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LNG-Infrastruktur

Vorgesehene Milliarden reichen nicht

Die Kosten für die Flüssiggasterminals, an denen der Bund beteiligt ist, steigen weiter. Nachdem im vergangenen Frühjahr noch von einem niedrigen einstelligen Milliardenbetrag die Rede war, geht das Bundeswirtschaftsministerium nun von Kosten in Höhe „von rund 9,8 Milliarden Euro aus“. Doch es drohen weitere Kostensteigerungen, wie das Ministerium selbst einräumt. So stimmt etwa der Haushaltsausschuss des Bundestages heute über zusätzliche Mittel in Milliardenhöhe ab. Darin nicht eingepreist ist offenbar die mögliche Standortverlagerung des Terminals vor Rügen.

An fünf LNG-Terminals an der Nord- und Ostseeküste ist der Bund beteiligt – etwa in Wilhelmshaven oder Brunsbüttel. Das Terminal, das in Mecklenburg-Vorpommern in den vergangenen Wochen jedoch am meisten polarisierte, ist das unter „Lubmin“ geführte Projekt in Zusammenarbeit mit dem Energiekonzern RWE. Entgegen der Bezeichnung sollte für die sogenannte Regasifizierung flüssigen Erdgases keine Anlage in Lubmin errichtet werden. Vielmehr war ein schwimmendes Terminal nur wenige Kilometer vor der Küste von Sellin auf Rügen vorgesehen.

Dagegen regte sich prompt Widerstand, nicht nur von Rüganer Bürger:innen, sondern auch von Umweltverbänden und aus der Politik der Insel. Ob aus diesem Anlass oder nicht – nun wird der Standort erneut geprüft. Wie KATAPULT MV aus Regierungskreisen erfuhr, ist eine Prüfung des weiter nördlich auf Rügen gelegenen Mukran als Alternative zu Sellin im Gange. Nach aktuellem Stand bevorzuge man Mukran als Standort. Eine Entscheidung dazu werde zeitnah getroffen.

Gesamtkosten unklar

Laut dem aktuellen LNG-Bericht des Bundeswirtschaftsministeriums, der dem Haushaltsausschuss des Bundestages Anfang März mit Verspätung vorgelegt wurde, beziffert die Bundesregierung die Kosten für die gesamte LNG-Infrastruktur in den Jahren 2022 bis 2038 mit „rund 9,8 Milliarden Euro“. Auf Nachfrage bestätigte das Ministerium diese Zahl erneut. Diese Summe sei auch bereits durch den Deutschen Bundestag bereitgestellt, heißt es weiter.

Wie aus einer Vorlage des Bundesfinanzministeriums an den Haushaltsausschuss hervorgeht, reichen diese 9,8 Milliarden aber nicht aus, um alle geplanten Projekte zu finanzieren. So soll der Haushaltsausschuss in seiner heutigen Sitzung darüber abstimmen, ob dem Wirtschaftsministerium weitere überplanmäßige Gelder und sogenannte Verpflichtungsermächtigungen freigegeben werden. Insgesamt handelt es sich laut den Unterlagen, die KATAPULT MV vorliegen, um rund 3,1 Milliarden Euro. „Allein 1,6 Milliarden Euro sind davon bislang im Bundeshaushalt nicht eingeplant“, schreibt dazu die CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Das Bundeswirtschaftsministerium räumt auf eine entsprechende Nachfrage nach den neu freizugebenden Geldern ein, dass sich bereits jetzt eine „weitere Kostensteigerung“ abzeichne. Das habe man aber „auch so kommuniziert“. Zur genauen Summe äußert sich das Ministerium nicht.

Wie viel kostet „Lubmin“?

Warum genau es zu den erneuten Kostensteigerungen kommt, lässt das Ministerium offen. Nur so viel: Es handele sich um einen „sehr langen Planungszeitraum“ mit unterschiedlichen Phasen, für die entsprechende Kostenschätzungen vorgenommen worden seien. Diese seien aber „stetigen Anpassungen unterworfen“. Zudem würden etwa Anbindungsleitungen oder eine erweiterte und verbesserte Leitungsinfrastruktur nicht nur für die jetzigen LNG-Projekte gebaut und finanziert, sondern könnten langfristig auch für nachfolgende Investitionen oder andere Zwecke genutzt werden, etwa für Wasserstoff. Den Mehrkosten stünden darüber hinaus auch Einnahmen gegenüber, die „mit Beginn der Regasifizierung beziehungsweise des Regelbetriebs der FSRU“ erwirtschaftet würden.

Auf die Frage, wie viele der zusätzlichen Gelder für das „Lubmin“-Projekt vorgesehen seien, antwortet das Ministerium lediglich, dass Mehrkosten nicht „für ein bestimmtes FSRU“ anfallen würden. Zur Frage nach den Gesamtkosten von „Lubmin“ schweigt das Ministerium ebenfalls.

Ganz anders lesen sich dagegen die Ausführungen in der Vorlage des Bundesfinanzministeriums, über die der Haushaltsausschuss abzustimmen hat. So habe die Bundesregierung dem Energiekonzern RWE speziell für Lubmin „die Übernahme von Kosten im Zusammenhang mit dem Pipelinebau (…) in Höhe von 120 Millionen Euro zugesagt“. Eigentlich sollte gemäß der Vorlage der Bau der Pipeline von RWE durchgeführt und die fertige Leitung anschließend an den Gasnetzbetreiber Gascade veräußert werden. Doch bei den Verhandlungen der Beteiligten mit dem Bund im Januar wurde entschieden, dass dieser die „Bau- und Kostenrisiken (…) übernehmen soll“. Allerdings lehnen, wie Bild berichtete, offenbar sowohl RWE als auch Gascade eine Kostenübernahme ab. Übrig bleibt der Bund. Wie es dazu gekommen ist, lässt das Bundeswirtschaftsministerium ebenfalls unbeantwortet. Doch es erscheint naheliegend, dass die kurzfristig nötigen weiteren Mittel „für den Kauf von Röhren und Geo-Daten für den Bau der Pipeline in Lubmin“ dazu beitragen.

Insgesamt listet die Vorlage als zusätzliche Maßnahmen für das „Lubmin“-Projekt, die „kurzfristig in 2023 finanziert werden und (…) bislang nicht (…) eingeplant“ sind, neben dem Pipelinebau auch den Terminalbetrieb und die Umbaukosten der FSRU auf. So könne RWE sein technisches Konzept wohl mit der FSRU in jetzigem Zustand nicht verwirklichen. Es sei ein „struktureller Umbau“ an der FSRU notwendig, „der mit erheblichen Kosten“ einhergeht und von dem das Bundeswirtschaftsministerium laut der Vorlage erst im Februar erfuhr.

Darüber hinaus wird der Betrieb des Terminals teurer, was sich ebenfalls erst „im Zuge der Konkretisierung der Projektplanungen“ herausgestellt habe, und es ergeben sich – nicht nur für „Lubmin“ – Zusatzkosten aus den Charterverträgen mit den Eignern der FSRUs. So sind diese, was vorher nach Angaben des Ministeriums nicht bekannt war, als deutsche Betriebsstätten einzuordnen und demzufolge zur Zahlung von Ertragssteuern und Sozialversicherungsabgaben verpflichtet.

Die CDU/CSU-Fraktion im Bund spricht aufgrund der Kostensteigerungen von „handwerklichen Fehlern“ des Wirtschaftsministeriums. Trotz (kostspieliger) Unterstützung durch Beratungsunternehmen seien „elementare finanzielle Aspekte“ nicht eingeplant worden. Das Wirtschaftsministerium teilt auf Nachfrage zu diesen Vorwürfe mit, es lägen keine Erkenntnisse über Berater vor.

Details zu Mukran noch unbekannt

Ob der Haushaltsausschuss heute die beantragten Mittel freigeben wird, ist offen. Das Finanzministerium argumentiert in seiner Vorlage jedoch, dass die Mittel „für den planmäßigen Fortgang der Projekte unabdingbar“ seien. Es müssten Verträge geschlossen werden, um die Gasversorgung für den kommenden Winter zu sichern. Geschehe dies nicht, sei etwa „der Zeitplan für den Bau der Anbindungspipeline in Lubmin gefährdet“. Um welchen Zeitplan es sich dabei genau handelt und wie dieser aussieht, ist dem Wirtschaftsministerium nicht zu entlocken.

Nun stellt sich, wo ein Terminal vor Sellin nicht mehr zur Debatte steht, die Frage, inwieweit sich eine Verlagerung des Standortes nach Mukran finanziell auswirken wird. Dazu liefen derzeit noch „Gespräche mit allen Beteiligten, auch [mit] der Landesregierung“, heißt es aus Regierungskreisen. Aus diesem Grund gebe es noch keine Details zu einer eventuellen Umsetzung und dementsprechend auch nicht zu möglichen zusätzlichen Kosten, die die Verlegung verursacht.

Dass ein LNG-Terminal vor Mukran nun vorteilhafter sein soll als eines vor Sellin, sehen einige durchaus kritisch. So warf der Landrat des Kreises Vorpommern-Rügen, Stefan Kerth (SPD), gegenüber dem NDR die Frage nach möglichen Auswirkungen des Projekts auf Anwohner:innen und den lokalen Tourismus auf. Das müsse geprüft werden. Zudem forderten einige Inselbürgermeister gegenüber MVs Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) bereits, dass Rügen komplett von der „LNG-Agenda“ gestrichen werden solle. Umweltminister Till Backhaus (SPD) brachte zudem Alternativen ins Spiel – etwa einen weiter von der Küste entfernten Standort, wodurch womöglich eine der bereits bestehenden Nord-Stream-Röhren genutzt werden könnte.

Auch Rostock stellte MVs Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD), zuletzt in der vergangenen Woche, erneut zur Diskussion. Die Verwirklichung dieses Standorts ist allerdings unwahrscheinlich, da das Bundeswirtschaftsministerium die Hansestadt in seinem LNG-Bericht bereits aufgrund „verschiedener technischer Gründe“ ausgeschlossen hat. Dass an der Ostseeküste ein weiteres LNG-Terminal errichtet wird, ist dagegen unzweifelhaft. So sollen „ostdeutsche Küstenstandorte“ bei der Auswahl, auch auf Wunsch der Landesregierung, berücksichtigt werden, wie das Bundeswirtschaftsministerium erklärt.

Quellen

  1. E-Mail des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz vom 28.3.2023.
  2. Mit einer Verpflichtungsermächtigung erlaubt der Bundestag der Verwaltung, Gelder schon für zukünftige Haushaltsjahre rechtlich verbindlich vorzumerken und einzuplanen. Grundsätzlich dürfen alle Ausgaben des Bundeshaushalts nämlich nur für das laufende Haushaltsjahr veranschlagt werden. Dies würde mehrjährige Projekte jedoch unmöglich machen.
  3. CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag (Hg.): Habecks LNG-Blindflug, auf: cducsu.de (14.3.2023).
  4. FSRU steht für Floating Storage Regasification Unit. Damit sind die stationären schwimmenden LNG-Terminals gemeint.
  5. Forster, Josef; Schäfer, Jan: Regierung verrechnet sich um eine Milliarde Euro, auf: bild.de (14.3.2023).
  6. CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag (Hg.): Habecks LNG-Blindflug, auf: cducsu.de (14.3.2023).
  7. NDR (Hg.): Bund prüft LNG-Terminal in Mukran: Kritik an Alternative, auf: ndr.de (23.3.2023).
  8. Blöß, Louise: Erste Vorbereitungsarbeiten haben begonnen, auf: katapult-mv.de (20.3.2023).
  9. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (Hg.): Bericht des Bundeswirtschafts- und Klimaschutzministeriums zu Planungen und Kapazitäten der schwimmenden und festen Flüssigerdgasterminals, S. 16, auf: bmwk.de (3.3.2023).

Autor:in

  • Redakteurin in Greifswald

    Geboren in Berlin, aufgewachsen in Berlin und Brandenburg. Tauschte zum Studieren freiwillig Metropole gegen Metropölchen.

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