Schon zu Beginn der Stadtvertreter:innensitzung im Haus der Kultur und Bildung löste Tim Großmüller (fraktionslos) eine erste Auseinandersetzung um die im Stadtparlament geltenden Regeln aus. Der Neubrandenburger Unternehmer hatte im Vorfeld auf seiner Facebook-Seite Stabile Bürger NB ein T-Shirt mit dem Schriftzug „Lieber ein grünes Haus, als einen Grünen im Haus“ präsentiert. Dieses trug er auch zur Sitzung. Stadtpräsident Thomas Gesswein (CDU) bat ihn deshalb, eine Jacke anzuziehen, da das T-Shirt von anwesenden Stadtvertreter:innen als „ehrverletzend“ wahrgenommen werden könne. Großmüller weigerte sich und erklärte, dass mit dem „Grünen im Haus“ Kermit der Frosch gemeint sei. Dominik Meyer zu Schlochtern – Fachbereichsleiter für Schule, Kultur, Sport und Recht – erinnerte daraufhin daran, dass Maßnahmen, die vom Präsidium gefordert sind, Folge zu leisten sei.
Während Hans-Jürgen Schwanke (Fraktion BSW/Bürger für Neubrandenburg) sein Unverständnis über die Situation im Zusammenhang mit dem „vergleichsweise harmlosen Spruch“ äußerte, kritisierte Rainer Kirchhefer (Fraktion SPD/Grüne) das Shirt als „offensichtliche Provokation“. Meinungsäußerungen und Debatten seien am Mikrofon zulässig, aber in Parlamenten anderweitig zu demonstrieren, sei es nicht.
Stadtpräsident Gesswein ließ schließlich „Gnade vor Recht“ ergehen und sah von einem Saalverweis ab. Seine Begründung: Auch er möge die aus der Muppet Show bekannte Figur. Großmüllers Provokation blieb ohne Konsequenzen.
Verbot von Regenbogenflaggen
Großmüller hatte im Vorfeld zehn Beschlussvorlagen eingereicht. Seine Themen: Sicherheit der Bürger:innen, Arbeitsleistung der Stadtverwaltung, Verbot von „Werbung mit homosexuellen Inhalten“, Mietspiegel, Jugendklubs, Genderverbot, Radwege, Messerverbotszonen, GEZ und Schutz von Kindern. Wegen formeller Fehler zog der Ratsherr neun seiner Anträge zurück. Beschlussfähig war lediglich die Vorlage „Entfernung der Regenbogenflaggen auf dem Bahnhofsvorplatz“.Darin fordert Großmüller, das Hissen der Regenbogenflagge an den drei Fahnenmasten auf dem Bahnhofsvorplatz einzustellen. Damit sollen Straftaten, wie Diebstahl oder das Ersetzen der Flagge mit verfassungsfeindlichen Symbolen, verhindert werden. Weiter sehe ein Großteil der Neubrandenburger:innen die Regenbogenflagge als unangemessen an, so die Begründung.
Ohne dass eine der Fraktionen dazu Redezeit beansprucht hatte, wurde abgestimmt. Das Ergebnis: 15 Stimmen dafür, 11 dagegen und ganze 8 Enthaltungen. Somit darf die Regenbogenflagge auf dem Bahnhofsvorplatz ab sofort nicht mehr an den stadteigenen Masten gehisst werden.
Kurz nach dem Beschluss veröffentlichte Großmüller einen Beitrag auf seiner Facebook-Seite, in dem er seinen „ersten Sieg“ feierte und sich bei den Fraktionen der AfD und des Projekts NB bedankte.
OB tritt überraschend zurück
Einen Tag nach der Stadtvertreter:innensitzung gab Neubrandenburgs Oberbürgermeister Silvio Witt (parteilos) überraschend seinen Rücktritt bekannt. In einem kurzen Statement in den Sozialen Medien schrieb er, sein Amt zum 1. Mai 2025 aufgeben zu wollen. Um die Privatsphäre seiner Freunde und Familie zu schützen, plane er deshalb, aktuell keine weiteren Äußerungen zu seinem Schritt zu tätigen.Unmittelbar danach kommentierte Tim Großmüller den Beitrag auf Facebook mit den Worten: „Du bist der Kuhnert der Neubrandenburger Kommunalpolitik. Kaum gibt es Widerstand , haust du ab .“
Damit spielt er mutmaßlich auf SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert an, der Anfang der Woche seinen Rückzug aus der Politik aus gesundheitlichen Gründen verkündet hatte.
Bereits in der Vergangenheit hatte Großmüller den amtierenden Oberbürgermeister immer wieder homophob beleidigt. Erst im März durchsuchte die Polizei wegen des Verdachts auf Beleidigung, Bedrohung und Volksverhetzung die Wohnung Großmüllers.
Witt hatte seit 2015 das Amt des Oberbürgermeisters inne.
Reaktionen aus dem Land
Dass es queerfeindliche Stimmen in Neubrandenburg gibt, sei dem Verein queer NB bewusst, erklärt Vorsitzender Marcel Spittel gegenüber KATAPULT MV. In den letzten zwei Monaten seien am vereinseigenen Zentrum mehrfach queerfeindliche Aufkleber aus der rechten Szene angebracht worden.Dass sich die Stadtvertretung jedoch so schnell gegen die Regenbogenflagge – ein Hauptmotiv für Toleranz und Vielfalt – am Bahnhofsvorplatz entscheidet, komme überraschend.Minderheiten bräuchten immer Unterstützer:innen, die gemeinsam für ihre Standpunkte einstehen, so Spittel. Sei es finanzielle Unterstützung, beispielsweise zum Betreiben eines queeren Zentrums, oder ideelle Unterstützung in Form von Toleranzsymbolen. Dass die Neubrandenburger Stadtvertretung dieses eindeutige Signal sende, sei besorgniserregend.
Torsten Koplin, parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion im Landtag, äußert sich in einer Pressemitteilung bestürzt über die Abstimmung in der Vier-Tore-Stadt. Er kritisiert, dass „Abgeordnete der CDU und des BSW keine Hemmungen hatten, dem [Antrag] zuzustimmen oder sich zu enthalten“.
Extreme Stadtvertreter:innen
Auch das Projekt NB, bei dem sich Großmüller auf Facebook bedankte, hat bereits Schlagzeilen gemacht. Es handelt sich dabei um eine vierköpfige Fraktion mit Verbindungen zum sogenannten Unternehmeraufstand MV, den der Verfassungsschutz als „extremistisch beeinflusst“ einstuft und dessen Mitglieder zum Teil Inhalte der Querdenken-Szene verbreiten. Die Projekt-NB-Mitglieder Roman Kubetschek und Bernd Herrmann traten in der Vergangenheit als Vertreter des Unternehmeraufstands auf.
Was sonst noch passiert ist
Die längste Debatte des Abends betraf den Neubau eines Schwimmbades. Die CDUplus-Fraktion, bestehend aus Vertreter:innen von CDU, FDP und Bürgern für Neubrandenburg, wollte mit einem Antrag die Planung der neuen Halle anschieben. Laut Yvette Schöler (CDU) benötige es eine zügige Planung, um sich um mögliche Fördergelder zu bewerben.
Kritik kam dabei von der gemeinsamen Fraktion von Grünen und SPD. Deren Vertreter:innen begründeten ihre Ablehnung damit, dass sie generell zwar für ein neues Schwimmbad seien, den Neubau in seiner geplanten Form jedoch für überdimensioniert halten. Die Stadtwerke als Betreiber des Bades könnten die aktuellen Pläne finanziell nicht schultern. Ein Änderungsantrag der Fraktion Projekt Neubrandenburg wurde abgelehnt. Dieser zielte darauf, bereits eingeplante Mittel für den Entwurfsaufwand zurückzuziehen und das gesamte Projekt noch einmal auf Wirtschaftlichkeit zu prüfen.
In der abschließenden Abstimmung wurde der CDU-plus-Antrag angenommen.
Daneben wurden zwei weitere Anträge zum Neubau der Grundschulen West und Süd angenommen. Beide Vorlagen beschäftigten sich mit Fragen zum Standort. Außerdem ernannte die Stadtvertretung drei Feuerwehrleute zu Ehrenbeamt:innen.
- Mehr zu Tim Großmüller: katapult-mv.de/artikel/populistischer-politikneuling-mit-grossen-plaenen
- Mehr zum Unternehmeraufstand MV: katapult-mv.de/artikel/das-verbirgt-sich-hinter-dem-unternehmeraufstand-mv
- Mehr zu gestohlenen Regenbogenflaggen: katapult-mv.de/artikel/zeichen-fuer-toleranz-17-mal-gestohlen
Quellen
- Vier-Tore-Stadt Neubrandenburg: Beschlussvorlage BV/VIII/0065 vom 9.10.2024.↩
- @Verbindlich Silvio Witt, Beitrag vom 10.10.2024, auf: facebook.com.↩
- Tagesschau (Hg.): Kevin Kühnert tritt zurück, auf: tagesschau.de (7.10.2024).↩
- Wagner, Winfried; Hertrich, Mirko: Wegen Tanzvideo: Wohnung von Unternehmer Tim Großmüller durchsucht, auf: nordkurier.de (5.3.2024).↩
- Vier-Tore-Stadt Neubrandenburg (Hg.): Oberbürgermeister, auf: neubrandenburg.de.↩
- Telefonat mit Marcel Spittel am 10.10.2024.↩
- Landtagsfraktion der Linken (Hg.): Die Signale aus Neubrandenburg sind beschämend!, auf: linksfraktionmv.de (10.10.2024).↩
- KATAPULT MV (Hg.): Das verbirgt sich hinter dem Unternehmeraufstand MV, auf: katapult-mv.de (25.1.2024).↩