Kommentar

Migrationskrise oder Rassismuskrise?

Die aktuell wieder entflammte Debatte über Geflüchtete in Deutschland und insbesondere in MV – von Loitz über Upahl bis nach Greifswald – zeigt: Wir sind nicht weiter als 1992, die Gefahr rassistischer, menschen- und verfassungsfeindlicher Übergriffe besteht unverändert.

Kaum ein Tag ohne Demo gegen Geflüchtetenunterkünfte in MV. Presse, Polizei und Politiker:innen werden angefeindet und bedroht. Welche fatalen Ausmaße breit getragener gesellschaftlicher Rassismus annehmen kann, hat das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen 1992 gezeigt.

Verantwortlich für die rassistische Gewalt waren nicht nur ein untätiger Staat, der die Verantwortung hin- und herschob, eine unvorbereitete Polizei und eine Mehrheitsbevölkerung, die zusah, sogar anfeuerte und Beifall klatschte, als Radikale eine rassifizierte Minderheit entmenschlichten. Um den Rassismus zu bestärken, zwischen den Teilsystemen der Gesellschaft auszutauschen und so voreinander zu rechtfertigen, brauchte und braucht es die Medien.

Die aktuelle Berichterstattung ist ausgewogener als damals. Über 30 Jahre später hat der professionelle Journalismus seine Deutungshoheit jedoch eingebüßt. Menschen radikalisieren sich online – von wo aus auch die Lüge vom Übergriff in Loitz massenhafte Verbreitung fand. Dafür braucht es keine klischeehafte und einseitige professionelle Berichterstattung. Und dennoch gibt es sie noch immer. Es werden dieselben Fehler gemacht wie damals: nicht mit Betroffenen gesprochen, Vorurteile reproduziert und diffuse Ängste der Bevölkerung geschürt statt zerstreut. Die applaudierende Mehrheitsbevölkerung findet – damals wie heute – die Bestätigung von Vorurteilen und Gerüchten in politischen Debatten und der medialen Berichterstattung darüber.

Doch eines muss klar sein: Es geht in der Debatte nicht um unsere Kinder. Es geht nicht um unsere Sicherheit. Es geht nicht um unsere Ordnung. Es geht um Rechte und Nazis, Reichsbürger:innen und Selbstverwaltende, die diffuse Ängste für ihre menschenverachtende Agenda instrumentalisieren.

Die immer wieder aufflammenden rassistischen Asyldebatten streuen und verstärken Vorurteile in der Bevölkerung, mit verheerender Wirkung. Einmal in die Welt gesetzt, bringen sie nicht weniger als enthemmte Gewalt bis zur Mordbereitschaft hervor: Tausende jubeln, während Menschen um ihr Leben fürchten.

Wie es 1992 zu der rassistischen Eskalation in Rostock-Lichtenhagen kam und welche Auswirkungen das Pogrom bis heute hat, thematisieren wir in unserer Sonderausgabe und auf unserer Themenseite. Mehr zu rechter Gewalt in MV gibt es hier.

Weiterlesen:

Autor:in

  • Bild von KATAPULT MV Redakeurin Victoria Flägel

    Redakteurin in Rostock

    Geboren in Rostock. Aufgewachsen in Rostock. Studierte in Rostock. Und Kiel.