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Aktivismus

Zwei feministische Demonstrationen in Greifswald

Im Abstand von nicht einmal 24 Stunden fanden in Greifswald gleich zwei Demonstrationen statt. Der erste Protest am Freitagabend richtete sich gegen die Absage eines Vortrags, in dem es um Machtmissbrauch in der Musikszene ging. Die zweite Kundgebung am Samstagvormittag hatte die rassistischen Stadtbild-Aussagen von Bundeskanzler Friedrich Merz zum Anlass.
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Spontan versammelten sich am Freitagabend in der Nähe der Greifswalder Friedrich-Loeffler-Straße rund 100 Personen. Grund dafür war die Absage einer Veranstaltung, die eigentlich zu diesem Zeitpunkt stattfinden sollte. Die feministische Gruppe Neonlila wollte einen Vortrag mit dem Titel Niemand soll Täter werden – Sexismus, Macht und Schweigen in der Musikszene an der Universität Greifswald halten. Im Anschluss sollte eine Diskussion stattfinden. Am Mittwoch verkündete der Allgemeine Studierendenausschuss der Universität jedoch, dass die Veranstaltung entfällt.

Was war passiert? Eine Rednerin erklärte, dass eine angedrohte Unterlassungsklage durch die Band Feine Sahne Fischfilet der Grund für die Absage sei. Gegen den Sänger der Band wurden 2022 Vorwürfe von Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt erhoben. Er bestreitet diese.1 In den Redebeiträgen wurden sowohl das mutmaßliche Verhalten der Band aktuell und in Bezug auf die Vorwürfe als auch das der Universität kritisiert. Letztere habe einen Vortrag über die Zensur von Betroffenen selbst zensiert und damit die Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt, so der Vorwurf.

Das Bild zeigt eine Demonstration in Greifswald. Auf dem Banner steht: Täter schützen heißt Probleme bekommen! Gegen Repression und Zensur durch Feine Sahne. Gemeint ist die Band Feine Sahne Fischfilet.
Die Demoroute verlief vom Campus an der Friedrich-Loeffler-Straße bis zum Marktplatz. (Foto: Lilly Biedermann)
Das Bild zeigte eine Demonstrantin. Auf ihrem Plakat steht: Täter stellt euch! Ihr peinlichen Feiglinge.
Die Teilnehmer:innen forderten einerseits, den Betroffenen von sexualisierter Gewalt Glauben zu schenken und andererseits Konsequenzen für die Täter. (Foto: Lilly Biedermann)
Das Bild zeigt den Chor der spontan zur Kundgebung gegen die Absage eines Vortrags über Machtmissbrauch in der Musikbranche gekommen war.
Spontan schloss sich ein Chor der Demonstration an und sang mehrere Lieder. (Foto: Lilly Biedermann)

Demonstration gegen Stadtbild-Aussage

Nicht einmal 24 Stunden später – am Samstagvormittag – fand im strömenden Regen eine weitere Kundgebung in der Hansestadt statt. Die Gruppe Neonlila hatte dazu aufgerufen, gegen die rassistischen Aussagen von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zu demonstrieren. Dieser hatte in einer Pressekonferenz Mitte Oktober erst angekündigt, ein vermeintliches „Problem im Stadtbild“ durch vermehrte Abschiebungen lösen zu wollen. Auf Nachfrage, was er damit genau gemeint habe, erklärte er, man könne doch für die Einordnung die eigenen Töchter fragen.2 Laut den Veranstalter:innen versammelten sich insgesamt rund 150 Menschen.

Das Bild zeigt die Kundgebung in Greifswald gegen die rassistische Aussage von Friedrich Merz zum Stadtbild.
Die Kundgebung mit dem Motto „Bock auf Stadtbild ohne Rassismus“ fand am Mühlentor statt. (Foto: Lilly Biedermann)

In der Eröffnungsrede sprach eine Vertreterin von Neonlila davon, dass die Gruppe zwar als eine Gemeinschaft von Töchtern diese Demonstration organisiert habe, aber es ihnen um alle Menschen gehe, die von Rassismus betroffen seien. Redebeiträge kamen von der Linksjugend, einem Vertreter der Grünen, einer Vertreterin der Fraktion Alternative Liste/Tierschutz/Partei in der Greifswalder Bürgerschaft, den Gruppen Greifswald für alle und Pro Bleiberecht. Sie alle kritisierten Merz‘ Äußerung als rassistisch und sprachen sich für gesellschaftlichen Zusammenhalt aus.

Kritisiert wurde auch, dass die Aussagen reale Probleme verkennen und Teil einer rassistischen Politik seien. Frauen seien beispielsweise nicht genug vor Gewalt geschützt und die Gründe dafür lägen nicht in der Migration, sondern in der finanziellen Situation von Frauenhäusern und Beratungsstellen. Die restriktive Migrationspolitik der Bundesregierung und Alltagsrassismus gefährde außerdem das Leben migrantischer Menschen.

Edona Ibiši, die sich selbst als „migrantische Tochter“ vorstellte, sprach als Vertreterin der Linksjugend. Sie schilderte ihre Perspektive in Bezug auf Sicherheit und Rassismus. Sie fühle sich allein, weil sie von deutschen Männern Gewalt erfahre, aber die Polizei ihr nicht helfen würde. Stattdessen habe sie auch von Polizeibeamten Rassismus erfahren. Unterstützung bekäme sie dagegen von der emanzipatorischen Linken. Die Kundgebung endete mit den Worten: „Tragt all das ins politische Handeln, macht euch stark, haltet zusammen und werdet wieder trocken.“

Das Bild zeigt ein Plakat auf dem steht: Wir haben kein Stadtbild-Problem. Wir haben ein Rassismus-Problem.
Auf Plakaten drückten die Teilnehmer:innen der Demonstration ihre Unzufriedenheit mit dem Verhalten des Bundeskanzlers aus. (Foto: Lilly Biedermann)
Das Bild zeigt ein Plakat auf dem steht: Stadtbild? Kaputt ist dein Weltbild, Merz
Der strömende Regen setzte einigen Plakaten zu. (Foto: Lilly Biedermann)
  1. Gantenbrink, Nora; Frank, Arno: Wir haben irgendwann gemerkt, das frisst uns auf, auf: spiegel.de (31.3.2023). ↩︎
  2. Seidel, Jörn: Merz und das „Stadtbild“: Eine kluge Kommunikationsstrategie?, auf: wdr.de (23.10.2025). ↩︎

Autor:in

  • Porträt von Lilly Biedermann Redakteurin Katapult MV in Greifswald

    Redakteurin in Greifswald

    Geboren und aufgewachsen in Sachsen. Ist zum Studieren vom tiefen Osten in den kalten Osten nach Greifswald gezogen.

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