Das Angriffsgeschehen aus dem rechten Spektrum in MV nimmt angesichts gelockerter Infektionsschutzmaßnahmen, politischer Krisen und dem dadurch angespannten gesellschaftlichen Klima stark zu, teilte der Beratungsverband Lobbi aus Rostock am Donnerstag mit. Die Hansestadt ist mit 34 Vorfällen landesweit ein Hotspot rechter Gewalt. Auch in Nordwestmecklenburg und Vorpommern-Greifswald ist eine deutliche Zunahme im Vergleich zu den Vorjahren erkennbar. Waren es in Nordwestmecklenburg 2021 noch zehn Fälle, wuchsen die Zahlen für den Landkreis von CDU-Landrat Tino Schomann im letzten Jahr auf 22 Angriffe. Gab es im Landkreis Vorpommern-Greifswald 2021 noch fünf Angriffe, ist ein Jahr später bereits von 13 die Rede.
Insgesamt sei fast im ganzen Bundesland eine Zunahme rechter Gewalt im Vergleich zu den Vorjahren erkennbar. Die Fälle haben sich binnen eines Jahres in MV von 66 auf 114 Attacken damit fast verdoppelt. Betroffen waren im letzten Jahr bei den 114 registrierten Angriffen mindestens 146 Menschen. Im Bezug zur Einwohnerzahl wurden im vergangenen Jahr nur in Thüringen noch mehr rechte Angriffe verübt als in MV.
Wie sah die rechte Gewalt 2022 in MV aus?
Bei 82 Angriffen wurden die Betroffenen Opfer von gefährlicher oder einfacher Körperverletzung. Rechtsmotivierte Drohungen und Nötigungen seien in 19 Fällen verzeichnet, massive Sachbeschädigung wurde sechs Mal und Gewalt durch Polizeibeamte in zwei Fällen festgestellt. Laut dem Beratungsnetzwerk ist damit beinahe wieder das hohe Niveau der rassistischen Mobilisierungswelle ab 2015 erreicht. Damals gab es in MV 130 rechte Angriffe, ein Jahr später bereits 149. Seitdem ist Rassismus in MV das häufigste Tatmotiv.
Hauptmotiv: Rassismus
Demnach wurden in 2022 mehr als die Hälfte (62 Fälle) der Angriffe aus klar rassistischen Motiven begangen. Ein weiterer rechter Trend zeigt mit 27 Angriffen, dass fast ein Viertel der Attacken auf vermeintliche politische Gegner:innen und Entscheidungsträger:innen stattfand. Den Zahlen zufolge steigen diese Angriffe seit vier Jahren kontinuierlich an.
Auffällig sind außerdem vermehrte Attacken auf Journalist:innen, die sich allesamt am Rande rechter Aufmärsche abgespielt haben. So gab es 2021 keine Angriffe auf Pressevertreter:innen, 2020 zwei an der Zahl und im vergangenen Jahr sieben Übergriffe auf die vierte Gewalt.
Im letzten Jahr konnte Lobbi insgesamt 188 Menschen in Folge rechter Angriffe und Problemen unterhalb der Gewaltschwelle wie Diskriminierungen, Beleidigungen oder Racial Profiling beraten.
Verfestigte Strukturen hinter Demos und Aufmärschen
Besonders das Aufmarsch- und Demogeschehen im Land habe sich seit dem Beginn der Corona-Proteste gewandelt: Organisationsstrukturen der Corona-Leugner:innen und Verschwörungsideolog:innen verfestigten sich und haben sich inhaltlich um die Themen und das Publikum der Energie- und Friedensproteste erweitert. Die zunehmende Radikalisierung dieses Spektrums lasse sich auch an den Protesten und Mobilmachungen gegen Geflüchtetenunterkünfte landesweit beobachten, so Robert Schiedewitz von Lobbi. „Nach vermeintlichen Unsicherheiten durch Pandemie und Ukraine-Krieg trifft diese Szene nun auf eines der ideologischen Kernthemen rechter Gewalttäter:innen und ihrer Stichwortgeber:innen: Rassismus“, so Schiedewitz weiter, „Die Agitator:innen hinter der Gewalt haben sich in den vergangenen Jahren vernetzt, professionalisiert und besorgniserregend radikalisiert. Klare Haltung und konsequentes Handeln aus Zivilgesellschaft und Politik sind gefragt, um diesen Entwicklungen zu begegnen.“
Lobbi fordert eine klare Haltung und konsequentes Handeln gegen die gefährliche Dynamik rechter Gewalt, die gerade in Mecklenburg-Vorpommern eine lange und dunkle Geschichte hat. Erst kürzlich stellte das Beratungsnetzwerk nach zweieinhalbjähriger Recherche fest, dass es in MV seit 1990 weitaus mehr Todesfälle durch rechte Gewalt gab, als bislang angenommen. So gehen offizielle Zahlen von fünf anerkannten und von rechts verschuldeten Todesfällen aus, während Lobbi 15 Fälle rechter Gewalt zuordnen konnte (KATAPULT MV berichtete).
Auch der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Landtag, Michael Noetzel, fordert Demokrat:innen dazu auf, jeder Form von rassistischer Hetze und Gewalt, ob in Parlamenten, im Alltag oder auf der Straße aktiv und entschlossen entgegenzutreten. Laut Noetzel lassen die aktuellen Entwicklungen auch für dieses Jahr nichts gutes erahnen: „Während rechte Hetzer vermehrt auch politische Verantwortungsträger:innen als Feindbild markieren, marschiert die Gefolgschaft vor Gemeindevertretungen oder direkt vor den Wohnhäusern auf.“Bereits Ende März stellte Innenminister Christian Pegel (SPD) die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik für Mecklenburg-Vorpommern vor. Das Innenministerium in Schwerin hatte für 2022 einen Anstieg der politisch motivierten Straftaten um insgesamt 19,2 Prozent registriert. Die Mehrzahl dieser Delikte ordnete das Landeskriminalamt dem rechten politischen Spektrum zu. Die Fallzahl stieg hier von 971 im Jahr 2021 auf 1.142. Knapp zwei Drittel davon waren Propagandadelikte. Mehr als 300 Fälle wurden als fremdenfeindlich eingestuft. Im linken politischen Spektrum weist die Statistik dagegen einen Rückgang von 226 auf 174 Fälle aus.
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Quellen
- Lobbi MV (Hg.): Rechte Gewalt nimmt 2022 deutlich zu – LOBBI warnt vor gefährlicher Dynamik, auf: lobbi-mv.de (13.4.2023).↩
- Innenministerium MV (Hg.): Corona beeinflusst auch Kriminalstatistik 2022 / Langjährige Trends bleiben, auf: regierung-mv.de (28.3.2023).↩