AfD in der Kommunalpolitik
Wo die Brandmauer schon längst nicht mehr nur bröckelt
Von Redaktion
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Constanze Oehrlich, Vorsitzende und innenpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, forderte alle demokratischen Parteien dazu auf, der AfD in den Parlamenten und Kommunalvertretungen keinen Raum zu lassen. Selbst Rechtsextreme aus Frankreich oder Italien würden sich weigern, auf europäischer Ebene mit der AfD zusammenzuarbeiten, weil sie ihnen „zu extrem und zu radikal ist“. Insbesondere ging ihr Appell an die FDP und die CDU: „Die AfD ist antidemokratisch. Sie verbreitet menschenverachtende Positionen und versucht systematisch, unsere demokratischen Institutionen zu beschädigen“.
Die sogenannte Brandmauer halten, also die AfD weder durch Zusammenarbeit noch bei Anträgen zu unterstützen, wird im politischen Diskurs schon lange mantraartig beschworen – sowohl in der Bundes-, Landes- als auch in der Kommunalpolitik. Kooperationen demokratischer Parteien hatte es bereits gegeben. Mit den Ergebnissen bei den Kommunalwahlen rückte die AfD in einigen kommunalen Vertretungen und Kreistagen MVs nun noch weiter in die vordersten Reihen. Und das ging nicht ohne Hilfe. Alle aufgelisteten Abstimmungen liefen geheim ab.
Kreistage in Vorpommern und der Seenplatte rücken nach rechts
So gingen die Posten der Vize-Präsidenten für die Kreistage Vorpommern-Rügen und Vorpommern-Greifswald an AfD-Kandidaten.
Mit 41 Stimmen wurde Carlos Dias Rodrigues für Vorpommern-Rügen gewählt, in Vorpommern-Greifswald Nikolaus Kramer mit der gleichen Stimmenanzahl.
In beiden Fällen hätten allein die Stimmen der AfD nicht zur Wahl ausgereicht. Im Kreistag Vorpommern-Rügen ist die AfD mit 18 Mandaten die zweitstärkste Kraft nach der CDU mit 20 Mitgliedern. Mit 19 Sitzen ist die AfD in Vorpommern-Greifswald sogar stärkste Fraktion im Gremium, mit 18 Sitzen folgt die Fraktion aus CDU und FDP.
Im Kreistag Mecklenburgische Seenplatte ist Enrico Schult mit 36 Stimmen zum zweiten Stellvertreter gewählt worden. Auch hier ist die AfD mit 23 Sitzen stärkste Kraft.
Die ersten Reihen in Stadtvertretungen
In Bergen auf Rügen schaffte es der AfDler Thomas Naulin sogar ganz nach vorne: Er wurde mit 16 Stimmen zum Stadtpräsidenten gewählt. Seine Partei stellt insgesamt sechs Mitglieder in der Stadtvertretung. Naulin sympathisiert mit Andreas Kalbitz, dem ehemaligen Chef der AfD Brandenburg und des völkisch-nationalistischen „Flügels“ der Partei. Er hatte bereits eine Veranstaltung mit ihm in Bergen.
In Boizenburg ergatterte der überraschend aufgestellte CDU-Kandidat Dennis Aukstein-Scheuten mit Stimmen der AfD und der Wählergruppe Heimat und Identität den Stadtvertretungsvorsitz – nach Aussagen des Ortsvereinsvorsitzenden der SPD, Kristoph-Felix Piepke, „entgegen der Absprachen der demokratischen Fraktionen“.
In Greifswald ist die Beziehung zwischen AfD und Teilen der CDU schon länger kameradschaftlich. So positionierten sich beide im Vorfeld des Bürgerentscheids gegen die Verpachtung stadteigener Flächen zur Unterbringung Geflüchteter – ein Dank von Nikolaus Kramer an die CDU inklusive. Und auch jetzt kann sich ein Teil der Stadt-CDU eine Zusammenarbeit mit der AfD vorstellen. Neben der Wahl von Madeleine Tolani zur Bürgerschaftspräsidentin könnte das auch ein Grund für die Aufspaltung der CDU-Fraktion gewesen sein. So macht die neue Fraktion Christlich Demokratisch Konservative/IBG/Allianz mit dem Vorsitzenden Axel Hochschild deutlich, dass es mit ihnen keine Brandmauer geben werde.
Auch in Hagenow zählt ein AfD-Mitglied nun zu den Vorsitzenden der Stadtvertretung. Die Christdemokraten Dietmar Speßhardt und Stefan Reißig übernehmen den Vorsitz und ersten Stellvertreter, AfD-Mitglied Christian Kaminski den zweiten.
Zum stellvertretenden Bürgermeister in Klein Bünzow wurde Alexander Wendt von der Gemeindevertretung in geheimer Wahl ernannt. Brisant: Als Bürgermeister durfte er sich nicht von den Klein Bünzower:innen wählen lassen, aufgrund „erheblicher Bedenken“ von Kreiswahlausschuss und Landesverfassungsschutz an seiner Verfassungstreue. Bei den Kommunalwahlen trat er für die Partei Die Heimat, ehemals NPD, an.
In Neustrelitz wurde Einzelbewerberin Daniela Preuß, Inhaberin eines Möbelgeschäfts, von der AfD überraschend als Vorsitzende vorgeschlagen. Sie schaffte es zur zweiten Stellvertreterin – neben Stimmen der AfD auch mit Hilfe von weiteren der CDU. Preuß fiel in den letzten Jahren als Sprecherin bei Corona-Protesten auf.
In Teterow ist mit Christian Wolter ebenfalls ein AfD-Kandidat an die Spitze gewählt worden. Mit nur sieben Mitgliedern der AfD, aber insgesamt elf Stimmen bei der Wahl, haben vier Personen aus anderen Parteien für ihn gestimmt.
Gegenpole
Schwerin ist die einzige Landeshauptstadt deutschlandweit, in der die AfD stärkste politische Kraft geworden ist. Bei der konstituierenden Sitzung des Gremiums bekam AfD-Landessprecher Leif-Erik Holm nur die zweitmeisten Stimmen bei der Wahl für den Vorsitz. Drei Stimmen kamen dabei nicht aus seiner Partei, denn für sie waren nur 11 Personen vor Ort, 14 Personen stimmten insgesamt für ihn.
Einen Vorsitzendenposten hat am Ende allerdings niemand aus den Reihen der AfD bekommen.
Auch in Rostock wurde in der konstituierenden Sitzung der Bürgerschaft entgegen der politischen Praxis die AfD als stärkste Kraft weder für das Bürgerschaftspräsidium noch seine Erste oder Zweite Stellvertretung gewählt. Anders als angekündigt, trat AfD-Mann Michael Meister nicht zur Wahl des Präsidenten an, sondern nur zur Wahl seines Ersten Stellvertreters, verlor diese aber gegen Jutta Reinders (Die LINKE). Dennoch müssen rechnerisch vier Mitglieder anderer Parteien für den AfD-Mann gestimmt haben.
Hat sich die AfD verzockt?
Auch eine andere Entwicklung lässt sich derzeit beobachten: Wirklich weitsichtig scheint die AfD nicht geplant zu haben. Denn an mehreren Orten konnten die gewonnenen Sitze im Parlament nicht gefüllt werden.
In Güstrow nutzen mittlerweile nur noch drei von sieben Personen ihre errungenen Sitze. Zwei Mandate wurden abgegeben beziehungsweise gar nicht erst angenommen. Niemand kann nachrücken.
In Ludwigslust erreichte die AfD vier Sitze, allerdings gab es nur einen Kandidaten. Das gleiche gilt für mindestens sieben weitere Städte. Vor allem in den Kreisen Vorpommern-Rügen und Vorpommern-Greifswald. In allen Fällen bleiben die übrig gebliebenen Sitze leer.
Noch haben sich nicht alle Vertretungen im Land konstituiert. Ob es danach noch mehr Fälle geben wird, werden wir weiter beobachten.