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Drei Fragen – drei Antworten

Interview mit Landesrabbiner Yuriy Kadnykov

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Lesedauer: ca. 4 Minuten

Bild und Zitat von Landesrabbiner Yuriy Kadnykov: "Einige Gemeindemitglieder verstecken, dass sie jüdisch sind. Aus Angst tragen sie Davidstern oder Kippa nicht öffentlich.

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KATAPULT MV: Wie ist die aktuelle Situation für Jüdinnen und Juden in MV? Wie sicher fühlen sich Jüdinnen und Juden hierzulande?

Yuriy Kadnykov: Viele haben Angst nach dem Angriff der Hamas auf Israel. Vor allem diejenigen, die Verwandte, Freunde und Bekannte in Israel haben, machen sich große Sorgen. Und es gibt einige bei uns in den Gemeinden, die Verwandte in den Städten nahe dem Gazastreifen haben, die von der Hamas verschleppt oder getötet wurden. Wir haben Gemeindemitglieder, die das durchmachen müssen.

Und auch in MV verstecken einige Gemeindemitglieder, dass sie jüdisch sind, indem sie zum Beispiel Davidstern oder Kippa nicht öffentlich tragen – aus Angst. Wir arbeiten eng mit der Polizei zusammen. Es wird versucht, die jüdischen Gemeinden zu schützen. Und auch die Jüdischen Kulturtage in Rostock waren gut besucht. Es ist ein gutes Zeichen, dass uns die Menschen in diesen turbulenten Zeiten trotzdem wahrnehmen und sich nicht einschüchtern lassen. Und viele Menschen drücken auch ihre Solidarität mit Israel aus.

Wie war die Situation vorher und hat sich etwas geändert?

Es gibt nicht nur eine Art von Antisemitismus. Schon vor dem Terroranschlag gab es Antisemitismus im Land, vor allem aus dem rechten Spektrum. Und die Coronapandemie hat diesen noch verstärkt. Und auch Linksradikale unterstützen Judenfeindlichkeit, sind oft propalästinensisch und antiisraelisch. Doch auch die Rechtsradikalen sind noch da. Sie sind zwar weniger aktiv, aber nicht verschwunden.

Aktuell sind eher die Islamisten auf der Schaubühne des Antisemitismus. In MV gibt es keine große islamische Gemeinde, sodass der islamische Antisemitismus nicht so stark ausgeprägt ist wie andernorts. Doch was in unseren Gemeinden in Schwerin und Rostock auf der Strecke bleibt, ist der gepflegte Dialog mit islamischen Gemeinden im Land. Denn diese halten sich bedeckt, es gab kein offizielles Statement zu dem Terrorangriff der Hamas auf Israel. Und das finden die jüdischen Gemeinden befremdlich.

Was unsere Gemeindemitglieder auch besorgt, ist, dass Juden mit Israel gleichgesetzt werden. Aber wir sind nicht die Botschaft oder das Konsulat von Israel. Wie jeder andere Deutsche haben auch die Juden keinen Einfluss auf die israelische Regierung. In der Israelkritik steckt ein neuer Antisemitismus. Früher war Judenfeindlichkeit eher latent.

Doch das Gute ist, dass antijüdische Vorfälle jetzt ernster genommen werden und der Rechtsstaat stärker eingreift als vorher. In Berlin zum Beispiel wurden lange antisemitische Demonstrationen geduldet, in MV gab es solche Demos nicht. Aber auch in unserem Bundesland gibt es Vorfälle. So wurde beispielsweise in Schwerin die gehisste israelische Fahne vor dem Innenministerium geklaut.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass die Gewalt endet. Ich wünsche mir, dass auch die Palästinenser von der Hamasherrschaft befreit werden. Ich wünsche mir, dass sich die Situation in Israel und Gaza entspannt und es zu einer Normalisierung im Leben der Menschen im Gazastreifen kommt.

Außerdem sollten NGOs, Stiftungen und Regierungen schauen, wohin die Gelder gehen, mit denen sie Gaza unterstützen wollen. Wir haben das oft gesehen, dass das Geld nicht für die Zivilbevölkerung ausgegeben wird, für bessere Lebensbedingungen, Krankenhäuser und Schulen, in denen kein Hass gelehrt wird, sondern dass das Geld in den Krieg gesteckt wird.

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Autor:innen

Geboren in Rostock.
Aufgewachsen in Rostock.
Studierte in Rostock. Und Kiel.

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