Die Grafik zeigt die jährlichen Asylanträge zwischen Januar und Mai von 2020 bis 2025. Die meisten, insgesamt 2.098 Anträge, wurden 2023 gestellt, gefolgt von 2024 mit 1.878 Anträgen. In diesem Jahr sind 1.047 Anträge gestellt worden.
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Asylpolitik in MV

Zahlen sinken, Probleme bleiben

Die Asylbewerber:innenzahlen in MV sind deutlich gesunken, was das Innenministerium auf verstärkte Grenzkontrollen zurückführt. Doch der Flüchtlingsrat warnt: Für Geflüchtete bleiben erhebliche Probleme bei Aufnahme und Integration. Zudem sendet der Bund ein klares Signal: „Deutschland möchte keine Einwanderung mehr“ – das erschwert die Integrationsbemühungen und erhitzt die gesellschaftliche Stimmung weiter.
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Die Zahl der neuen Asylbewerber:innen in Mecklenburg-Vorpommern ist im laufenden Jahr deutlich zurückgegangen. Im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai wurden 1.078 Erstanträge auf Asyl verzeichnet, verglichen mit 2.048 im gleichen Zeitraum des Vorjahres.1
Der Blick auf die Statistik offenbart einen Trend: Seit 2023 sind die Zugangszahlen rückläufig. Während vor zwei Jahren noch 6.154 Asylbewerber:innen nach MV kamen, waren es 2024 bereits nur noch 4.788. Für 2025 zeichnen sich – hochgerechnet auf Basis der ersten fünf Monate – nochmals deutlich geringere Zahlen ab.
Trotz dieses Rückgangs, der von der Landesregierung positiv bewertet wird, bleiben laut dem Flüchtlingsrat MV erhebliche Probleme bei der Aufnahme und Integration von Geflüchteten bestehen.

Kontrollen wirken – sagt das Ministerium

Das Landesinnenministerium führt den Rückgang der Asylbewerberzahlen auf die seit November 2023 verstärkten Grenzkontrollen der Bundespolizei an der polnischen Grenze zurück. Gleichzeitig räumt das Ministerium auf Anfrage von KATAPULT MV ein, dass die „tatsächlichen Auswirkungen [der Grenzkontrollen] auf den Zustrom von Flüchtlingen nach MV […] nicht valide quantifizierbar“ seien. SPD-Innenminister Christian Pegel zeigt sich dennoch überzeugt. Das Ministerium zitiert, der Ressortchef sei „dem Bundesinnenministerium sehr dankbar“, da die Kontrollen „sehr klar feststellbar ein wirksamer Mechanismus“ seien.

Auf die Debatte, ob die Grenzkontrollen rechtswidrig seien, geht das Innenministerium nicht weiter ein. Das Verwaltungsgericht Berlin hatte am 2. Juni geurteilt, dass die Zurückweisung von drei Somalier:innen nach Polen rechtswidrig war.2 Zuvor hatte bereits das Fachportal Verfassungsblog die Kontrollen als „evident rechtswidrig“ bewertet.3 Das Innenministerium MV stellt fest, dass zwar die Zahl der Aufgriffe von Migrant:innen an der Grenze zunehme, die formalen Zugangszahlen jedoch deutlich zurückgehen. Das Ministerium bewertet die Kontrollen daher als Mechanismus, der abschreckend auf Schleuser wirke, da das Risiko, erwischt zu werden, deutlich gestiegen sei.

Mehr Effizienz, weniger Flüchtlinge: MV fordert mehr Abschieben-Kompetenz beim Bund

Insgesamt kommen weniger Migrant:innen nach Deutschland. Dabei wirkten auch mittelbar die „sehr klar“ bewährten Grenzkontrollen „positiv auf die Zugangszahlen“, wie das Landesinnenministerium betont. Von diesem Rückgang profitiere auch Mecklenburg-Vorpommern, da Flüchtlinge nach einem festen Schlüssel auf die Bundesländer verteilt werden. Laut Ministerium sei die Zusammenarbeit des Landesamtes für Innere Verwaltung MV mit der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge „sehr gut“.

Für die Zukunft sieht die Behörde die Umsetzung des neuen Gemeinsamen europäischen Asylsystems als zentral an. Es fordere zudem eine Konzentration der Zuständigkeiten für Abschiebungen beim Bund, um mehr Tempo und Effizienz in den Prozess zu bringen – insbesondere bei Abschiebungen in Nicht-EU-Länder. Eine Bündelung der Kompetenzen auf Bundesebene sei sinnvoll, da der Bund mit seiner Bundespolizei und seinen außenpolitischen Möglichkeiten am besten geeignet sei, die Rücknahme von Abzuschiebenden in den Herkunftsländern durchzusetzen.

Wer hier ist, hat es schwer

Der Flüchtlingsrat MV kann die Begeisterung des Ministeriums nicht teilen. Ulrike Seemann-Katz ist Sprecherin des Flüchtlingsrats. Auf Anfrage erklärt die Grünen-Abgeordnete des Kreistages Ludwigslust-Parchim, dass die Aufnahme und Unterbringung von Menschen, die ein Asylverfahren durchlaufen müssen, oft als verunsichernd empfunden werde.

MV quartiert Geflüchtete landesweit in Gemeinschaftsunterkünften ein.4 Diese befänden sich oft in alten Kasernen oder im Wald und seien häufig eingezäunt – teils mit Stacheldraht. Das vermittle einen „Lagercharakter“. Obwohl die Einzäunung auch Schutz vor rechtsextremen Angriffen bieten soll, verunsichert sie gleichzeitig die Bevölkerung. Die Schutzvorrichtungen könnten als Schutz vor vermeintlich gefährlichen Menschen interpretiert werden.

Weiter folgert der Flüchtlingsrat, es überwiege anfangs oft die Dankbarkeit für ein Dach über dem Kopf. Wenn sich ein Asylverfahren jedoch hinzieht oder aussichtslos erscheint, könne diese Dankbarkeit in ein Gefühl der Gängelung oder Freiheitseinschränkung umschlagen.

Zusätzlich zu den Unterbringungsbedingungen drohen im kommenden Jahr Haushaltskürzungen in MV. Der Flüchtlingsrat befürchtet, dass diese zu weniger Integrationsprojekten und Beratungsstellen führen. Schon jetzt gebe es in der Fläche keine Asylverfahrensberatung, wodurch der effektive Zugang zum Recht fehle. Die Wartezeiten bei den Ausländer- und Einbürgerungsbehörden betragen teilweise bis zu einem Jahr. Digitalisierte Terminvereinbarungen sind oft unflexibel, und für Menschen mit Aufenthaltserlaubnis entfallen die Kostenübernahmen für Dolmetscherleistungen. Alles in allem ein schwerer Start für Migrant:innen.

Bildung? Eher Rückschritt

Nach Einschätzung des Flüchtlingsrates hat das Land außerdem einen Rückschritt in der Bildungsintegration gemacht.

Die Bildungskonzeption für Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache wurde geändert, sodass sie nun in sogenannten Vorklassen unterrichtet werden. Diese Vorklassen folgen keinem verbindlichen Rahmenplan und werden häufig nicht von ausgebildeten Lehrkräften für die Zweitsprache Deutsch unterrichtet.5 Zudem ist Deutsch häufig nicht die Hauptunterrichtssprache, sodass manche Kinder bis zu zwei Jahre in den Klassen bleiben, ohne die Sprache zu erlernen.

Die Klassen befinden sich selten auf einem regulären Schulgelände. Der Flüchtlingsrat kritisiert deshalb, Kinder würden separiert und andere Kinder lernten die „Selbstverständlichkeit von ‚Wir und die anderen‘ – von Ausgrenzung und Rassismus“. Auch die Ausbildung ist schwierig: Ohne deutsche oder europäische Schulbildung oder massive Nachhilfe sei die Berufsschule in der Regel nicht zu schaffen.

Klares Signal: Deutschland will euch nicht

Ulrike Seemann-Katz vom Flüchtlingsrat MV kritisiert die migrationspolitischen Signale der Bundesregierung entschieden. Die Verschärfungen, Begrenzungen, das Aussetzen des Familiennachzugs, Änderungen im „Wording“ und geplante Regeländerungen zur Einbürgerung vermittelten nahezu allen den Eindruck, dass Deutschland als Einwanderungsland keine Einwanderung mehr wolle. Dies sei angesichts des real existierenden Fachkräftemangels eine „Dummheit“.
Selbst die von Union6 und AfD7 heiß begehrten „qualifizierten Fachkräfte“ könnten sich zukünftig nicht mehr in Deutschland bewerben – sondern eher in anderen Ländern. Das veränderte Wording trage zudem zur Normalisierung von Ausgrenzung bei und beeinflusse die gesellschaftliche Stimmung gegenüber Zugewanderten und Deutschen mit familiärer Einwanderungsgeschichte.

Der Flüchtlingsrat MV kann sich mit der Idee des Innenministeriums von mehr Tempo und Effizienz im Abschiebeprozess nicht anfreunden. Stattdessen fordert der Rat dringend politische und strukturelle Veränderungen zur Verbesserung der Lage Geflüchteter. Dazu gehören mehr Geld für Maßnahmen und Institutionen im Innern, wie Deutschkurse, die Ausbildung von Deutschlehrenden, psychosoziale Betreuung oder Therapien, Prävention, Antirassismusarbeit und Menschenrechtsarbeit. Die Kernforderung lautet: „Weniger Regeln, mehr Vertrauen, weniger Ausgrenzung, mehr Integration, weniger Zäune, mehr Offenheit.“

  1. E-Mail von Marie Boywitt, Pressesprecherin des Innenministeriums MV, vom 10.6.2025.
    ↩︎
  2. Cruschwitz, Julia; Radon, Albrecht; Lopez, Edgar: Machen sich Polizisten strafbar?, auf: tagesschau.de (20.6.2025). ↩︎
  3. Hruschka, Constantin: Dobrindts Rechtsbruch, auf: verfassungsblog.de (15.5.2025).
    ↩︎
  4.  Landkreis Vorpommern-Greifswald (Hg.): Gemeinschaftsunterkünfte, auf: kreis-vg.de (2.8.2024).
    ↩︎
  5. Bildungsserver MV (Hg.): Willkommen in MV: Schule, Kita, Ausbildung, Anerkennung von Abschlüssen, auf: bildung-mv.de.
    ↩︎
  6. Der Spiegel (Hg.): Ausländische Medizinstudierende sollen nach Abschluss in Deutschland arbeiten – oder zahlen, auf: spiegel.de (12.6.2025). ↩︎
  7. AfD-Fraktion MV (Hg.): Neue Fachkräfte? Machen wir selber!, auf: afd-fraktion-mv.de. ↩︎

Autor:in

  • Freier Redakteur.

    In Berlin geboren, im brandenburgischen Speckgürtel aufgewachsen. Studiert Politik und Kommunikation in Greifswald. Spielt in einer Band – weil nur reden einfach zu langweilig wäre.

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