hatte ich eine Galerie. Nachdem die Taliban in Afghanistan die Macht ergriffen haben, wurde Frauen alles verboten. Die Taliban haben den Frauen einfach all ihre Grundrechte aberkannt.
Die Taliban haben meine Bilder und meine gesamte Galerie zerstört. Denn meine Bilder haben Frauen ohne Kopftuch gezeigt, Frauen, die Spaß hatten, offen und frei waren. Für die Taliban ist das eine Schande.
Was hast du seit der Machtergreifung der Taliban 2021 erlebt?
Viele meiner Freundinnen und andere Aktivistinnen wurden für ihre Arbeit bestraft und mussten fliehen. Auch ich musste monatelang untertauchen und mich vor den Taliban verstecken. Nicht nur um mich zu schützen, sondern auch meine Familie.
Während ich mich versteckt habe, habe ich heimlich gemeinsam mit anderen Bilder gemalt. Diese Freiheit wollten wir uns nicht nehmen lassen. Natürlich war es nicht einfach, sogar lebensgefährlich. Aber wir wollten durch unsere Kunst zeigen, was die Frauen in Afghanistan nun täglich ertragen und durchmachen müssen.
Woher hast du den Mut genommen, heimlich weiterzumachen, selbst unter Lebensgefahr?
Ich habe diesen Mut, diese Energie von vielen anderen Menschen. Denn es geht nicht nur um mich. Es geht um meine Familie, meine Freunde, alle Frauen, die alle keine Perspektive mehr haben. Die sich nach der Machtübernahme der Taliban machtlos fühlen. Ich möchte den Frauen, meiner Familie, meiner Schwester eine Stimme geben. Ich möchte zeigen, dass wir für unser Recht kämpfen und etwas ändern können.
Bei der Arbeit an den Bildern, die in der Rostocker Ausstellung gezeigt werden, brauchten wir uns keine Konzepte zu überlegen. Wir wussten sofort, was wir zeigen wollten: Das, was wir jeden Tag in Afghanistan sehen. Dass Frauen Burka tragen müssen, dass sie gesteinigt werden. Das alles zeigen unsere Bilder.
Wie hast du die Flucht aus Afghanistan geschafft?
Nach der Zerstörung meiner Galerie wusste ich, dass ich in Gefahr bin. Ich musste das Land verlassen und bin nach Iran geflohen. Aber das war schwer. Eine Frau ohne Mann kann kein Visum beantragen. Aber mit Geld habe ich dann doch ein Visum bekommen. Doch das nächste Problem war, dass ich nicht wusste, wie ich über die Grenze kommen sollte. Denn als Frau durfte ich auch nicht alleine fliegen. Die Taliban haben Frauen verboten, unbegleitet zu reisen. Wer weiter als 14 Kilometer allein reist, macht sich strafbar. Sie dürfen nur in der Familie, zusammen mit Mann oder Brüdern, reisen. Und sie müssen beweisen können, dass es auch wirklich ihre Familie ist.
Doch ich habe es geschafft, teilweise zu Fuß. Aber wie genau ich über die Grenze gekommen bin und was ich dabei durchgemacht habe, möchte ich nicht erzählen.
Hattest du in Iran mehr Freiheit als in Afghanistan?
(Anosh umarmt seine Schwester, bevor er ihre Antwort übersetzt.) Als Frau hätte ich mich dort frei bewegen können. Als Afghanin nicht. Ich durfte keine Verträge abschließen – kein Konto eröffnen, keine Simkarte kaufen, um mit meiner Familie zu telefonieren, keine Wohnung mieten. Ich musste mir ein freies Zimmer im Haus einer Familie suchen, um in Iran bleiben zu können. Außerdem haben Afghaninnen, die dort leben, auch kein Recht auf Bildung. Ich wurde beleidigt. Das macht man durch als Afghanin in Iran.
Wie hast du letztendlich die Flucht nach Deutschland geschafft?
Als ich aus Afghanistan nach Iran geflüchtet bin, wusste ich, dass ich auch dort keine Zukunft und keine Perspektive haben würde. Ich habe immer davon geträumt, aber niemals daran geglaubt, dass ich es wirklich mal nach Deutschland schaffe. Aber ich habe es geschafft. Mit viel Hilfe, unter anderem von meinem Bruder. Es war nicht einfach.
Ich habe über viele Wege versucht, ein Visum zu bekommen. Zum Beispiel über ein Stipendium für ein Kunstprojekt, bei dem ich hätte mitmachen können. Dafür brauchte ich aber viel Geld, um zu beweisen, dass ich in Deutschland leben konnte. Die ganze Summe wurde über Spenden gesammelt. Doch das Visum wurde trotzdem abgelehnt, weil ich nicht beweisen konnte, dass ich mal nach Afghanistan zurückkehren würde.
Weiterlesen: Spendenaktion für Hafiza Qasimi
Anosh: In Iran hatte Hafiza viele Schwierigkeiten. Sie wollte legal dort bleiben. Aber Visumsverlängerungen kosteten jedes Mal viel Geld. Und sie hatte viele andere Kosten, die sie jedoch mit den Spenden decken konnte.
Jetzt hat Hafiza durch ein neues Aufnahmeprogramm der Bundesregierung für Menschen aus Afghanistan ein Visum erhalten. Sie stand zum Glück schon seit August 2021, seitdem die Taliban wieder die Macht übernommen haben, auf der Liste. Sie hatte daher eine größere Chance auf ein Visum als Leute, die es jetzt erst beantragt haben. Wir waren außerdem auch ständig in Kontakt mit dem Auswärtigen Amt und dem Innenministerium, haben viele Dokumente, Unterlagen und Nachweise erbracht. Und nach anderthalb Jahren hat sie dann ihr Visum zum Glück endlich bekommen.
Wie geht es eurer Familie in Afghanistan?
Hafiza: Ich habe noch zwei Brüder und zwei Schwestern in Afghanistan. Eine Schwester hat früher als Lehrerin gearbeitet. Sie hat jetzt keine Perspektive mehr. Meine Schwester hat mich immer in allem unterstützt, jetzt versuche ich, sie irgendwie zu unterstützen.
Und wenn ich könnte, würde ich sie sofort alle nach Deutschland holen. Auch meine vielen Freunde, die aus Afghanistan geflohen sind und nun in Iran oder Pakistan leben. Ohne Geld, Hilfe oder Bleibeperspektive. Aber das ist kein Leben: Es geht nicht nur darum, zu überleben, sondern zu leben.
Wie haben dich deine Erfahrungen mit den Taliban und auf der Flucht verändert?
(Hafiza überlegt.)
Anosh: Wenn ich antworten darf: Was ich an ihr sehe, ist, dass sie mutiger geworden ist, stärker, aber auch ruhiger. Ich habe Hafiza das letzte Mal vor neun Jahren gesehen. Und schon damals war sie ein Teenager, der die ganze Welt erobern wollte. Aber was sie heute macht, ist einfach krass.
Hafiza: Ich habe es geschafft, hier eine Ausstellung zu organisieren und meine Bilder nach Europa zu bringen. Ich bin froh, dass ich das geschafft habe und meine Bilder den Frauen in Afghanistan eine Stimme geben, auf ihre Situation aufmerksam machen und sagen: Lasst uns bitte nicht alleine. Wir brauchen eure Unterstützung. Bitte schaut nicht einfach weg. Und ihr habt diese Macht, etwas zu ändern.
In Iran habe ich außerdem gelernt, wie es sich anfühlt, aufgrund der eigenen Herkunft beschimpft zu werden. Und wie sehr Worte verletzen können.
Welche Pläne hast du jetzt in Rostock, Hafiza?
Ich hatte immer den Wunsch, mich weiterzubilden. Erst mal möchte ich Deutsch lernen, damit ich unabhängig sein und ohne Hilfe von anderen leben kann. Dann würde ich gerne ein Studium oder eine Ausbildung beginnen. Außerdem möchte ich weiter meine Kunst machen. Und ich werde mein Land und meine Leute nicht vergessen und möchte sie weiter unterstützen.
Anosh: Ich glaube, Hafiza ist in Rostock viel bekannter als ich. Viele Vereine und Initiativen kennen sie schon. Aber sie ist noch nicht einmal eine Woche hier und noch haben wir viel zu tun mit der ganzen Bürokratie, die auf sie zukommt: Heute früh waren wir zum Beispiel beim Jobcenter. Außerdem suchen wir eine Wohnung oder ein Zimmer in einer Frauen-WG für sie.
Hafiza, was ist dein größter Wunsch?
Hafiza: Ich habe viele Wünsche. Ich möchte mich weiterbilden. Ich möchte Frauen unterstützen und ihre Rechte verteidigen. Ich möchte ihnen zeigen, dass auch sie das schaffen können, was ich geschafft habe.
Weiterlesen:
- Flucht und Migration: Politisch gewollte Ungleichbehandlung
- Demonstration in Rostock: Solidarität mit Frauen und Protesten in Afghanistan und Iran
- Themenseite: Gewalt gegen Frauen*
Quellen
- Die Burka bedeckt den gesamten Frauenkörper vollständig, die Augen sind mit einem engmaschigen Gitter bedeckt. Sie ist keine traditionell islamische Kleidung. Die Taliban zwingen Frauen, sie in der Öffentlichkeit zu tragen (NDR (Hg): Verschleierung: Burka, Niqab und Hidschab – das ist der Unterschied, auf: ndr.de (4.8.2017)).↩
- Auswärtiges Amt (Hg.): Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan geht an den Start, auf: auswaertiges-amt.de (17.10.2022).↩