Die Kachel stellt die Menge an Steinkohle und die Menge an Fusionsbrennstoff, die für die Erzeugung von Energie benötigt wird, gegenüber. Elf Tonnen Kohle stehen einem Gramm Fusionsbrennstoff gegenüber.
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Fusionsforschung in MV

Mit Plasma und Lasern zur Vorreiterin

Mit zwei Forschungsstandorten soll Mecklenburg-Vorpommern zu einem Zentrum der Kernfusion werden – mindestens in Deutschland. Seit mehr als zehn Jahren wird am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald der Forschungsreaktor „Wendelstein 7-X“ betrieben. Im Mai konnten die Wissenschafter:innen eine weitere Experimentierphase mit einem Rekord abschließen. Und an der Universität Rostock wurde im vergangenen Jahr der Grundstein für ein Institut für Laserfusionsforschung gelegt. Beide Einrichtungen sollen zu einer künftigen klimafreundlichen Energiegewinnung beitragen. Und internationale Nachwuchsphysiker:innen nach MV locken.
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Ende Mai beendete das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Greifswald seine aktuelle Versuchskampagne an der Kernfusionsanlage Wendelstein 7-X. Mit einem neuen Rekord beim sogenannten Tripelprodukt. Es ist eine Größe, die sich aus Plasmadichte1, Temperatur und einer möglichst langen zeitlichen Dauer zusammensetzt und letztendlich die zentrale Erfolgsgröße auf dem Weg zu einem Fusionskraftwerk ist, erklärt der wissenschaftliche Leiter der Anlage, Thomas Klinger.2 Bei der Kernfusion verschmelzen die Atomkerne von Wasserstoff unter kontrollierten Bedingungen miteinander, wobei große Mengen Energie freigesetzt werden – unter extremen Bedingungen, wie sie auch im Innern von Sternen herrschen. Dazu soll das Plasma mehr Fusionsleistung erzeugen, als in der Anlage an Heizleistung investiert werden muss. Je höher der Wert, desto höher die Energieausbeute der Fusionsreaktion.3

Wendelstein 7-X ist ein Reaktor vom Typ Stellarator. Daneben gibt es noch die sogenannte Tokamak-Bauweise. Am letzten Messtag Ende Mai konnte mit über 43 Sekunden Plasmadauer, also dem Halten des Plasmazustands, bei dem Energie freigesetzt wird, ein neuer Spitzenwert erreicht werden. Bisherige Fusionsexperimente hätten nur wenige Sekunden geschafft, so das IPP in einer Mitteilung.4 Damit ist Wendelstein 7-X die weltweit leistungsfähigste Anlage ihres Typs. Und soll die künftige Energiegewinnung durch Fusionskraftwerke weiter voranbringen.

Thomas Klinger ist nach Abschluss der Experimentierphase mehr als zufrieden: „Die Maschine hat geliefert und ebenso das Team.“ Schon mehr als zehn Jahre arbeiten er und seine Kolleg:innen am Aufbau und der Weiterentwicklung des Forschungsreaktors. Er betont: Das Experimentieren in diesem Gebiet sei nicht „mal eben fertig“. In der Großforschungsanlage werden verschiedene Fragestellungen gleichzeitig bearbeitet – „und die Beantwortung hat auch noch zehn bis zwanzig Jahre Forschungsarbeit vor sich“.

Mehr zum Forschungsreaktor Wendelstein 7-X könnt ihr hier lesen: Versuchsreaktor Wendelstein 7-X geht in den Dauerbetrieb

Die gerade abgeschlossene Betriebsphase habe aber entscheidende Erkenntnisse gebracht, unterstreicht Klinger: Der Reaktor sei mit 99 Prozent „enorm zuverlässig“ gewesen und habe Leistung gezeigt. Nun gehe es darum, den Materiezustand „Plasma“ nicht nur für lange Zeit zu erreichen, sondern sicherzustellen, dass das Plasma auch dicht und heiß genug ist.

Die Basis liefern

Ihr Versuchsreaktor sei da auf einem sehr guten Weg, bilanziert Klinger. Plasma für eine halbe Stunde zu erzeugen, ist das nächste Ziel. „Denn ein Kraftwerk, das nur eine Sekunde läuft, braucht ja am Ende keiner.“

Bis zu einer tatsächlichen Einsatzfähigkeit in der Energiewirtschaft werde es aber noch dauern – bis zu zehn Jahre, schätzt er. Die Versuchsanlage in Greifswald bleibe für die Forschung aber in den Dimensionen bestehen, wie sie bisher waren. Sie wurde aus Forschungsgeldern der Bundesregierung finanziert und so klein wie möglich konstruiert. Sie soll die wichtigen Erkenntnisse liefern, die man für eine Großanlage braucht. „Mit Wendelstein 7-X wird die Basis gelegt“, so der Physiker, „die technische und die wissenschaftliche.“

Kritik an den langen Zeiträumen lässt er nicht gelten. Andere Großprojekte dauerten ebenso lange und hier handele es sich um gut angelegte Forschung für die Zukunft. Die Energieversorgung künftig nur aus erneuerbaren Energien zu gewinnen, hält Klinger für unrealistisch. Auch wenn er es sich wünschen würde: „Wenn es am Ende doch so kommt und wir alles mit Solar und Wind machen können, dann feiere ich das.“ Er aber setze lieber auf Sicherheit.

Investor:innen stehen bereit

Erst seit wenigen Jahren entpuppt sich die Fusionsforschung als wirtschaftlich attraktiv. Immer mehr Start-ups investieren: „Weltweit haben sich schon etwa 50 Firmen gegründet“, weiß Klinger. Rund die Hälfte von ihnen hat realistische Konzepte erarbeitet – zum Teil mit Kapital in Milliardenhöhe.

In Deutschland gibt es bereits erste Firmen, die sich auf die sogenannte Magnetfusion spezialisieren wollen, wie sie auch im Wendelstein zum Einsatz kommt. Eine davon ist Proxima Fusion mit Sitz in München. Das Unternehmen will erste Prototypen in Kraftwerksgröße bauen – und das auf der Grundlage des Greifswalder Forschungsreaktors: „In unseren Augen ist das Konzept mit dem geringsten technologischen Risiko verbunden. Die Ergebnisse von Wendelstein 7-X zeigen, dass der Stellarator prinzipiell funktioniert“, sagt Jorrit Lion, einer der Gründer.5 Er und ein weiterer seien Doktoranden aus Greifswald, freut sich Klinger. „Sie scharren schon jetzt mit den Hufen – sie sehen da viel Potenzial.“

Rostock mit Lasern in den Startlöchern

Noch nicht so weit vorangeschritten, aber dennoch für die beteiligten Wissenschaftler:innen vielversprechend: das geplante Institut für Hochenergiedichtephysik an der Universität Rostock, das in Kooperation mit dem Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf entstehen soll.6 Dort soll der Fokus auf einem anderen Verfahren liegen: Mit der sogenannten Laserfusion kann sehr dichtes Plasma durch intensive Lichteinstrahlung erzeugt werden. „Man kann es sich in etwa vorstellen wie eine Lupe, die mit dem richtigen Lichteinfall zu einem Brennglas wird“, sagt Leiter Dominik Kraus. Das setzt Energie frei. Und das aufgrund der Schnelligkeit von Licht in sehr kurzer Zeit: etwa einer Zehnmilliardstelsekunde.

Die Grafik stellt Magnetfusion und Laserfusion gegenüber.

„Die ersten Pläne liegen bereit“, so Kraus. Auf einem Gelände neben dem Physikalischen Institut soll möglichst bald mit dem Bau begonnen werden. Wenn alles klappt, ist er in fünf Jahren fertig. Derzeit laufen schon erste Einstellungen, verrät der Physiker aus Darmstadt. Insgesamt sollen durch den neuen Forschungszweig 50 bis 60 neue Stellen entstehen. Auch Kraus ist für diese Perspektive extra nach MV gezogen.

„Der Vorteil eines Fusionskraftwerks ist, dass dort kaum Atommüll anfällt“, erklärt Kraus. Und der wenige Abfall habe eine deutlich geringere Halbwertszeit7. Außerdem setze die Kernfusion kaum CO₂ frei.

2022 wurde in den USA bei der Laserfusion zum ersten Mal mehr Energie erzeugt, als für das Experiment aufgewendet werden musste, freut sich Kraus. Für ihn eine Motivation. Einzig, weil man bei der Laser- im Vergleich zur Magnetfusion noch sehr weit von möglichen Kraftwerksgrößen entfernt ist, sei man in diesem Bereich deutschlandweit kaum aktiv. Das aber soll sich so schnell wie möglich ändern. Vor allem soll das neue Institut zur Vernetzung beitragen: eine Zusammenarbeit ist etwa mit der internationalen Röntgenlaser-Forschungseinrichtung European XFEL geplant. Auch hier sollen junge Start-up-Unternehmen in Forschung und Weiterentwicklung einbezogen werden.

Um das voranzutreiben, plant die Uni Rostock drei neue Professuren – in Deutschland bisher einzigartig. Das mache Rostock zu einem besonderen Forschungsstandort, findet Kraus. Das zeige sich schon jetzt an der Nachfrage junger Physiker:innen: „Es melden immer mehr internationale Studierende ihr Interesse an, herzukommen.“ Zuletzt habe er junge Leute aus Oxford, Edinburgh und Rom rekrutiert. „Das ist jetzt eine Chance, ein internationales Leuchtturmprojekt zu werden!“ Allerdings vorerst nur für die Forschung, räumt er ein. Denn ob die Laserfusion am Ende auch wirklich wirtschaftlich sein kann, müssen, wie bei der Magnetfusion, erst noch Experimente erweisen.

So versteht Kraus auch die Kritiker:innen an dem neuen Forschungszweig. Aber auch er sagt, ähnlich wie Thomas Klinger vom IPP: „Man muss sich jetzt Gedanken machen, wie wir künftig Energie gewinnen wollen. Und vielleicht sollte man dabei nicht nur auf eine Möglichkeit schauen, sondern wie viele am Ende möglich sind.“

Fusionszentren fusionieren eher weniger

Als „Doppelzentrum der Kernfusion“ bezeichnet die Landesregierung nun die beiden Forschungsstränge. MVs Wissenschaftsministerin Bettina Martin (SPD) hatte sich zuletzt sehr für die Fusionsforschung eingesetzt. Mit dem Programm Fusion 2040 hat sich die Bundesregierung im vergangenen Jahr sowohl die Forschung als auch die Nachwuchsgewinnung in der Entwicklung von industrietauglichen Fusionsreaktoren bis spätestens 2024 auf die Fahnen geschrieben. Zu diesem Zweck werden bis 2028 vorerst insgesamt 370 Millionen Euro bereitgestellt.

Dafür sind beide Forschungsstandorte in MV dankbar. Beim Thema, sich als „Doppelzentrum der Kernfusion“ bezeichnen zu lassen, reagieren beide Seiten allerdings zurückhaltend. „Rostock ist die andere Physik“, heißt es aus Greifswald, denn das Spektrum der Plasmaphysik sei enorm weit und beide Forschungsstandorte konzentrierten sich auf jeweils andere Felder. Dominik Kraus aus Rostock ergänzt, dass eine Zusammenarbeit nur bedingt möglich sei. Auf einem Gebiet könnte es aber durchaus Chancen geben: bei der Nachwuchsgewinnung.

Gemeinsam Physiker:innen von morgen nach MV holen

Schon jetzt arbeiten viele Doktorand:innen und Praktikant:innen beim Wendelsteinprojekt im Kontrollbereich mit. Sie sollen direkt an der Maschine das Geschäft und diese Art der Physik lernen. „Die ersten Unternehmen fangen schon an, den Nachwuchs bei uns abzuwerben“, beobachtet Klinger, der selbst eine Professur an der Greifswalder Uni innehat. „Und das ist im Grunde ja auch toll, denn die jungen Leute bekommen dadurch plötzlich ganz andere Karrieremöglichkeiten.“

„Rostock hat eine gute, starke Physik an der Uni, Greifswald ebenfalls, mit der wir schon eng verbunden sind“, sagt Kraus. „Da kann man sich schon vorstellen, ein Ausbildungszentrum gemeinsam aufzubauen.“
Das findet auch Thomas Klinger. Denn für Laser- und Magnetfusionsforschung gab es schon einmal einen gemeinsamen Ausbildungsstartpunkt – in Düsseldorf und Jülich. „Von daher ist es ein realistischer, guter Ansatz. Vor allem, wenn in MV nun beides vertreten ist.“

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  1. Plasma ist ionisiertes Gas, das bei hohen Temperaturen und hohem Druck entsteht. ↩︎
  2. Telefonat mit Thomas Klinger am 3.6.2025. ↩︎
  3. Max-Planck-Gesellschaft (Hg.): Wege zum Fusionskraftwerk, auf: mpg.de (14.8.2024). ↩︎
  4. Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (Hg.): Wendelstein 7-X erreicht neue Bestwerte, auf: ipp.mpg.de (3.6.2025) – Anmerkung: Bei kurzen Plasmadauern bleiben Reaktoren vom Typ Tokamak Rekordhalter. ↩︎
  5. Max-Planck-Gesellschaft (Hg.): Ein Start-up auf dem Weg zur Fusionskraft, auf: mpg.de (27.3.2025). ↩︎
  6. Universität Rostock (Hg.): Ministerpräsidenten Schwesig und Kretschmer unterzeichnen Absichtserklärung zur Gründung des High Energy Density Instituts, auf: uni-rostock.de (1.8.2024). ↩︎
  7. Halbwertszeit nennt man den Zeitraum, in dem die Hälfte der Kerne eines radioaktiven Elements zerfallen ist. ↩︎

Autor:in

  • Bild von KATAPULT MV Redaktionsleiterin Martje Rust

    Ehemalige Redaktionsleitung

    Ist in Greifswald geboren, hat in Augsburg studiert und zog für den Lokaljournalismus wieder zurück nach MV.

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