Medienkritik
Der Nordkurier als ungefilterte AfD-Plattform
Von Lilly Biedermann
Lesedauer: ca. 8 Minuten
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Fehlende Abgrenzung zu rassistischen Kommentaren warf KATAPULT-Gründer Benjamin Fredrich dem Nordkurier bereits 2020 vor. Im Mai dieses Jahres veröffentlichte der Nordkurier drei Artikel, in denen Vertreter der AfD zitiert werden. Die Schlagzeilen dieser Artikel lassen sich kaum von denen rechtsradikaler Medien wie Auf1 unterscheiden. Auffällig dabei: In zwei der Artikel des Nordkuriers findet keine Einordnung der Partei statt. In einem weiteren Interview gibt es zwar kritische Nachfragen, doch nicht alle demokratiefeindlichen Aussagen werden richtiggestellt. Laut Hendrik Zörner, Pressesprecher des Deutschen Journalistenverbands (DJV), ist eine Einordnung jedoch unverzichtbar. Interviews mit AfD-Politiker:innen seien zwar grundsätzlich notwendig, aber extremistische Aussagen dürften nicht ohne Einordnung oder Widerspruch veröffentlicht werden. Laut dem Netzwerk Neue deutsche Medienmacher:innen ist es die Aufgabe von Journalist:innen, Falschinformationen richtigzustellen und Demokratiefeindlichkeit zu benennen.
Der Nordkurier zu Besuch in Brüssel
Am 17. Mai publizierten die Redakteure Jan David Sutthoff und Robin Halle ein Interview mit dem Spitzenkandidaten der AfD für die Europawahl, Maximilian Krah, auf der Website des Nordkuriers. Krah sorgte kurz nach der Veröffentlichung des Textes für Schlagzeilen, als er im Interview mit einer italienischen Zeitung die Verbrechen der SS relativiert hatte. Die sogenannte Schutzstaffel war für die Ermordung von Millionen von Juden und Andersdenkenden im Holocaust verantwortlich. Bereits vorher fiel der Politiker immer wieder durch menschenverachtende, rassistische und frauenfeindliche Aussagen auf.
Im Vortext des Interviews wird Krah als „AfD-Spitzenpolitiker“ vorgestellt. Thematisiert werden Spionage- und Korruptionsvorwürfe gegen den Politiker. Seine Äußerungen in der Vergangenheit sind kein Thema. Im Interview selbst haken die beiden Journalisten bei manchen Aussagen nach. Beispielsweise, nachdem Krah dem Verfassungschutz „pflichtwidriges“ Handeln vorwirft, fragen die beiden Journalisten nach Beweisen für diese Behauptung.
Doch nicht immer widersprechen die beiden Redakteure Krahs Aussagen. Auf die Frage, was passiert, wenn die AfD in Regierungsverantwortung kommt, sagt Krah beispielsweise: „Die AfD schafft Freiräume. Ich kann dann auch mal einen Satz sagen, ohne dass ich Angst habe, wegen Volksverhetzung angezeigt zu werden.“
Diese Aussage ist kritisch zu betrachten. Der Straftatbestand der Volksverhetzung ist erfüllt, wenn Menschen zu Hass oder Gewalttaten gegen andere Menschen oder Gruppen aufrufen. Auch die Leugnung nationalsozialistischer Verbrechen ist Volksverhetzung. Der AfD-Politiker möchte also eine Debatte, in der die bisherigen Grenzen des Sagbaren nicht mehr gelten. Davor warnen die Neuen deutschen Medienmacher:innen: „Zur Strategie von Rechtspopulist:innen gehört es, die Grenzen des Sagbaren zu erweitern. (...) Menschenverachtende, faktenferne, manipulative Sprache kann und sollte [von Journalist:innen] nicht „neutral“ wiedergegeben werden.
Der Nordkurier vor der eigenen Haustür
Anlässlich der anstehenden Kommunalwahl veröffentlichte der Nordkurier unter dem Motto „So wollen Politiker die Zukunft Neubrandenburgs gestalten“ über einen Zeitraum von zwei Wochen mehrere Interviews. Dabei wurden alle Parteien, Wählerbündnisse und ein Einzelbewerber zu ihren politischen Zielen in der Stadt befragt. Von einer weiteren Partei und einem Wählerbündnis findet sich kein Interview. Das rechtskonservative Wählerbündnis Stabile Bürger Neubrandenburg (KATAPULT MV berichtete dazu im Februar) wollte sich nach Angaben des Nordkuriers nicht äußern. Die rechtsextreme Partei Die Heimat wurde nicht befragt, weil sie nach Einschätzung der Redaktion verfassungsfeindlich ist.
Die verfassungsfeindlichen Tendenzen der AfD hingegen werden im Interview zu deren Wahlzielen nicht erwähnt. Auch rassistische Aussagen von Parteivertreter:innen werden nicht richtiggestellt. Auf die Frage nach der Sicherheit in Neubrandenburg antwortet die AfD unter anderem, dass sie die Eröffnung einer Geflüchtetenunterkunft in Fünfeichen ablehne. Damit wird den Leser:innen nahegelegt, dass durch die Eröffnung einer Geflüchtetenunterkunft die Sicherheit in der Stadt gefährdet wäre. Tatsächlich sind Gemeinschaftsunterkünfte laut Polizeibehörden keine Kriminalitätsschwerpunkte. Neue Unterkünfte führen also nicht zu einer Verschlechterung der Sicherheitslage.
Der Nordkurier in der Landeshauptstadt
Am 13. Mai entschied das Oberverwaltungsgericht Münster, dass der Verfassungsschutz die AfD bundesweit als rechtsextremen Verdachtsfall einstufen darf. Damit wurde das Urteil der Vorinstanz von 2022 bestätigt. Der Nordkurier veröffentlichte daraufhin einen Text, der laut Aussagen von Chefredakteur Gabriel Kords auf einer Pressemitteilung der beiden AfD-Politiker Enrico Komning und Leif-Erik Holm beruht. Komning war Mitglied des völkisch-nationalen Flügels der Partei, den auch der Faschist Björn Höcke maßgeblich mitgestaltete. Holm sagte in einem Interview, dass auch er mit den Ansichten von Höcke übereinstimme. Erst kürzlich bezeichnete Holm Krahs Aussagen zur SS als „unglücklich ausgedrückt“.
Im Text des Nordkuriers kommen nur die beiden AfD-Politiker zu Wort. Dabei behaupten die beiden unter anderem, das Münsteraner Gerichtsurteil habe bereits vor dem Prozess festgestanden und stellen damit die Unabhängigkeit der Justiz infrage. Bei der Urteilsverkündung erklärte das Oberverwaltungsgericht: „Gerichte entscheiden nicht politisch, mögen ihre Entscheidungen auch Auswirkungen auf die Politik haben.“ Für die Neuen deutschen Medienmacher:innen ist die Delegitimation von Gerichten eine Strategie von Rechtspopulist:innen, um den Rechtsstaat auszuhöhlen. Eine Einordnung der Aussagen der AfD-Politiker findet im gesamten Text nicht statt.
Was sagt der Nordkurier dazu?
Auf unsere Anfrage beim Nordkurier haben sich zwei Personen gemeldet: Jan David Sutthoff, stellvertretender Chefredakteur der SV-Gruppe und Autor des Krah-Interviews. Die SV-Gruppe ist der Mutterkonzern des Nordkuriers.
Sutthoff schreibt: „Es ist der Job von Journalisten, mit (allen) Menschen zu sprechen – umso mehr, wenn es ein großes öffentliches Interesse an ihnen gibt.“ Mögliche Antipathien hätten bei der Auswahl der Personen nichts zu suchen. Außerdem bestünden Interviews in der Regel aus Journalisten und Interviewten. Für AfD-Politiker gälten keine anderen Standards.
Dass die klassische Interviewform durchaus aufgebrochen werden kann, zeigt ein Interview des Spiegels mit dem AfD-Politiker Stephan Reuken. Am Anfang des Gesprächs erfolgt eine kurze Einordnung der Person Reukens. Im Text selbst werden kleinere Texte eingeschoben, wenn Reuken nachweislich falsche Behauptungen macht.
Die Neuen deutschen Medienmacher:innen halten Sutthoffs Aussage entgegen: „Die AfD ist keine demokratische Partei wie jede andere und sollte auch in der Berichterstattung nicht so behandelt werden. [Ihr] die Themensetzung zu überlassen, schadet der Demokratie und hat keinen informativen Mehrwert.“
Auch vom Chefredakteur des Nordkuriers selbst, Gabriel Kords, bekamen wir eine Rückmeldung. Kords, mittlerweile auch Chefredakteur der Schweriner Volkszeitung, antwortet auf die Frage nach der fehlenden Einordnung des Neubrandenburg-Textes: „Wir halten es (...) nicht für unsere Aufgabe, jedem Beitrag über die AfD einen ‚Disclaimer‘ hinzuzufügen, der die Besonderheiten dieser Partei in irgendeiner Weise heraushebt – insbesondere nicht in einer Serie, in der jeder Partei dieselben Fragen gestellt wurden.“
Hendrik Zörner vom DJV sieht das nicht so und betont: „Eine Einordnung ist unverzichtbar. Journalistinnen und Journalisten müssen berücksichtigen, dass sich eine wachsende Zahl von Menschen ausschließlich in Social Media informiert, wo die AfD so präsent ist wie keine andere Partei.“
In Bezug auf den Text zum Urteil aus Münster antwortet Kords: „Sie sind offenbar der Meinung, dass ein Artikel mit Reaktionen der von der Gerichtsentscheidung unmittelbar betroffenen Partei zwingend ‚eingeordnet‘ werden müsste, weil Sie offenbar dem Konzept eines Journalismus anhängen, der seinem Publikum in einem sehr engen Korridor vorgibt, was es zu denken hat und was richtig und falsch ist.“ Der besagte Artikel des Nordkuriers allerdings präsentiert nur eine Ansicht, nämlich die der AfD. Wenn in einem Text nur eine Seite wiedergegeben wird, können Leser:innen sich daraus kein umfassendes Bild machen. Der „enge Korridor“ wird also vom Nordkurier selbst vorgegeben.
Was bedeutet das für MV?
Anfang des Jahres fusionierten die Schweriner Volkszeitung und der Nordkurier. Zwar erscheinen beide Zeitungen noch unter eigenem Namen, aber sie gehören beide zur selben Verlagsgruppe. Damit gibt es in ganz MV nur noch zwei lokale Tageszeitungen: Den Nordkurier mit allem was dazugehört, und die Ostsee-Zeitung. KATAPULT MV kann nicht zu dieser Aufzählung gehören, weil es gedruckt nur einmal monatlich erscheint. Der NDR berichtet online täglich auch zu lokalen Themen, hat aber kein Printprodukt.
Corinna Pfaff, die Landesgeschäftsführerin des DJV in Mecklenburg-Vorpommern, sagte zur Übernahme: „Die Medienvielfalt im Nordosten darf nicht weiter geschwächt werden. Pressevielfalt ist grundlegend für Meinungsbildung und Orientierung gerade in diesen Zeiten.“
In einer Studie konnte nachgewiesen werden, dass in Baden-Württemberg die AfD in Orten mit weniger Pressevielfalt höhere Wahlergebnisse erzielt. Sogenannte Nachrichtenwüsten führten dazu, dass Menschen weniger über die lokale Politik wissen und extremere Kandidat:innen wählten. Vor diesem Hintergrund ist die Berichterstattung des Nordkuriers, als eine von zwei lokalen Tageszeitungen in MV, besonders relevant. Dass die Ostsee-Zeitung als andere Lokalzeitung allein dagegen ankommt, ist zu hoffen.
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Autor:innen
Redakteurin bei KATAPULT MV.