Rückblick auf die Abwesenheitsanalyse

Ein Ehrenamt mit Hindernissen

Seit Januar haben wir die Anwesenheiten sämtlicher Fraktionsmitglieder in den Kreistagen und kreisfreien Städten ausgewertet. Es ist Zeit für ein Fazit. Was fällt im Vergleich zwischen den Analysen auf und wie erklären die Kommunalpolitiker:innen selbst eigentlich ihre Abwesenheit? Dass das Wort „Ehrenamt“ dabei fällt, ist wenig verwunderlich. Ob es als Erklärung ausreicht, sollte zumindest diskutiert werden. Fest steht aber: Die Vereinbarkeit eines kommunalen Amtes mit Beruf, Familie oder anderen politischen Verpflichtungen fällt vielen schwer.

Sich kommunalpolitisch zu engagieren – ob in der eigenen Gemeindevertretung, dem Kreistag oder als ehrenamtliche:r Bürgermeister:in – bedeutet, ehrenamtlich tätig zu sein. Parallel zum eigenen Beruf, der Ausbildung oder der Familie übernehmen die von Bürger:innen gewählten Vertreter:innen unentgeltlich die Verwaltung und Gestaltung ihrer eigenen Stadt oder Gemeinde. In ihrer Freizeit und darüber hinaus. Einerseits können sie damit direkten Einfluss auf das Leben der Menschen nehmen und sind auch durch die eigene Betroffenheit nah dran an den Problemen vor Ort. Andererseits kostet ein solches Engagement viel Zeit und Arbeit, die Gewählte aufbringen wollen müssen. Das entspricht wohl auch der Erwartung der Menschen, die am Wahltag ihre Stimmen vergeben. Zugespitzt formuliert: Aufstellen und wählen lassen, aber hinterher nicht hingehen ist keine Option.

In Vorbereitung auf die im Juni anstehende Kommunalwahl warf KATAPULT MV einen Blick zurück auf vier Jahre kommunalpolitische Arbeit in den Kreistagen und Vertretungen der kreisfreien Städte. Abseits von Vorpommern-Rügen, wo es aufgrund von IT-Problemen nicht möglich war, die entsprechenden Protokolle auszuwerten, haben wir uns überall die Anwesenheit der gewählten Mitglieder in ihren jeweiligen Sitzungen angeschaut. Welche Fraktionen fehlten durchschnittlich am häufigsten, welche Politiker:innen waren immer da? Nicht berücksichtigt wurde dabei, ob im Fall von Abwesenheit eine Vertretungsperson anwesend war.

Rückblick: AfD und Grüne häufig vorn und hinten

Mit Blick auf die sieben erstellten Analysen ergibt sich für ganz MV das folgende Bild: Die Partei, deren Fraktionsmitglieder am häufigsten in ihren jeweiligen Sitzungen fehlten, ist die AfD. Ihre Kommunalpolitiker:innen waren in den Gremien, in die sie hineingewählt wurden, in Vorpommern-Greifswald (VG), dem Landkreis Mecklenburgische Seenplatte (MSE), Ludwigslust-Parchim (LUP) und Schwerin, am häufigsten in den Sitzungen abwesend. In Nordwestmecklenburg (NWM) und im Landkreis Rostock (LRO) hingegen waren die Vertreter:innen der AfD-Fraktion am häufigsten anwesend. Auch die Mitglieder der Grünen kamen in zwei Landkreisen, VG und MSE, am häufigsten zu ihren Sitzungen. In NWM und im LRO hingegen verzeichnen ihre Mitglieder die durchschnittlich höchste Fehlzeit. Im Mittelfeld lagen die Fraktionen von SPD und Linkspartei. Ausnahme: Die SPD fehlte in der Rostocker Bürgerschaft im Vergleich zu den anderen Fraktionen am seltensten.

Größenordnung der Fehlzeiten unterscheidet sich

Schaut man auf die höchsten Fehlzeiten der einzelnen Lokalpolitiker:innen in den Kreisen und Städten, waren unter den häufig Abwesenden verhältnismäßig viele Mitglieder der CDU-Fraktionen, gefolgt von der AfD und den Grünen. Was im Hinblick auf die konkreten Zahlen auffällt: Die Abwesenheit bei den Sitzungen fiel pro Person in den Landkreisen LRO, NWM und VG anteilig wesentlich höher aus als etwa in Schwerin oder der MSE. Die Größenordnung unterscheidet sich teils deutlich. So überschreiten die Werte für die CDU-Kreistagsmitglieder Katy Hoffmeister und Andreas Ohm aus dem LRO die 60 Prozent-Marke, während etwa der Schweriner Linkenpolitiker Henning Foerster „nur“ an rund 46 Prozent und Thomas de Jesus Fernandes von der AfD an rund 43 Prozent ihrer Sitzungen nicht teilnahmen.

Tendenziell zeigt sich dies auch bei den Werten der Fraktionen. Während etwa die AfD-Fraktion in VG den Spitzenwert von durchschnittlich 40,6 Prozent Abwesenheit verzeichnet oder die gewählten Mitglieder der Grünen im Landkreis Rostock im Schnitt bei rund 32 Prozent ihrer Sitzungen nicht vor Ort waren, wurden zum Beispiel für die Schweriner AfD lediglich rund 21 Prozent registriert.

LRO: Forderung nach Betreuungsmöglichkeiten

Mit Blick auf diese Ergebnisse stellt sich nun die Frage nach den Ursachen und Hintergründen: Was sagen also die Kommunalpolitiker:innen der Kreise und Städte angesichts der Zahlen?

Die Grünen-Fraktion aus dem LRO führt – ebenso wie die AfD-Fraktion MSE – unter anderem familiäre Gründe für die verhältnismäßig häufigen Abwesenheiten an. So hätten Mitglieder der Fraktionen in den vergangenen Jahren zum Beispiel Kinder bekommen und entsprechend, auch vor dem Hintergrund fehlender Betreuungsmöglichkeiten, nicht an all ihren Sitzungen teilnehmen können. Nicht immer sei die Betreuung der Kinder durch Partner möglich gewesen, dementsprechend habe dann die Entscheidung für die Familie überwogen. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Klaus-Michael Bull, verweist auf die fehlenden Betreuungsmöglichkeiten besonders während der Sitzungen. Gebe es eine solche Betreuung, wäre es gerade für Frauen „deutlich leichter (…), sich in der Lokalpolitik zu engagieren“, so Bull.

Die Hauptsatzung des Kreises Rostock sieht die Möglichkeit vor, sich notwendige Aufwendungen für die „Beaufsichtigung von Kindern“ erstatten zu lassen. Das wisse man auch zu schätzen, heißt es von der Grünen-Fraktion. Allerdings liege „die Verantwortung der Organisation“ nach ihrem Empfinden so in den falschen Händen. Nämlich in denen der ehrenamtlich tätigen Elternteile. Neben dem Umstand, dass das Geld für eine Betreuung zunächst ausgelegt werden müsste, könnten kurzfristige Ausfälle von Partner:innen oder anderen Aufsichtspersonen so nicht kompensiert werden. Deshalb sei bei der letzten Kreistagssitzung im Mai bereits eine entsprechende Anfrage an die Verwaltung geplant, schreibt Bull. Darauf soll noch ein Antrag in den Ausschüssen „zu Beginn der kommenden Wahlperiode“ folgen.

Große Kreise, lange Wege

Zum Teil gestalte sich auch der Aufwand für die Sitzungsteilnahme – sprich: die Fahrt zum Sitzungsort – als Hürde, berichtet der Fraktionsgeschäftsführer der AfD MSE, Andreas Rösler. So sei der Kreis Mecklenburgische Seenplatte der allergrößte. Vor dem Hintergrund familiärer Verpflichtungen oder des teilweise fortgeschrittenen Alters der Fraktionsmitglieder stelle dies eine Herausforderung dar. Immerhin fänden eben nicht alle Sitzungen in der Nähe der Wohnorte der Fraktionsmitglieder statt.

Ähnliches beschreibt auch Wiebke Fischer von den Grünen im LRO. So müsse sie beispielsweise von ihrem Wohnort Graal-Müritz für Sitzungen nach Güstrow oder Bad Doberan fahren.

„Terminkollisionen“ mit anderen Ämtern

Was manchmal ebenfalls die Teilnahme erschwere, seien zeitliche Überschneidungen mit anderen politischen Ämtern oder beruflichen Verpflichtungen. Sie sei einerseits in den vergangenen Jahren beruflich im wechselnden Schichtdienst gebunden gewesen, erzählt die ehemalige Berufssoldatin. Andererseits engagiere sie sich ehrenamtlich in der Gemeindevertretung Graal-Müritz. Ähnliches berichtet auch die Geschäftsführerin der Grünen-Kreistagsfraktion NWM, Anna Pfau. So sei ein Grünen-Mitglied zum Beispiel neben dem Kreistag auch in der Wismarer Bürgerschaft aktiv und darüber hinaus noch anderweitig ehrenamtlich engagiert.

Dass es sich bei der Kreistagsmitgliedschaft um ein Ehrenamt handelt, betont zudem Michael Ammon von der SPD-Fraktion VG. Er ist neben seiner Fraktionsarbeit im Kreis in einem weiteren kommunalpolitischen Amt aktiv – als Stadtvertreter in Pasewalk. Er weist darauf hin, dass die Kreistagsarbeit, im Gegensatz zu Bundes- oder Landtagsmandaten, nicht vergütet ist. Aus diesem Grund falle die Teilnahme an einer Sitzung auch mal seiner Arbeit als Rechtsanwalt und dem „Geldverdienen zum Opfer“. Eine ähnliche Erklärung kommt aus NWM. So sei der Grünen-Politiker Andreas Haubold als IT-Spezialist „aus beruflichen Gründen oftmals nicht vor Ort“, schreibt Anna Pfau auf Anfrage.

Es gibt überdies Kommunalpolitiker:innen, die abseits des Ehrenamtes noch anderweitig politisch verpflichtet sind. So erklärt etwa der SPD-Fraktionschef im Kreistag VG, Falko Beitz, dass es bei ihm seit 2021 zu „Überschneidungen mit Terminen“ gekommen sei, die er in seiner Funktion „als Abgeordneter des Landtages wahrzunehmen hatte“. Darauf verweist auch die CDU-Fraktion aus dem LRO. Es gebe zum Beispiel Landtagsabgeordnete in ihren Reihen, bei denen es zu „Terminkollisionen“ komme. Darüber hinaus bekleideten viele Mitglieder weitere ehrenamtliche Ämter. Der Linken-Politiker Henning Foerster, der in der Stadtvertretung Schwerin sitzt, erklärt auf Nachfrage, dass sich sein Hauptamt als Mitglied des Landtags in der Wahlkreisarbeit „sehr gut“ mit seinem Ehrenamt als Stadtvertreter verbinden lasse. Allerdings stelle er fest, dass beides terminlich manchmal nicht zu vereinbaren sei. So tage etwa donnerstags nicht nur der Schweriner Ausschuss für Wirtschaft, Tourismus und Liegenschaften, sondern auch der Wirtschafts- und Finanzausschuss des Landtages. In solchen Situationen müsse abgewogen werden, wo die Priorität zu setzen sei. „In der Regel geht das Hauptamt dann vor“, so Foerster. Er fühle sich allerdings durch seine Kolleg:innen gut vertreten und der Informationsaustausch funktioniere.

Abwesenheit heißt nicht Fehlen

Die AfD-Fraktion Schwerin schreibt, dass abseits von „terminlichen Überschneidungen“ Erkrankungen für ein Fehlen in Sitzungen verantwortlich seien. Darauf weist die AfD-Fraktion MSE ebenfalls hin. So sei ein Fraktionsmitglied in den vergangenen Jahren durch Erkrankungen und entsprechende Eingriffe ausgefallen. Auch die Linken-Politikerin Dörte Stallgies aus Ludwigslust-Parchim spricht im Hinblick auf ihre Abwesenheitszeiten von einer einjährigen Erkrankung. Ähnliches gilt bis auf Weiteres für die Grüne Anne Shepley aus NWM, die schwer erkrankt ist. Im Zuge dessen habe etwa eine Kollegin einen Ausschuss übernehmen müssen, wie Geschäftsführerin Pfau erklärt.

Bei einer kleinen Fraktion wie den NWM-Grünen falle es schwerer ins Gewicht, wenn mal Mitglieder ausfallen, berichtet sie weiter. Hinzu komme, dass es kleinen Fraktionen in Ausschüssen manchmal nicht möglich sei, neben einem Ausschussmitglied mehr als eine:n Vertreter:in zu stellen. Das sei nicht vorgesehen, so Pfau. Wenn dann sowohl das eigentliche Ausschussmitglied als auch die Vertretungsperson ausfielen, könne niemand mehr einspringen, obwohl die Fraktion immer bemüht sei, bei Ausfällen eine Vertretung zu organisieren.

An dieser Stelle hakt auch Andreas Rösler ein. Er weise es „ganz klar zurück, dass ein Ausschussmitglied als fehlend registriert werde, wenn eine Vertretung vor Ort war“, so der Fraktionsgeschäftsführer der AfD MSE. So erfasse die KMV-Analyse „nur“, wenn das eigentlich im Ausschuss sitzende Kreistagsmitglied nicht an der Sitzung teilnahm, aber nicht, ob für die abwesende Person eine Vertretung eingesprungen ist oder nicht. Dabei zeige sich seiner Meinung nach an der Anwesenheit von Vertreter:innen, „wie die Fraktionen ihre Arbeit organisieren“. Dass Ausschussmitglieder nicht an ihren Sitzungen teilnehmen, erklärt Rösler außerdem mit „Sachkompetenz“. Demnach werde absichtlich auch mal die Vertretungsperson in den Ausschuss geschickt, weil diese vom jeweiligen Thema mehr verstehe. Aussagen über ein tatsächliches Fehlen von Kreistagsmitgliedern seien somit eigentlich nur für die Kreistagssitzungen möglich, weil dort eben keine Stellvertretung möglich ist.

Schaut man einmal beispielhaft auf die Zahlen des Kreistages MSE – unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen, die auch schon bei der Analyse galten –, ändert sich an den beiden führenden Positionen, also den durchschnittlich am meisten fehlenden Fraktionen, dadurch jedoch wenig. In den Kreistagssitzungen fehlten AfD und SPD durchschnittlich am meisten.

Transparenzhinweis: Dieser Text erschien in Ausgabe 31 von KATAPULT MV.

Die vier Analysen, auf die im Artikel Bezug genommen wird, lest ihr hier:

Quellen

  1. E-Mail von Klaus-Michael Bull, Fraktionsvorsitzender der Grünen-Kreistagsfraktion LRO, vom 6.3.2024 / Telefonat mit Andreas Rösler, Fraktionsgeschäftsführer der AfD-Fraktion MSE, am 16.4.2023.
  2. § 16 III Hauptsatzung des Landkreises Rostock.
  3. E-Mail von Klaus-Michael Bull vom 2.4.2024.
  4. E-Mail von Klaus-Michael Bull vom 8.4.2024.
  5. Telefonat mit Wiebke Fischer am 9.4.2024.
  6. Telefonat mit Anna Pfau am 16.4.2024.
  7. Kreistagsmitglieder werden für ihre Tätigkeit nicht entlohnt, erhalten jedoch unter anderem eine Aufwandsentschädigung und einen sogenannten monatlichen Sockelbetrag. Deren Höhe ist in der jeweiligen Hauptsatzung des Kreises oder der Stadt geregelt. Beispiel: In Schwerin beträgt die Aufwandsentschädigung für Stadtvertreter:innen 60 Euro pro Sitzung. Dazu kommt laut Satzung ein Sockelbetrag von 150 Euro.
  8. Telefonat mit Michael Ammon am 12.4.2024.
  9. E-Mail von Anna Pfau vom 16.4.2024.
  10. E-Mail der SPD-Kreistagsfraktion VG vom 11.4.2024.
  11. E-Mail der CDU-Kreistagsfraktion LRO vom 9.4.2024.
  12. E-Mail von Henning Foerster vom 9.4.2024.
  13. E-Mail von Petra Federau, AfD-Fraktionsvorsitzende Schwerin, vom 4.4.2024.
  14. Telefonat mit Dörte Stallgies am 6.6.2024.
  15. Telefonat mit Andreas Rösler am 17.4.2024.
  16. In der Analyse konnten nur die für den Zeitraum öffentlich zugänglichen Protokolle (zehn) ausgewertet werden. Im Informationssystem des Kreises MSE gab es darüber hinaus keine Informationen zu den möglichen Wechseln der Ausschussbesetzung oder Zusammensetzung der Kreistagsfraktionen.

Autor:in

  • Redakteurin in Greifswald

    Geboren in Berlin, aufgewachsen in Berlin und Brandenburg. Tauschte zum Studieren freiwillig Metropole gegen Metropölchen.