Der Mord reiht sich ein in eine nach dem Pogrom in Lichtenhagen sogar noch ansteigende Welle an rassistischer Gewalt in MV. Dieses Jahr wird seiner das vierte Mal gedacht – die Ermordung Christinels drohte vergessen zu werden. Eher zufällig stießen Personen vom Alternativen Jugendzentrum AJZ Kita in Ribnitz-Damgarten in einer Liste mit rechten Ermordeten auf den rumänischen Rom.
Das Beratungsnetzwerk für Betroffene rechter Gewalt in MV (Lobbi) geht nach zweieinhalbjähriger Recherche von weit mehr Todesfällen rechter Gewalt in MV seit 1990 aus, als von den Behörden anerkannt. Offiziell sind es fünf Ermordete aufgrund rechter Motive – Lobbi geht von 15 aus. Auch bei der Ermordnung Christinels gingen Polizei und Staatsanwaltschaft zunächst nicht von einer politisch motivierten Tat aus, die Lokalpresse berichtete über einen „Rachefeldzug“ von Jugendlichen.
15 Todesopfer rechter Gewalt in MV seit 1990
Offiziell anerkannt als Todesopfer rechtsextremer Gewalt sind bisher Dragomir Christinel (Saal 1992), Eckard Rütz (Greifswald 2000), Norbert Plath (Ahlbeck 2000), Mehmet Turgut (Rostock 2004) und Karl-Heinz Lieckfeldt (Butzow 2012).
Acht weitere Tötungsdelikte wurden schon von anderen Initiativen thematisiert: Boris Morawek (Wolgast 1996), Horst Gens (Sassnitz 1997), Jürgen Seifert (Wismar 2000), Klaus-Dieter Gerecke (Greifswald 2000), Fred Blank (Grimmen 2001), Mohammed Belhadj (Jarmen 2001), Klaus Dieter Lehmann (Neubrandenburg 2002) und Andreas F. (Wismar 2007).
Zwei weitere Todesopfer rechter Gewalt fand Lobbi bei ihrer Recherche: Der Obdachlose Olaf Jeschke, der im November 1996 von zwei Personen so schwer misshandelt wurde, dass er an seinen Verletzungen starb. Und der alkoholisierte und am Boden liegende Horst Meyer, der im September 1997 in Anklam von mehreren Personen totgeschlagen wurde.
31 Jahre später noch kein offizielles Gedenken
Auch wenn der Mord an Christinel offiziell als rassistische Tat anerkannt ist, ist sein Tod nicht in die lokale Erinnerungskultur aufgenommen worden. Zu seinem 31. Todestag wird seiner das vierte Mal gedacht. Bis heute fordern Gedenkinitiaitven von der Stadt Ribnitz-Damgarten einen Gedenkort und eine offizielle Gedenkfeier. Im Februar 2022 fanden der Antirassismusinitiative Pro Bleiberecht zufolge erste Gespräche mit der Stadt statt.
Die diesjährige Gedenkfeier für Dragomir Christinel findet am Donnerstag um 19 Uhr im Peter-Weiss-Haus in Rostock statt. Wieder organisiert von Pro Bleiberecht und AJZ Kita.
Über Dragomir Christinel ist kaum etwas bekannt, es gibt nur ein Foto von ihm und auch seine Angehörigen konnten bisher nicht ausfindig gemacht werden. Die Initiativen suchen daher Angehörige von Christinel, um mehr über ihn zu erfahren und sie in Planung und Gestaltung des Gedenkens einzubeziehen. Wer ihn, seine Familie oder Freund:innen kannte, schreibt bitte an gedenken@bleiberecht-mv.org.
Mehr zum Pogrom 1992 in Rostock-Lichtenhagen gibt es in unserer Sonderausgabe und auf unserer Themenseite.
Eine Übersichtskarte der Todesopfer rechter Gewalt in ganz Deutschland stellt die KNICKER-Redaktion zur freien Verfügung.
Quellen
- Lobbi (Hg.): Chronologie rechter Angriffe in Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 1992, auf: lobbi-mv.de (23.8.2012).↩
- Roll, Udo: Mehr Todesopfer durch rechte Gewalt in MV als offiziell anerkannt?, auf: svz.de (14.3.2023).↩
- Schwarck, Ilona: Rachefeldzug fordert ein Leben. 19jähriger am Wochenende von Jugendlichen erschlagen, in: Norddeutsche Neueste Nachrichten vom 17.3.1992, S. 9.↩
- Roll, Udo: Mehr Todesopfer durch rechte Gewalt in MV als offiziell anerkannt?, auf: svz.de (14.3.2023).↩
- Pro Bleiberecht (Hg.): Wir gedenken: Dragomir Christinel, auf: bleiberecht-mv.org (6.3.2023).↩