KATAPULT MV: Ihr fordert einen sofortigen Stopp der Frackinggas-Einspeisung vor der Küste Rügens. Warum?
Carla Reemtsma: Wir brauchen nicht mehr Gas, sondern einen konkreten Plan, wie wir endlich aus dem Gas aussteigen. Das ist klar! Gerade Frackinggas ist besonders problematisch und führt zu massiven Umweltschäden. Bei der Förderung werden Chemikalien in den Boden gepumpt, die das Grundwasser verseuchen können. Welche Chemikalien das sind, ist nicht transparent. In den USA ist teilweise im direkten Umfeld von Schulen schon jetzt das Trinkwasser massiv verschmutzt und die Luft extrem verunreinigt. Die Krebsraten steigen enorm. Können wir das verantworten? Außerdem machen wir uns erneut abhängig. Russisches Gas durch Frackinggas aus den USA zu ersetzen, ist keine Option. Wir dürfen uns nicht von Autokraten abhängig machen, weder in Russland noch in den USA.
Abseits der Schäden durch Fracking in den USA haben wir auch direkt hier in Mecklenburg-Vorpommern große und schwer abschätzbare Umweltrisiken. Die Ostsee ist ein fragiles Ökosystem. Erst vor wenigen Tagen ist ein Frackinggas-Tanker vor Rügen auf Grund gelaufen. Wenn da was schiefgeht, gibt es kein Zurück. Der Ansatz der heimischen Gasförderung, bei der hier in Deutschland die Umwelt zerstört wird, ist natürlich auch keine gute Idee. Gas bleibt Gas – und Gas ist extrem klimaschädlich. Und: Gas in der Atmosphäre ist 48-mal schädlicher als CO2.

Deutschland will kein Gas mehr von Russland und trotzdem volle Gasspeicher. Oft heißt es, erneuerbare Energien schwankten zu sehr und ohne Gas sei die Netzstabilität in Gefahr. Wo seht ihr Alternativen zum Frackinggas für eine sichere Energieversorgung?
Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gibt es Studien, die zeigen: Die neuen Terminals sind überflüssig. Die Gasversorgung ist auch ohne sie gesichert – für die Übergangszeit. Was wir stattdessen brauchen, sind Investitionen in erneuerbare Energien und erneuerbare Speichertechnologien, die eine sichere Versorgung garantieren. Doch statt Fortschritt kommt Rückschritt. Die Regierung plant neue Gaskraftwerke, von denen viele gar nicht auf Wasserstoff umrüstbar sind. Speicherlösungen existieren längst – sie werden nur nicht ausreichend gefördert. Dabei könnte man so Sonnen- und Windspitzen speichern – und fossile Abhängigkeit abbauen.
Aber moderne Speicher sind noch Zukunftsmusik. Wie kompensiert man kurzfristig den Stopp der Frackinggas-Importe?
Ganz einfach: Wir brauchen das Gas derzeit kaum. Das Terminal in Mukran hat bisher nur etwa acht Prozent seines geplanten Volumens eingespeist. Diese Menge lässt sich problemlos über andere Wege beschaffen. Acht Prozent rechtfertigen kein ganzes Terminal. Für Mukran war es jedoch Bedingung, eine relevante Menge an Gas einzuspeisen.
Mittelfristig muss Schluss sein mit fossilen Übergangslösungen. Es gibt Wege – wenn wir weiter in erneuerbare Energien und Speichertechnologien investieren. Doch die Bundesregierung ist im Gasrausch. Die neue Wirtschaftsministerin will mehr Gaskraftwerke, längere Laufzeiten für Gasheizungen, neue Gasbohrungen und langfristige Verträge – auch mit Autokratien. Das ist die völlig falsche Richtung. Das ist keine Energiewende, das ist fossile Energiepolitik. Und teuer obendrein: durch volatile Weltmärkte und steigende CO₂-Preise.
2050 will die EU klimaneutral sein. Der aktuelle Kurs führt in die Gegenrichtung. Wir demonstrieren, weil eine saubere Energiepolitik möglich – und notwendig – ist. Und wir hören damit nicht auf. Nicht auf Rügen und nicht anderswo.
Hintergrund: Flüssigerdgas-Terminal in Mukran – teuer gebaut, wenig genutzt
- Im Februar 2024 nahm das LNG-Terminal in Mukran auf Rügen den Testbetrieb auf. Die Bundesnetzagentur nannte das dort eingespeiste US-Gas damals eine „notwendige Sicherheitsmaßnahme“ für die Energieversorgung.1
- Tatsächlich kam das Terminal bislang kaum zum Einsatz. Laut Deutscher Umwelthilfe legten bis Frühjahr 2025 weniger als zehn Schiffe an – geplant waren 110. Die Auslastung lag im Jahr 2024 bei rund acht Prozent. Umweltschützer sprechen von einem überdimensionierten Projekt ohne relevanten Beitrag zur Versorgungssicherheit.
- Neben mehreren Klagen von Umweltschützern und Kommunalpolitikern verbot das Umweltministerium im Herbst 2024 das sogenannte reloading – das Umladen des Gases auf kleinere Tanker. Das Bundesverwaltungsgericht Leipzig hob das Verbot im März wieder auf.2 Bleibt die Frage: Wie viel Energiepolitik braucht es, um ein Ökosystem zu gefährden, das man kaum nutzt?
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