Seit Jahresbeginn läuft eine neue Förderperiode des Bundesprogramms Demokratie leben!. Ziel ist es, neben der Förderung demokratischen Engagements und der Extremismusprävention, gesellschaftliche Vielfalt durch den Abbau von Diskriminierung und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu stärken.1 Damit Gelder Projekten auf kommunaler Ebene zugutekommen und so Konzepte im jeweiligen Ort vorangebracht werden können, sieht das Programm örtliche Partnerschaften für Demokratie vor. Eine solche gibt es seit zehn Jahren auch in Waren (Müritz).2 Wie von der Förderrichtlinie vorgeschrieben, hat ein Amt bei der Kommune die Federführung inne. Es ist unter anderem für die Beantragung der Bundesmittel und deren Weiterleitung und Verwendung zuständig. Zusätzlich müssen eine Koordinierungsstelle und ein Jugendforum eingerichtet sein. Außerdem wird ein sogenanntes Bündnis benötigt.3
AfD will Montagsdemo-Organisator im Demokratiebündnis
In Waren wirft nun die geplante Neubesetzung des Bündnisses Fragen auf. Dieses ist das „zentrale Gremium“ der Partnerschaft, plant und organisiert die Inhalte und muss, neben der Entwicklung von Handlungskonzepten, auch die beantragten Projektgelder prüfen und der Vergabe zustimmen. Dem Bündnis sollen gemäß den Förderrichtlinien vor allem relevante demokratische Akteur:innen aus der Zivilgesellschaft angehören. Dabei wird zwischen den Mitgliedern unterschieden, die im Bündnis Stimmrecht haben, und denjenigen, die „nur“ in beratender Funktion tätig sind.
In Waren muss das Bündnis nach dem Mehrheitsprinzip, wie es auch in Ausschüssen der Stadt der Fall ist, besetzt werden.4 Weil die AfD aktuell die größte Fraktion im Stadtparlament stellt, stehen ihr mehr Plätze oder vielmehr Vorschläge im Bündnis zu. Die AfD-Fraktion ist es auch, die Markus Häcker von der Initiative Menschlich Stark Miteinander als stimmberechtigtes Mitglied für das Bündnis vorschlägt.5
Rechtsextremismus, Klimawandelleugnung und Rassismus
Häcker machte das erste Mal während der Corona-Pandemie in Waren auf sich aufmerksam. Damals begann seine Initiative, regelmäßige Montagsdemonstrationen auf dem städtischen Marktplatz gegen die Schutzmaßnahmen zu organisieren. Diese finden auch nach Ende der Pandemie weiterhin statt und haben sich in den vergangenen Jahren gegen die Energiepolitik der Bundesregierung und die Unterstützung der Ukraine gerichtet.6
Den Kundgebungen der Initiative schlossen sich regelmäßig örtliche Rechtsextreme an – etwa Vertreter der Kleinstpartei Neue Stärke.7 Zwar distanzierte sich Häcker von deren Teilnahme, gleichzeitig sprach auf den Veranstaltungen der Initiative aber mehrfach der Rechtsextremist Holger Anton.8 Anton nahm 2019 unter anderem an einem vom Neonazi Sven Krüger in Jamel organisierten „Tanz in den Mai“ teil.9 Gast der Initiative war ebenfalls mehrfach der Musiker Esteban Cortez, der von einer Anti-Corona-Maßnahmen-Demo zur nächsten zieht und im Februar 2023 als Gast ein Format der rechtsextremen Partei Freie Sachsen besuchte.10
Häcker selbst, der Beamter im Kataster- und Vermessungsamt des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte ist,11 deckt in seinen regelmäßigen Wortbeiträgen ein rechtes Spektrum ab. So leugnet er nicht nur den menschengemachten Klimawandel12 und teilt „gegen den Staat und seine gewählten Repräsentanten“ aus – so bezeichnete er etwa Vertreter:innen der Linkspartei als „kaltblütige Mauermörder“ und betonte, dass „solche Menschen“ nie in Verantwortung kommen dürften.13 Daneben verbreitet er auf dem Telegram-Kanal der Initiative Inhalte der in Teilen rechtsextremen AfD.14 Dass sich Häcker im Hinblick auf die Migrationsdebatte nicht nur kritisch, sondern offen ausländerfeindlich und rassistisch äußert,15 steht im Gegensatz zu den festgelegten Werten von Demokratie leben!.
Gemeinsame Abstimmung mit der AfD
Doch nicht nur aufgrund der Personalie Häcker ist die Stadtvertretungssitzung in Waren heute Abend interessant. Auch eine Entscheidung von Stadtpräsident Toralf Schnur (FDP/Müritzer Unternehmergruppe) lässt aufhorchen. Auf der Agenda der Stadtvertreter:innen steht ebenfalls eine erneute Abstimmung zum Klimaschutzkonzept der Stadt. Dazu hatten verschiedene Medien in den vergangenen Monaten bereits berichtet, denn die Fortschreibung des Konzepts hatten FDP und MUG gemeinsam mit der AfD gestoppt.16 Bürgermeister Norbert Möller (SPD) legte daraufhin Widerspruch gegen den Beschluss ein. Er argumentierte unter anderem, dass die Aufhebung des Klimaschutzkonzepts Auswirkungen auf zukünftige Fördermöglichkeiten für die Stadt haben könnte. So wäre es der Stadt zum Beispiel nicht mehr möglich, Förderungen im Bereich Klimaschutz einzuwerben. Sämtliche Förderprogramme setzen ein Klimaschutzkonzept voraus. Darüber hinaus beziehe sich nicht nur die kommunale Wärmeplanung, sondern auch der Lärmaktionsplan der Stadt auf das Klimaschutzkonzept.17
Auch der NDR hatte über die Streichung des Klimaschutzkonzepts berichtet. Heute wollte der Sender zum Thema „Brandmauer auf kommunaler Ebene“ erneut vor Ort sein und hatte dafür eine Begleitung sowie Gespräche mit Mitgliedern im Vorfeld der Sitzung bei der Stadtvertretung angefragt.18 Die Antwort darauf erfolgte per Mail des Stadtpräsidenten Schnur. Dieser berief sich, was die Aufzeichnung und Übertragung von Bild und Ton betrifft, auf die Kommunalverfassung. Es sei nur in Abstimmung mit der Stadtvertretung zulässig, aufzuzeichnen und zu übertragen, und dann auch nur, wenn kein Viertel der Mitglieder dem widerspricht. Dementsprechend müsse der Sender die Abstimmung abwarten.19 Die Stadt Waren erklärt auf Nachfrage, ein solches Vorgehen sei „üblich“. 20Eine anderweitige Regelung in der Hauptsatzung oder Geschäftsordnung der Stadt, wie es in anderen Gemeinden der Fall ist, existiert nicht.
Einschränkung der Berichterstattung nach „Hausrecht“
Doch Schnur untersagt die Berichterstattung nicht nur für die Sitzung der Stadtvertretung selbst, worauf sich der von ihm herangezogene Passus der Kommunalverfassung bezieht.21 Er mache darüber hinaus von seinem Hausrecht Gebrauch, so Schnur. Bis zur Beschlussfassung untersage er innerhalb des gesamten Gebäudes jedwede „Form von Übertragungen und Aufzeichnung“. Dass er dieses Hausrecht habe und ausüben dürfe, bestätigt die Stadt Waren.22
Der NDR, der nicht aufzeichnen darf, wenn in der Stadtvertretung heute mehr als acht Mitglieder widersprechen, kritisiert den drohenden Ausschluss gegenüber KATAPULT MV: „Es wird immer wieder beklagt, dass zu wenig über Kommunalpolitik berichtet wird. Und nun will der NDR berichten und [es] werden ihm Steine in den Weg gelegt.“
Die Stadtvertreter:innen beginnen ihre Sitzung heute Abend um 18 Uhr.
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.): Förderrichtlinie „Demokratie leben!“, S. 1170, auf: demokratie-leben.de (20.11.2024). ↩︎
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.): Bundesprogramm „Demokratie leben!“, Projekte der Förderperiode 2015-2019, Partnerschaften für Demokratie, S. 7, auf: demokratie-leben.de. ↩︎
- Ebd., S. 1173-1174. ↩︎
- Telefonat mit Stadtvertreterin Christine Bülow am 30.4.2025. ↩︎
- Ein entsprechendes Dokument liegt der Redaktion vor. ↩︎
- Schönebeck, Carsten: Goebbels oder nicht? Demo-Organisator wegen Nazi-Vergleich vor Gericht, auf: nordkurier.de (2.10.2024). ↩︎
- Schönebeck, Carsten: Rechtsextreme wollen am Montag in Waren demonstrieren, auf: nordkurier.de (30.4.2023). ↩︎
- Prahle, Tim u.a.: Mehr als 4000 Teilnehmer bei Montagsdemos in MV, auf: nordkurier.de (7.11.2022) / Müritzportal (Hg.): Montagsdemo mit 440 Teilnehmern und Livekonzert, auf: mueritzportal.de (14.2.2023). ↩︎
- KATAPULT MV (Hg.): Rechtsextreme und antidemokratische Lokalpolitiker:innen, auf: katapult-mv.de (28.6.2024). ↩︎
- Freie Sachsen (Hg.): Sonntagsgespräch: Musiker Estéban Cortez zum Corona-Wahnsinn und dem Protest der letzten 3 Jahre, auf: freie-sachsen.info (12.2.2023). ↩︎
- Landkreis Mecklenburgische Seenplatte (Hg.): Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auf: lk-mecklenburgische-seenplatte.de. ↩︎
- @MenschlichStarkMiteinander: Beitrag vom 28.4.2025, 18:34 Uhr, auf: facebook.com. ↩︎
- @MenschlichStarkMiteinander: Beitrag vom 31.3.2025, 18:29 Uhr, auf: facebook.com. ↩︎
- t.me/menschlichstarkmiteinander/1994. ↩︎
- @MenschlichStarkMiteinander: Beitrag vom 7.4.2025, 18:30 Uhr, auf: facebook.com. ↩︎
- Stadt Waren (Müritz) (Hg.): Abstimmungsergebnis zur Beschlussvorlage Fraktionen 2025/0128. Aufhebung des Beschlusses über die Fortschreibung des Klimaschutzkonzeptes (Antrag AfD-Fraktion), auf: ris.waren-mueritz.de (5.3.2025) / NDR (Hg.): Streit um Klimaschutzkonzept in Waren, auf: ndr.de (18.3.2025).
↩︎ - Stadt Waren (Müritz) (Hg.): Widerspruch gegen den Beschluss zum Klimaschutzkonzept, auf: ris.waren-mueritz.de (14.3.2025).
↩︎ - Die Informationen liegen der Redaktion vor. ↩︎
- Der Schriftwechsel liegt der Redaktion vor. ↩︎
- E-Mail der Stadt Waren vom 29.4.2025 (I). ↩︎
- § 29 Va Kommunalverfassung MV. ↩︎
- E-Mail der Stadt Waren vom 29.4.2025 (II). ↩︎