Dass MV ein Problem mit rechtsextremen Netzwerken hat, ist kein Geheimnis. An Orten wie Jamel werden solcherlei Ideologien teils offen ausgelebt. Und dass in Anklam oder Salchow mittlerweile seit Jahrzehnten Rechtsextreme leben oder Geschäfte betreiben, ruft kaum noch Empörung hervor. Es scheint daher wenig verwunderlich, dass sich neben Hammerskins, Kameradschaften und Co. weitere Akteure der rechtsextremen Szene in MV wohlfühlen. So gelten Rostock und Ribnitz-Damgarten (Vorpommern-Rügen) schon seit Jahren als lokale Schwerpunkte der rechtsextremen Identitären Bewegung (IB).
Neu Gewählte in Ribnitz mit fragwürdigem Hintergrund
Zwei Männer, deren Kontakte zu ebenjener Identitären Bewegung kein Geheimnis sind, sitzen künftig in der Stadtvertretung von Ribnitz-Damgarten. Florian Funke und Maik Waack zogen beide über die AfD-Liste ein, wobei nur Funke Mitglied der Partei ist.Waack, der während der Pandemie das verschwörungsideologische Bürgerforum Ribnitz-Damgarten mitgründete, hat nicht nur Kontakte zu Pegida-Frontmann Lutz Bachmann, sondern wurde von ihm sogar im Wahlkampf unterstützt. Außerdem warb er über die Facebook-Gruppe des Bürgerforums für Veranstaltungen Bachmanns mit dem rechtsextremen österreichischen IB-Aktivisten Martin Sellner. Auch ein gemeinsames Foto der beiden – Waack und Sellner – findet sich dort.
Florian Funkes Verbindungen zur IB erklären sich über seinen Bruder Daniel Funke, der seit Jahren als IB-Aktivist gilt und früher NPD-Mitglied war. Zusammen gründeten sie 2022 den Verein Neustart Kranichland. Der Verein, in dessen Vorstand die Brüder laut Vereinsregister sitzen, war unter anderem bei einer AfD-Demonstration in Berlin mit einem Banner „Neustart Deutschland“ vertreten. Darüber hinaus nahmen Neustart-Mitglieder an einer Kundgebung für die Öffnung der Nord-Stream-Pipelines im September 2022 in Lubmin teil. Die Funke-Brüder sind auch auf einem Foto des Vereins zu sehen. Darauf halten sie ein Banner mit der Aufschrift „Wir müssen nicht die Welt retten. Deutschland reicht. #Remigration“.
Schulterschluss mit Identitärer Bewegung
Neustart Kranichland betreibt einen eigenen Telegram-Kanal und eine Facebook-Seite. Über sie werden regelmäßig rechtsextreme Inhalte verbreitet. So ist in dem neuesten Video von Ende Juni mutmaßlich Daniel Funke – verkleidet als „Pepe der Frosch“, eine schon lange von der rechtsextremen und identitären Szene instrumentalisierte Comicfigur – mit einem T-Shirt der IB zu sehen. Er bringt einen Sticker des sogenannten Stolzmonats (mehr dazu unten) am Ortseingangsschild von Ribnitz-Damgarten an und hisst die dazugehörige siebenstreifige Deutschlandflagge. Das Video teilte der Landesableger der Identitären Bewegung auf seinem Telegram-Kanal.
IB-Hochburgen Ribnitz-Damgarten und Rostock
Als Hauptsitz der Identitären Bewegung in MV gilt Rostock. Zum einen aufgrund der dort ansässigen IB-Kader. Wie aus dem Vereinsregister hervorgeht, gehörte etwa der Rostocker Daniel Fiß, der zuvor unter anderem in der rechtsextremen NPD und deren Jugendorganisation JN aktiv war, zum Bundesvorstand der IB. Zum anderen sind oder waren zahlreiche Firmen und Vereine, die Verbindungen zur IB pflegen, in der Hansestadt ansässig. Darunter Heimwärts, dessen Vereinsvorsitzende laut Vereinsregister die IB-Mitglieder Hannes Krünägel – ehemals auch Landeschef der IB MV – und Daniel Sebbin sind. Auch Daniel Funke wurde auf der IB-Website zeitweise öffentlich als Aktivist gelistet.
Auch in Ribnitz-Damgarten ist die IB in den letzten Jahren offen aktiv gewesen. So fanden in MV 2016 und 2017 nach Rostock die meisten IB-Aktionen in Ribnitz-Damgarten statt. An der ersten offiziellen Versammlung dort beteiligten sich rund 40 Identitäre. Neben Daniel Funke trat dabei auch Daniel Fiß als Redner auf. Er soll als „ideologischer Anheizer“ auf weiteren IB-Veranstaltungen aktiv gewesen sein.Zudem nahm Funke im März 2018 an einer Corona-Demonstration in Rostock teil, auf der er und Sebbin als Ordner fungierten. Ein Foto zeigt sie gemeinsam.
Wofür die Identitäre Bewegung steht
Gegründet wurde die Identitäre Bewegung Deutschland im Oktober 2012. Erst im Mai 2014 erfolgte ihre Eintragung als Verein. In MV registrierten Beobachter:innen eine erste Aktion im Sommer 2015 im Rahmen der Warnemünder Woche. Doch schon seit 2014 soll die Gruppe online aktiv gewesen sein. Obwohl, wie es die Landesregierung selbst später mehrfach bestätigte, Akteure des MV-Ablegers in der Vergangenheit im „rechtsextremistischen Parteienspektrum oder in neonazistischen Organisationen“ aktiv waren, fand die Gruppierung im Verfassungsschutzbericht des Landes erstmalig in der Ausgabe für 2017 Erwähnung. Damals war sie für die Verfassungsschützer:innen – unter Berufung auf den Bund – „nur“ rechtsextremistischer Verdachtsfall, bis zum Sommer 2016 noch nicht einmal Beobachtungsobjekt. Erst seit Sommer 2019 gilt die IB in Bund und Land als „erwiesen rechtsextremistisch“.
Die IB stelle sich, so der Verfassungsschutz, nach eigener Darstellung einer „links-liberalen Indoktrination“ entgegen und vertrete ansonsten die Vorstellung, dass die „ethnische Herkunft“ für „die Zugehörigkeit zum deutschen Volk“ maßgeblich sei. Entsprechend propagiert sie die „‚Rückeroberung‘ Europas“ – unter dem Schlagwort „Reconquista“ – zu „ethnisch und kulturell homogenen Staaten“. Der von der IB verwendete Begriff „Remigration“ erfreut sich mittlerweile auch in der AfD großer Beliebtheit. Beide Schlagworte sind „ausländer- und islamfeindlich“.
Von der IB zur AfD
Mit den Corona-Protesten in Ribnitz-Damgarten findet sich auch die Brücke zur AfD. Der gewählte Stadtvertreter Maik Waack organisierte zusammen mit Gitta Stroh zu Beginn der Pandemie 2021 einen sogenannten Frühlingsspaziergang gegen die Corona-Maßnahmen. Obwohl es damals hieß, die Demo sei unabhängig von politischen Gruppierungen, demonstrierte die gesamte AfD-Fraktion der Stadtvertretung mit.
Stroh ist Inhaberin mehrerer Pflegeeinrichtungen und äußerte sich im Ordnungs- und Sicherheitsausschuss der Stadtvertretung rassistisch. Außerdem verbreitete sie Falschinformationen. So zum Beispiel die Aussage, die Gemeinden müssten Wohnungen für Geflüchtete freihalten.Inzwischen distanziert sich Waack auf Facebook von Stroh. Er wirft ihr vor, seine Familie beleidigt zu haben und mit der Organisation von Autokorsos die Bevölkerung zu verärgern.
Wie ein angebliches Schlumpfvideo Ribnitz-Damgarten berühmt machte
Bei der Wahl der Stadtvertretung am 9. Juni erhielt die AfD die meisten Stimmen. Mit sechs Personen stellt sie in den kommenden Jahren die größte Fraktion in Ribnitz-Damgarten. Die Partei positionierte sich in der Stadt zuletzt im „Fall Loretta“ gegen den Schulleiter des Richard-Wossidlo-Gymnasiums. Am 27. Februar soll die Schülerin Loretta B. von drei Polizist:innen aus dem Unterricht geholt worden sein. Die Beamten sollen sie vor den Augen zahlreicher Schüler durch die Schule eskortiert und mit ihr eine Gefährderansprache geführt haben. Grund dafür seien zwei Tiktok-Beiträge der 16-Jährigen gewesen, in denen sie ihre Sympathien für die AfD zum Ausdruck brachte und dabei Bezug auf die blaue Farbe der „Schlümpfe“ nahm. In einem anderen Video habe sie Deutschland als ihre Heimat bezeichnet. Diese Videos wurden dem Schulleiter im Vorfeld per Mail zugeschickt. So berichtete es die Mutter der Schülerin, Annett B., in einem Interview mit dem rechten Medium Junge Freiheit.
Später stellte sich heraus: Es ging bei dem Einsatz weder um ein Schlumpf-Video, noch wurde das Mädchen direkt aus dem Unterricht geholt. Der Anlass des Einsatzes waren zwar Beiträge in Sozialen Medien, diese hätten aber beispielsweise Parolen der rechtsextremen Partei III. Weg enthalten. Die Beamt:innen hätten vor dem Unterrichtsraum gewartet und die Schülerin auch nicht vor der gesamten Schule eskortiert, da zu dem Zeitpunkt des Einsatzes Unterricht stattfand. Laut einer Pressemitteilung der Polizei wurden die Gründe des Einsatzes und der Einsatz selbst mit Mutter und Tochter umfassend geklärt.
Lorettas Mutter Annett B. scheint über ein ausgedehntes Netzwerk zu verfügen. Bei einer Veranstaltung des AfD-Politikers Leif-Erik Holm am 29. Mai erinnerte sie sich, dass sie, nachdem ihre Tochter ihr von dem Fall erzählt hatte, das Thema in die Politik bringen wollte. Zufällig habe sie die Telefonnummer eines AfD-Politikers auf ihrem Handy gefunden. Dieser AfD-Politiker war der Vorsitzende der Landtagsfraktion, Nikolaus Kramer. Er soll der Mutter versprochen haben, das Thema gemeinsam mit dem Bildungspolitischen Sprecher der AfD, Enrico Schuldt, in den Landtag zu nehmen.
Am 14. März, zwei Wochen nach dem Polizeieinsatz, erschienen Artikel über den Vorfall in drei rechten Medien: der Jungen Freiheit, Nius und Apollo News. Immer mit Hinweis auf ein angebliches Schlumpf-Video. Am selben Tag stellte die AfD-Fraktion im Landtag den Antrag „Politische Indoktrinierung und exekutive Übergriffe an Schulen beenden – Beutelsbacher Konsens einhalten“. Darin nahm sie Bezug auf die Vorfälle in Ribnitz-Damgarten. Einen Tag später berichtete die Ostsee-Zeitung, dass AfD-Bundespolitikerin Beatrix von Storch Klage gegen den Schulleiter eingereicht habe. Drei Tage später entrollten Aktivist:innen der Identitären Bewegung ein Banner vom Dach des Ribnitzer Gymnasiums. Darauf zu sehen: „Heimatliebe ist kein Verbrechen“ und ein Bild von einem Schlumpf. Der Verein Neustart Kranichland sammelte Spenden für die Aktion. Die SPD-Fraktion im Landtag nennt die Vorgänge eine „Fake-Kampagne“. Die Schülerin sei von AfD, IB und rechten Medien für eine Hetzkampagne missbraucht worden.
Rund 20 nahezu gleichlautende Anzeigen sind bisher gegen den Schulleiter eingegangen. Sämtliche, zum Teil explizit wegen falscher Verdächtigung oder Nötigung, erstattete Strafanzeigen seien geprüft worden, teilt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Stralsund mit. Ein Ermittlungsverfahrens aber wurde nicht eingeleitet, weil es keinen Anfangsverdacht gegeben habe.
Ebenfalls angezeigt wurden die am Polizeieinsatz beteiligten Beamt:innen. Gegen sie hatten laut Staatsanwaltschaft „unbeteiligte Personen aus anderen Bundesländern Anzeige erstattet“. Weil dabei ebenfalls kein hinreichender Anfangsverdacht auf eine Straftat bestand, wurde auch dieses Verfahren eingestellt.
Auch der Schulleiter wehrt sich juristisch: Gegen mehrere Personen, die sich in Sozialen Medien „beleidigend oder herabwürdigend“ geäußert und zum Teil Fotos von ihm verbreitet hatten, laufen derzeit Ermittlungen.
Annett B. wurde von zahlreichen Medien interviewt, unter anderem der Bild und dem Nordkurier. Der Jungen Freiheit und Nius gaben sie und ihre Tochter ein Exklusivinterview. Die Glaubwürdigkeit von Annett B. darf allerdings angezweifelt werden. In einer ersten Version des Artikels der Jungen Freiheit beschrieb sie etwa, dass die Beamt:innen im Unterrichtsraum gestanden hätten. Das stellte sich als falsch heraus und die Zeitung musste ihren Artikel korrigieren.In einem Interview mit T-online vom 20. März gab B. an, die Videos ihrer Tochter nicht gekannt zu haben. Man habe sie in dem Glauben gelassen, dass es tatsächlich um ein Schlumpfvideo gegangen sei. Nun würde sie als Lügnerin dastehen. Hätte sie die eigentlichen Videos gekannt, hätte sie anders reagiert.Bei der AfD-Veranstaltung am 29. Mai, also nach dem T-online-Interview, erzählte B. erneut von einem Schlumpfvideo. Die tatsächlichen Inhalte, derentwegen es zu dem Vorfall kam, verschwieg sie. Auf Facebook hat B. außerdem mehrfach Beiträge des Bürgerforums und von Daniel Funke gelikt.
Juni ist „Stolzmonat“?
Auch in jüngster Zeit fielen die rechten Netzwerke in Ribnitz-Damgarten durch Provokationen auf. Am 21. Juni veröffentlichte die AfD Ribnitz-Damgarten einen Beitrag auf Facebook, in dem sie sich für die Wählerstimmen bedankte. In dem Beitrag ebenfalls zu sehen: die Flagge des „Stolzmonats“. Die Flagge in Schwarz-, Rot- und Goldtönen ist in ihrem Design an die Flagge der LGTBQIA+ Bewegung angelehnt. Der Stolzmonat soll den Gegenentwurf zum pride month darstellen. Statt für die Anerkennung unterschiedlicher sexueller Orientierungen und Geschlechtsidentitäten steht der Stolzmonat für Nationalstolz. Laut der Amadeu-Antonio-Stiftung soll damit ausgedrückt werden: Queere Menschen gehören nicht zu Deutschland. Als der Journalist Robert Niemeyer in der Ostsee-Zeitung einen Artikel über den Facebook-Beitrag der AfD veröffentlicht, wird dieser im Bürgerforum und bei Neustart Kranichland geteilt. Dazu schreiben die Akteure, der Journalist habe die Flagge absichtlich falsch interpretiert. In den Kommentaren dazu wird ihm gedroht: „Der OZ-Schreiberling Niemeyer ist ein Spalter durch und durch. Im Glauben daran, gegen imaginäre Feindbilder anzuschreiben, macht er sich der Verbreitung von Desinformation und Delegitimierung des demokratischen Prinzips schuldig. Dass ihm klar ist, was er da treibt, bezweifle ich. Aber Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.“ Kurz darauf wird das Video gepostet, in dem mutmaßlich Daniel Funke die Flagge des Stolzmonats hisst.
Menschenjagd in Sozialen Netzwerken
Das Verbreiten von Hass und hetzerischen Inhalten nahm in Ribnitz-Damgarten in den vergangenen Wochen noch einmal Fahrt auf, auch im Zusammenhang mit Polizeimeldungen und darauf folgender Selbstjustiz. Ein besonders schlimmer Fall ereignete sich am 24. Mai in Rostock: Din O. wurde in Lichtenhagen von 20 bis 30 Menschen verfolgt. Etwa acht von ihnen traten und schlugen den 26-Jährigen, der dadurch leicht verletzt wurde. Das Motiv: Din O. soll Kindern aufgelauert haben. Zumindest wurde das über die Sozialen Medien verbreitet.An der digitalen Hetzjagd beteiligten sich auch die AfD-Stadtvertreter Maik Waack vom Bürgerforum Ribnitz-Damgarten und Florian Funke vom Verein Neustart Kranichland, der im neuen Verfassungsschutzbericht als rechtsextrem aufgeführt wird.Sie teilten Fotos und Videos des Mannes, versehen mit Warnungen und der Aufforderung, die Informationen zu verbreiten. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Mann ohne festen Wohnsitz Straftaten gegen Kinder oder Jugendliche begangen hat.
Inzwischen hat sich Din O. laut Medienberichten das Leben genommen. Sozialarbeiter:innen aus Ribnitz-Damgarten erheben deswegen schwere Vorwürfe. Laut OZ-Informationen plant ein Sozialarbeiter Strafanzeige gegen den Sozialpsychiatrischen Dienst des Landkreises wegen unterlassener Hilfeleistung. Er wurde mehrfach auf die Eigengefährdung des Mannes hingewiesen, ohne tätig zu werden. Auch gegen Maik Waack werden Vorwürfe laut: Die Verfolgung im Internet hätte O.s bestehenden psychischen Probleme verstärkt.
Der Kanal von Neustart Kranichland sowie Stadtvertreter Maik Waack verbreiteten zudem kurz vorher das Video eines Diebstahls aus dem Bernsteinmuseum in Ribnitz-Damgarten. Sie brachten es fälschlicherweise in Verbindung mit Din O. Nach Polizeiangaben hatte dort Mitte Mai ein aus Somalia stammender Mann Geld aus einer Toilettenkasse entwendet. Der Vorfall wurde von einem Mitarbeiter als Beweismittel gefilmt, landete dann aber ebenfalls in den Sozialen Netzwerken. Dort verbreitete sich das Video, in dem das Gesicht des Mannes zu erkennen ist, zusammen mit hetzerischen Aussagen gegen ausländische Menschen und Aufrufen zum Verbreiten des Videos.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Stralsund wurde das Verfahren gegen den Mann mittlerweile eingestellt. Es sei kein Strafantrag gestellt worden und es habe „kein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung“ gegeben, so Sprecher Martin Cloppenburg. Allerdings war das Verbreiten des Videos nicht Gegenstand des Verfahrens. So gebe es keine Informationen, ob wegen mutmaßlich angegriffener Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten eine Anzeige erstattet wurde. Ebenso ließ die Polizei vor dem Suizid offen, ob noch Ermittlungen im Fall von Din O. und den damit verbundenen Aufrufen in den Sozialen Medien laufen. Laut einem Bericht der Ostsee-Zeitung wird derzeit von der Polizei geprüft, ob strafrechtlich gegen die Hetze im Internet vorgegangen werden kann.
Der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Landtag, Michael Noetzel, drückte sein Beileid für die Familie aus. Gleichzeitig findet er klare Worte für das Geschehene: „Das Maß an Entmenschlichung, mit der die Täter vorgegangen sind, ist schockierend. Dass sich ein Stadtvertreter der AfD aus Ribnitz-Damgarten aktiv an dieser Hetzjagd beteiligt haben soll, verdeutlicht ein weiteres Mal die Menschenverachtung, die dieser Partei innewohnt.“
Die Vorfälle der vergangenen Monate, insbesondere um den Polizeieinsatz an der Schule, haben Ribnitz-Damgarten deutschlandweit medial in den Fokus gerückt. Dabei sind die rechtsextremen Strömungen in und um die Stadt nicht neu.
Extreme Vergangenheit von Nordvorpommern
Im Landkreis Nordvorpommern – der im Zuge der Kreisgebietsreform 2011 in Vorpommern-Rügen umbenannt wurde – gab es seit der Wiedervereinigung immer wieder Vorfälle und Straftaten aus dem rechten und rechtsextremen Spektrum. Ein besonders drastisches Beispiel ist der Mord an dem 18-jährigen Geflüchteten Dragomir Christinel. Im März 1992 drangen mehrere Personen in eine Geflüchtetenunterkunft in Saal ein und erschlugen den Rumänen aus rassistischen Motiven. John-Pieter G. – einer der Täter – wurde zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Er lebt mutmaßlich noch immer in der Region.
Durch die Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Birgit Schwebs (PDS) im Jahr 2001 wurde bekannt, dass in Ribnitz die rechtsextremistische Gruppierung Nordischer Kameradschaftsbund aktiv war.
Auch die landesweite Opferberatung für Betroffene rechter Gewalt Lobbi hat mehrere rassistische Angriffe in Ribnitz-Damgarten und Umgebung registriert. So beispielsweise einen Vorfall im Juli 2003, bei dem ein Mädchen nichtdeutscher Herkunft von einem 44-jährigen Mann geohrfeigt wurde. Im Juli 2005 wurde dort weiterhin ein Asylbewerber beschimpft und mit einer Pistole bedroht. Im November 2009 verletzten zwei Männer aus dem rechten Spektrum Gäste des alternativen Jugendzentrums Kita und zerstörten mehrere Fensterscheiben.
Zumindest der Verein Neustart Kranichland wird im aktuellen Verfassungsschutzbericht unter Rechtsextremismus genannt. So heißt es im Bericht: „Es liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass der Verein völkisch-, muslim- und fremdenfeindliche Positionen vertritt, die mit der Menschenwürde nicht vereinbar sind. Er setzt insbesondere auf Vernetzung verschiedener Akteure und Durchführung öffentlichkeitswirksamer Aktionen.“ Abzuwarten ist nun, wie die Mitglieder der Stadtvertretung mit den beiden rechtsextremen Abgeordneten Maik Waack und Florian Funke umgehen.
Der Artikel wurde am 5.7.2024 erstmals veröffentlicht und am 18.7.2024 aktualisiert.
Quellen
- Lobbi MV (Hg.): (Noch) Nicht viel bewegt, auf: lobbi-mv.de (3.7.2017).↩
- @maik.waack: Beitrag vom 2.6.2024, 11:11 Uhr, auf: facebook.com.↩
- @maik.waack: Beitrag vom 2.7.2024, 18:12 Uhr, auf: facebook.com.↩
- Endstation Rechts (Hg.): AfD-Demo in Rostock: „Islam wie ein Geschwür“, auf: endstation-rechts.de (15.5.2018).↩
- Der Spiegel (Hg.): Rechtsextreme und „Querdenker“ gründen neuen Verein, auf: spiegel.de (14.10.2022).↩
- @NeustartKranichland: Beitrag vom 7.5.2024, 7:44 Uhr, auf: facebook.com.↩
- Stuflesser, Wolfgang: Grüne Gallionsfigur mit braunen Gedanken, auf: deutschlandfunkkultur.de (27.9.2016).↩
- In einem Facebook-Kommentar auf diesen Artikel dementiert Funke, dass er die Person im Froschkostüm sei.↩
- @NeustartKranichland: Beitrag vom 30.6.2024, 17:40 Uhr, auf: facebook.com.↩
- @IB_MeckPomm: Beitrag vom 30.6.2024, 19:48 Uhr, auf: t.me.↩
- Fredrich, Benjamin: Neonazis an der Spitze, auf: katapult-mv.de (12.1.2022).↩
- Eau de Tollense (Hg:): Corona-Demos in Neubrandenburg – Hier hilft man sich?, auf: eaudetollense.blackblogs.org (4.5.2022).↩
- Landtag MV (Hg.): Kleine Anfrage des Abgeordneten Peter Ritter, Fraktion Die Linke „‚Identitäre Bewegung‘ in Mecklenburg-Vorpommern“ und Antwort der Landesregierung, auf: dokumentation.landtag-mv.de (1.3.2018).↩
- Endstation Rechts (Hg.): Die Identitäre Bewegung in M-V – Ein Überblick, auf: endstation-rechts.de (29.6.2016).↩
- Trepsdorf, Daniel: Rechtspopulismus auf dem Vormarsch. Rechtsextreme stark im ländlichen Raum, auf: belltower.news (23.12.2016).↩
- Exif Recherche (Hg.): AfD und IB in Mecklenburg-Vorpommern vereint, auf: exif-recherche.org (14.3.2018).↩
- Ministerium für Inneres und Europa MV (Hg.): Verfassungsschutzbericht 2017, S. 70-71, auf: verfassungsschutz-mv.de (Juli 2018).↩
- Lobbi MV (Hg.): (Noch) Nicht viel bewegt, auf: lobbi-mv.de (3.7.2017).↩
- Landtag MV (Hg.): Kleine Anfrage des Abgeordneten Peter Ritter, Fraktion Die Linke „‚Identitäre Bewegung‘ in Mecklenburg-Vorpommern“ und Antwort der Landesregierung, auf: dokumentation.landtag-mv.de (1.3.2018) / Landtag MV (Hg.): Kleine Anfrage des Abgeordneten Peter Ritter, Fraktion Die Linke „‚Identitäre Bewegung‘ in Mecklenburg-Vorpommern“ und Antwort der Landesregierung, auf: verfassungsschutz-mv.de (30.4.2019).↩
- Ministerium für Inneres und Europa MV (Hg.): Verfassungsschutzbericht 2017, S. 70, auf: verfassungsschutz-mv.de (Juli 2018).↩
- Endstation Rechts (Hg.): Die Identitäre Bewegung in M-V – Ein Überblick, auf: endstation-rechts.de (29.6.2016) / Krug, Lisa: Zwischen Seen und Meer, auf: der-rechte-rand.de (11.2016).↩
- Ministerium für Inneres und Europa MV (Hg.): Verfassungsschutzbericht 2019, S. 64, auf: verfassungsschutz-mv.de (November 2020).↩
- Ministerium für Inneres, Bau und Digitalisierung MV (Hg.): Verfassungsschutzbericht 2022, S. 38, auf: verfassungsschutz-mv.de (Juli 2023) / Bundesministerium des Innern und für Heimat (Hg.): Verfassungsschutzbericht 2023, S. 101, auf: verfassungsschutz.de (Juni 2024).↩
- Niemeyer, Robert: Ribnitz: So lief die Corona-Demo am Donnerstag, auf: ostsee-zeitung.de (8.4.2021).↩
- Pflege am Bodden (Hg.): Impressum, auf: pflege-am-bodden.de.↩
- Niemeyer, Robert: Flüchtlingsunterkünfte in Ribnitz-Damgarten und Ahrenshagen: Bürger haben viele Fragen, auf: ostsee-zeitung.de (29.3.2024).↩
- Meckelein, Martina: Fall Loretta: „Ich hätte nicht für möglich gehalten, was meiner Tochter angetan wurde“, auf: jungefreiheit.de (15.3.2024).↩
- Wienand, Lars: Mutter äußert sich: „Dann hätten wir anders reagiert“, auf: t-online.de (20.3.2024).↩
- Polizeipräsidium Neubrandenburg: Pressemitteilung der Polizeiinspektion Stralsund anlässlich der Berichterstattung über einen Polizeieinsatz am 27.02.2024 an einem Ribnitzer Gymnasium, auf: polizei.mvnet.de (14.3.2024).↩
- @Leif-Erik Holm: Ribnitzer Schülerin von Polizei aus Klasse geholt: Es war unverhältnismäßig! Jetzt redet die Mutter, auf: youtube.com (30.5.2024).↩
- JF-Online (Hg.): Mädchen aus Unterricht abgeführt: Weidel attackiert Bundesregierung, auf: jungefreiheit.de (14.3.2024).↩
- Nius (Hg.): Vom Schuldirektor denunziert: Schülerin (16) aus Unterricht für Gefährderansprache abgeführt, weil sie Schlumpf-Spruch postete, auf: nius.de (14.3.2024).↩
- Apollo News (Hg.): Vermeintlich „verfassungs-feindlich“: Direktor lässt Schülerin während Unterricht von Polizei abholen, auf: apollo-news.net (14.3.2024).↩
- Landtag MV (Hg.): Drucksache 8/3536, Politische Indoktrinierung und exekutive Übergriffe an Schulen beenden – Beutelsbacher Konsens einhalten, auf: dokumentation.landtag-mv.de (14.3.2024).↩
- Meyer, Andreas: Schülerin mit Polizei aus Unterricht geholt: AfD-Vize Beatrix von Storch zeigt Ribnitzer Schulleiter an, auf: ostsee-zeitung.de (15.3.2024).↩
- Tretropp, Stefan: Heimatliebe-Plakat an Schule in Ribnitz-Damgarten: Schülerin bekommt Zuspruch für AfD-Schlumpf-Video, auf: svz.de (18.3.2024).↩
- @Neustart Kranichland: Beitrag vom 18.3.2024, 8:58 Uhr, auf: telegram.me.↩
- Pfeiffer, Mandy: Bildungsausschuss zu Ribnitz-Damgarten: „Schulleitung hat angemessen und korrekt gehandelt – Fake-Kampagne von AfD und rechtsextremer Identitärer Bewegung zerplatzt“, auf: spd-fraktion.de (21.3.2024).↩
- E-Mail von Martin Cloppenburg, Staatsanwaltschaft Stralsund, vom 2.7.2024.↩
- Freitag, Uwe: Jetzt redet ihre Mutter, auf: bild.de (16.3.2024).↩
- Stallmeyer, Henning: Schülerin in MV wegen AfD-Sympathien von Polizei aus dem Unterricht geholt?, auf: nordkurier.de (14.3.2024).↩
- Inzwischen wurde das Interview gelöscht. Der Redaktion liegt die Ankündigung vor.↩
- Nius (Hg.): Exklusiv! Hören Sie dem Mädchen (16) zu, das wegen eines Schlumpf-Videos von der Polizei in der Schule besucht wurde, auf: nius.de (18.3.2024).↩
- Wienand, Lars: Mutter äußert sich: „Dann hätten wir anders reagiert“, auf: t-online.de (20.3.2024).↩
- @AfD-Fraktion-Ribnitz-Damgarten: Beitrag vom 21.6.2024, 21:08 Uhr, auf: facebook.com.↩
- Kompetenznetzwerk Rechtsextremismusprävention (Hg.): #Stolzmonat – Rechtsradikale Social Media Kampagne gegen den Pride Month, auf: amadeu-antonio-stiftung.de (6.6.2023).↩
- Screenshots liegen der Redaktion vor.↩
- Klas, Sarah; Adomeit, Stefanie: Hetzjagd auf polizeibekannten Obdachlosen in Rostock: Polizei warnt vor Selbstjustiz, auf: ostsee-zeitung.de (24.5.2024).↩
- Adomeit, Stefanie: Fotos und Video führen zu Gerüchten: Ribnitzer Schulleiterin spricht von menschlicher Tragödie, auf: ostsee-zeitung.de (23.5.2024).↩
- Meyer, Michael; Niemeyer, Robert: Obdachloser Din O. aus Ribnitz-Damgarten ist tot: Erst gehetzt, dann alleingelassen, auf: ostsee-zeitung.de (17.7.2024).↩
- Ebd.↩
- E-Mail von Martin Cloppenburg, Staatsanwaltschaft Stralsund, vom 1.7.2024.↩
- E-Mail von der Pressestelle der Polizeiinspektion Stralsund vom 4.7.2024.↩
- Linksfraktion im Landtag MV (Hg.): Sozialdarwinismus und Rassismus sind tödlich, auf: linksfraktionmv.de (18.7.2024).↩
- Landtag MV (Hg.): Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Schwebs, Fraktion der PDS, Drucksache 3/1950, Kameradschaften in Mecklenburg-Vorpommern, S. 2, auf: dokumentation.landtag-mv.de (21.3.2001).↩
- Lobbi MV (Hg.): Chronologie für Ribnitz, auf: lobbi-mv.de.↩
- Lobbi MV (Hg.): Chronologie für Ribnitz-Damgarten, auf: lobbi-mv.de.↩
- Ministerium für Inneres, Bau und Digitalisierung MV: Verfassungsschutzbericht 2023, auf: verfassungschutz-mv.de (8.7.2024).↩