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Landratswahl 2025

So ticken die Landratskandidaten in VR

Herzlich Willkommen in Vorpommern-Rügen – wo die Ostsee oft dichter ist, als das nächstes Krankenhaus. Hier teilen sich etwa 227.000 Einwohner:innen löchrigen ÖPNV und schlechten Mobilfunkempfang mit etwa 8 Millionen Touris, die jährlich hierher kommen. Mögliche Gründe: große Inseln, lange Inseln, kleine Inseln und Vögel. Sechs Männer und null Frauen wollen hier trotzdem Landrat werden.
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KATAPULT MV hat nachgefragt, wie sie ihren Landkreis sehen und was ihre Pläne für die Zukunft sind.

Inhaltsübersicht:

Anmerkung der Redaktion: Der AfD-Kandidat Carlos Rodrigues äußerte sich trotz mehrerer Nachfragen nicht auf unsere Fragen. Jörg Herrmann (parteilos) war für unsere Fragen nicht zu erreichen.


Was macht Ihren Landkreis so besonders?

Stefan Kerth, parteilos

Die Vielfalt der kleinen Kulturprojekte: Reet, Backsteinbaukunst, Nationalparke, der Kontrast zwischen dem ruhigem Küstenvorland und den 1.025 Kilometer Küstenlinie. Rügen, Stralsund, Fischland-Darß-Zingst, Hiddensee, Binz – das sind deutschlandweit bekannte Destinationen. Und die Seefahrttradition prägt uns.

Sebastian Lange, Die Linke

Die landschaftliche und kulturelle Vielfalt – von Backstein bis Sandstrand – gepaart mit der etwas verschlossenen aber liebenswürdigen Art der Menschen.

Heiko Miraß, SPD

Die Menschen und die außergewöhnliche landschaftliche Schönheit.

Jens Neumann, parteilos

Mensch und Natur, insbesondere die Ostsee hier auf dem Darß


Warum wollen Sie (wieder) Landrat werden?

Stefan Kerth, parteilos

Weil Kreisentwicklung meine Leidenschaft ist. Ich möchte den kommenden Generationen eine intakte Region hinterlassen. Meine Erfahrung erleichtert die reibungslose Verwirklichung der seit Jahren vorbereiteten Projekte. Kontinuität ist effektiv, weil sich die regionalen Netzwerke (Kultur, Wirtschaft etc.) nicht neu einstellen müssen.

Sebastian Lange, Die Linke

Viele Menschen wünschen sich eine linke, soziale Stimme in unserem Landkreis. Ich will den Zusammenhalt aller Menschen, die in unserem Landkreis leben, stärken und dazu beitragen, dass Bevölkerungsgruppen nicht gegeneinander ausgespielt werden wie zurzeit.

Heiko Miraß, SPD

Weil ich meine Heimat mitgestalten möchte.

Jens Neumann, parteilos

Vordergründig, um die leider vorhandene Amtswillkür zu bekämpfen. Dazu die Senkung der Bearbeitungszeiten im Rahmen des Bürokratieabbaus.


Was denken Sie, ist die größte Herausforderung dieses Amtes?

Stefan Kerth, parteilos

Durch die Kreisgebietsreform 2011 ist Vorpommern-Rügen so groß wie das Saarland plus Berlin. Wenn man viel direkten Kontakt mit Bürgern, Unternehmen und Gemeinden haben will, muss man die Aufgabe als Berufung empfinden. Das Privatleben ist eingeschränkt. Unsere besondere Herausforderung in Vorpommern-Rügen ist zudem der Spagat zwischen dem wichtigen Wirtschaftszweig Tourismus und den damit verbundenen Belastungen für die Bürger.

Sebastian Lange, Die Linke

Die desaströse Haushaltslage und die Herausforderung, nicht an der Daseinsvorsorge sparen zu müssen.

Heiko Miraß, SPD

Die Gestaltung des demographischen Wandels in der Verwaltung und für die Bürgerinnen und Bürger.

Jens Neumann, parteilos

Die Einarbeitung in die Materie Verwaltung.


Welche Erfahrungen haben Sie in Politik und Verwaltung?

Stefan Kerth, parteilos

Als Bürgermeister, Kreistagsmitglied und Landrat kann ich auf 18 Jahre kommunalpolitische Arbeit zurückblicken. Mein Jurastudium ist zusätzlich eine Art unsichtbarer Werkzeugkoffer, den ich immer dabei habe. Übrigens habe ich auch eine Zeit im Landtag MV gearbeitet. Von den Erfahrungen profitiere ich bis heute.

Anmerkung der Redaktion: Kerth war bis Ende 2023 Mitglied der SPD. Er erklärte seinen Austritt aus der Partei damit, dass ihm unter anderem die Politik der SPD als „zu stark gesinnungsgeleitet und unzureichend an der Lebensrealität orientiert“ vorkomme. Er bezog sich vor allem auf die Migrationspolitik, die er angesichts von „eines friedlichen, säkularen Rechtsstaat unwürdigen“ Zuständen als „inkonsequent“ bezeichnete.1

Sebastian Lange, Die Linke

Ich bin bis heute Mitglied der vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Ich sitze zudem als sachkundiger Einwohner der Linksfraktion der Stralsunder Bürgerschaft im Ausschuss Volkswerft, bin in zwei weiteren Ausschüssen stellvertretendes Mitglied. Die Linksfraktion im Kreistag Vorpommern-Rügen hat mich ebenfalls als sachkundigen Einwohner als stellvertretendes Mitglied des Wirtschaftsausschusses des Kreises entsandt. Aktuell bin ich nicht nur Mitglied des Kreisvorstandes der Linken, sondern auch stellvertretender Landesvorsitzender der Linken in MV und Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstands.
In der Vergangenheit war ich bereits Mitglied der Stralsunder Bürgerschaft, sowie vier Jahre Betriebsratsvorsitzender der Hestia Pflege- und Heimeinrichtung GmbH mit circa 150 Mitarbeitenden.

Heiko Miraß, SPD

Über 20 Jahre Leitungsfunktionen bei der Bundesagentur für Arbeit, kommunalpolitische Arbeit, von 2019 bis 2021 Staatssekretär des Finanzministeriums, seit 2021 Mitglied des Landtages und Staatssekretär für Vorpommern und das östliche Mecklenburg.

Jens Neumann, parteilos

Wenig, aber ich kann als ehemaliger Polizeischüler lesen und ob ich nun das Strafgesetzbuch studiere oder die Kommunalverfassung bleibt am Ende gleich, ach ja rechnen auch …

Anmerkung der Redaktion: Neumann war laut Medienberichten Mitglied der in Teilen rechtsextremen AfD. Inzwischen distanziert er sich von der Partei. Er war außerdem Mitglied der CDU. Weil die Partei ihn nicht zum Landratskandidaten machen wollte – die CDU unterstützt Stefan Kerth –, trat er aus. Er sprach sich gegenüber dem NDR für eine Arbeitspflicht für Asylsuchende aus.2 Diese Maßnahme wird von Menschenrechtsorganissationen und Wissenschaftler:innen kritisiert. Sie sei rassistisch motiviert und trage nicht zur Arbeitsmarktintegration oder dem Erlernen der Sprache bei.


Wenn Sie gewinnen: Was passiert in diesem Fall mit Ihrem jetzigen Beruf?

Stefan Kerth, parteilos

Die Frage stellt sich dann ja nicht.

Sebastian Lange, Die Linke

Wenn ich gewinne werde ich meine jetzige Anstellung als Wahlkreismitarbeiter für die Mitglieder des Landtags Dirk Bruhn und Daniel Seiffert nicht weiterführen können. Den Job wird dann jemand anderes übernehmen müssen.

Heiko Miraß, SPD

Im Landtag würde jemand nachrücken. Die Aufgabe des Staatssekretärs müsste jemand anderes übernehmen.

Jens Neumann, parteilos

Meine Selbstständigkeit bleibt bestehen.


Wenn Sie es nicht werden – wer sollte Ihrer Meinung nach das Landratsamt bekommen?

Stefan Kerth, parteilos

Ein Landrat ist kein Frühstücksdirektor. Er ist Chef der Kreisverwaltung und verantwortet sicherheits- und bürgerrelevante Entscheidungen mit großer Tragweite. Je mehr Erfahrung und Vorqualifikation er oder sie hat, desto besser. Und man muss zu persönlichen Opfern hinsichtlich des Privatlebens bereit sein. Ich vermute, das wird unterschätzt. Viele wünschen sich die direkte Präsenz des Landrates, denn er ist ja direkt gewählt. Mal eben im Wahlkampf herumfahren und danach unsichtbar sein, geht schief.

Sebastian Lange, Die Linke

Der Kandidat einer demokratischen Partei.

Heiko Miraß, SPD

Der kompetenteste Kandidat.

Jens Neumann, parteilos

Egal, nur nicht der Herr Kerth, weil gegen den Strafanzeigen wegen Rechtsbeugung … vorliegen!

Anmerkung der Redaktion: Es sei derzeit keine Strafanzeige gegen den noch amtierenden Landrat Stefan Kerth bekannt, teilt der Landkreis auf Nachfrage mit.3 Auch die Polizei Stralsund gibt an, keinerlei Kenntnis von einer Anzeige zu haben.4 Laut der Staatsanwaltschaft Stralsund sei auch „kein anhängiges Ermittlungs- oder Strafverfahren“ registriert.5


Welches ist das dringendste Problem in Ihrem Landkreis?

Stefan Kerth, parteilos

Die Gesundheitsversorgung, bezahlbarer Wohnraum, fehlendes Geld für soziale Infrastruktur und Bildung. Wir haben durch den Hackerangriff viel Bürgerfreundlichkeit eingebüßt und müssen uns zurückkämpfen.

Sebastian Lange, Die Linke

Die schwierige Infrastruktursituation im ländlichen Raum – zum Beispiel auf ÖPNV, medizinische Versorgung oder auch auf alltägliche Dinge wie Einkaufsmöglichkeiten bezogen.

Heiko Miraß, SPD

Kurzfristig die Haushaltslage.

Jens Neumann, parteilos

Die Neuverschuldung durch den Verantwortlichen der sieben Jahre Zeit hatte, diese desolate wirtschaftliche Lage zu verhindern.


Was läuft gut in Ihrem Landkreis?

Stefan Kerth, parteilos

Wir haben den ÖPNV wesentlich verbessert. Schüler fahren kostenlos Bus. Die Schulsozialarbeit wurde ausgebaut. Ich bin überzeugt, dass sich viele Bürger sehr stark mit ihrer Heimat identifizieren. Es gibt gute Netzwerke im sozialen Sektor, in der Wirtschaft, unter den Kommunen etc. Das Miteinander ist gut. Wir entwickeln uns kontinuierlich vom Tourismus-Landkreis zum Innovations-Landkreis.

Sebastian Lange, Die Linke

Ich merke das rege Interesse vieler, vor allem junger Menschen, ihre Zukunft und das Zusammenleben hier im Landkreis aktiv mitzugestalten. Das lässt mich sehr hoffnungsvoll in die Zukunft blicken.

Heiko Miraß, SPD

Das ehrenamtliche Engagement und seine Anerkennung.

Jens Neumann, parteilos

Die Besucherzahlen sonst nichts!


Was fehlt in Ihrem Landkreis?

Stefan Kerth, parteilos

Bezahlbarer Wohnraum. Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche. ÖPNV-mäßig sind einige Gebiete noch nicht gut angebunden. Wir laufen auf einen Versorgungsnotstand im Bereich der Pflege und der medizinischen Versorgung zu. Und uns fehlt wie fast überall in den neuen Bundesländern das starke wirtschaftliche Rückgrat.

Sebastian Lange, Die Linke

Förderung in den Bereichen Sport und Kultur; bezahlbarer Wohnraum und bezahlbare Lebenshaltungskosten für Einheimische in den Tourismushochburgen – auch durch faire Löhne

Heiko Miraß, SPD

Ein umfassender Plan zum Umgang mit den demographischen Veränderungen der nächsten Jahre.

Jens Neumann, parteilos

Respekt seitens der Verwaltung im Umgang mit dem Volk6


Was tun, um junge Menschen in der Region zu halten?

Stefan Kerth, parteilos

Wir arbeiten seit vielen Jahren eng mit unseren Ämtern, Schulen und der Hochschule Stralsund zusammen, um zu erfahren, was sich junge Menschen von heute wünschen. Darauf reagieren wir dann. Wir bauen unseren neuen Berufsschulcampus und arbeiten an der Imageerweiterung zum Innovationslandkreis. Denn gerade die Höherqualifizierten gehen weg. Das ist extrem schädlich. Ich habe deswegen eine Talente-Förderinitiative angestoßen und schaffe gerade ein Alumni-Netzwerk. Bei den Themen bringe ich mich persönlich sehr ein.

Sebastian Lange, Die Linke

Aktive Teilhabe und Mitgestaltung am Leben hier im Landkreis. Es ist wichtig, unsere jungen Menschen über die Schul- und Berufsausbildung und das Studium hinaus in unserer Region zu halten.

Heiko Miraß, SPD

In Ausbildung investieren und Kultur- und Freizeitangebote stärken.

Jens Neumann, parteilos

Vorab bezahlbaren Wohnraum schaffen und …


Wie können sich ländlicher Raum und Städte annähern?

Stefan Kerth, parteilos

Die Frage ist zweideutig: Meinen Sie A, Berlin und Vorpommern? Oder B, Stralsund und Umland? Variante A: Ich habe den Eindruck, dass politische Entscheidungen in Berlin in ziemlicher Unkenntnis der realen Lebensbedingungen im ländlichen Raum getroffen werden. Das „Lastenfahrrad vom Prenzlauer Berg“ taugt so gar nicht als Verkehrsalternative im ländlichen Raum. In Städten fährt alle 10 Minuten ein Bus. Bei uns zweimal am Tag.
Variante B: Ich denke, dass in unserer Region Stadt und Land gar nicht so weit voneinander entfernt sind. Aber die große Politik übersieht leider, dass gut gemeinte Mobilitätsverbesserungen wie das Deutschlandticket toxische Nebenwirkungen für den ländlichen Raum haben. Denn wir müssen in den Städten immer mehr Busse einsetzen. Dadurch haben wir immer weniger Geld, um in unterversorgten Gebieten wenigstens eine Basisversorgung aufrechtzuerhalten.

Sebastian Lange, Die Linke

Auch hier ist vor allem ein Ausbau des ÖPNV-Angebots und des Fahrradwegenetzes notwendig.

Heiko Miraß, SPD

Durch einen attraktiven ÖPNV und die Stärkung der dörflichen Gemeinschaften.

Jens Neumann, parteilos

Durch einen gemeinsamen wirtschaftlichen Plan, zum Beispiel Windenergie in Eigenregie betreiben.


Wie kann die Verwaltung zugänglicher für Bürger:innen werden?

Stefan Kerth, parteilos

Vor allem durch zugängliche und motivierte Verwaltungsmitarbeiter, die sich als Dienstleister für die Bürger verstehen. Mit dem Faktor Mensch steht und fällt alles, auch ob uns die stetige Digitalisierung wirklich bürgerfreundlich gelingtoder nicht. Ich bin total optimistisch, dass uns das gelingt und für die Bürgervieles bequemer wird. Der direkte Kontakt von Mensch zu Mensch muss aberauch möglich bleiben.

Sebastian Lange, Die Linke

Eine niedrigschwelligere Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern, durch einen Ausbau der Digitalisierung.

Heiko Miraß, SPD

Durch ein klares Serviceverständnis, ein gut durchdachtes Standortkonzept und digitale Angebote.

Jens Neumann, parteilos

Da der Fisch bekanntlich vom Kopf her anfängt zu stinken, die Abwahl des Verantwortlichen Kehrt.

Wie die Landratskandidaten in der Mecklenburgischen Seenplatte auf unsere Fragen reagiert haben, lest ihr hier.

  1. @Dr. Stefan Kerth, Einfach nur Mensch.: Beitrag vom 6.11.2023, 19:24 Uhr, auf: facebook.com. ↩︎
  2. NDR (Hg.): Landrat-Kandidat Neumann will „Behördenwillkür ein Ende setzen“, auf: ndr.de (9.4.2025). ↩︎
  3. Telefonat mit der Pressestelle des Landkreises Vorpommern-Greifswald am 29.4.2025. ↩︎
  4. Telefonat mit der Polizeiinspektion Stralsund am 29.4.2025. ↩︎
  5. E-Mail der Staatsanwaltschaft Stralsund vom 29.4.2025. ↩︎
  6. Der Begriff des Volkes meint im politischen Sinne die Bevölkerung. Allerdings nutzen Rechtsextreme und -radikale ihn in ausgrenzender Art und Weise – sie definieren darüber, wer ihrer Meinung nach nicht dazugehören soll. Das betrifft dann zumeist Ausländer:innen oder Muslim:innen. ↩︎

Autor:in

  • Katapult MV

    KATAPULT MV recherchiert zu Themen, die woanders zu kurz kommen. Für mehr journalistische Vielfalt und Demokratie in MV.

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