Über 30.000 Menschen haben sich in MV in den vergangenen Wochen bereits zu prodemokratischen Protesten zusammengefunden. Nach Städten wie Schwerin, Rostock und Ludwigslust steht seit gestern nun auch Anklam in der Reihe der Demonstrationsorte. Die Bündnisse Anklam für alle und Vorpommern – weltoffen, demokratisch, bunt hatten Sonntag zum gemeinsamen Protest auf den Marktplatz geladen. Das Motto: „Aufstehen für unsere Demokratie“.
Über 200 Menschen – die Polizei zählte 200 Teilnehmer:innen, die Veranstalter:innen sprachen von etwa 250 – versammelten sich mit zahlreichen Fahnen und selbstgemalten Plakaten vor dem Anklamer Rathaus. Als Moderator führte Ulrich Höckner, ein Vertreter der katholischen Kirche, durch die Veranstaltung. Er eröffnete ebendiese mit einem Blick auf DDR-Zeiten. Er sei vor diesem Hintergrund „sehr glücklich darüber, dass wir in einer Demokratie leben – mit einer Meinungsfreiheit, mit einer Freiheit, sich zu versammeln, und dass es keine Repressalien gibt, wie ich das zu DDR-Zeiten erlebt habe“.
Als erste Rednerin sprach auf den Rathausstufen die Landtagsabgeordnete und Gemeindevertreterin aus Tutow, Jeannine Rösler von der Linkspartei. „Wir alle stehen hier heute auf dem Markt für unsere Demokratie. Weil sie uns nicht eben einfach mal so in den Schoß fällt, sondern weil wir tagtäglich etwas dafür tun müssen.“ Sie forderte, sich gegen „Hass, Ausgrenzung, völkische Hirngespinste, Menschenfeindlichkeit und menschenabwertende Ideologien“ zu stellen. Darüber hinaus erinnerte Rösler an die Ermordung Mehmet Turguts durch Rechtsextreme des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in Rostock am 25. Februar 2004.
Neben Rösler sprachen auch der SPD-Bundes- und Kreistagsabgeordnete Erik von Malottki, der FDP-Bundestagsabgeordnete Christian Bartelt, das Grünen-Vorstandsmitglied im Landkreis Vorpommern-Greifswald, Tom Lichtenthäler, und die SPD-Landtagsabgeordnete Anna-Konstanze Schröder. Von Malottki bedankte sich für das „Zeichen der Hoffnung“ durch die Demokratiedemonstrationen und betonte unter anderem, dass für die Region Vorpommern eine Zukunft gestaltet werde müsse – „eine Gegenvision gegen das, was da vorgetragen wird“. Damit bezog sich von Malottki unter anderem auf die kürzlich publik gewordenen Vertreibungspläne auch von Vertretern der AfD.
Bartelt richtete unter anderem Worte an diejenigen Menschen, die solche Veranstaltungen für Demokratie sonst immer stören: „Bitte beteiligen Sie sich einfach mal konstruktiv daran. Denn es ist immer leichter, schlechtzureden, als es gut zu machen.“ Darüber hinaus erinnerte er an die friedliche Revolution zu DDR-Zeiten – für freie und geheime Wahlen, für Gewaltenteilung, für Grundrechte wie die Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit. Er wisse „heute ganz genau, welch eine großartige Leistung sie damit vollbracht haben“.
Tom Lichtenthäler von den Grünen sprach sich gegen eine „Ungleichwertigkeit“ von Menschen aus. „Egal, welchen Lebenswandel wir führen, welchen Moralkodex wir verfolgen, welche Suppe wir am liebsten essen, wie wir aussehen – im Staat sind wir alle gleich wert. Alle sollen dieselben Rechte und Freiheiten haben und alle sollen auch dieselben Chancen haben.“ Er kritisierte zudem die vermehrte Bedeutung von Falschinformationen: „In einer demokratischen Auseinandersetzung sollte darüber gestritten werden, welche Schlussfolgerungen aus gemeinsam anerkannten Fakten gezogen werden. Viel zu oft müssen wir aber aktuell Diskussionen über die Anerkennung von Fakten selbst führen.“ Im Berg an Informationen, der den Menschen tagtäglich zur Verfügung stehe, befänden sich „in zunehmendem Maße auch gezielt platzierte Fehlinformationen“.
Mit der Aufforderung an die Demonstrierenden, das Wort „Freiheit“ laut zu wiederholen, eröffnete Anna-Konstanze Schröder von der SPD ihren Redebeitrag. Sie machte sich dafür stark, die Farben Schwarz-Rot-Gold nicht Rechtsextremen und Antidemokraten zu überlassen. „Die Farben unseres Landes, die in der Verfassung stehen (…), die gehören nämlich zu uns hier, zu den Demokraten“, sagte Schröder und entrollte unter dem Applaus der Menge eine Flagge des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. Die Organisation war fast auf den Tag genau vor 100 Jahren zum Schutz der Demokratie gegründet worden und war die größte demokratische Massenorganisation der Weimarer Republik. „Ich finde es nicht gut, dass unsere Farben bei den Antidemokraten sind. Dass Leute wie Björn Höcke mit Schwarz-Rot-Gold gekennzeichnet werden. Das sind keine nationalistischen Farben. Es sind die Farben von Einigkeit und Recht und Freiheit!“, rief Schröder.
Aus den Reihen von Kultur und Gesellschaft sprachen in Anklam etwa der kaufmännische Geschäftsführer der Vorpommerschen Landesbühne, Andreas Flick, der Landwirt Matthias Hecker als Vertreter des Bauernverbandes und Johannes Hecht, der eine Petition für den Erhalt des Demokratiebahnhofs Anklam gestartet hatte.
Flick wunderte sich in seinem Redebeitrag darüber, seit wann das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus „links-grün-versifft“ sei. „Wann hat sich dieses Bild verschoben? Wann sind Positionen, die aus der Mitte unserer Gesellschaft kamen, plötzlich am Rand gelandet oder über den Rand hinausgeschoben worden? Unsere Demokratie wird gerade umgedeutet. Und davor müssen wir uns in Acht nehmen.“
Matthias Hecker bedankte sich unter anderem für die Unterstützung der Bevölkerung für die demokratischen Bauernproteste im Januar und zog eine positive Bilanz. Man sei jetzt wieder mit der Politik im Gespräch, „werde angehört“ und könne an gemeinsamen Lösungen arbeiten.
Schon mehr als 1.270 Menschen hätten seine Petition zum Erhalt des Demokratiebahnhofs unterschrieben, berichtete Johannes Hecht. Er teilte aber auch gegen die AfD aus – in deren Programm zeige sich an vielen Stellen, wie unsozial die Partei sei. So sehe etwa das Steuerprogramm vor, bei den Vielverdiener:innen beziehungsweise „denen, die am meisten haben, am stärksten die Steuern zu senken“. Deshalb plädiere er unter anderem dafür, „das Soziale nicht aus den Augen zu verlieren“. Es sei „Fundament unserer Demokratie“.
Aus Anklam selbst meldeten sich die Vorsitzende des Jugendparlaments, Elisabeth Schmidt, und der Pfarrer der evangelischen Gemeinde, Helge Jörgensen, zu Wort. Schmidt betonte, dass freie Wahlen ohne Demokratie nicht möglich wären, und wies im selben Atemzug auch auf die Existenz des Jugendgremiums in der Stadt hin. Sich für die Demokratie einzusetzen sei wichtig.
Jörgensen forderte die Menschen auf, Haltung zu zeigen, „bei dem, was jetzt wieder laut ausgesprochen wird und nicht mehr in den dunkelbraunen Ecken“. „Laute Parolen, einfache Lösungen und fett gedruckte Überschriften sind zwar gut, um Likes zu generieren. Mit der Wahrheit haben sie aber ebenso wenig zu tun wie die Weisheit, die mir auf Tiktok um die Ohren gehauen wird.“ Jörgensen positionierte sich zudem deutlich gegen die auch von der AfD propagierten Pläne zur sogenannten Remigration. „Nie wieder dürfen wir schweigen, wenn die Würde des Menschen in Gefahr ist. Und dieses ‚Nie wieder‘, das ist genau jetzt!“
Am Rande der Demonstration, aber auch zwischen den Teilnehmer:innen zeigten sich die ganze Veranstaltung über auch Mitglieder der rechtsextremen Szene – darunter zum Beispiel Martin Mietzner, Kader der Partei Die Heimat (ehemals NPD), oder Mitglieder der Kameradschaft Bargischow.
Am Rand des Marktplatzes hatte sich zudem eine weitere Kundgebung versammelt. Dort demonstrierten nach Angaben der Polizei Bauern und Unternehmer für Demokratie und freie Meinungsäußerung. Neben zahlreichen Deutschlandflaggen war bei den Teilnehmer:innen auch eine verkehrt herum getragene Flagge zu sehen. Dies gilt als beliebtes Symbol in rechtsextremen Kreisen und der Reichsbürger:innenszene.
Quellen
- reichsbanner-geschichte.de.↩
- Flägel, Victoria: Symbole und Codes der extremen Rechten, auf: katapult-mv.de (12.1.2024).↩
- Hansen, Anna: Deutschlandflagge verkehrt herum vor Greifswalder Polizei, auf: katapult-mv.de (4.10.2021).↩