Die Medienlandschaft in Mecklenburg-Vorpommern und ganz Deutschland steht unter anderem durch Digitalisierung und Zeitungssterben vor gewaltigen Herausforderungen, das ist unbestritten. Ist die Antwort darauf, Redaktionen zusammenzulegen und die Medien somit auf wenige große Verlage zu konzentrieren? Wenn es nach dem Geschäftsführer der SV-Gruppe mit Sitz in Ravensburg (Baden-Württemberg) geht, ja. Rückwirkend zum 1. Januar erwarb der zu der Gruppe gehörende Schwäbische Verlag die Schweriner Volkszeitung (SVZ) samt den Norddeutschen Neuesten Nachrichten (NNN) aus Rostock und dem Prignitzer. Diese Übernahme folgt auf den Kauf des Nordkuriers durch denselben Verlag im Jahr 2021. Die Entscheidung des Bundeskartellamts Ende Januar, die Übernahme zu genehmigen, wurde von verschiedenen Seiten diskutiert. Lutz Schumacher, der Geschäftsführer der SV-Gruppe, will durch die Zusammenführung ein zukunftsfähigeres Medienhaus schaffen, das „für zuverlässigen lokalen und regionalen Journalismus einsteht“.
Stellenkürzungen (un)logische Konsequenz?
Kritische Stimmen, darunter der Deutsche Journalistenverband (DJV), mahnen vor den noch unabsehbaren Folgen der Übernahme in Schwerin. Die Sorge vor dem Verlust von Arbeitsplätzen in MV und einer Abnahme der journalistischen Qualität sind nicht unbegründet: Schon jetzt sind in den Redaktionen von SVZ und NNN seit letztem Herbst mehr als ein Viertel der Stellen weggefallen. Verlässliche Aussagen zur weiteren Zukunft der redaktionellen Arbeitsplätze gibt es bisher nicht. Der Verband äußert zudem Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen auf den regionalen Journalismus. DJV-Landesgeschäftsführerin Corinna Pfaff betont die Notwendigkeit, den Stellenabbau in den Redaktionen zu verhindern und die journalistische Qualität zu erhalten: „Der Eigentümerwechsel darf nicht dazu führen, dass in beiden ohnehin ausgedünnten Redaktionen noch mehr Arbeitsplätze wegfallen. Sachkundige Redakteure sind nötig, um die individuelle Ausrichtung, die regionale Verankerung und die journalistische Qualität zu erhalten.“Unklar sei noch, welche Auswirkungen der Verkauf für die mittlerweile über 150 betroffenen Mitarbeiter:innen haben wird. Schumacher will ab Februar gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Geschäftsleitung an verschiedene Standorte reisen, um Gespräche in kleineren Runden mit Mitarbeiter:innen der SVZ über die Pläne der SV-Gruppe zu führen und die Firmen miteinander bekanntzumachen.Aus Sicht des DJV ist neben der Arbeitsplatzsicherheit der Mitarbeiter:innen auch die Medienvielfalt gefährdet. „In den neuen Bundesländern fehlt eine mittelständisch geprägte Zeitungslandschaft. Mit jeder Fusion wächst die Gefahr, dass die Großen noch größer und damit marktbeherrschend werden“, so Corinna Pfaff.
Die Schweriner Volkszeitung hat in Westmecklenburg und Teilen der Prignitz (Brandenburg) mit neun Lokalausgaben inklusive E-Paper eine Auflage von rund 57.000. Dazu kommen in der Region Rostock die Norddeutschen Neuesten Nachrichtenmit einer Auflage von rund 5.000, so die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW). Der Nordkurier mit seinen 13 Lokalausgaben im Nordosten MVs und in der Uckermark in Brandenburg erzielt inklusive E-Paper-Abonnements eine Auflage von knapp 50.000. Daneben vertreibt die Nordkurier-Mediengruppe Anzeigenblätter, Digitalmedien, Magazine und Bücher. Die Ostsee-Zeitung, die zum Madsack-Medienkonzern gehört, hat laut IVW über 73.000 Print-Abonnements sowie davon knapp 10.000 E-Paper-Abos bei einer Auflage von 82.670 Exemplaren. Zur OZ gehören Lokalausgaben in Bad Doberan,Grevesmühlen, Ribnitz-Damgarten, Greifswald, Rostock, Grimmen, Stralsund, Usedom-Peene, Wismar und auf Rügen.
Synergieeffekte statt Zeitungssterben?
Die SV-Gruppe und auch die ehemalige Eigentümerin der SVZ, das Medienhaus Nord mit der Neuen Osnabrücker Zeitung, sehen die Zusammenführung als Möglichkeit, den wachsenden Herausforderungen in der Medienlandschaft zu begegnen und eine breitere Basis für den Erhalt des Lokaljournalismus zu schaffen. Sowohl in MV als auch in Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Sie betonen, wichtige Funktionen klassischer Medien für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie könnten nur gewahrt bleiben, wenn regionale Medienhäuser über die notwendige Größe und Ausstattung verfügten. Dies gelinge vor allem über Synergieeffekte, wie die Nutzung gemeinsamer Logistik und Infrastruktur.
Laut Geschäftsführer Schumacher verfügt Schwerin mit der SV-Gruppe nun über einen Partner, der mit dem Nordkurier bereits gut in Mecklenburg-Vorpommern verankert sei und die Unternehmensservices anbiete, die für die SVZ bisher aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen abgewickelt wurden. Mit der SVZ geht auch die Logistikgesellschaft hinter Nordbrief Schwerin zur SV-Gruppe über. Diese betreibt im Nordosten bereits einen Brief- und Paketdienst mit über 1.000 Beschäftigten in rund 40 Niederlassungen. Die Übernahme der Schweriner Volkszeitung liege deshalb auch in der Bedeutung des zugehörigen Logistikgeschäfts begründet. Der Druckstandort in Wittenburg (Landkreis Ludwigslust-Parchim) soll für mindestens drei weitere Jahre bestehen bleiben. Schumacher erklärt, man erschließe sich so neue Gebiete und Haushalte, die dann auch digital bespielt werden könnten. Darin liege der Unterschied im Geschäft zwischen regionalen und überregionalen Häusern. Das gedruckte Zeitungsgeschäft sei zwar „auf seiner letzten Runde“, jedoch für die kommenden Jahre noch relevant. Deshalb sollen die Printausgaben der SVZ möglichst lange am Leben erhalten werden.
„Kampfbereite Medienhäuser“ der Zukunft oder lokale Demokratiedefizite?
Schumacher argumentiert gegenüber dem Branchendienst Medieninsider, dass zusammengelegte Medienhäuser besser in der Lage seien, den Herausforderungen der Digitalisierung und der sogenannten Plattformkonzentration standzuhalten. Darunter versteht man den Trend, dass sich der Nachrichtenkonsum mittlerweile auf wenige große Tech-Plattformen konzentriert. „Wenn aus den Hunderten Verlagen, die es in Deutschland gibt, 20 oder 30 resiliente und kampfbereite Medienhäuser werden, ist der Journalismus angesichts der Herausforderungen besser gewappnet als heute.“ Er sieht die Rolle der Medien als Plattformen und in der Pressekonzentration eine Möglichkeit, die Leistungsfähigkeit des Journalismus zu verbessern. Sein Argument: Die Digitalisierung führt zu einer größeren Meinungsvielfalt durch anderen Informationskonsum. Eine Pressekonzentration gefährdet folglich nicht die Meinungsvielfalt. Seiner Ansicht nach müssen sich die Medienhäuser enger zusammenschließen, um gegen die großen Techkonzerne bestehen zu können: „Wir befinden uns im Kampf um Mittelerde und die große Ork-Armee überrennt uns, wenn sich nicht alle Festungen zusammenschließen“, so Schumachers drastische Beschreibung der Lage.
Dabei ist die Medienbranche in Deutschland laut Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger trotz „Ork-Armee“ derzeit mehrheitlich positiv gestimmt. Zumindest, was die unmittelbare Zukunft angeht. Grund dafür sind die aktuellen Entwicklungen um KI-Tools und Machine-Learning, die zu einer weiteren Effizienzsteigerung in der Automatisierung führen sollen – nicht aber echte Journalist:innen ersetzen. Eine Neuausrichtung der Redaktionen soll zur Qualitätssteigerung der journalistischen Inhalte beitragen. Zudem würden zielgruppen- und themenbezogene journalistische Projekte, wie Themen-Newsletter oder neue journalistische Formate, die schwindende Bedeutung der klassischen Ressorts ersetzen. Auch in der Ansprache der Leser:innen sehen die Zeitungsverleger:innen eine Chance: Eine stärkere Leser:innenbindung und leichter zugängliche Formate sollen die Chancen bei der jeweiligen Zielgruppe erhöhen. 68 Prozent der Befragten in Führungspositionen sehen zumindest kurzfristig die Geschäftsentwicklung positiv. Für die nächsten drei Jahre teilen diese Auffassung noch immerhin 60 Prozent. Mittelfristig seien die Erwartungen aber eher negativ.
Die Unkenrufe zur Pressekonzentration sind laut Schumacher dennoch unbegründet: „Die Diskussion ignoriert völlig den Fakt, dass es in vielen Teilen Deutschlands doch überhaupt nur noch eine Zeitung pro Verbreitungsgebiet gibt. Es heißt also künftig: eine Presse oder gar keine Presse.“ Er bedauere, dass es bisher schwerfiel, eine gemeinsame starke Position einzunehmen, und betont die Bedeutung einer stärkeren Zusammenarbeit in der Branche.
Da sich Nordkurier und SVZ in ihrem Verbreitungsgebiet nicht überschneiden, heißt es wohl trotz „Synergieeffekten“ weiterhin: eine lokale Tageszeitung pro Region. Zumindest in MV. Ist das gut genug? Oder besser als nichts?
Nachrichtenwüsten, Zombiezeitungen und das Vertrauensproblem
Dass in einigen Regionen – besonders in Ostdeutschland – tatsächlich seit jeher nur eine Tageszeitung berichtet, kann schwerwiegende Konsequenzen haben. Schon in Ausgabe 2 von KATAPULT MV berichteten wir darüber, was passiert, wenn vor Ort berichtende Journalist:innen verschwinden. Das traurige Ergebnis: Wo Lokalredaktionen schließen, verselbständigen sich kriminelle Energien. Fehlen investigative Recherchen durch Lokaljournalist:innen und damit die Ansprechpartner:innen für Informationen aus der Bevölkerung, sind die Folgen steigende Korruption und Ungerechtigkeiten gegen Mensch, Tier und Planet: Betrug, Finanzvergehen, Wasser- und Luftverschmutzung sowie Verstöße gegen Arbeitsschutzvorschriften nehmen zu. Bußgelder würden bezahlt und Prozesse geführt, ohne dass die Firmen um ihr Image fürchten müssen. Andere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen: Sterben lokale Medien, fehlt die wichtigste Kontrollinstanz für skrupellose Machenschaften in Wirtschaft und Politik.Eine amerikanische Studie beleuchtet zwei sich ausdehnende deutsche Nachrichtenwüsten in Thüringen und Nordrhein-Westfalen, in denen zwar Zeitungen angeboten werden, die aber kaum noch Leben zeigen. Die Deutschen gelten als traditionell in ihrem Nachrichtenkonsum und weisen insgesamt ein hohes Vertrauen in die Medien auf. Werden jedoch lokale Nachrichten von Medienunternehmen nicht in der Region verfasst, nimmt das Vertrauen der Leser:innen ab, da das örtliche Nachrichtenangebot lediglich vorgetäuscht wird. Zudem geht die Entwicklung zulasten der Arbeitsbedingungen der Journalist:innen. Ein besonders besorgniserregender Aspekt sei die Illusion, die von sogenannten Zombie-Zeitungen ausgeht. Diese geben vor, in Gemeinden präsent zu sein, in denen sie gar nicht mehr wirklich mit Journalist:innen vor Ort sind. Dies schadet laut Expert:innen mehr, als es nutzt. Darüber hinaus führe die undurchsichtige Kollaboration zwischen Verlagen zu einer Verschleierung der Besitzverhältnisse und einer Einschränkung der Medienvielfalt.
Authentischer Lokaljournalismus ist wichtiger denn je
Die Ankündigung des Schwäbischen Verlags, durch die Übernahme von SVZ und NNN langfristig für „zuverlässigen lokalen und regionalen Journalismus“ zu stehen, wirft bei kritischen Beobachter:innen weiterhin Fragen auf. Kann eine Zentralisierung von Medienmacht in den Händen weniger großer Verlage wirklich zu einer Stärkung des Lokaljournalismus und damit der Demokratie führen? Wird nicht vielmehr die Vielfalt an Perspektiven und vor allem die Nähe zu den lokalen Gemeinschaften durch diese Entwicklung bedroht? Laut der Studie ist für das Überleben des Journalismus – egal welcher Art – vor allem Transparenz und Authentizität entscheidend.
Viel mehr denn je bedarf es einer breiten Palette an unabhängigen und vielfältigen Medien, die die Interessen der Gesellschaft abbilden und eine lebendige Demokratie unterstützen. Vor Ort – statt in einem weit entfernten Newsroom. Zentralisierte Newsdesks bedeuten auch einen Verlust an Autonomie und Kontrolle auf lokaler und regionaler Ebene. Die Menschen vor Ort zahlen dafür einen hohen Preis.
Der DJV will nun darauf achten, dass die journalistischen Arbeitsplätze, der Medienstandort Schwerin und die Ausrichtung der SVZ erhalten bleiben und den betroffenen Mitarbeiter:innen zur Seite stehen. Wenn Angriffe auf Journalisten an der Tagesordnung sind, wird die Unterstützung und der Rückhalt im Lokalen wichtiger denn je. Nicht nur für die Beschäftigten der SVZ, sondern auch im Kampf gegen Falschinformation, Fake News und kriminelle Machenschaften. Ist zwar nicht Mittelerde, aber immerhin Meck-Vorp.
Dieser Artikel erschien in KATAPULT MV-Ausgabe 29.
Quellen
- Luczak, Thomas: Nordkurier-Mediengruppe übernimmt „Schweriner Volkszeitung“ samt NNN aus Rostock, auf: ostsee-zeitung.de (10.1.2024).↩
- SVZ (Hg.): Medien in MV: Bundeskartellamt genehmigt Übernahme der Schweriner Volkszeitung, auf: svz.de (23.1.2024).↩
- Luczak 2024.↩
- Telefonat mit Corinna Pfaff am 12.2.2024.↩
- SVZ 2024.↩
- Luczak 2024.↩
- IWV (Hg.): Ausweisung der IVW-Gesamtzahl, auf: ausweisung-gesamtzahl.ivw.de (Stand viertes Quartal 2023).↩
- NOZ/mhn-Medien (Hg.): Konsolidierung am Zeitungsmarkt in Mecklenburg-Vorpommern, auf: noz-mhn.de (9.1.2024).↩
- SVZ 2024.↩
- Schade, Marvin: Schwäbische-Chef Lutz Schumacher: „Wir brauchen mehr Pressekonzentration“, auf: medieninsider.com (30.1.2024).↩
- Kress (Hg.): Stimmung bei Zeitungsverlagen überraschend gut, auf: kress.de (13.2.2024).↩
- BDZV (Hg.): Highberg-Trendumfrage: Trends der Zeitungsbranche 2024, S. 4, auf: bdzv.de (13.2.2024).↩
- Hansen, Anna: Wenn niemand berichtet, auf: katapult-mv.de (28.12.2021).↩
- Assmann, Karin: Rise of the Zombie Papers: Infecting Germany’s Local and Regional Public Media Ecosystem, auf: cogitatiopress.com (28.9.2023).↩
- Blöß, Louise: Entspannung sieht anders aus, auf: katapult-mv.de (20.6.2023).↩